Strafrecht

Sexueller Übergriff bei fehlendem Einverständnis mit ungeschütztem Verkehr (sog. Stealthing)

Aktenzeichen  26 Ns 451 Js 103458/20

Datum:
18.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51752
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 177 Abs. 1, Abs. 9

 

Leitsatz

Das Einverständnis einer Person mit sexuellen Handlungen kann davon abhängig gemacht werden, dass der Geschlechtsverkehr mit Kondom erfolgt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

814 Cs 451 Js 103458/20 2020-07-30 Urt AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 30.07.2020 werden als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens und seine insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat der Angeklagte zu tragen.
Soweit durch die Berufung der Staatsanwaltschaft ausscheidbare Kosten entstanden sind, trägt diese die Staatskasse einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe

I.
Das Amtsgericht München verurteilte den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zur Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Gegen dieses Urteil legten der Verteidiger mit Schriftsatz vom 31.07.2020, bei Gericht taggleich eingegangen, sowie die Staatsanwaltschaft München I mit Schriftsatz vom 31.07.2020, bei Gericht eingegangen am 03.08.2020, jeweils Berufung ein. Die Berufung der Staatsanwaltschaft München I wurde mit Schriftsatz vom 14.10.2020 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Ziel der Berufung des Angeklagten war ein Freispruch, die Staatsanwaltschaft München I begehrte eine höhere Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt würde.
II.
Die statthaften Berufungen sind zulässig, §§ 312, 314 Abs. 1 StPO.
Beide Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
Das Urteil beruht nicht auf einer Verständigung im Sinne des § 257 c StPO.
III.
Die Berufungsverhandlung hat ergeben:
1. Zur Person des Angeklagten:
Der Angeklagte lebt seit ca. 2017 in Deutschland. Davor lebte er ca. acht Jahre lang in Spanien und arbeitete dort in verschiedenen angelernten Tätigkeiten auf dem Land oder auch als Arbeiter in Fabriken und hat nebenbei Informatik studiert. Im Anschluss befand sich der Angeklagte ca. sechs Monate lang in England und hat dort in einem Restaurant gearbeitet, wo er die frühere M. Freundin kennenlernte, mit der er schließlich nach Deutschland kam, wohnte dann zunächst in einer Wohnung, die den Eltern dieser Ex-Freundin gehörte, in der eine WG untergebracht war, wofür er € 300,00 Miete bezahlt hat. Die Beziehung zu dieser Frau ist zwischenzeitlich jedoch beendet. Der Angeklagte wohnt derzeit in beengten Verhältnissen bei einer anderen Bekannten.
Der Angeklagte hat in Deutschland in einem veganen Restaurant gearbeitet bis zur Corona-Krise, seither befindet er sich in der Kurzarbeit. Er erhält Kurzarbeitergeld von ca. € 800,00.
Der Angeklagte ist zwar derzeit noch verheiratet, lebt aber seit über acht Jahren von seiner Ehefrau getrennt.Der Angeklagte hat keine Kinder und auch sonst keine Unterhaltsverpflichtungen.
Der Angeklagte ist gesund.
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
2. Zur Sache:
Am 07.06.2019 zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt nach 2.30 Uhr befanden sich der Angeklagte und die Geschädigte in der Wohnung der Geschädigten J. A1. in der S. Straße 337 in M. Hier kam es zum zunächst einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unter Verwendung eines Kondoms, nachdem die Geschädigte A1. zunächst aus einem Schrank das Kondom geholt hatte und den Angeklagten erklärt hatte, dass Geschlechtsverkehr für sie nur mit einem Kondom in Frage komme. Der Angeklagte und die Geschädigte vollzogen sodann den Geschlechtsverkehr unter Verwendung des Kondoms bis zum Samenerguss des Angeklagten.
