Strafrecht

Staats- und Verfassungsrecht; Verfassungsbeschwerde

Aktenzeichen  112/20

Datum:
15.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Verfassungsgerichtshof
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VERFGHT:2022:0615.VERFGH112.20.00
Normen:
§ 14 Abs 1 VerfGHG TH
§ 14 Abs 1 VGHG TH
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Einzelfall eines unbeachtlichen Ablehnungsantrags und einer unzulässigen Anhörungsrüge.

Verfahrensgang

vorgehend VG Meiningen, 7. Juli 2020, 2 E 651/20 Me, Beschlussvorgehend VG Meiningen, 5. Oktober 2020, 2 E 864/20 Me, Beschluss

Tenor

1. Das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin gegen das Mitglied des Thüringer Verfassungsgerichtshofs M… wird als unzulässig verworfen.
2. Die Anhörungsrüge wird verworfen.

Gründe

A.
1. Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 20. November 2020 Verfassungsbeschwerde erhoben und eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 88 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen (Thüringer Verfassung – ThürVerf) durch Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Meiningen gerügt.
2. Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2021 hat die Beschwerdeführerin den früheren Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Dr. h.c. K… und mit weiterem Schriftsatz vom 14. Februar 2022 auch das Mitglied M.. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
3. Mit Beschluss vom 6. April 2022 hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin gegen den früheren Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Dr. h.c. K…  als unzulässig verworfen und das Ablehnungsgesuch gegen das Mitglied M… als unbegründet zurückgewiesen.
Mit einem weiteren Beschluss vom selben Tag hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof zudem die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin als unzulässig verworfen.
4. Mit Schriftsatz vom 25. April 2022 hat die Beschwerdeführerin in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren das Mitglied des Verfassungsgerichtshofs M… wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Zur Begründung führt sie aus, es bestehe der Verdacht, dass das Mitglied M… an dem Beschluss über die Verwerfung der Verfassungsbeschwerde vom 6. April 2022 unzulässig mitgewirkt habe, da der achtseitige Beschluss am selben Tag wie der Beschluss über die Ablehnungsgesuche ergangen sei. Es erscheine ausgeschlossen, dass über die Verfassungsbeschwerde erst am 6. April 2022 und nach dem Beschluss über die Ablehnungsanträge beraten und entschieden worden sei. In diesem Fall habe das Mitglied M… das Tätigkeitsverbot nach § 47 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 14 Abs. 1 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz – ThürVerfGHG) verletzt, was die Besorgnis seiner Befangenheit zusätzlich vertiefe. Wenn hingegen tatsächlich beide Beschlüsse am 6. April 2022 nacheinander gefasst worden seien, dann sei dies nur möglich gewesen, weil der Beschluss über die Verfassungsbeschwerde durch einen Vorberichterstatter erarbeitet worden sei. Auch in diesem Fall lägen schwere Rechtsverstöße vor, welche die Besorgnis der Befangenheit begründeten.
5. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 25. April 2022, der zeitlich nach dem Ablehnungsgesuch beim Thüringer Verfassungsgerichtshof einging, hat die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 6. April 2022 erhoben, mit dem ihre Verfassungsbeschwerde verworfen wurde.
Zur Begründung führt sie aus, der angegriffene Beschluss verletze sie in ihrem Recht auf rechtliches Gehör, da in der Entscheidung ihr Vortrag zum „System Dr. K.“ keinen Niederschlag finde. Angesichts der besonderen Bedeutung ihres Vortrags, der die interne Organisation des Thüringer Verfassungsgerichtshofs und dessen Funktion als „Wächter der Grundrechte“ betreffe, hätte eine Auseinandersetzung hiermit erfolgen müssen. Auch habe das Gericht gegen den Grundsatz der vollständigen Aktenführung verstoßen.
B.
I.
