Strafrecht

Staatsanwaltschaft, Beschwerde, Bescheid, Antragsteller, Anordnung, Klageerzwingungsverfahren, Anklage, Statthaftigkeit, Auflage, Strafsenat, Schmerzen, Klageerzwingungsantrag, Form, Amt, gerichtliche Entscheidung, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Anspruch auf Strafverfolgung

Aktenzeichen  1 Ws 98122 KL-1 Ws 99/22 KL

Datum:
9.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 14468
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Zur Zulässigkeit und zur Begründung eines sog. Ermittlungserzwingungsantrages (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25.02.2022 hin wird die Staatsanwaltschaft P. angewiesen, die Ermittlungen wieder aufzunehmen, bis zur Entscheidungsreife fortzuführen und insbesondere den Antragsteller J. Pa. An. und den Zeugen Z1. M. Jo. als Zeugen und die Beschuldigten K. und R. als Beschuldigte zu vernehmen.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25.02.2022, welcher am gleichen Tag bei Gericht eingegangen ist, gegen die Bescheide des Generalstaatsanwalts in M. vom 21.01.2022 (404 Zs 182/22 c) und vom 16.02.2022 (404 Zs 182/22 c).
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25.02.2022 ausweislich seiner Ausführungen in der Antragsschrift nicht die Erhebung der öffentlichen Klage, sondern die Wiederaufnahme der Ermittlungen („Gleichzeitig sind die Ermittlungen bis dato derart defizitär, dass ein Tenor, der unmittelbar zur Erhebung der öffentlichen Klage verpflichten würde, nicht beantragt werden kann.“, Bl. 191 d. A.).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist aber ein Ermittlungserzwingungsverfahren grundsätzlich nicht statthaft (vgl. 1 Ws 967/20 KL vom 15.03.2022). Denn Ziel eines zulässigen Antrags auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren kann, wie sich aus dem Wortlaut der §§ 171, 172, 175 Satz 1 StPO ergibt, eigentlich nur die Anordnung der Erhebung der öffentlichen Klage sein (Moldenhauer in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Auflage, § 175 Rn. 3, § 172 Rn. la). Das Anklage- und Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft wird hierdurch nicht durchbrochen. Dem Oberlandesgericht obliegt lediglich eine Kontrollfunktion. Dagegen hat der Senat grundsätzlich keine Kompetenz, ein Klageerzwingungsverfahren mit der Anordnung abzuschließen, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufzunehmen, fortzuführen oder auch nur zu intensivieren habe (vgl. auch Moldenhauer in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Auflage, § 175 Rn. 3, § 172 Rn. la; OLG München 3. Strafsenat, Beschluss vom 04.06.2014, 3 Ws 656/13 KL, zitiert nach juris Rn. 3). Gerichtliche Ermittlungen kommen nur im Rahmen des § 173 Abs. 3 StPO in Betracht.
Allerdings kann nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ausnahmsweise ein grundrechtlich radizierter Anspruch auf effektive Strafverfolgung in Betracht kommen, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben und ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann (vgl. BVerfG NStZ-RR 2022, S. 141 (142); BVerfG vom 25.03.2015, 2 BvR 1304/12 Rn. 16 zitiert nach juris).
Aufgrund der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mithin vorliegend ausnahmsweise von einer Statthaftigkeit des von dem Antragsteller geltend gemachten Antrags auf Ermittlungserzwingung auszugehen, da der Antragsteller gegen ihn gerichtete Straftaten von Polizeibeamten behauptet, durch welche er in seiner persönlichen Freiheit und in seiner körperlichen Integrität verletzt worden sein soll.
Der Antrag des Antragstellers erweist sich auch im Übrigen als zulässig und begründet.