Unmittelbar im Anschluss streifte sich der Angeklagte das Kondom von seinem Penis, legte es auf dem Bett ab und versuchte danach mehrfach in Kenntnis des entgegenstehenden Willens der Geschädigten ungeschützt mit seinem noch erigierten Penis wiederum vaginal in die Geschädigte einzudringen, die sich zu diesem Zeitpunkt im Vierfüßlerstand vor dem Angeklagten befand. Die Geschädigte bemerkte das fehlende Kondom erst kurze Zeit danach, wandte sich zum Angeklagten um und forderte ihn auf, dies zu unterlassen. Der Angeklagte versuchte jedoch weiterhin den vaginalen Geschlechtsverkehrs ohne Kondom durchzuführen. Nach einiger Zeit gab die Geschädigte dem Drängen des Angeklagten jedoch widerwillig nach und drehte sich erneut um und sagte dabei „OK“ und gestattete so dem Angeklagten an ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr ohne Verwendung eines Kondoms durchzuführen. Dieser wurde jedoch nicht zum Samenerguss durchgeführt, sondern nach einigen Sekunden abgebrochen. Zu weiteren sexuellen Handlungen kam es im Verlauf der Nacht nicht.
IV.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen konnten aufgrund der glaubwürdigen Angeklagten des Angeklagten, der ihn betreffenden, verlesenen Bundeszentralregisterauskunft und den entsprechend verlesenen gerichtlichen Entscheidungen getroffen werden.
Zur Sache erklärte zunächst der Verteidiger für den Angeklagten, von diesem bestätigt, die beiden hätten sich am Nachmittag des Vortags des angeklagten Vorfalles bei einem Salsa-Kurs kennengelernt, hätten sich dann am Abend wieder getroffen und seien gemeinsam in einem Club gewesen. Im Anschluss hätte die Zeugin A1. den Angeklagten in ihre Wohnung eingeladen. Sie seien gemeinsam dort hingefahren und hätten sich dort dann gegenseitig ausgezogen. Die Zeugin habe ein Kondom geholt und es sei einvernehmlicher Geschlechtsverkehr ausgeführt worden. Dann nochmals einvernehmlicher Geschlechtsverkehr ohne Kondom. Es sei kein Gespräch darüber geführt worden. Es hätte kein „Stopp“ oder ein „Lass das“ oder Ähnliches gegeben. Ein entgegenstehender Wille der Geschädigten sei dem Angeklagten nicht bekannt gewesen. Danach sei es noch einmal zu einem Geschlechtsverkehr mit Kondom gekommen. Die Geschädigte hätte daraufhin dem Angeklagten am nächsten Tag per WhatsApp Vorwürfe gemacht, woraufhin sich dieser in seiner Antwort sich zwar entschuldigt habe, dies aber nicht bedeuten solle, dass der Angeklagte den Sachverhalt so wie die Zeugin sehe.
Der Angeklagte ergänzte, sie hätten sich am Abend wieder getroffen am Stachus. Sie hätten zusammen eine Weinflasche getrunken, eher eine normal große. Julia hätte davon mehr getrunken als er. Im Club circa ab 23 Uhr habe er dann noch 3 höchstens 4 Flaschen Coronabier getrunken. Er trinke eigentlich normal nicht mehr als maximal 3 Flaschen. Er sei nur leicht angetrunken gewesen, er habe gewusst was er tat.
