Strafrecht

Streit um sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung einer Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 CS 16.1523

Datum:
6.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 53200
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BtMG § 31a Abs. 1
BZRG § 31, § 32 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 lit. a, § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 38 Abs. 2 Nr. 3, § 41, § 43
FeV § 11 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 7, Abs. 6 S. 1, S. 2, S. 4, Abs. 8 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 2, § 46 Abs. 3
GKG § 52 Abs. 1
StGB § 69a Abs. 1 S. 3, § 69b, § 316, § 323a
StPO § 154 Abs. 1, § 170 Abs. 2
StVG § 2 Abs. 7 S. 2, S. 3, Abs. 9, § 3 Abs. 1, § 28 Abs. 3, § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 65 Abs. 3 Nr. 2
VwGO § 80 Abs. 5, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Straftaten, die nach dem BZRG nicht mehr in ein aktuelles Führungszeugnis aufzunehmen wären, sind auch im Rahmen des Fahrerlaubnisverfahrens nicht verwertbar. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bleibt eine Begutachtungsanordnung der Fahrerlaubnisbehörde unbeachtet und zieht diese hieraus keinerlei weitere Konsequenzen, so bedarf es – wenn drei Jahre später erneut eingeschritten wird – einer neuen Begutachtungsanordnung. Für deren Rechtsmäßigkeit kommt es dann auf den neuerlichen Erlasszeitpunkt an. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 16.681 2016-07-22 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg wird in Nummer I und II aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Nummern 1 und 2 des Bescheids vom 23. Mai 2016 wiederhergestellt.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Vertreter des öffentlichen Interesses trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist wiederherzustellen, da dieser voraussichtlich erfolgreich sein wird.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2016 (BGBl I S. 1217), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Zur Prüfung der Eignung hat die Fahrerlaubnisbehörde nach § 2 Abs. 7 Satz 2 StVG Auskünfte aus dem Fahreignungsregister einzuholen und kann nach § 2 Abs. 7 Satz 3 StVG auch die Beibringung eines Führungszeugnisses zur Vorlage bei der Verwaltungsbehörde nach den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes verlangen. Straftaten können verwertet werden, wenn sie im Fahreignungsregister noch nicht zu tilgen sind oder solange sie in das Führungszeugnis nach §§ 31 ff. Bundeszentralregistergesetz (BZRG) aufzunehmen sind (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Nachdem die Fahrerlaubnisbehörden keinen Anspruch auf eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister nach § 41 BZRG haben und Eintragungen, die in ein Führungszeugnis nicht aufgenommen werden, ihnen nach § 43 BZRG auch nur in Ausnahmefällen von übergeordneten Behörden weitergeleitet werden dürfen, können die Taten, die zwar im Register noch eingetragen, aber im Führungszeugnis nicht mehr aufgeführt werden, im Fahrerlaubnisverfahren regelmäßig nicht verwertet werden.
Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 Abs. 1 und 2 FeV die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) angeordnet werden bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder legt er das angeordnete Gutachten nicht fristgerecht vor, kann nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung geschlossen werden, wenn ihn die Behörde hierauf bei der Anordnung der Beibringung des Gutachtens hingewiesen hat. Dies setzt allerdings voraus, dass die Begutachtungsanordnung in formeller und materieller Hinsicht rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081). Hier kann nicht auf die Ungeeignetheit des Antragstellers geschlossen werde, da die Begutachtungsanordnung jedenfalls materiell nicht rechtmäßig ist.
Es kann dabei offen bleiben, ob die Begutachtungsanordnung den formellen Vorgaben des § 11 Abs. 6 FeV entspricht, denn zum Zeitpunkt der letzten Anordnung vom 3. Februar 2016 waren alle erwähnten Taten nicht mehr verwertbar. Es bestehen diesbezüglich jedoch Bedenken, ob die Vorgaben des § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV eingehalten sind und die Anordnung hinreichend bestimmt ist. Bei der ausschließlich auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV gestützten Anordnung wird wohl nicht hinreichend deutlich gemacht, aus welchen Straftaten sich die Eignungszweifel nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV konkret ergeben sollen, denn es werden auch Straftaten aufgeführt, die nicht unter § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV fallen. In der Anordnung wird nur ausgeführt, dass die vorgenannten Eintragungen und Straftaten, unter anderem wegen Körperverletzung und Beleidigung, erhebliche Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen.