Bei einem statthaften Ermittlungserzwingungsantrag handelt es sich um einen Ausnahmefall des Klageerzwingungsverfahrens, mit der Folge, dass ein Ermittlungserzwingungsantrag grundsätzlich demselben Maßstab unterliegt, wie ein Klageerzwingungsantrag (vgl. Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 175 Rn. 20; BVerfG NStZ-RR 2021, S. 146 (147)).
Ein zulässiger Klageerzwingungsantrag muss eine aus sich heraus verständliche, konkrete und substantiierte Sachdarstellung enthalten, anhand derer der Senat die Schlüssigkeit des Antrags auf Anordnung der Erhebung der öffentlichen Klage prüfen kann. Dabei ist zur Sachverhaltsdarstellung eine Bezugnahme auf Anlagen zum Klageerzwingungsantrag bzw. auf Akten und sonstige Schriftstücke nicht zulässig. Der Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Bescheide und die Gründe für deren behauptete Unrichtigkeit sind anzugeben. Schließlich ist die Einhaltung der Fristen darzulegen, damit der Senat auch das Vorliegen der formellen Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens überprüfen kann (vgl. zu den inhaltlichen Anforderungen an den zulässigen Klageerzwingungsantrag: Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 172 Rn. 27 ff.).
Prüfungsumfang des Ermittlungserzwingungsantrags ist nach der Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass in den Fällen, in denen eine auf einen konkreten nachprüfbaren Sachvortrag gestützte Strafanzeige einen subjektiven Anspruch auf effektive Strafverfolgung geltend macht, die gerichtliche Überprüfung die Durchsetzung dieses Anspruchs sicherstellen und gewährleisten muss, dass die Strafverfolgungsbehörden ihre Verpflichtung zur effektiven Strafverfolgung erfüllen. Insoweit müssen insbesondere die Staatsanwaltschaft und -nach ihrer Weisungdie Polizei die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel personeller und sächlicher Art sowie ihre Befugnisse nach Maßgabe eines angemessenen Ressourceneinsatzes auch tatsächlich nutzen, um den Sachverhalt aufzuklären und Beweismittel zu sichern (vgl. BVerfG vom 22.01.2021, 2 BvR 757/17 BeckRS 2021, 1319 Rn. 14 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Nach Maßgabe des Vorgenannten erweist sich daher der Ermittlungserzwingungsantrag des Antragstellers als zulässig und begründet.
Der Antragsteller hat gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft P. vom 19.11.2021 (BI. 94/96 d. A.) mit Schreiben vom 07.12.2021 Beschwerde eingelegt, welche am 07.12.2021 bei der Staatsanwaltschaft einging (BI. 98/99 d. A.). Der Einstellungsbescheid ging dem Antragsteller am 27.11.2021 zu (BI. 120 d. A.), so dass die Beschwerde vom 07.12.2021 binnen der 2-Wochen-Frist des § 172 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO eingelegt worden ist.
Mit Bescheid vom 21.01.2022 hat der Generalstaatsanwalt in M. der Beschwerde des Antragstellers gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft P. vom 19.11.2021 keine Folge gegeben (BI. 101/102 d. A.). Dieser Bescheid ging dem Antragsteller am 25.01.2022 zu (BI. 121 d. A.). Damit wahrt der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25.02.2022, welcher am 25.02.2022 beim Oberlandesgericht München einging (BI. 117 d. A.), die Monatsfrist gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO.
Mit E-Mail vom 25.01.2022 wandte sich der Antragsteller an den Generalstaatsanwalt in M. und bat um Überprüfung des Beschwerdebescheids vom 21.01.2022 (BI. 104/106 d. A.). Mit Verfügung vom 09.02.2022 leitete die Staatsanwaltschaft P. die Akten dem Generalstaatsanwalt in M. zu und sah auch nach Prüfung der E-Mail vom 25.01.2022 keinen Anlass zur Wiederaufnahme der Ermittlungen (BI. 108/109 d. A.). Mit Bescheid vom 16.02.2022 gab der Generalstaatsanwalt in M. der Gegenvorstellung des Antragstellers vom 25.01.2022 keine Folge (BI. 110/111 d. A.).
