Strafrecht

Schuldspruch, Hauptverhandlung, Revision, Meinungsfreiheit, Angeklagte, Generalstaatsanwaltschaft, Angeklagten, Strafzumessung, Rechtsfehler, Beleidigung, Einspruch, Verfahren, Formalbeleidigung, Form, Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, keinen Rechtsfehler, Einstellung des Verfahrens

Aktenzeichen  206 St RR 333/20

Datum:
2.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 56146
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

2 Ns 303 Js 15272/18 (2) 2020-01-13 Urt LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 13. Januar 2020 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

1. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
a) Hinsichtlich der von der Revision erhobenen Verfahrensrüge wird zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung auf die ausführliche und zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 28. August 2020 Bezug genommen.
b) Zur Sachrüge ist im Hinblick auf den Schuldspruch Folgendes auszuführen:
Die Kammer hat, entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft, die verfahrensgegenständliche Äußerung nicht als „Schmähkritik“ qualifiziert, sondern im Rahmen der rechtlich gebotenen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Ehrenschutz der Staatsanwältin darauf erkannt, dass Letzterem der Vorrang zukommt und deswegen eine strafbare Beleidigung vorliegt. Dies begegnet revisionsrechtlich keinen Bedenken.
(aa) Die Frage, ob eine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung vorliegt, bedarf, wie die Kammer richtig gesehen hat, regelmäßig einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und der persönlichen Ehre des Betroffenen anhand der Umstände des Einzelfalles. Eine Fallkonstellation, in der dem Ehrenschutz regelmäßig ohne weitere Abwägung der Vorrang gebührt, liegt nur dann vor, wenn die Menschenwürde eines anderen angetastet wird oder eine Schmähung oder Formalbeleidigung vorliegt (zuletzt BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 BvR 2397/19, NJW 2020, 2622 Rn. 15; st. Rspr. des BVerfG). Der Charakter einer Äußerung als Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn folgt nicht bereits aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Selbst überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine solche liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Diffamierung der Person, nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, im Vordergrund steht (BVerfG, NJW 2020, 2622 Rn. 18; Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 BvR 362/18, NJW 2020, 2636 Rn. 17).
(bb) Diese engen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach den Feststellungen der Kammer richtete sich die verfahrensgegenständliche Äußerung des Angeklagten in der E-Mail vom 22. April 2018 gegen die sachbearbeitende Staatsanwältin des vorangegangenen, gegen ihn geführten Strafverfahrens wegen Betrugs, wobei aus dem in den Urteilsgründen vollständig wiedergegebenen Text der E-Mail zu entnehmen ist, dass der Angeklagte insoweit behauptete, es hätten Ermittlungsfehler stattgefunden. Man habe sich blind auf eine „Falschaussage“ eines Mitarbeiters der Agentur für Arbeit verlassen. Aus diesem Kontext wird hinreichend ersichtlich, dass es ihm mit seinen Äußerungen nicht allein oder auch nur vorrangig darum ging, eine bestimmte Person persönlich zu diffamieren, sondern dass sich seine, wenn auch herabwürdigende und überzogene Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Kritik an einer staatsanwaltschaftlichen Sachentscheidung darstellt. Damit handelt es sich nicht um Schmähkritik.
(cc) Auch eine Formalbeleidigung, um die es sich nach verfassungsgerichtlicher Auffassung nur im Fall besonders krasser, aus sich heraus herabwürdigender Schimpfwörter, etwa aus der Fäkalsprache, handelt (BVerfG NJW 2020, 2622, Rn. 21), liegt ersichtlich bei den gegenständlichen Bezeichnungen der staatsanwaltschaftlichen Sachbearbeiterin als „dämlich“ und „kann nicht lesen und schreiben“, jedenfalls im gegenständlichen Kontext, nicht vor.
(dd) Dass keine der genannten eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vorliegt, begründet indessen bei Äußerungen, mit denen Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit in der vorzunehmenden Abwägung zwischen dieser und dem Schutz der Persönlichkeit (BVerfG NJW 2020, 2622 Rn. 26). Diese Abwägung anhand der konkreten Umstände des Falls hat das Landgericht unter Berücksichtigung der Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im Rahmen der Prüfung, ob eine Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB vorliegt, im Ergebnis ohne Rechtsfehler vorgenommen.