Über das Ablehnungsgesuch und die Anhörungsrüge entscheidet der Verfassungsgerichtshof in seiner regulären Besetzung. Der Verfassungsgerichtshof ist insbesondere nicht gehindert, in anderer Besetzung als in dem mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss zu entscheiden. Dies entspricht der einhelligen fachgerichtlichen Rechtsprechung, einschließlich derjenigen der obersten Bundesgerichte, zur Besetzung der Richterbank bei Entscheidungen über Anhörungsrügen (BVerwG, Beschluss vom 17. August 2007 – 8 C 5/07 -, juris Rn. 2 f., hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Januar 2009 – 1 BvR 2476/07; BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – III ZR 443/04 -, juris Rn. 3; BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvR 1236/11 -, juris Rn. 160). Diese fachgerichtliche Rechtsprechung ist auf der Grundlage der fachgerichtlichen Verfahrensordnungen ergangen, auf die der Verfassungsgerichtshof gemäß § 12 Satz 1 ThürVerfGHG für das verfassungsgerichtliche Verfahren ergänzend zurückgreift.
Als der von der Beschwerdeführerin angegriffene Beschluss erging, war das Präsidentenamt noch vakant. An die Stelle des Präsidenten in dessen Funktion als Richter trat deshalb das stellvertretende Mitglied Peters. Am 5. Mai 2022 wurde das Mitglied Dr. v. d.  W… zum Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshof ernannt. Seitdem ist sein ursprüngliches Amt als berufsrichterliches Mitglied vakant. An seine Stelle für das vorliegende Verfahren betreffend die Anhörungsrüge und das Ablehnungsgesuch tritt deshalb das stellvertretende Mitglied O….
II.
1. Die Ablehnung des Mitglieds M… wegen Besorgnis der Befangenheit ist offensichtlich unzulässig. Die Entscheidung ergeht nach § 14 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG ohne mündliche Verhandlung.
Ein Ablehnungsgesuch, das lediglich Ausführungen enthält, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind, ist offensichtlich unzulässig. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters; dieser ist auch von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 2. Mai 2006 – 1 BvR 698/06 – juris Rn. 5 und Nichtannahmebeschluss vom 3. Juli 2013 – 1 BvR 782/12 -, juris Rn. 3).
So liegt es hier.
a) Das Verfassungsbeschwerdeverfahren der Beschwerdeführerin ist mit dem Beschluss vom 6. April 2022 beendet. Deshalb scheidet eine von der Beschwerdeführerin ausdrücklich beantragte Ablehnung des Mitglieds M…s wegen Besorgnis der Befangenheit in diesem Verfassungsbeschwerdeverfahren von vorneherein aus.
b) Auch soweit die Beschwerdeführerin ihren Befangenheitsantrag, der beim Verfassungsgerichtshof zeitlich vor der ebenfalls eingelegten Anhörungsrüge einging, als Befangenheitsantrag im später eingeleiteten Anhörungsrügeverfahren verstanden wissen will, sind ihre Ausführungen zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit offensichtlich ungeeignet.
aa) So ist gegen Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs kein Rechtsmittel gegeben. Die Bindungswirkung des § 25 ThürVerfGHG schließt aus, dass derselbe Sachverhalt noch einmal einer gerichtlichen oder behördlichen Nachprüfung durch Thüringer Behörden, Gerichte oder Verfassungsorgane unterworfen wird; das gilt auch für den Thüringer Verfassungsgerichtshof selbst (ThürVerfGH, Beschluss vom 25. März 2015 – VerfGH 12/14 und 13/14 -, S. 2 des amtlichen Umdrucks). Aus diesem Grund ist eine Mitwirkung an solchen Entscheidungen, die endgültig ein Verfahren abschließen und gegen die unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt Rechtsmittel gegeben sind, nicht mehr eine Tätigkeit in derselben Sache. Werden gegen solche Entscheidungen dennoch Rechtsbehelfe eingelegt, gilt für die hierüber zu treffenden Entscheidungen und die hierbei durchzuführenden Verfahren auch kein Mitwirkungsausschluss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. März 2013 – 1 BvR 2635/12 -, BVerfGE 133, 163 [166] = juris Rn. 8). Eine Mitwirkung des Mitglieds M… im Beschluss über die Verfassungsbeschwerde ist deshalb offensichtlich ungeeignet, seinen Ausschluss in einem späteren Anhörungsrügeverfahren zu begründen.
bb) Soweit die Beschwerdeführerin den Verdacht eines Verstoßes gegen das Tätigkeitsverbot aus § 47 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 12 Satz 1 ThürVerfGHG äußert, da sie mutmaßt, dass das Mitglied M… in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren bereits vor dem Beschluss über das Ablehnungsgesuch weiter tätig war, sind ihre Ausführungen ebenfalls nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Mitglieds M… zu begründen.