Damit wahrt der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25.02.2022 jedenfalls auch die Monatsfrist des § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO im Hinblick auf den Bescheid vom 16.02.2022.
Erforderlich für einen zulässigen Ermittlungserzwingungsantrag ist nach Maßgabe der vorgenannten Maßstäbe, dass der Antragsteller darlegt, welchen Sachverhalt er den Ermittlungsbehörden vorgetragen hat, damit der Senat allein anhand der Antragsschrift prüfen kann, ob die Strafverfolgungsbehörden die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel personeller und sächlicher Art sowie ihre Befugnisse nach Maßgabe eines angemessenen Ressourceneinsatzes auch tatsächlich genutzt haben, um den Sachverhalt aufzuklären und Beweismittel zu sichern.
Danach gilt im Einzelnen folgendes:
Zwar schildert der Antragsteller in seiner Antragsschrift auf S. 6-14 (BI. 121-131 d. A.) den Sachverhalt hinsichtlich dessen seiner Ansicht nach seitens der Strafverfolgungsbehörden zu ermitteln sei. Allerdings verhält sich die Antragsschrift nicht dazu, zu welchem Zeitpunkt in welcher Form mit welchem Inhalt er welchen Strafverfolungsbehörden diesen Sachverhalt geschildert hat, der für diese Anlass sein sollte, strafrechtliche Ermittlungen gegen die Beschuldigten aufzunehmen.
Der Antragsteller schildert unter dem Abschnitt D „Gang des Ermittlungsverfahrens (kursorisch), von der Staatsanwaltschaft erhobene Beweise“ seiner Antragsschrift vom 25.02.2022 hinsichtlich der Anzeigenerstattung folgendes: „Der ermittelnde Beamte sei vom BES K. am 17.10.2020 in Kenntnis gesetzt worden, dass der ASt. sich (unten) in der Wache der PI P. befinde und Strafanzeige „wegen Körperverletzung“ erstatten möchte (…) Auf die Frage des Beamten, ob es zutreffe, dass der ASt. Strafanzeige gegen zwei auf einem von ihm mitgebrachten Zettel namentlich benannte Kollegen erstatten wolle, bejahte der ASt. dies und nannte angeblich die Vorwürfe „Körperverletzung (im Amt) und zusätzlich gegen den Kollegen R. noch wegen Nötigung und Bedrohung“ (…) Nach Angaben zur Person wollte der ASt. vermerkt wissen, dass er „nach § 406 e III StPO Akteneinsicht stelle“ und ansonsten keine Zeit mehr habe, denn er müsse „noch dringend seine Tabletten einnehmen (..), sonst läge er bald zwei Meter tiefer“. (…) Weiter soll der ASt. gesagt haben, dass er dem Vernehmenden „jetzt nichts sagen werde und der Polizei jetzt eine Menge Arbeit erspare“. Er werde „der Polizei“ eine schriftliche Äußerung zukommen lassen. (…) Der Antragsteller sei nochmals gebeten worden konkrete Angaben zu den Tatvorwürfen zu machen was dieser aber wiederum wegen der Einnahme von Tabletten abgelehnt habe. (…) Im Einvernehmen mit dem ASt. seien dessen Hände zur Spurensicherung fotografiert worden, wobei ein namentlich benannter Kollege im Anschluss daran eine Lichtbildmappe gefertigt habe. Auf die Frage, ob er noch weitere Verletzungen angeben möchte, habe der ASt. dies verneint, auch seien durch den Vernehmer keine anderweitigen Blessuren oberhalb der Kleidung wahrgenommen worden (…)” (S. 15/16 der Antragsschrift (im Folgenden: AS); BI. 132/133 d. A.).
