Strafrecht

Rechtswidrige Gutachtensaufforderung wegen Cannabiskonsums

Aktenzeichen  AN 10 K 15.02330

Datum:
10.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 8

 

Leitsatz

Die Nichtvorlage eines Fahreignungsgutachtens erlaubt nur dann den Schluss auf die Nichteignung eines Betroffenen und demzufolge die Entziehung von dessen Fahrerlaubnis, wenn die Gutachtensaufforderung formell und materiell rechtmäßig war (Anschluss BVerwG BeckRS 2015, 42542).  (red. LS Jan Luckey)
Eine Gutachtenanforderung, welche sich bei einem rechtmäßig Cannabis konsumierenden “Schmerzpatienten” auch auf die Begutachtung der Gefahr eines Fremdgebrauchs von Cannabis oder der missbräuchlichen Einnahme von Cannabis beziehen soll, ist rechtswidrig. (red. LS Jan Luckey)
Die gerichtliche Aufhebung einer rechtswidrigen Gutachtenanforderung steht der erneuten Aufforderung zur Begutachtung (unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der zulässigen Fragestellungen) nicht entgegen. (red. LS Jan Luckey)

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Neustadt an der Aisch – Bad Windsheim vom 12. Juni 2015 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die auf die Nichtvorlage des angeforderten medizinischpsychologischen Gutachtens gestützte Entziehungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 8 FeV ist rechtswidrig, da die Gutachtensaufforderung rechtswidrig war.
Die Anforderung eines medizinischpsychologischen Gutachtens mag hier zwar grundsätzlich veranlasst gewesen sein und beruht zwar auf der Grundlage von Nr. 3 Satz 2 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV (siehe hierzu unter Nr. 2), sie war jedoch letztlich rechtswidrig, weil einige der Gutachtensfragen nicht anlassbezogen waren (siehe hierzu unter Nr. 3).
1. Die Nichtvorlage eines nach § 11 FeV angeordneten Fahreignungsgutachtens erlaubt der Fahrerlaubnisbehörde zwar gemäß § 11 Abs. 8 FeV den Schluss auf die Nichteignung eines Betroffenen und demzufolge die Entziehung von dessen Fahrerlaubnis.
Die Anwendung von § 11 Abs. 8 FeV setzt jedoch nach einhelliger Rechtsprechung und Literatur voraus, dass die Gutachtensaufforderung formell und materiell rechtmäßig war (BVerwG vom 5.7.2001 – 3 C 13/01, vom 5.2.2015 – 3 B 16/14, BayVGH vom 7.5.2001 – 11 B 99.2527, jeweils in juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 11 FeV, Rn. 24 m. w. N. zur Rechtsprechung).
U. a. müssen die Begutachtungsfragen dem Betroffenen mitgeteilt werden. Diese müssen insbesondere verhältnismäßig und anlassbezogen sein (BVerwG vom 5.2.2015, – 3 B 16/14 – juris, Rn. 8). Da die Gründe, welche die Behörde im Anordnungsschreiben nennt, dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnen sollen, zu entscheiden, ob er sich der geforderten Begutachtung mit dem dort genannten Ziel stellt, ist es auch erforderlich, dass die Anordnung in all ihren Teilen rechtmäßig ist.
2. Der Kläger ist zwar als regelmäßiger Konsument von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV anzusehen. Dies ergibt sich für das Gericht hinreichend sicher aus seinen Angaben vor der Polizei, jedenfalls aber aus seinen Angaben im Rahmen der Blutentnahme (vgl. insbesondere Blatt 22 der Verwaltungsakten). Auch in der mündlichen Verhandlung hat er sein – früheres – Konsumverhalten nicht in Frage gestellt. Damit ist er jedoch als fahrungeeignet anzusehen im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV und im Sinne von Ziffer 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Fassung 1. Mai 2014.
Zudem ist der Kläger auch als gelegentlicher Konsument im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV anzusehen, weil er den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennen kann, wie es sich aus dem Vorfall vom 11. November 2014 in Verbindung mit dem Gutachten vom 27. November 2014 ergibt.