Es sei richtig, dass der Geschlechtsverkehr zum zweiten Mal ohne Kondom ausgeführt wurde, dies sei aber einvernehmlich gewesen. Er sei davon ausgegangen, dass sie das Abstreifen des Kondoms mitbekommen habe. Erst später habe Julia gesagt, gemeint ist die Geschädigte A1.: „Es sei besser, wenn Du ein Kondom benutzt.“ Sie hätten sich immer auf Englisch unterhalten. Bis sie etwas dazu gesagt habe, hätte er keine Anzeichen bemerkt, dass sie sich unwohl fühle. Sie hätten beim zweiten Mal nicht fertig gemacht, wohl weil sie müde gewesen seien. Am Morgen hätte er dann versucht Julia aufzuwecken, diese sei aber müde gewesen, er sei dann gegangen. An dem Tag hätte sie ihm dann später noch eine WhatsApp geschickt, in dem sie ihm Vorwürfe machte. Er habe ihr zurückgeschrieben, als er gerade in der Arbeit gewesen sei, möglicherweise sei sein Englisch doch nicht so gut und hätte sich nicht richtig ausgedrückt. Seine Entschuldigung sei rein empathisch gemeint gewesen. Das sei so seine Art. Er habe durch seine Antwort gewollt, dass Julia sich gut fühle.
Die verlesenen Chat-Nachrichten haben englisch geschrieben folgenden übersetzten Inhalt:
Chat der Geschädigten A1.:
„Hallo, ich wollte Dich wissen lassen, dass es nicht OK ist, was Du letzte Nacht gemacht hast mit dem Kondom. Ich sagte Nein. Und falls Du noch nichts darüber gehört hast, Nein bedeutet Nein. Du hast es wieder und wieder versucht und am Ende machte ich es mit, aber nur weil Du nicht mit den Versuchen gestoppt hast. Für mich ist Verhütung eine ernste Sache wie Du weißt, nicht nur, weil ich in den fruchtbaren Tagen bin und schwanger werden könnte. Ich will auch keine Sexualkrankheiten bekommen. Bitte denk darüber nach, wenn Du wieder mit einer fremden Person schläft in der nächsten Zeit.“
Die Antwort des Angeklagten:
„Hallo Julia, Du hast Recht. Ich machte einen Fehler es zu versuchen, Gott sei Dank habe ich es gestoppt, ich habe mich halt in der Situation gehen lassen und ich erinnere mich um ehrlich zu sein auch nicht so viel. Leider lag ich falsch und ich fühlte mich danach wegen dem beschämt.
In einem Verteidigerschreiben vom 20.04.2020 gerichtet an die Staatsanwaltschaft München I, das von Angeklagten in seinem Einspruchsschreiben vom 19.05.2020 (Bl. 60 d. A.) bestätigt wurde, erklärte der Angeklagte noch:
„… Die Zeugin war gleichfalls damit einverstanden, dass der Geschlechtsverkehr noch einmal vollzogen werden sollte. Mein Mandant kann nicht ausschließen, dass er – offensichtlich im sexuellen Erregungszustand – kurzzeitig ohne Kondom in sie eingedrungen ist. Allerdings war ihm dabei nicht bewusst, dass er kein Kondom benutzte. …“
Geht der Angeklagte in diesem Verteidigerschreiben also davon aus, dass er den ungeschützten Geschlechtsverkehr versehentlich durchführte, gibt er nunmehr an, dass der zweite Geschlechtsverkehr einvernehmlich ohne Kondom ausgeführt wurde.
Vor diesem Hintergrund ist auch seine Antwort auf WhatsApp auf die Vorwürfe der Geschädigten A1. auch unter Berücksichtigung großer Empathie beim Angeklagten nicht recht verständlich. Sinn macht diese Antwort nur, wenn tatsächlich ein unkorrektes Verhalten von ihm in der Nacht zuvor vorgefallen wäre.