Aus diesen Schilderungen in der AS geht nicht hervor, welchen Sachverhalt der Antragsteller selbst bei der Anzeigenerstattung vorgetragen hat. Der Antragsteller trägt vielmehr den Einleitungsvermerk des ermittelnden Polizeibeamten vor. Diesem lässt sich aber nicht entnehmen, dass der Antragsteller einen konkreten Sachverhalt, der den Beschuldigten vorgeworfen wird, geschildert hätte. Es wird nur pauschal der Vorwurf angeführt, diese hätten sich der Körperverletzung im Amt strafbar gemacht und weitere Angaben machte der Antragsteller trotz ihm gewährter Gelegenheit nicht. Entsprechend dem in der AS zitierten Einleitungsvermerk sei die Vernehmung des Antragstellers abgebrochen worden, wobei der Antragsteller zugesichert habe, er werde dem „Unterzeichner“ noch schriftliche Unterlagen zu seinen Tatvorwürfen zukommen lassen (vgl. S. 17 der AS; BI. 134 d. A.). Angesichts dessen war es nach Ansicht des Senats unter Beachtung des der Polizei zur Verfügung stehenden personellen und sachlichen Ressourcen nicht zu beanstanden, wenn diese sich darauf beschränkte, die von dem Antragsteller erlittenen Verletzungen fotographisch zu dokumentieren und dienstliche Stellungnahmen der an dem Polizeieinsatz beteiligten Polizeibeamten einzuholen.
Nach einer ersten Einstellung des Verfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO, welche nach Angaben des Antragsstellers nicht verfahrensgegenständlich sei (S. 28 der AS; BI. 145 d. A.), habe der ASt in einem Telefonat mitgeteilt, dass er erwartet habe, als Zeuge zu christlicher Stunde vorgeladen zu werden. Er habe ärztliche Atteste zu den erlittenen Hämatomen und könne weitere Zeugen zu dem Vorfall benennen (S. 28 der AS; BI. 145 d. A.). Der Antragsteller schildert hier zwar, dass der Hämatome erlitten habe, aber nicht wodurch und wie genau. Zwar bietet sich der Antragsteller als Zeuge an und teilt mit, dass er auch weitere Beweismittel benennen könne. Der Antragsteller teilt aber den Strafverfolgungsbehörden -ausweislich der Antragsschriftkeinen Sachverhalt mit, der diese dazu hätte veranlassen müssen, weitere Ermittlungsschritte zu unternehmen. Zu diesem Zeitpunkt war das Ermittlungsverfahren auf der Grundlage der dienstlichen Stellungnahmen der beiden Beschuldigten bereits eingestellt worden und der Antragsteller hatte die von ihm angekündigte schriftliche Stellungnahme nicht zu den Akten gereicht. Einen Sachverhalt, der eine Zeugeneinvernahme des Antragstellers notwendig gemacht hätte, hatte der Antragsteller bis dahin nicht geschildert. Zwar gab der Antragsteller an, dass er Hämatome erlitten habe, aber es war schon am Tag der Anzeigenerstattung fotografisch dokumentiert worden, dass der Antragsteller infolge des Anlegens der Handfesseln eine Hautrötung erlitten habe. Wie es zu dieser Hautrötung bzw. zu den von Antragsteller mitgeteilten Hämatomen kam, hatte der Antragsteller nicht mitgeteilt. Der Antragsteller hat auch nicht mitgeteilt, warum es ihm verwehrt gewesen wäre, einen Sachverhalt den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen. Die Polizei war daher bei dieser Sachlage nicht zwingend gehalten, den Antragsteller als Zeugen (zu welchem Sachverhalt) vorzuladen und eine substantiierte Anzeigeerstattung herbeizuführen.
Der Antragsteller trägt sodann vor, dass die Staatsanwaltschaft P. mit Verfügung vom 19.11.2021 das Ermittlungsverfahren wieder aufnahm und sogleich gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellte und gibt sodann den Wortlaut der Einstellungsverfügung wieder. Dort heißt es unter anderem: „Durch das von beiden Seiten übereinstimmend geschilderte Verhalten (…)“ (S. 31 der AS; BI. 148 d. A.).