Die Beschwerdeführerin hat bereits nicht dargelegt, dass gegen das Tätigkeitsverbot aus § 47 Abs. 1 ZPO verstoßen wurde. Im Übrigen sind die Beratung und Beschlussfassung in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren erst nach der Zurückweisung des entsprechenden Ablehnungsgesuchs der Beschwerdeführerin erfolgt. Sämtliche Handlungen des Mitglieds M… erfolgten vor dem Eingang des Ablehnungsgesuchs. Das Ablehnungsgesuch wurde auch erst sehr spät im Verfahren gestellt, nämlich etwa 15 Monate nach Eingang der Verfassungsbeschwerde. Das Mitglied M… war nicht zuletzt deshalb als Berichterstatter umfassend mit dem Verfahren vertraut, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen § 47 Abs. 1 ZPO oder gar dessen Befangenheit zu besorgen wäre.
Abgesehen davon lässt sich auch ganz allgemein aus einer Verletzung des § 47 Abs. 1 ZPO nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn keine weiteren Umstände hinzutreten (Heinrich, in: Musielak/Voigt, ZPO, 19. Auflage 2022, § 47 Rn. 5). Zudem bewirkt eine Zurückweisung des Ablehnungsersuchens, dass etwaige Verstöße gegen § 47 Abs. 1 ZPO geheilt sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Juli 2005 – 2 BvR 497/03 -, juris Rn. 88; BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2016 – 2 B 34/14 -, juris Rn. 16); das Ablehnungsgesuch gegen das Mitglied M… ist mit unanfechtbarem Beschluss vom 6. April 2022 zurückgewiesen worden.
cc) Auch der von der Beschwerdeführerin hilfsweise vorgebrachte Einwand, dass unzulässigerweise wissenschaftliche Mitarbeiter tätig gewesen seien, vermag offensichtlich keinen Zweifel an der Objektivität des Mitglieds M… zu begründen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs im Beschluss vom 6. April 2022 wird verwiesen.
III.
Die Anhörungsrüge ist ebenfalls unzulässig und daher zu verwerfen.
Ob Anhörungsrügen gegen Beschlüsse des Thüringer Verfassungsgerichtshofs überhaupt statthaft sind (siehe ThürVerfGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – VerfGH 21/18 und 24/19 -, S. 12 des amtlichen Umdrucks), kann dahinstehen. Die Anhörungsrüge ist nämlich bereits aus anderen Gründen unzulässig:
Das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 88 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf gewährleistet, dass ein vom Verfahrensgegenstand Betroffener seine Auffassungen zum Verfahrensgegenstand in das Verfahren einbringen kann. Daher muss das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung geben, ihr Vorbringen zur Kenntnis nehmen und dessen wesentlichen Inhalt in seinen Entscheidungen verarbeiten (vgl. etwa ThürVerfGH, Beschluss vom 16. August 2007 – 25/05 -, juris Rn. 31).
Die Beschwerdeführerin vermochte bereits nicht darzulegen, dass der Verfassungsgerichtshof ihr Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und dessen wesentlichen Inhalt nicht in seiner Entscheidung verarbeitet hat.
Sie wendet sich mit ihrer Anhörungsrüge explizit gegen den Beschluss vom 6. April 2022, mit welchem ihre Verfassungsbeschwerde verworfen wurde. Soweit sie hierbei rügt, ihr Vortrag zum „System Dr. K.“ habe in diesem keinen Niederschlag gefunden, so ist dies zutreffend. Jedoch bezog sich ihr diesbezüglicher Vortrag auch auf ihre gegen den früheren Präsidenten und das Mitglied M… gerichteten Ablehnungsgesuche. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in dem entsprechenden Beschluss vom 6. April 2022, in dem er über die Ablehnungsgesuche der Beschwerdeführerin entschieden hat, umfassend mit seiner internen Organisation und der Einbeziehung wissenschaftlicher Mitarbeiter – was die Beschwerdeführerin ersichtlich beides als „System Dr. K.“ bezeichnet und angreift – auseinandergesetzt. Diese Gesichtspunkte waren hingegen nicht Gegenstand des Beschlusses über die Verfassungsbeschwerde vom selben Tag. Aus diesem Grund bedurfte es auch keiner weiteren Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Vorbringen der Beschwerdeführerin. Soweit sie zusätzlich die Aktenführung des Gerichts rügt, wird weder ersichtlich, weshalb diese als unvollständig anzusehen sein sollte, noch inwiefern hierdurch eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör überhaupt möglich erscheint.
IV.
Das Verfahren ist nach § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG kostenfrei.
Die Entscheidung ist nach dem Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz nicht rechtsmittelfähig.


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