Der Angeklagte wird letztlich auch widerlegt durch die Aussage der Zeugin A1. Die Zeugin erklärte, sie beide hätten einen Salsa-Kurs gemacht. Sie hätten sich danach wieder am Stachus getroffen. Sie hätten zuvor sich über WhatsApp geschrieben. Sie sei dann schließlich einverstanden gewesen. Sie hätten zunächst aus einer Weinflasche getrunken, die sie mitgebracht habe, sie meine es sei eine etwas kleinere Flasche gewesen, in die sie ca. ein Viertel Liter Wein abgefüllt habe. Sie hätten es gemeinsam getrunken, seien dann noch spazieren gegangen und schließlich in den Club „Pacha“ gegangen. Das Treffen am Stachus sei so gegen 22 Uhr gewesen, vielleicht ca. 22.15 Uhr. Sie seien dann noch spazieren gegangen und schließlich kurz vor 23 Uhr oder möglicherweise auch etwas später in den Club gegangen. Dort hätten sie Bier getrunken, sie habe wohl drei Bier in 0,33 l Flaschen getrunken, bei ihm sei es ihrer Erinnerung nach etwas mehr gewesen, vielleicht vier oder fünf Flaschen. Sie sei durchaus noch bei Sinnen gewesen, schon angetrunken, er vielleicht etwas betrunkener, aber sie habe keinerlei Auffälligkeiten bemerkt. Sie wiege damals wie heute 62 kg bei 1,65 cm Körpergröße.
Sie hätten sich im Club schon geküsst, danach seien sie nach ca. zwei oder drei Stunden auf ihren Wunsch hin in ihre Wohnung gefahren. Sie seien dort in ihr Zimmer. Sie hätten sich geküsst und sich gegenseitig ausgezogen, sie habe zu ihm gesagt, sie brauchten ein Kondom, danach hätten sie dann Sex gehabt. Es sei vaginaler Geschlechtsverkehr gewesen, als der Angeklagte fertig gewesen sei, habe er wohl das Kondom abgemacht, sie habe das aber nicht bemerkt. Er habe daraufhin versucht erneut in sie einzudringen, auch als sie das Fehlen des Kondoms bemerkt hatte und sie Nein gesagt habe, habe er weiter gemacht und versucht weiter von hinten vaginal in sie einzudringen. Sie habe gesagt, sie könne schwanger werden oder so Ähnlich. Sie habe dann noch mehrmals Nein gesagt. Ob er dabei eingedrungen sei bei diesen ersten Versuchen, könne sie jetzt nicht sicher sagen. Vielleicht sei das so gewesen, vielleicht war das aber auch erst so als er dann mit ihrem Einverständnis eingedrungen sei. Als er dann weiter gedrängt habe und immer weiter versucht habe, habe sie sich doch einverstanden erklärt, sie habe sich nicht gut dabei gefühlt. Als sie den zweiten Geschlechtsverkehr dann schließlich abgebrochen hätten, hätten sie danach geschlafen Sie habe erstmal nicht richtig schlafen können, der Angeklagte habe morgens versucht sie richtig wach zu machen, sie habe aber weiter schlafen wollen, er sei dann wohl gegangen. Später habe sie ihm dann eine WhatsApp geschickt, dies vor allem, um ihm nochmals deutlich zu sagen, dass es nicht OK gewesen sei. Er habe sich mit seiner WhatsApp bei ihr entschuldigt und das sei dann für sie erstmal OK gewesen. Sie habe doch aber weiter darüber nachdenken müssen und sich schließlich mit einer Freundin darüber ausgesprochen, die ihr schließlich zur Anzeige geraten habe, was sie dann auch gemacht habe.
Der Angeklagte und sie selbst würden beide gutes Englisch sprechen, es habe keinerlei Probleme bei der Verständigung gegeben.
Die Zeugin A1. ist im vollen Umfang glaubwürdig. Die Zeugin hat erkennbar versucht nur konkrete Erinnertes wiederzugeben, die Zeugin hat auch ohne Weiteres von sich aus angegeben, dass sie sich nicht an alle Einzelheiten erinnern könne. So bestanden etwa Unsicherheiten bezüglich der Trinkmengen und der Zeitangaben. Auch bezüglich des Wortlautes während der Vorgänge zum zweiten Geschlechtsverkehr, war sich die Zeugin nicht ganz sicher, sie war sich jedoch sicher, dass sie vor dem ersten Geschlechtsverkehr deutlich gemacht hatte, dass sie nur mit einem Kondom Geschlechtsverkehr wünsche und dass sie während des Versuchs des zweiten Geschlechtsverkehrs deutlich machte, dass sie dies immer noch wünsche.
