Strafrecht

Verurteilung zu Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung nach eskaliertem Familienstreit

Aktenzeichen  812 Ds 252 Js 139684/21

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29295
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 46, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Der Vollzug von Untersuchungshaft unter den erschwerenden Bedingungen der Corona-Pandemie kann strafmildernd zu berücksichtigen sein. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Angeklagte ist schuldig der gefährlichen Körperverletzung.
2. Der Angeklagte wird zur
Freiheitsstrafe von 10 Monaten
verurteilt.
3. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
5. Ferner trägt der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers. Angewendete Vorschriften: §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, 464, 465 StPO.

Gründe

I.
Der Angeklagte ist in der Türkei geboren und 1979 nach Deutschland gekommen. In der Türkei hat er ein Jahr eine berufsbildende Schule besucht und ist auch in Deutschland noch zur Schule gegangen. Er hat keine abgeschlossene Ausbildung, wurde jedoch angelernt. Meistens hat er im Bereich „Elektro“ gearbeitet. Derzeit ist er bei der Stadt München in der Wohnungsvermittlung tätig und verdient 1.800 Euro netto. Unterhaltsverpflichtungen hat der Angeklagte gegenüber seinen beiden Töchtern in Höhe von insgesamt 800 Euro im Monat. Schulden trägt er in Höhe von 270 Euro pro Monat – u.a. für einen Autokredit – ab. Seine Miete beträgt 800 Euro. Der Angeklagte hat keine Drogen- oder Alkoholprobleme, hatte jedoch bereits einen Bandscheibenvorfall und leidet an Herzproblemen.
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
II.
Am 10.05.2020 kam es gegen 00:20 Uhr in der gemeinsamen Wohnung der Familie … in der … zunächst zu einem verbalen Streit zwischen dem Angeklagten und seinem Sohn, dem Geschädigten … im Zuge dieses Streits ging der Angeklagte auf den Geschädigten zu und schlug dem Geschädigten mit der Faust in das Gesicht. Hierdurch erlitt der Geschädigte, wie von dem Angeklagten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, Schmerzen und eine Prellung der linken Gesichtshälfte. Anschließend warf der Angeklagte ein mit Münzen gefülltes Glasgefäß in Richtung Wand über den Geschädigten. Dabei traf der Angeklagte nicht den Geschädigten, sondern die Zimmerwand, wodurch das Glas zersprang. Die hierdurch entstandenen Scherben trafen den Geschädigten an linken Unterarm und verursachten eine Schnittwunde, was der Angeklagte zumindest vorhersah und billigend in Kauf nahm. Daraufhin nahm der Angeklagte den Geschädigten in den Schwitzkasten. Als der Geschädigte versuchte, den Angeklagten von sich wegzuschieben, nahm dieser die rechte Hand des Geschädigten und schlug sie gegen die Zimmerwand. Hierdurch erlitt der Geschädigte, wie von dem Angeklagten vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen, Schmerzen, Hautabschürfungen an der Streckseite der Finger sowie eine Mittelhandfraktur an der rechten Hand, aufgrund derer der Geschädigte bereits zweimal operativ behandelt werden musste. Der Geschädigte leidet nach wie vor zeitweise an Schmerzen in der rechten Hand sowie an leichten Bewegungseinschränkungen. Weiter entstand durch die Operationen eine deutlich sichtbare Narbe.
III.
1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben des Angeklagten, sowie dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 05.05.2021.
2. Der Sachverhalt steht fest aufgrund des Geständnisses des Angeklagten, welches gestützt wird durch die in Augenschein genommenen und auszugsweise verlesenen Dokumente sowie die vernommenen Zeugen … und …
Der Angeklagte hat eingeräumt, dem Geschädigten einen Faustschlag versetzt zu haben, die Glasflasche aus Wut nach der vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung in Richtung des Zeugen geworfen zu haben sowie die Hand des Geschädigten gegen die Wand „geschleudert“ zu haben. Es tue ihm leid, dass es soweit gekommen sei.