Andererseits liegt es aber durchaus nahe, dass bei dieser – jedenfalls medizinisch indizierten – Einnahme von Cannabis ein Sonderfall im Sinne von Nr. 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 zur FeV gegeben sein kann, dessen Vorliegen jedoch nach Satz 3 der vorgenannten Bestimmung – regelmäßig – erst durch eine medizinischpsychologische Untersuchung festgestellt werden kann. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine eigenständige, zu den in §§ 11 bis 14 FeV geregelten Befugnisnormen hinzutretende, Rechtsgrundlage für die Anordnung der Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens (BayVGH vom 9.6.2011 – 11 CS 11.938, juris).
3. Jedoch enthält die Beibringungsanordnung einzelne Gutachtensfragen, welche bei zusammenschauender Betrachtung nicht mehr anlassbezogen sind.
Es liegt zwar auf der Hand, dass bei der hier vorliegenden Gestaltung unter anderem geklärt werden muss, ob die vorliegende Grunderkrankung, welche die Cannabiseinnahme als medizinisch indiziert erscheinen lässt, bereits für sich fahreignungsrelevant ist und ob die Fahreignung gegebenenfalls durch die Cannabiseinnahme wiederhergestellt wird. Desgleichen ist von Bedeutung, ob der Kläger durch die bereits erfolgte langjährige Cannabiseinnahme allein aufgrund der Dauer der Einnahme in seiner Fahreignung – bereits – beeinträchtigt ist oder die Gefahr besteht, dass dies bei weiterer langfristiger Cannabiseinnahme der Fall sein könnte. Ferner wird durchaus von Bedeutung sein, ob der Kläger bei Einnahme der Cannabisdosis, welche medizinisch zur Linderung seiner Schmerzen subjektiv notwendig ist, dann auch noch aktuell fahrgeeignet ist.
Es gab und gibt jedoch nach dem Vortrag der Beteiligten und dem Akteninhalt keinen Anlass insbesondere zur Überprüfung, ob beim Kläger die Gefahr eines Fremdgebrauchs von Cannabis oder der missbräuchlichen Einnahme von Cannabis vorliegt. Der Kläger ist nicht vorbelastet mit Erkenntnissen oder Hinweisen über die illegale Einnahme von Cannabis oder sonstigen Betäubungsmitteln. Auch besteht kein Hinweis darauf, dass er mehr Cannabis zu sich nimmt als medizinisch bei ihm indiziert ist. Beispielsweise ist im Gutachten vom 27. November 2014 auf dessen Seite 3 ausgeführt, dass die ermittelten Konzentrationen der medizinisch verordneten Konsumhäufigkeit von Cannabis nicht widersprechen (Blatt 31 der Behördenakte). Der Kläger erscheint hier als „reiner“ Schmerzpatient, dem ein Betäubungsmittelmissbrauch im weitesten Sinne nicht von vorneherein unterstellt werden kann. Somit sind hier insbesondere die Fragen Nr. 4 und Nr. 6 der Gutachtensanforderung vom 1. April 2015 nicht veranlasst gewesen.
Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten hat sich die Behörde wohl am Fragenkatalog für die Prüfung der Fahreignung von methadonsubstituierten Betroffenen orientiert. Dort liegt jedoch regelmäßig die Konstellation vor, dass die dortigen Betroffenen eine – illegale – Betäubungsmittel-Vergangenheit aufweisen, denn ansonsten wäre eine Methadon-Substitution nicht veranlasst.
Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Das Gericht weist jedoch klarstellend darauf hin, dass die Behörde durch diese Entscheidung nicht gehindert ist, eine erneute Gutachtensaufforderung zu erlassen, welche die vorstehenden Ausführungen beachtet. Der Kläger wird sich somit darauf einstellen müssen, dass durchaus Zweifel an seiner Fahreignung bestehen, welche er durch die Beibringung eines noch zu fordernden Gutachtens klären muss. Dies gilt auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens, dass sich sein Konsumverhalten mittlerweile geändert habe. Auch bei dessen Zugrundelegung ist eine Begutachtung nicht entbehrlich geworden. Keinesfalls ist es so, dass sein Trennungsvermögen feststeht und deshalb keine Zweifel an seiner Fahreignung (mehr) bestehen könnten. Auch ist es entgegen der Ansicht des Klägers nicht von Bedeutung, dass die Bundesopiumstelle ihm keine besonderen Auflagen gemacht haben soll.
Gründe für eine Berufungszulassung sind nicht ersichtlich.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift:
Ludwigstraße 23, 80539 München;
Postfachanschrift:
Postfach 34 01 48, 80098 München, oder in
in Ansbach:
Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt
(§ 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2013).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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