Nicht sicher sagen konnte die Zeugin auch, ob bis zu ihrem dann doch noch erfolgten Einverständnis dem Angeklagten schon ein Eindringen gelungen war während seiner wiederholten Versuche oder erst nach ihrem Einverständnis ohne Kondom weiter zu machen.
Insofern war daher auch dem Hilfsbeweisantrag des Angeklagten auf Erholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens bezüglich der Zeugin A1., nicht nachzukommen. In der Begründung wurde ausgeführt, die Zeugin habe in ihrer Aussage bekundet, dass sie sich an Details nicht erinnern könne, im Kerngeschehen des ungeschützten Verkehrs habe sie jedoch genaue Angaben gemacht. Nachdem sie die Anzeige nur auf Anraten ihrer Freundin gemacht habe, sei zu befürchten, dass sie durch diese Freundin beeinflusst wurde und sich ihre Erinnerung vermische.
Die Zeugin A1. hat tatsächlich bekundet eingangs ihrer Zeugenaussage, dass sie sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern könne, dies ist jedoch durchaus eine häufig anzutreffende Einleitung von Zeugenaussagen. Regelmäßig können sich Zeugen dann doch an Einzelheiten erinnern. Hier war es sogar so, dass die Zeugin A1. sich auch ohne irgendwelche Vorhalte an Einzelheiten wie oben geschildert erinnern konnte. Soweit sie dies nicht mehr vermochte, hat sie von sich aus darauf hingewiesen, etwa dass Zeitangaben unsicher seien oder auch Trinkmengen.
Die Kammer, insbesondere vertreten durch den Vorsitzenden, hat ausreichende Sachkunde, die Frage der Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage selbst zu prüfen. Auffälligkeiten in der Person der Zeugin oder deren Aussageverhalten hat es in keiner Weise gegeben, insbesondere gibt es keinerlei Hinweis auf irgendwelche psychiatrischen Erkrankungen der Zeugin.
Die Zeugin L. R. unterhält mit dem Angeklagten seit Januar 2019 eine Bekanntschaft, es besteht keine sexuelle Beziehung. Derzeit würden sie gemeinsam mit einer weiteren Person eine neue Wohnung suchen, da der Angeklagte zur Zeit bei einer Bekannten sehr eng wohne.
Der Angeklagte hat ihr erzählt, er hätte Julia bei einem Salsa-Kurs kennengelernt und danach seien sie zu einer Party im Club gegangen. Sie hätte ihn danach in ihre Wohnung eingeladen. Sie glaube ihm seine Geschichte, sie selbst habe ihn auf einem spanischen Fest kennengelernt, er sei damals sehr betrunken gewesen und er habe sie begleitet und bei ihr auf dem Boden geschlafen, es sei nichts passiert. Er habe weiter erzählt, die beiden hätten sich zusammen ins Bett gelegt, sie hätten sich geküsst, dies auch schon im Club, dann hätten sie Sex gehabt. Ein erstes Mal mit Kondom. Sie hätte einen Orgasmus gehabt und er einen Samenerguss, dann hätte er das Kondom abgestreift. Sie hätten sich wieder geküsst, es habe eine erotische Stimmung gegeben, dann sei er wieder in sie eingedrungen, aber sie hätte nichts dagegen gehabt. Erst einige Sekunden später hätte sie etwas gesagt, da sei er dann rausgegangen und hätte sich ein Kondom übergestreift, das sie ihm gegeben habe. Den zweiten Sex hätten sie nicht weit fortgesetzt. Seine Stimmung sei nicht mehr so gewesen.
Wie das Englisch des Angeklagten sei, könne sie nicht einschätzen.