Der Geschädigte … hat angegeben, es sei zu einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten gekommen, weil er zu spät nach Hause gekommen sei. Dieser sei aufbrausend gewesen, schon zuvor sei es zu Übergriffen gekommen. Der Angeklagte habe ihn in seinem Zimmer zunächst mit Faustschlägen traktiert und sodann, als der Geschädigte auf seinem Bett lag, die Flasche in Richtung des Geschädigten an die Wand geworfen. Hierbei habe er durch Scherben kleine Kratzer sowohl im Gesicht wie auch am Arm erlitten. Sodann habe ihn der Angeklagte auf dem Bett gewürgt und bei seinem Versuch sich zu befreien die Hand an die Wand geschleudert, so dass diese Verletzung entstanden sei. Er sei daraufhin mit seiner Mutter in die Klinik gefahren, wo festgestellt wurde, dass es sich um eine Mittelhandfraktur handele. Diese sei zunächst operativ versorgt worden. Er sei sodann krankgeschrieben gewesen. Über einen längeren Zeitraum habe er Schmerzen gehabt und sei bei seiner Ausbildung als Kfz-Mechatroniker stark beeinträchtigt gewesen, da es sich bei der verletzten Hand um die rechte handelt und er Rechtshänder sei. Nachdem gerade im Winter bei Kälte die Hand immer wieder geschmerzt habe und weiterhin eine Bewegungseinschränkung bestanden habe, habe er diese nochmals untersuchen lassen und es sei zu einer weiteren Operation gekommen, bei der zum einen die eingesetzte Metallplatte entfernt wurde und zum anderen vernarbtes Gewebe behandelt worden sei. Hieran schloss habe sich nochmals eine Arbeitsunfähigkeit an, die seine Ausbildung wiederum stark beeinträchtigt habe. Mittlerweile sei jedoch eine Besserung zu erkennen. Es sei derzeit nurmehr eine minimale Bewegungseinschränkung beim Bilden einer Faust vorhanden, Schmerzen würden sich lediglich noch nach einseitiger, über mehrere Stunden dauernder Belastung der Hand einstellen.
Der Zeuge … Chefarzt der Unfallchirurgie beim Krankenhaus Neuperlach, in dem der Geschädigte die Erstversorgung sowie die erste Operation hat vornehmen lassen, hat anhand des ärztlichen Berichts Schmerzen an der Hand und im Gesicht sowie Schnitte am linken Unterarm bestätigt. Weiter sei eine Fraktur des Mittelhandknochens festgestellt, geschient und in der Folge am 12.05.2020 operiert worden unter Einsetzen einer kleinen Platte. Bei einer Nachsorge am 09.06.2020 sei alles als normal bekundet worden.
Die Zeugin … die behandelnde Ärztin im Frühling 2021, hat angegeben, im Rahmen der Vorstellung des Geschädigten … bei ihr im Klinikum Rechts der Isar im April 2021 habe dieser Schmerzen angegeben, bei einer klinischen Untersuchung sei dies bestätigt worden, der Nerv sei gereizt gewesen. Es habe daraufhin am 30.04.2021 ein Eingriff stattgefunden, bei dem der Nerv unter der Narbe gefunden werden konnte und aus dem Narbengewebe befreit worden sei, weiter seien die Sehnen befreit worden, die im Narbengewebe verwachsen gewesen seien, sowie die Platte und die Schrauben entfernt worden. Im Rahmen der Beweglichkeitstestung habe der Faustgriff durchgeführt werden können. Der Geschädigte habe einen Wechselkatheder erhalten, um Schmerzen auszuschalten, damit die Hand beweglich bleibt und es nicht wieder zur Narbenbildung kommt. Bei Entlassung sei weiter ein Faustschluss möglich gewesen. Am 14.05.2021 sei bei einem Kollegen festgestellt worden, dass die Wunde verheilt sei und das Gefühl in Ordnung sei. Narbenprozesse können sich innerhalb eines Jahres noch verändem, regelmäßig träten Veränderungen jedoch in den ersten 3 Monaten ein. Auf Vorhalt des Röntgenbildes vom Vorjahr und der Frage, ob die Verletzung damit vereinbar sei, dass jemand die Hand mit dem Handrücken gegen die Wand geschlagen habe bzw. mit einem eigenem Schlag gegen die Wand mit geschlossener Hand, hat die Zeugin ausgeführt, bei letzterem würde sie einen anderen Bruch vermuten, da würde sie primär daran denken, dass der 5. Mittelhandknochen breche. Bei der vorliegenden Fraktur würde man als erstes nicht an eine Boxerfraktur denken. Auszuschließen sei es jedoch nicht.
Die Angaben der Zeugen … und … waren nachvollziehabr und glaubwürdig. Diese haben jeweils anhand der medizinischen Unterlagen nachvollziehbar beschrieben, was sie hieraus beurteilen können, bei Unsicherheiten auch darauf hingewiesen.
Auch die Angaben des Zeugen und Geschädigten … soweit sie sich auf den hier abgeurteilten Sachverhalt bezogen, waren glaubwürdig. Zwar hatte das Gericht im Laufe der Verhandlung den Eindruck, dass dieser den Vorfall durchaus blumig und zu Übertreibungen neigend schildert, hier sieht das Gericht jedoch die persönliche Betroffenheit des Zeugen und das Verschwimmen der Erinnerung über einen längeren Zeitraum.
