Strafrecht

Schwerwiegendes Ausweisungsinteresse wegen uneidlicher Falschaussage

Aktenzeichen  10 C 17.373

Datum:
17.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9
VwGO VwGO § 114 Abs. 1 S. 1, § 166 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die Einstufung einer Verurteilung zu 120 Tagessätzen wegen einer einzelnen Straftat als schwerwiegendes Ausweisungsinteresse iSd § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG kann zu einem Wertungswiderspruch zu § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG führen (hier offengelassen, so aber OVG LSA BeckRS 2016, 53879). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 16.1624 2017-01-25 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, ihm für seine Klage gegen die – bedingte – Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 3. November 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weiter.
Mit diesem Bescheid hat der Beklagte den Kläger unter der Bedingung, dass sein Asylverfahren ohne Anerkennung als Asylberechtigter und ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird, aus der Bundesrepublik ausgewiesen. Der Ausweisung lag eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen wegen uneidlicher Falschaussage zugrunde. Bei der Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG ging der Beklagte davon aus, dass in der Person des Klägers kein typisiertes Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG vorliege, jedoch durch die Verurteilung ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG verwirklicht worden sei. Zudem sei die Ausweisung aus generalpräventiven Erwägungen gerechtfertigt.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.2.2017 – 10 C 16.2513 – juris Rn. 9 m.w.N.) die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorliegen, weil die Anfechtungsklage des Klägers auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung keine hinreichenden Erfolgsaussichten besitzt.
Die nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG zu treffende Abwägungsentscheidung führt voraussichtlich zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Der weitere Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG. Durch seine uneidliche Falschaussage (§ 153 StGB) als Zeuge in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2016 vor dem Amtsgericht M. im Strafverfahren gegen seine Schwester wegen der Misshandlung Schutzbefohlener hat der Kläger gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik verstoßen. Obwohl es sich bei dieser Falschaussage um die bislang einzige Straftat des Klägers im Bundesgebiet handelt, ist von der Gefahr weiterer unrichtiger Angaben, die einen Straftatbestand erfüllen, auszugehen. Er ist auch in der Beschuldigtenvernehmung vom 1. Juni 2016 wegen seiner uneidlichen Falschaussage als Zeuge bei der Darstellung des Sachverhalts wie in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2016 geblieben; seine Schwester war zu diesem Zeitpunkt bereits mit Urteil vom 23. März 2016 wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen verurteilt. Das Strafgericht hat in diesen Urteil ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger als Zeuge im Strafverfahren falsch ausgesagt hat. Seine Falschaussage hat er erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Ausweisungsverfügung eingeräumt und sich hierbei auf einen Interessenkonflikt und eine angeblich fehlende Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht als Bruder berufen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger in der Vergangenheit offensichtlich auch falsche Angaben über das Verwandtschaftsverhältnis zu seiner Schwester gemacht hat. Im Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2016 ist vermerkt, dass der Kläger angegeben habe, mit der Angeklagten (seiner Schwester) nicht verwandt zu sein. Ausweislich des Protokolls über die weitere mündliche Verhandlung vom 23. März 2016 im Strafverfahren gegen seine Schwester hat er auch zu diesem Zeitpunkt noch vortragen lassen, dass „der „Bruder“ eigentlich eine fremde Person sei“.
Bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG erforderlichen Gesamtabwägung ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht von einem Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses ausgegangen. Der Senat lässt insoweit offen, ob die Verurteilung zu 120 Tagessätzen wegen einer einzelnen Straftat ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 darstellt (zu einem etwaigen Wertungswiderspruch zu § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG vgl. OVG LSA, B.v. 10.10.2016 – 2 O 26/16 – juris Rn. 9 ff.). Vom Kläger geht die Gefahr weiterer Straftaten wegen unrichtiger Angaben gegenüber Behörden und Gerichten aus (s.o.). Gesetzlich typisierte Bleibeinteressen (§ 55 AufenthG) liegen nicht vor. Der Kläger hält sich erst seit kurzer Zeit als Asylbewerber in der Bundesrepublik auf. Er ist wirtschaftlich nicht integriert. Auf ein bestehendes Verlöbnis und seine Absicht, seine Verlobte zu heiraten, weist er erstmals im Beschwerdeverfahren hin. Belastbare Nachweise für das Bestehen einer persönlichen Beziehung legt er jedoch nicht vor. Zudem sind im Rahmen der Gesamtabwägung auch generalpräventive Aspekte zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 42). Insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf die Wichtigkeit wahrheitsgemäßer (Zeugen-)Aussagen für die Rechtspflege abgestellt.
Das Vorbringen des Klägers, er sei in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2016 nicht über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden und habe sich bei seiner Aussage in einem Interessenkonflikt wegen des Verwandtschaftsverhältnisses zu seiner Schwester befunden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2016 nicht offenbart, dass er mit der Angeklagten, seiner Schwester, verwandt ist. Die Äußerung der Verteidigerin in der weiteren mündlichen Verhandlung vom 23. März 2016 lässt vielmehr den Rückschluss zu, dass der Kläger das Strafgericht bewusst über das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses zwischen ihm und der Angeklagten getäuscht hat. Im Übrigen spricht der Vermerk der Polizeiinspektion S. vom 23. Januar 2016 dafür, dass dem Kläger bekannt war, dass er als Bruder der Angeklagten ein Zeugnisverweigerungsrecht besitzt. Im polizeilichen Ermittlungsverfahren gegen seine Schwester wegen Misshandlung Schutzbefohlener hat er sich als Bruder ausgegeben und nach der Belehrung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht (Bl. 68 der Behördenakte). Da in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2016 ein Dolmetscher anwesend war, ist auch die Behauptung des Klägers, er habe die Belehrung über die Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben nicht richtig verstanden, nicht nachvollziehbar.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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