(1) Rechtsfehlerfrei geht die Kammer, wie auch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Vorlageschreiben ausführt, vom Vorliegen einer ehrverletzenden Äußerung in Form eines herabsetzenden Werturteils aus. Eine Staatsanwältin als „dämlich“ und des Lesens und Schreibens nicht mächtig zu bezeichnen, stellt diese als intellektuell minderbemittelt dar. Die Äußerungen beziehen sich, wenn auch vor dem Hintergrund vom Angeklagten scharf kritisierter dienstlicher Sachentscheidungen, auch auf die sachbearbeitende Staatsanwältin als Person. Dass der Angeklagte zwischen der Behörde und der individuell handelnden Person zu unterscheiden weiß, zeigt bereits seine Diktion. In der Mail ist von „der Staatsanwaltschaft“ einerseits und „dem Staatsanwalt“ andererseits die Rede, worauf auch die Kammer zutreffend hingewiesen hat.
(2) Die Kammer hat ausdrücklich gewürdigt, dass das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung gehört, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2019 – 1 BvR 2433/17, NJW 2019, 2600, Rn. 17; BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, 1 BvR 1770/91, NJW 1992, 2815, 2816), und dass dabei auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen (BVerfG NJW 1992, 2815, 2816). Befindet sich jemand im sogenannten „Kampf ums Recht“, ist es ihm nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen (BVerfG, Beschluss vom 29. Februar 2012, 1 BvR 2883/11, NJW-RR 2012, 1002 Rn. 16), was die Kammer ebenfalls gesehen hat.
Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622, Rn. 32). Das Landgericht hat hier rechtsfehlerfrei in die Abwägung eingestellt, dass das gegen den Angeklagten geführte Verfahren wegen Betrugs, das ihm Anlass für die Herabwürdigung der Staatsanwältin gab, zum Zeitpunkt der Tathandlung (E-Mail vom 22. April 2018) längst rechtskräftig abgeschlossen war, und zwar aufgrund eigenen Rechtsmittelverzichts des Angeklagten. Bereits gegen den entsprechenden Strafbefehl vom 25. Oktober 2017 hatte der Angeklagte ausweislich der Feststellungen ausschließlich wegen der Höhe der Tagessätze Einspruch eingelegt, den Schuldspruch mithin bereits rund ein halbes Jahr zuvor, ohne Durchführung einer Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme, akzeptiert. Die Ausführungen der Revision in der Gegenerklärung vom 7. September 2020, Ziel der E-Mail des Angeklagten sei es gewesen, sich gegen die Einstellung des Verfahrens gegen einen Zeugen des Ausgangsverfahrens zu wenden, den der Angeklagte der Falschaussage bezichtigt hatte, gebieten keine andere Beurteilung. Der Hinweis, der Angeklagte habe durch seinen kritischen Äußerungen eine strafrechtliche Verurteilung des Zeugen und damit einen Wiederaufnahmegrund nach § 359 Abs. 1 Nr. 2 StPO im Hinblick auf sein eigenes Verfahren schaffen wollen, sind im Hinblick auf die Diktion der E-Mail fernliegend. Den Sachbearbeiter der mit der E-Mail beanstandeten Einstellungsverfügung – die einer strafrechtlichen Verurteilung des Zeugen unmittelbar entgegenstand – hat der Angeklagte gerade nicht persönlich angegriffen. Für die vertretene Auffassung ergibt sich zudem auch vor dem Hintergrund dessen, dass dem Angeklagten als juristischem Laien derartige strafprozessuale Besonderheiten nicht bekannt gewesen sein dürften, kein Anhaltspunkt.
(3) Zutreffend ist ferner berücksichtigt worden, dass die Äußerung nicht als Spontanäußerung gefallen ist, sondern in einer schriftlichen Erklärung niedergelegt wurde (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622 Rn. 33).
(ee) Die rechtsfehlerfrei erhobenen Feststellungen des Berufungsurteils weisen keine der Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten entgegenstehenden Lücken oder Widersprüche auf und tragen den Schuldspruch. Die auf ihnen beruhende rechtliche Schlussfolgerung, dass angesichts der Umstände des konkreten Falls der Schutz der personalen Würde der angegriffenen Staatsanwältin nicht hinter der Meinungsfreiheit des Angeklagten zurücktritt und dieser deswegen nicht gemäß § 193 StGB straflos bleibt, bleibt revisionsrechtlich ohne Beanstandung. Auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 20. August 2020 unter Ziff. 2. a) dd) wird insoweit ergänzend Bezug genommen.
c) Die, wenngleich knappen, Ausführungen des Berufungsgerichts zur Strafzumessung genügen noch den an diese zu stellenden revisionsrechtlichen Anforderungen.
Zwar hat die Kammer weder den konkreten ehrschmälernden Gehalt der Äußerung noch den Umstand, dass keine Außenwirkung über die Behörde hinaus eingetreten ist, in diesem Zusammenhang ausdrücklich gewürdigt. Der Senat kann jedoch ausschließen, dass sie diese Umstände, insbesondere den konkreten Wortlaut der Beschimpfung, der kein besonders hohes Gewicht beizumessen ist, bei der Strafbestimmung aus dem Blick verloren haben könnte. Auch im Hinblick auf die erst kurz vor der Tat, am 8. Februar 2020, bezüglich des Schuldspruchs wegen Betrugs verhängte Geldstrafe von 50 Tagessätzen stellt sich die gegenständlich verhängte Gelstrafe von 60 Tagessätzen als moderat dar. Der Senat kann deswegen auch ausschließen, dass diese noch milder ausgefallen wäre, wenn das Gericht die genannten Aspekte ausdrücklich in die Rechtsfolgenbestimmung eingestellt hätte.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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