Strafrecht

Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangenem Drogenkonsum, Weigerung ein medizinisch-psychologisches Gutachten erstellen zu lassen

Aktenzeichen  RO 8 K 19.1328

Datum:
20.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54053
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV i. V. m. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 FeV –
VwGO § 75

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, da die Beklagte über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist in der Sache entschieden hat. Maßgeblich für den Zeitpunkt des Ablaufs der angemessenen Entscheidungsfrist nach § 75 Satz 1 VwGO sind nach der Rechtsprechung die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts, da es sich hierbei um eine Sachurteilsvoraussetzung handelt. Die dem Kläger gesetzte Frist zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war bereits am 3. Oktober 2019 ergebnislos abgelaufen. Überdies hat der Kläger zu Protokoll bei Gericht erklärt, dass er durch das ärztliche Gutachten belegt habe, dass er fahrtauglich und drogenfrei sei und es keines weiteren (ergänzt durch das Gericht: medizinisch-psychologisches Gutachten) mehr bedürfe, weshalb er die Klage einlege, womit er zum Ausdruck brachte, dass er dieses auch nicht beibringen möchte. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung war daher die der Behörde zuzubilligende angemessene Entscheidungsfrist hinsichtlich des mit der gegenständlichen Klage verfolgten Wiedererteilungsantrags längst abgelaufen (vgl. VG München, Urt. v. 23.6.2021 – M 26b K 19.3004 – BeckRS 2021, 23287 Rn. 19, 20 m.w.N.).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis der beantragten Klassen A, A1, A2, AM, B und L gem. § 113 Abs. 5 VwGO. Zum grundsätzlich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts kann der Kläger die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nicht beanspruchen, weil die Fahrerlaubnisbehörde deren Erteilung vorliegend zu Recht von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig gemacht hat, welches der Kläger auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht beigebracht hat; auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, dass er aktuelle Nachweise nicht vorlegen könne und auch nicht vorlegen möchte.
a. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung. Gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) bedarf derjenige, der auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde). Eine Fahrerlaubnis ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 StVG für die jeweilige Klasse zu erteilen, wenn der Bewerber u. a. zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG). Dabei handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat. Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde u. a. zu ermitteln, ob der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist (vgl. VG München, Urt. v. 7.5.2014 – M 6b K 13.1112 – BeckRS 2014, 55268).
Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht jedoch nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen. Wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Voraussetzung ist allerdings, dass die Untersuchungsanordnung der Fahrerlaubnisbehörde rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist und die Weigerung ohne hinreichenden Grund erfolgt ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2008 – 11 C 08.1030; BayVGH, B.v. 8.10.2009 – 11 CS 09.1891; BayVGH, U.v. 20.10.2017 – 11 B 17.1080 – BeckRS 2017, 133211 Rn. 24). An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil die Gutachtensanordnung mangels Verwaltungsaktqualität nicht isoliert mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann. Daher kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2012 – 11 ZB 12.1596 – juris Rn. 10, BayVGH, B.v. 15.5.2008 – 11 CS 08.616 – juris Rn. 50).
b. Angesichts des feststehenden Drogenkonsums des Klägers hat die Fahrerlaubnisbehörde hier völlig zu Recht zur Vorbereitung der Entscheidung über die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis gemäß §§ 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV i.V. m. § 14 Abs. 1 (Satz 2) Nr. 2 FeV den Kläger zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert und auf Grund der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens gemäß §§ 20 Abs. 1, 11 Abs. 8 FeV darauf geschlossen, dass die Nichteignung des Klägers zum Führen eines Kraftfahrzeugs weiterhin besteht (vgl. VG Ansbach, Gerichtsbescheid v. 17.1.2011 – AN 10 K 10.02176 – BeckRS 2011, 54514).
Die Gutachtensanforderung erweist sich in materieller Hinsicht als rechtmäßig; alleine aus dem Fehlen der formellen Voraussetzungen für eine Gutachtensanordnung – die hier zudem vollständig Vorliegen – könnte im Rahmen der Verpflichtungsklage kein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis hergeleitet werden, weshalb es maßgeblich auf die materielle Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung ankommt.