Seine WhatsApp sei sicher mitfühlend gemeint, er sei so. Sie selbst würde niemals für jemand lügen.
Die Zeugin konnte nichts Wesentliches zur Sache beitragen, gibt im Kern lediglich wieder, was der Angeklagte heute selbst erzählt. Zu seinen Englischkenntnissen konnte sie keine Einschätzung abgeben. Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen nicht.
Zur Frage der Schuldfähigkeit wurde die Sachverständige Dr. A2. H. vom Institut für Rechtsmedizin der LMU M. gehört. Die Sachverständige führte aus, eine konkrete Berechnung aufgrund objektiver Werte etwa einer Blutentnahme sei nicht möglich, da derartige Werte nicht vorlägen. Sie könne daher nur Ausführungen machen gestützt auf die jeweiligen Angaben von Angeklagten und Zeugin A1..
Gestützt auf die Angaben des Angeklagten ergebe sich unter Annahme einer vollen großen Weinflasche von 0,7 l und vier Bier von 0,33 l bei dem Körpergewicht des Angeklagten wie angegeben von 75 kg und einem Ablauf von vier Stunden entsprechend den weitgehend übereinstimmenden Zeitangaben von Angeklagtem und Zeugin folgende Werte:
Zum Tatzeitraum ergebe sich eine maximale Alkoholisierung des Angeklagten von 1,13 Promille bei Anwendung eines hohen stündlichen Abbaus von 0,2 Promille und eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 Promille zu Gunsten des Angeklagten gerechnet, und eine wahrscheinliche Blutalkoholkonzentration von 0,75 Promille bei Unterstellung eines stündlichen Abbaus von 0,15 Promille. Lege man die Angaben der Zeugin A1. zugrunde, also eine kleinere Weinflasche mit 0,25 l und fünf Bier von 0,33 l beim Angeklagten, ergebe sich bei ebenfalls vier Stunden Abbauzeit und den Abbau- und Zuschlagswerten wie oben angegeben eine maximale Blutalkoholkonzentration von 0,81 Promille, eine wahrscheinliche Blutalkoholkonzentration von 0,47 Promille und eine minimale von 0,13 Promille zum Tatzeitraum.
Entscheidend für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit sei aber ohnehin das Zustandsbild. Hier ergebe sich übereinstimmend aus den Angaben von Angeklagten und Zeugin, dass der Angeklagte zwar angetrunken gewesen sei, aber durchaus noch wusste, was er tat, er habe keinerlei Auffälligkeiten in seinem Verhalten oder der Motorik gezeigt. Man könne sicherlich eine enthemmende Wirkung des Alkohols annehmen, aber unabhängig von der Frage, welcher Version vom Trinkkonsum man folge, könne man die Voraussetzungen des § 21 StGB hinsichtlich einer erheblichen verminderten Steuerungsfähigkeit aufgrund der Alkoholisierung sicher ausschließen. § 20 StGB käme ohnehin nicht in Betracht.
Die Kammer folgt der Sachverständigen aus eigener Überzeugung. Die Sachverständige hat erkennbar alle verfügbaren Anknüpfungstatsachen verwertet und ihr Gutachten nach den üblichen wissenschaftlichen Kriterien objektiv erstattet. Einwendungen wurden zudem auch von keiner Seite erhoben.
Insgesamt ist die Kammer deshalb zum Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte in Kenntnis des entgegenstehenden Willens der Geschädigten, dem Geschlechtsverkehr ihr Einverständnis nur mit Verwendung des Kondoms zu geben, ohne Kondom mit erigiertem Glied immer wieder durch mindestens Anstoßen an den Vaginalbereich der Geschädigten versucht zu haben.