Gegen diesen Einstellungsbescheid legt der Antragsteller Beschwerde ein und führte hierzu -neben einer Bezugnahme auf BI. 98 d. A.- aus, „sodann muss der Unterfertigte sein Befremden zum Ausdruck bringen, was die bisherige Sachbearbeitung angeht. Auf das seinerzeitige Telefonat wird erneut verwiesen (…)“ (S. 33 der AS; BI. 150 d. A.).
Auch hier verhält sich die Antragsschrift in keiner Form dazu, welchen Sachverhalt der Antragsteller den Beschuldigten zur Last gelegt wissen will, neben dem im Einstellungsbescheid dargestellten Sachverhalt.
Der Antragsteller moniert, dass er zeugenschaftlich vernommen worden sei, dass sich aber die Niederschrift dieser Zeugeneinvernahme nicht bei den Ermittlungsakten befinde (S. 43 der AS; BI. 160 d. A.). Auch hier schildert der Antragsteller aber nicht, welche Angaben von ihm im Rahmen der (wann?) erfolgten Zeugenvernehmung getätigt worden sind (5. 43/44 der AS; BI. 160/161 d. A.).
Schließlich finden sich in der AS noch folgende Ausführungen zum Inhalt seiner Anzeigenerstattung: „Vor dem Hintergrund dieser „eröffnenden“ Worte des KHK Ko. benannte der ASt. seine Vorwürfe und gab an, die BES seien unnötig grob gewesen und hätten ihm Schmerzen zugefügt, er wollte zudem protokolliert haben, dass er Akteneinsicht begehre und ließ wissen, dass er dem für ihn ohnehin voreingenommenen Beamten nun eine Menge Zeit erspare, weil er nach Hause müsse zur Medikamenteneinnahme. Da er wisse, dass sich der Sache jedenfalls das BLKA annehmen müsse und er den Vorwurf des KHK Ko. „unter aller Sau“ fände, werde er die Vernehmung nunmehr verlassen (S. 51 der AS; BI. 168 d. A.).
Nach alledem bleibt festzuhalten, dass der Antragsteller in der AS insoweit keinen Sachverhalt schildert, wonach er den Strafverfolgungsbehörden bis zum Erlass des Beschwerdebescheids vom 21.01.2022 einen Sachverhalt schilderte, der über den im Einstellungsbescheid der StA P. vom 19.11.2021 dargestellten Sachverhalt hinausgeht. Soweit der Antragsteller anmerkte, dass die Beamten unnötig grob gewesen seien und ihm Schmerzen zugefügt hätten, so blieben diese Angaben des Antragstellers unsubstantiiert und waren mit dem Anlegen der Handfessel, wie in den dienstlichen Stellungnahmen der Polizeibeamten geschildert, noch in Einklang zu bringen, zumal im Einleitungsvermerk durchaus ja eine Hautrötung festgehalten war und dies auch im Rahmen des Einstellungsbescheids gewürdigt worden war.
Allerdings trug der Antragsteller in seiner E-Mail vom 25.01.2022 u. a. folgendes vor: „Warum wird der Gefesselte – obwohl er keinen Widerstand leistet ohne Grund misshandelt und verletzt, sodass er am Oberarm und insbesondere an beiden Handgelenken tief im Gewebe sitzende Hämatome erleidet? Genauer: Warum wird der Gefesselte, obwohl er sich höflich und kooperativ zeigt, unvermittelt gegen eine Wand gestoßen, anschließend gefesselt obwohl er keinen Widerstand leistet und warum wird er -während die ihm angelegten Handschellen verdreht werden zum Auto geführt und wird dazu gezwungen auf den Handschellen zu sitzen die sich immer enger stellen weil man diese nicht arretierte, obwohl der Gefesselte darauf hinwies, dass die Handschellen immer enger werden und er darum bittet, diese festzustellen.“ (BI. 154, 105 d. A.).