Die Gutachtensanordnung wurde vorliegend zu Recht auf § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV i.V. m. § 14 Abs. 1 (Satz 2) Nr. 2 FeV gestützt. Dass der Satz 2 nicht genannt wurde, stellt eine offenbare Unrichtigkeit dar, welche unbeachtlich ist (vgl. BayVGH, B. v. 25.6.2020 – 11 CS 20.791 – BeckRS 2020, 14562 Rn. 31). Danach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten für die Zwecke nach Abs. 1 anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin die in Abs. 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt.
Die Anordnung eines MPU-Gutachtens nach der Erstellung des ärztlichen Gutachtens begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Durch das ärztliche Gutachten wurde das Konsumverhalten des Klägers aufgeklärt; danach steht fest, dass der Kläger mit 15 Jahren erstmals Cannabis konsumiert hat und es einen täglichen Konsum gab. Weiterhin steht fest, dass er im Jahr 2014 Amphetamin zur Leistungssteigerung genutzt hat, weil er Zeit habe gewinnen wollen (aus dem Weiteren ergibt sich, dass sich dies auf die Abiturvorbereitung bezog). Der Cannabisanbau sei erfolgt, um nicht mehr von einem Dealer abhängig zu sein. Cannabis habe er genommen, um seine Psyche zu erkunden, er habe viele Erkenntnisse gewonnen und es sei entspannend gewesen. Zuletzt hätte er im Jahr 2016 Drogen konsumiert. Seinen Konsum würde er insgesamt als Probekonsum sehen, einen Missbrauch oder eine Abhängigkeit würde er nicht sehen. Das ärztliche Gutachten enthält keine – und kann es aufgrund mangelnder Fachkunde der erstellenden Ärztin auch nicht – psychologische Einschätzung über die Fahreignung des Klägers. Aufgrund der Erkenntnisse aus dem ärztlichen Gutachten konnte die Beklagte im Anschluss die Erstellung eines medizinisch-psychologischen Gutachten anordnen, denn grundsätzlich ist das ärztliche Gutachten nicht dazu bestimmt, eine direkte Aussage zur Fahreignung zu treffen, sondern führt bei eignungsrelevanten Feststellungen entweder zur Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. Untersagung zum Führen von Fahrzeugen oder – wie hier – zu einer weiterführenden Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung (vgl. MüKo, StVR/Hahn/Kalus, 1. Aufl. 2016, FeV § 14 Rn. 41).
Diese Gutachtensanordnung durfte die Beklagte im konkreten Fall auch in zeitlicher Hinsicht vornehmen. Zwar kann nicht jeder beliebig weit in der Vergangenheit liegende Drogenkonsum als Grundlage für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens herangezogen werden. Der erfolgte Betäubungsmittelkonsum muss nach Gewicht und unter zeitlichen Gesichtspunkten noch geeignet sein, die Kraftfahreignung in Zweifel zu ziehen. Das ergibt sich auch aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, greift in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein. Ihm wird zugemutet, anderen Einblick in Kernbereiche seiner Persönlichkeit zu geben. Ein solcher Eingriff ist somit nur dann gerechtfertigt, wenn er zur Abwehr einer bei realistischer Einschätzung tatsächlich bestehenden Gefahr notwendig ist. Es muss also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Betroffene noch Drogen einnimmt oder jedenfalls rückfallgefährdet ist und sich dies auf sein Verhalten im Straßenverkehr auswirken kann (vgl. BVerwG, U. v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081). Dabei ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass es vorliegend unter anderem auch um den Konsum von sog. „harten Drogen“ (Amphetamin) geht und der Kläger Cannabis sogar auch selbst anbaute und auch das hierfür notwendige Equipment hatte. Zudem gab der Kläger auch selbst an, dass er früher Cannabis täglich und Amphetamin zur Leistungssteigerung verwendete. Es lag somit ein intensiver Drogenkonsum vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einem Konsum von harten Drogen auch für die Wiedererlangung der Fahreignung gerade Voraussetzung ist, dass eine nachweisbare einjährige Abstinenz sowie ein tiefgreifender Einstellungswandel vorliegt. Dies berücksichtigend liegt der Konsum von Drogen beim Antragsteller noch nicht derartig weit zurück, dass der Kläger mit Sicherheit die innere Einstellung und die Verhaltensmechanismen, die ihn zu seinem Konsum veranlasst haben, überwunden hat. Gerade diese Zweifel, die in dem ärztlichen Gutachten nicht hinreichend geklärt werden konnten und durften, bedürfen insbesondere mit dem nun zweifelsfrei feststehenden Konsum von harten Drogen und früherem intensiven Konsum von Cannabis einer Abklärung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten. Die Möglichkeit die Zweifel an seiner Fahreignung durch die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auszuräumen hat der Kläger jedoch auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht genützt.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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