Unabhängig davon, ob es sich bei den drei Verurteilungen aus den Jahren 2010 und 2012, die in dem 2012 eingeholten Führungszeugnis eingetragen waren, um Taten i. S. d. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV gehandelt hat, waren diese am 3. Februar 2016 nicht mehr in ein aktuelles Führungszeugnis nach §§ 30, 31 BZRG aufzunehmen und sind daher nicht mehr verwertbar. Nach § 38 Abs. 2 BZRG werden Verurteilungen, durch die auf eine Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen erkannt worden ist, selbst dann nicht nach § 32 Abs. 1 BZRG in das Führungszeugnis aufgenommen, wenn zwar nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG im Register eine weitere Strafe eingetragen ist, es sich aber nach § 38 Abs. 2 Nr. 3 BZRG um Verurteilungen zu Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen handelt. Das war hier der Fall, denn alle Taten wurden mit Geldstrafen von maximal neunzig Tagessätzen geahndet. Nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BZRG ist eine Verurteilung zu einer Geldstrafe nach drei Jahren nicht mehr in das Führungszeugnis aufzunehmen, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 Nr. 5 BZRG nicht vorliegen. Die letzte Verurteilung aus dem Jahr 2012 ist daher nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BZRG seit 25. April 2015, die übrigen Verurteilungen schon seit dem Jahr 2013 nicht mehr in das Führungszeugnis aufzunehmen.
Der Strafbefehl wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 11. Januar 2010 war zum Zeitpunkt der zweiten Begutachtungsanordnung auch im Fahreignungsregister zu tilgen und ist auch deshalb nicht mehr verwertbar. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG sind Entscheidungen, die nach § 28 Abs. 3 StVG in der bis Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung im Verkehrszentralregister gespeichert worden sind, bis zum Ablauf des 30. April 2019 nach den Bestimmungen des § 29 in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung zu tilgen. Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVG a. F. sind Entscheidungen wegen Straftaten mit Ausnahme von Entscheidungen wegen Straftaten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, den §§ 316 und 323a StGB und Entscheidungen, in denen die Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 69 oder 69b StGB oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnet worden ist, nach fünf Jahren zu tilgen. Die Tat ist daher nach Aktenlage seit 11. Januar 2016 im Fahreignungsregister getilgt. Es handelt sich dabei aber ohnehin nicht um eine Tat nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV, aufgrund derer Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen.
Es kann auch nicht auf den Zeitpunkt der vorherigen Begutachtungsanordnung aus dem Jahr 2012 abgestellt werden, da die Antragsgegnerin trotz mehrerer Ankündigungen aus der Nichtvorlage des damit angeordneten Gutachtens keine Rechtsfolgen gezogen hat. Der Antragsteller musste nicht mehr damit rechnen, dass aus der Nichtvorlage des Gutachtens über drei Jahre nach Erlass der ersten Begutachtungsanordnung noch Konsequenzen folgen werden. Diesen Schluss hat die Antragsgegnerin auch selbst gezogen und eine neue Begutachtungsanordnung erlassen.
Ob der Vorfall aus dem Jahr 2007 zum Zeitpunkt der ersten Begutachtungsanordnung im Jahr 2012 überhaupt verwertet werden konnte, kann dahinstehen, denn im Jahr 2016 war dieser Vorgang auf jeden Fall nicht mehr verwertbar. Die Tat war nach § 32 BZRG noch nie in ein Führungszeugnis aufzunehmen. Der Antragsteller war zum Tatzeitpunkt unter 21 Jahre alt und es fand Jugendstrafrecht Anwendung. Selbst wenn es zu einer Verurteilung gekommen wäre, wäre diese mittlerweile nicht mehr verwertbar. Der darüber hinaus im erstinstanzlichen Urteil erwähnte Vorfall aus dem Jahr 2003 stellt ebenfalls keine Grundlage für eine Begutachtungsanordnung dar. Die diesbezüglichen Unterlagen müssten nach § 2 Abs. 9 StVG aus den Behördenakten entfernt werden, da die Übersendung nicht verwertbarer Aktenbestandteile ggf. die Unverwertbarkeit eines darauf beruhenden Gutachtens zur Folge haben kann (vgl. OVG MV, B.v. 22.5.2013 – 1 M 123/12 – VRS 127, 269 = juris Rn. 25).
Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Der Vertreter des öffentlichen Interesses muss sich nach billigem Ermessen nicht an den Kosten des Verfahrens beteiligten, da er keinen Antrag gestellt hat, trägt seine außergerichtlichen Kosten jedoch selbst.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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