Soweit es hier zur Aburteilung kam, waren jedoch die Angaben nachvollziehbar, wirkten auf das Gericht erlebnisbasiert und wurden letztendlich auch durch das Geständnis des Angeklagten bestätigt und die seitens der Ärzte dokumentierten Verletzungsfolgen bestätigt.
Die Sachverständige … hat im Rahmen ihres mündlichen Gutachtens erläutert, dass die Schilderungen des Würgens in eine Art Schwitzkasten keine das Leben gefährdende Behandlung darstelle, dass das Hämatom, wie es im Arztbrief auf Bl. 23 d.A. mit einer Prellung beschrieben wird, durch eine stumpfe Gewalteinwirkung wie einem Faustschlag zu erklären sei, die dokumentierten oberflächlichen Wundverletzungen am linken Oberarm durch herumfliegende Glassplitter entstanden sein können, vor allem als oberflächliche Verletzungen. Die Handverletzung, wie sie dokumentiert wurde i.V.m. Hautabschürfungen an der Streckseite der Finger sprächen dafür, dass der Handrücken gegen die Wand geschlagen worden sei. Auch die Sachverständige würde beim Boxen gegen die Wand durch den Geschädigten selbst eine andere Fraktur erwarten, eine Vereinbarung mit der Beschreibung des Geschädigten hielt sie für vereinbart.
Das Gericht folgt den äußerst glaubwürdigen und fundierten Ausführungen der Sachverständigen … die diese insbesondere auch an den Arztberichten festgemacht hat.
Es wurde eine Verständigung gem. § 257 c StPO getroffen. Danach wurde dem Angeklagten für den Fall eines vollumfänglichen Geständnisses als Strafrahmen 8-12 Monate Freiheitsstrafe mit Bewährung in Aussicht gestellt mit der Bewährungsauflage, Schmerzensgeld/Schadenwiedergutmachung in Höhe von 4.320 Euro in Raten á 120 Euro pro Monat auf eine Bewährungszeit von 3 Jahren zu zahlen, unter Berücksichtigung eines entsprechenden zu schließenden Vergleiches zu Schmerzensgeld und Schadenswiedergutmachung samt enthaltender Abgeltungsklausel.
IV.
Der Angeklagte war daher der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 StGB schuldig zu sprechen.
V.
Zugunsten des Angeklagten war zunächst das in der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis zu berücksichtigen. Weiter war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte hier in seinem letzten Wort dem geschädigten Sohn … alles Gute gewünscht hat, hierin war für das Gericht Reue erkennbar war. Darüber hinaus war zu sehen, dass der Angeklagte bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war und im Rahmen des Verfahrens etwa 5 Wochen unter den Bedingungen der Coronapandemie in Untersuchungshaft verbracht hat. Darüber hinaus konnte berücksichtigt werden, dass im Rahmen der Hauptverhandlung ein unwiderruflicher Vergleich zu Schmerzensgeld und Schadenswiedergutmachung geschlossen wurde.
Zu Lasten des Angeklagten war jedoch zu sehen, dass die Verletzungsfolgen für den Geschädigten erheblich waren. Der Geschädigte musste sich zweimal einer Operation unterziehen. Er hat über einen nicht unerheblichen Zeitraum unter Schmerzen gelitten, auch Krankschreibungen haben seine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker, die er über den gesamten Zeitraum seit der Tat ausübt, massiv beeinträchtigt, insbesondere weil er als Kfz-Mechatroniker mit den Händen arbeitet. Weiter war zu sehen, dass am Handrücken eine deutlich sichtbare Narbe verbleibt. Darüber hinaus war zu Lasten des Angeklagten zu sehen, dass hier ein verbaler Streit extrem eskaliert ist, insbesondere das Tatgeschehen aus mehreren Einzelakten, insbesondere auch einem Faustschlag ins Gesicht sowie dem Stoßen der Hand an die Wand mit der ganz erheblichen Verletzungsfolge, bestand.
Unter Berücksichtigung der genannten Strafzumessungsgesichtspunkte hielt das Gericht eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten für tat- und schuldangemessen.
Die Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, da dem Angeklagten eine positive Sozialprognose gestellt werden kann. Der Angeklagte hat eine feste Arbeitsstelle, eine neue Lebensgefährtin. Er hat einen neuen, festen Wohnsitz und wohnt gerade nicht mehr in der ursprünglichen gemeinsamen Familienwohnung, in der sich auch das Tatgeschehen zugetragen hat. Darüber hinaus hat er bereits die Untersuchungshaft einen deutlichen Hafteindruck gewonnen und es ist, nachdem es sich um die erste Verurteilung des Angeklagten handelt, auch zu unterstellen, dass bereits die Hauptverhandlung Eindruck auf ihn gemacht hat.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 StPO.


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