Dieser Vortrag des Antragstellers ist auch für das vorliegende Ermittlungserzwingungsverfahren beachtlich. Es ist anerkannt, dass ein, ggf. erneutes, Klageerzwingungsverfahren auch nach Fristablauf möglich ist, falls ein Antragsteller unter Angabe neuer Tatsachen oder Beweismittel erneut die Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. In diesen Fällen ist der Antragsteller erneut zu verbescheiden (vgl. Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 172 Rn. 36). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies folgendes: Entweder es handelt sich bei dem vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalt, um einen Sachverhalt der bereits zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vom Antragsteller vorgetragen wurde, so dass der Antragsteller in der AS dies mithin schlüssig vorgetragen hat und dies seitens des Senats zu berücksichtigen ist. Oder es handelt sich um neuen Sachvortrag des Antragstellers. Dann war der Antragsteller erneut zu verbescheiden. Zwar hat der Generalstaatsanwalt in M. die E-Mail vom 25.01.2022 als Gegenvorstellung behandelt, dies hindert den Senat aber nicht, den Inhalt des Bescheids als Grundlage dafür zu nehmen, dass trotz des Vortrags des Antragstellers weder die Staatsanwaltschaft P. noch der Generalstaatsanwalt in M. Anlass dafür sahen, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Wenn aber bei Vortrag von neuen Tatsachen ein neues Klage- bzw. hier Ermittlungserzwingungsverfahren selbst nach Ablauf der Fristen im ersten Klage-/Ermittlungserzwingungsverfahren durchgeführt werden kann, dann muss dies erst recht im Rahmen eines anhängigen Ermittlungserzwingungsverfahren gelten. Damit aber ist der o. a. Vortrag des Antragstellers im vorliegenden Ermittlungserzwingungsverfahren zu beachten.
Der Antragsteller bringt in der vorliegenden E-Mail den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis, dass ihm durch die Anlegung der Handfesseln, obwohl er keinen Widerstand geleistet habe, am Oberarm und an den Handgelenken tief im Gewebe sitzende Hämatome zugefügt worden seien. Ferner sei er, ohne dafür Anlass gegeben zu haben, unvermittelt gegen eine Wand gestoßen worden, habe dabei ein Hämatom am Oberarm erlitten, zudem sei er mit verdrehten Armen zum Auto geführt worden und er sei gezwungen worden auf seinen Händen zu sitzen, während sich die Handschellen immer engen stellten, weil diese nicht arretiert worden seien, worauf der Antragsteller hingewiesen habe.
Nach der verfassunsgerichtlichen Rechtsprechung muss, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben und ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann, jeglicher Anschein vermieden werden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird (vgl. BVerfG NStZ-RR 2022, S. 141).
Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft P. bislang den Antragsteller nicht als Zeugen vernommen, obwohl er dies angeboten hat. Nach dem Vortrag des Antragstellers in der E-Mail vom 25.01.2022 besteht jedenfalls ein Anfangsverdacht für eine Körperverletzung im Amt. Der Antragsteller macht geltend, dass er keinerlei Anlass zur Fesselung mit Handschellen gegeben habe, da er sich in keiner Weise aggressiv und kooperativ gezeigt habe. Dies könne ggf. durch den Zeugen Z1. bestätigt werden (vgl. BI. 186 d. A.). Ob aber die Annahme der beiden Beschuldigten, dass die Voraussetzungen für das Anlegen von Handfesseln nach Art. 82 BayPAG vorlagen, gerechtfertigt war, hängt auch entscheidend von den Umständen und dem Verhalten des Antragstellers im unmittelbaren Vorfeld ab.
