Strafrecht

Unterbringungsanordnung gem. § 64 StGB bei sachverständig verneinter Erfolgsaussicht – Festsetzung der Tagessatzhöhe auch bei Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe

Aktenzeichen  202 StRR 63/21

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17523
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 40 Abs. 2, § 54, § 64 S. 1, S. 2
StPO § 354 Abs. 1

 

Leitsatz

1. An einer Psychose leidende Täter sind in aller Regel in einer Entziehungsanstalt nicht erfolgreich behandelbar. Will der Tatrichter in einem solchen Fall – noch dazu entgegen der Stellungnahme des Sachverständigen – gleichwohl die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, bedarf es tragfähiger Gründe, die trotz der durch die Grunderkrankung extrem negativen Behandlungsprognose gleichwohl die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB rechtfertigen. (Rn. 3 – 7)
2. Auch bei der Verhängung einer aus Freiheitsstrafen und Geldstrafen gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe müssen hinsichtlich der Geldstrafen die Tagessatzhöhen festgesetzt werden (u.a. Anschl. an BGH, Beschluss vom 20.01.2021 – 2 StR 414/20 bei juris). (Rn. 9)

Tenor

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 04.02.2021 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass
1. die Tagessatzhöhe für die in den Fällen II.1. und II.5. der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafen auf 1 Euro festgesetzt wird und
2. die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; jedoch wird die Gebühr um 1/3 ermäßigt. Die im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden jeweils zu 1/3 der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 29.05.2020 unter Freispruch im Übrigen wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Hehlerei, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen, Erschleichens von Leistungen, sexueller Belästigung, Beleidigung, versuchter Nötigung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt und seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich des Teilfreispruchs unbeschränkt und im Übrigen beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch Berufung eingelegt. Das Landgericht hat den Angeklagten am 04.02.2021 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 5 Monaten verurteilt und außerdem dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die weitergehende Berufung der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten wurden verworfen. Dabei verhängte das Landgericht in den Fällen II.1. Geldstrafen von 60 und 90 Tagessätzen und im Fall II.5. eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen, ohne die Tagessatzhöhen festzusetzen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch sonst zulässige (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Berufungsurteils tragen nicht die Annahme des Landgerichts, es bestehe eine hinreichend konkrete Aussicht, den Angeklagten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zumindest eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in seinen Hang zu bewahren und von der Begehung auf seinen Hang zurückgehender erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten (§ 64 Satz 2 StGB). Das Landgericht hat sich mit nicht tragfähigen Erwägungen über die Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen, der zu dem Ergebnis gelangt ist, beim Angeklagten bestehe wegen seiner „großen Freiheitsliebe“ und der schizophrenen Grunderkrankung in Form einer Hebephrenie keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB, hinweggesetzt und ist im Ergebnis zu Unrecht zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gelangt.
a) Schon die Einschätzung des Landgerichts, der Sachverständige habe einen „zu hohen Maßstab“ an die Prognoseentscheidung gestellt, trifft nicht zu. Die Darlegungen der Berufungskammer belegen vielmehr, dass sie den Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht fehlerhaft eingeschätzt hat, weil die Erwägungen im angefochtenen Urteil lediglich die Möglichkeit eines Behandlungserfolgs aufzeigen, was aber nicht ausreichend ist. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass es durch den Maßregelvollzug gelingt, den Angeklagten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Dabei genügt nicht die bloße Möglichkeit eines Therapieerfolgs; erforderlich ist vielmehr eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs (vgl. nur BGH, Beschluss vom 20.10.2020 – 4 StR 211/20 bei juris m.w.N.).
b) Die Erwägung der Berufungskammer, die Ausführungen des Sachverständigen zur Erfolgsaussicht erschienen nicht frei von Widersprüchen, findet im Urteil keine Stütze. Der bloße Umstand, dass der Sachverständige die Möglichkeit, dass beim Angeklagten die Grundproblematik im Bereich der Affekte und des Antriebs durch regelmäßige Medikation günstig beeinflusst werden könne, bejaht habe, zeigt einen Widerspruch in der Argumentation des Sachverständigen keineswegs auf. Das Landgericht verkennt dabei, dass eine abstrakte Möglichkeit einer überdies im Ausmaß ungeklärten „günstigen Beeinflussung“ zur Bejahung der gesteigerten Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten keineswegs ausreichend ist.
c) Zudem hat das Landgericht dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass gerade die vom Sachverständigen konstatierten Schwierigkeiten, den Angeklagten in einer Therapiegruppe zu führen, sich auf die Behandlungsprognose negativ auswirken. Die Einschätzung des Sachverständigen, dass „eine hebephrene Schizophrenie grundsätzlich durch einen ungünstigen Verlauf gekennzeichnet sei“, wobei ganz offensichtlich die Möglichkeiten eines therapeutischen Ansatzes im Maßregelvollzug gemeint sind, ist demgegenüber in jeder Hinsicht nachvollziehbar und steht im Einklang mit der forensischen Praxis und der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nach einer Abfrage des Bundesverfassungsgerichts bei 12 Kliniken, in denen die Maßregel nach § 64 StGB vollzogen wurde, ergab sich, dass unter anderem schizophrene und paranoide Patienten sich als nicht behandelbar erwiesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.03.1994 – 2 BvL 3/90 = BVerfGE 91, 1 [Rn. 60]). Nicht zuletzt im Hinblick hierauf hat der Bundesgerichtshof judiziert, an einer Psychose leidende Täter seien in aller Regel in einer Entziehungsanstalt nicht erfolgreich behandelbar (BGH, Urt. v. 11.08.2011 – 4 StR 267/11 bei juris; zustimmend: MüKoStGB/van Gemmeren 4. Aufl. 2020, StGB § 64 Rn. 68). Über diese auf fachpsychiatrischer Erfahrung beruhende Einschätzung hat sich die Berufungskammer hinweggesetzt, ohne tragfähige Gesichtspunkte aufzuzeigen, die trotz der durch die Grunderkrankung extrem negativen Behandlungsprognose und entgegen den Darstellungen des Sachverständigen gleichwohl die Annahme eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB rechtfertigen würden.
d) Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuleitungsschrift vom 26.05.2021 darauf abhebt, es sei ausreichend, wenn Einsicht und Therapiewille im Rahmen der Unterbringung geweckt würden, trifft es zwar im Grundsatz zu, verfängt aber nicht bei unter einer Psychose leidenden Patienten, bei denen dies mit Blick auf das durch fehlende Krankheitseinsicht und Realitätsverkennung gekennzeichnete Krankheitsbild von vornherein nicht erwartet werden kann.
e) Da weitere Feststellungen in einer Hauptverhandlung nicht zu erwarten sind, kann der Senat auf den Wegfall der Maßregelanordnung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO erkennen.
2. Das Landgericht hat es überdies versäumt, in den Fällen II.1. und II.5. der Urteilsgründe die Tagessatzhöhe für die verhängten Einzelgeldstrafen zu bestimmen. Da deren Festsetzung trotz Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe erforderlich ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 20.01.2021 – 2 StR 414/20 bei juris m.w.N.), holt dies der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO nach. Der Tagessatz von einem Euro entspricht dem gesetzlichen Mindestmaß, § 40 Abs. 2 Satz 3 StGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO.


Ähnliche Artikel


Nach oben