Strafrecht

Unzureichende Feststellungen für Wegnahme bei Ladendiebstahl

Aktenzeichen  202 StRR 33/21

Datum:
7.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 14751
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 242 Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 3
StPO § 349 Abs. 2, § 353, § 354 Abs. 2

 

Leitsatz

Durch die bloße Feststellung, der Angeklagte habe in einem Ladengeschäft Gegenstände „entwendet“, ohne im tatrichterlichen Urteil den Tathergang näher zu beschreiben, wird eine (vollendete) Wegnahme im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB nicht belegt. (Rn. 3 – 5)

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 17.11.2020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
1. soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1. bis 4., 6. bis 13. und 15. bis 22. der Gründe des Berufungsurteils verurteilt worden ist,
2. im Gesamtstrafenausspruch.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 25.03.2020 wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch sowie Diebstahls in 21 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die das Landgericht mit Urteil vom 17.11.2020 verworfen hat.
II.
Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Berufungsurteil leidet in den Fällen II. 1. bis 4., 6. bis 13. und 15. bis 22. an durchgreifenden Darstellungsmängeln, die dem Senat nicht die Nachprüfung erlauben, ob der Angeklagte zu Recht wegen vollendeten Diebstahls verurteilt wurde.
a) Das Berufungsurteil beschränkt sich in den genannten Fällen jeweils auf die Feststellung, der Angeklagte habe die Gegenstände „entwendet“, ohne den Entwendungsvorgang näher zu beschreiben. Dies lässt indes nicht den Schluss zu, dass die in § 242 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Wegnahme auch vollendet wurde (vgl. nur OLG Hamm, Beschluss vom 06.05.2013 – III-5 RVs 38/13 = NStZ-RR 2013, 343; OLG Bamberg, Beschluss vom 01.10.2013 – 3 Ss 96/13 bei juris; OLG Dresden, Beschluss vom 12.03.2015 – 2 OLG 22 Ss 14/15 = NStZ-RR 2015, 211 = StV 2016, 649; im Ergebnis ebenso: KG, Beschluss vom 23.10.2019 – 3 Ss 89/19 = StV 2020, 851, das sogar die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung bei unzulänglichen Feststellungen im Ersturteil verneint). Wegnahme setzt Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams voraus. Die Feststellungen der Berufungskammer ermöglichen nicht die Beurteilung, ob der bisherige Gewahrsam der Berechtigten aufgehoben wurde oder ob es lediglich zu bloßen Gewahrsamslockerungen gekommen war. Zwar würde bei Sachen geringen Umfangs bereits das Einstecken in die Tasche oder das Verbergen der Beute für die Vollendung der Wegnahme genügen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 18.09.2019 – 2 StR 187/19 bei juris; Urt. v. 06.03.2019 – 5 StR 593/18 = NStZ 2019, 613 = BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 18; Beschluss vom 16.09.2014 – 3 StR 373/14 bei juris – jew. m.w.N.). Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme sogar schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen (BGH a.a.O.). Dass diese Voraussetzungen erfüllt wären, kann den Feststellungen des Berufungsurteils aber nicht entnommen werden. Lediglich im Fall 17. ist hinsichtlich des Messers zwar ausgeführt, dass der Angeklagte dieses in seine Jackentasche gesteckt habe; hinsichtlich der weiteren entwendeten Gegenstände bleibt der Tathergang indes offen, sodass ein vollendeter Diebstahl mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB ebenfalls nicht schlüssig geschildert wird. Dem Berufungsurteil kann in den genannten Fällen auch nicht entnommen werden, dass der Angestellte das Diebesgut etwa in einer mitgeführten Tasche verstaut oder mit den Gegenständen die Geschäftsräume und damit den Herrschaftsbereich des Gewahrsamsinhabers verlassen hätte, was den sicheren Schluss auf eine Tatvollendung zuließe.
b) Etwas anderes folgt nicht etwa aus dem jeweiligen Zusatz im Berufungsurteil, wonach die „Ware nach der Tat sichergestellt und an die Berechtigten herausgegeben werden konnte“. Denn da der jeweilige Tathergang gerade nicht hinreichend beschrieben worden ist, lässt die Wendung „nach der Tat“ ebenfalls keinen sicheren Rückschluss auf die Tatvollendung zu.
2. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II. 1. bis 4., 6. bis 13. und 15. bis 22. entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
III.
Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler ist das Urteil des Landgerichts mit den zugrunde liegenden Feststellungen in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Soweit das Landgericht im Fall 17 einen Diebstahl mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. 1b StGB aufgrund des entwendeten und in die Jackentasche gesteckten Messers angenommen hat, fehlen hinsichtlich der weiteren entwendeten Gegenstände überdies jegliche Feststellungen zu der vom Tatbestand vorausgesetzten Absicht, den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden.
2. Bei der Prüfung eines minder schweren Falls (hier nach § 244 Abs. 3 StGB) hat das Landgericht die nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu beachtende Prüfungsreihenfolge nicht zugrunde gelegt (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 24.04.2020 – 2 StR 466/19 bei juris m.w.N.). Unabhängig davon werden die knappen Erwägungen, mit denen ein minder schwerer Fall verneint wurde, nicht der gebotenen Gesamtbetrachtung gerecht, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 05.11.2020 – 4 StR 201/20 = NStZ-RR 2021, 11 m.w.N.).


Ähnliche Artikel


Nach oben