Weiter verhalten sich die dienstlichen Stellungnahmen der beiden Beschuldigten nicht zu den Vorwürfen des Antragstellers ab Anlegung der Handfesseln. So schildern die beiden Beschuldigten in ihren dienstlichen Stellungnahmen, dass dem Antragsteller für die Dauer des Transports durch PHM R. die dienstlich gelieferten Handfesseln zur Eigensicherung angebracht wurden (vgl. S. 41 und S. 43 AS; BI. 158 d. A. und BI. 160 d. A. sowie BI. 25-27 d. A.). In den dienstlichen Stellungnahmen der beiden Beschuldigten fehlt jeglicher Vortrag zu den Vorwürfen des Antragstellers, dass dieser sich darüber beschwert habe, dass die Handfesseln nicht arretiert worden seien, wodurch sich diese immer enger stellten (S. 37 AS; BI. 154 d. A bzw. BI. 105 d. A.). Damit ist aber die staatsanwaltschaftliche Prüfung nicht ausreichend, die allein darauf abstellt, ob die Anlegung der Handfessel durch das vorherige Verhalten des Antragstellers gerechtfertigt war, die Frage aber, ob die Durchführung der Fesselung ordnungsgemäß war, nur dahingehend behandelt, dass „trotz ordnungsgemäßen Anlegens der Handschellen“ der Antragsteller leichte Rötungen an beiden Handgelenken erlitt (BI. 49, 95 d. A.). Dem Vortrag des Antragstellers, dass die Handfesseln nicht arretiert worden seien und sich deswegen immer enger stellten, wurde nicht nachgegangen.
In der Antragsschrift nunmehr schildert der Antragsteller ausführlich, dass er mehrmals darauf hingewiesen habe, dass er Schmerzen durch die Anlage der Handfesseln erleide und darum bitte, die Anlage der Handfesseln zu überprüfen, was seitens der Beschuldigten abgelehnt worden sei (vgl. S. 9/10 der AS; BI. 126/127 d. A.).
Nach alledem ist die Staatsanwaltschaft P. anzuweisen, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Dabei wird die Staatsanwaltschaft P. jedenfalls den Antragsteller als Zeugen und die beiden Beschuldigten als solche zu vernehmen bzw. deren Vernehmung zu veranlassen haben. Nach den Ausführungen zu dem Sachverhalt in der Antragsschrift wird es auch angezeigt sein, den Zeugen Z2. einzuvernehmen, um die Umstände, die zur Fesselung des Antragstellers führten, näher aufzuklären (u.a. Kenntnis der Identität des Anzeigeerstatters schon vor der Fesselung/ „das ist er schon“/BI. 124 d. A.; Verhalten des Antragsstellers vor der Fesselung; schmerzhaftes „Lenken“ durch verdrehte Handfesseln in Richtung Auto/BI. 126 d. A.). Ob nach Erhebung der vorgenannten Beweise noch weitere Ermittlungen für eine sachgerechte Abschlussverfügung nach Maßgabe eines sachgerechten Ressourceneinsatzes erforderlich sind, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. Bei den weiteren Ermittlungen sind die Strafverfolgungsbehörden gehalten, jeglichen Anschein zu vermeiden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird (vgl. BVerfG NStZ-RR 2022, S. 141). Ferner ist im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auf eine detaillierte und vollständige Dokumentation des Ermittlungsverlaufs ebenso wie eine nachvollziehbare Begründung der Einstellungsentscheidungen zu achten (vgl. BVerfG vom 23.03.2015, 2 BvR 1304/12 Rn. 17 zitiert nach juris). Hinsichtlich der Polizeibehörde, welche die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat, wird im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers zu dem bisherigen Ablauf der Ermittlungen Art. 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BayPOG besonders in den Blick zu nehmen sein (vgl. BeckOK PoIR Bayern/Gliwitzky/Schmid, 18. Ed. 1.3.2022, POG Art. 7 Rn. 63: wonach dem BayLKA auf Dauer die Ermittlungen gegen Beamte wegen Beamtendelikten zugewiesen worden sei, um die Unbefangenheit von Ermittlungen gegen Polizeibeamte sicherzustellen).


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