Die Einlassung, es habe sich um ein Versehen gehandelt, hat der Angeklagte ohne dies nicht mehr aufrechterhalten, die Einlassung, die Geschädigte sei einverstanden gewesen, ist schon unwahrscheinlich aufgrund des vorangegangenen Geschlechtsverkehrs mit Kondom, so dass dem Angeklagten der Wunsch der Geschädigten durchaus bekannt war und damit vor allem auch bekannt war, dass ein Einverständnis den Geschlechtsverkehr ohne Kondom durchzuführen nicht vorlag. Nach der glaubwürdigen Aussage der Zeugin A1. hat diese den Angeklagten darüber hinaus, nachdem sie dessen ungeschützte Versuche bemerkt hatte, nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie ohne Kondom nicht wolle. Gleichwohl hat er weitere Ansätze gemacht. Ab dem Abstreifen des Kondoms bis zum nachträglichen, wenn auch widerwilligen, Einverständniss der Geschädigten, waren damit alle sexuellen Bemühungen des Angeklagten ohne Einverständnis der Geschädigten.
Das Bewusstsein hierüber ergibt sich neben den oben angeführten Umständen auch aus dem verlesenen Chatverlauf. Hierin ist zur Überzeugung der Kammer eine Entschuldigung des Angeklagten in Bezug auf den Verkehr ohne Kondom und nicht nur eine empathische Erklärung erkennen. Das Einräumen eines Fehlers und die Angabe, er habe sich aufgrund der Situation gehen lassen, sprechen eine deutliche Sprache.
Die Zeugin L. R. ist im wesentlichen Leumundszeugin, ohne dass sie relevant zur Aufklärung hätte beitragen können.
Insgesamt ist die Kammer daher überzeugt von einem sexuellen Übergriff im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB zum Nachteil der Geschädigten A1. durch den Angeklagten. Ein Eindringen im Sinne einer Vergewaltigung oder ein ähnlich erniedrigendes Verhalten des Angeklagten gemäß § 177 Abs. 6 StGB war nicht nachzuweisen.
V.
Zur Strafzumessung:
Die Kammer ist im Ergebnis vom Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB ausgegangen.
Auf einen minder schweren Fall im Sinne des § 177 Abs. 9 StGB hat die Kammer im Ergebnis jedenfalls nicht erkannt, das es hier mindestens zu mehrfachen Kontakt des erigierten Penis des Angeklagten mit dem Vaginalbereich der Geschädigten ohne deren Einverständnis gekommen ist. Es handelt sich hier also um sexuelle Handlungen von einigem Gewicht.
Eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat die Kammer nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen zu den Voraussetzungen des § 21 StGB nicht vorgenommen.
Innerhalb des Regelstrafrahmens des § 177 Abs. 1 StGB hat die Kammer allerdings eine nicht unerhebliche alkoholbedingte Enthemmung berücksichtigt. Auch war zu sehen, dass der Angeklagte sich bei der Geschädigten entschuldigt hat, wenn er diese Entschuldigung auch im Rahmen des Strafverfahrens relativiert hat. Er hat auch einen Teil des objektiven Sachverhaltes eingeräumt. Zu sehen ist auch, dass er nicht vorbestraft ist. Zu seinen Gunsten ist auch zu werten, dass die Tat des Angeklagten bei der Geschädigten außer einer gewissen Empörung unmittelbar nach der Tat keine nachhaltigen Folgen hatte und diese keinerlei Strafverfolgungsinteresse zeigt.
Unter Abwägung der Strafzumessungsgründe insgesamt kam die Kammer, ebenso wie das Amtsgericht München, zu dem Ergebnis, dass eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr tat- und schuldangemessen ist.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden. Für den Angeklagten kann eine ausreichende günstige Sozialprognose gestellt werden, § 56 Abs. 1 StGB. Die soziale und wirtschaftliche Lage des Angeklagten ist ausreichend stabil. Er ist nicht vorbestraft, zudem muss auch hier die seltene Konstellation im Tatablauf gesehen werden.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Verwandte Themen: , ,

Ähnliche Artikel


Nach oben