Strafrecht

Verwertbarkeit einer Blutprobe – Richtervorbehalt

Aktenzeichen  RO 8 K 17.976

Datum:
21.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 141766
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1
Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV
StPO § 81a

 

Leitsatz

1 Ob das Ergebnis der Untersuchung einer Blutprobe, die unter Verstoß gegen den sich aus § 81a Abs. 2 StPO ergebenden Richtervorbehalt gewonnen wurde, in einem fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungsverfahren herangezogen werden darf, beantwortet sich unabhängig davon, ob dieses Untersuchungsergebnis im konkreten Fall nach strafprozessualen Grundsätzen einem Verwertungsverbot unterliegt. Im präventiven Bereich der Fahrerlaubnisentziehung gibt es ein den strafprozessualen Regelungen entsprechendes Beweisverwertungsverbot nicht.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Allerdings dürfen auch im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren solche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, die unter Missachtung fundamentaler Rechtsgrundsätze gewonnen wurden. Eine ohne Einschaltung eines Richters angeordnete Blutentnahme ist daher dann verwertbar, wenn auf der Hand liegt, dass der Richter einem solchen Eingriff die Genehmigung hätte nicht versagen können (Anschluss BayVGH BeckRS 2010, 48355; BeckRS 2012, 52550). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts Cham vom 12.5.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) ist rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 StVG i.V.m.
§ 46 Abs. 1 FeV. Danach ist ohne Ermessenspielraum die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann der Fall, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegt und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.
Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt beim Konsum von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung, unabhängig von der Höhe der nachgewiesenen Betäubungsmittelkonzentration, unabhängig von einer Straßenverkehrsteilnahme im berauschten Zustand und unabhängig davon, ob konkrete Ausfallerscheinungen im Sinne von Fahruntüchtigkeit beim Betroffenen zu verzeichnen waren. Dementsprechend ist die Fahrerlaubnisentziehung nach der Regelvermutung von Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig die Einnahme eines Betäubungsmittels nachgewiesen wurde (st. Rspr. des BayVGH: vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2009 – 11 CS 09.85 m.w.N.; BayVGH, B.v. 14.2.2012 – 11 CS 12.28; BayVGH, B.v. 31.5.2012 – 11 CS 12.807 u.a.). Mit den Auswirkungen von Cannabiskonsum auf die Fahreignung befasst sich Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV. Gemäß Nr. 9.2.1 fehlt bei der regelmäßigen Einnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis besteht nach Nr. 9.2.2 die Fahreignung des Betroffenen nur dann, wenn der Cannabiskonsum vom Fahren getrennt wird (Trennungsgebot), kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfindet und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Nach der Nr. 3 der Vorbemerkungen zu dieser Anlage gelten diese Bewertungen für den Regelfall.
b) Der Kläger hat sich nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, da er nachweislich harte Drogen im Sinne von Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV konsumiert hat:
aa) Ausweislich des Gutachtens vom 29.3.2017 hat der Kläger Amphetamin konsumiert. Dass daneben auch ein Führen von Kraftfahrzeugen unter Cannabiseinfluss vorlag, bedarf hier keiner Vertiefung mehr. Amphetamin ist ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes – BtMG (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG, Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG).
bb) Die Ergebnisse der Blutprobenuntersuchung sind hier auch verwertbar.
Eine richterliche Anordnung nach § 81a StPO ist zwar hinsichtlich der Blutentnahme nicht ergangen. Der zuständige Polizeibeamte hat nach telefonischer Auskunft vom 5.7.2017 erklärt, er habe nach dem positiven Drogenvortest wegen Gefahr im Verzug darauf verzichtet, eine richterliche Anordnung einzuholen. Selbst wenn man davon ausginge, dass ein strafprozessuales Verbot der Verwertung der Blutprobe besteht, weil eine Einwilligung des Klägers nicht vorlag und die Entnahme der Blutprobe nicht durch einen Richter angeordnet worden war, könnte das toxikologische Gutachten hier herangezogen werden. Denn die Frage, ob das Ergebnis der Untersuchung einer Blutprobe, die unter Verstoß gegen den sich aus § 81a Abs. 2 StPO ergebenden Richtervorbehalt gewonnen wurde, in einem fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungsverfahren herangezogen werden darf, beantwortet sich nach der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs unabhängig davon, ob dieses Untersuchungsergebnis im konkreten Fall nach strafprozessualen Grundsätzen einem Verwertungsverbot unterliegt. Im präventiven Bereich der Fahrerlaubnisentziehung gibt es ein den strafprozessualen Regelungen entsprechendes Beweisverwertungsverbot nicht. Allerdings dürfen auch im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren solche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, die unter Missachtung fundamentaler Rechtsgrundsätze gewonnen wurden. Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass auch eine ohne Einschaltung eines Richters angeordnete Blutentnahme auf die Verwertbarkeit des Ergebnisses der Blutanalyse jedenfalls dann ohne Einfluss ist, wenn auf der Hand liegt, dass der Richter einem solchen Eingriff die Genehmigung hätte nicht versagen können (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2010 – 11 CS 09.1443 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 9.5.2012 – 11 ZB 12.614 – juris Rn. 4). So verhält es sich aber hier, nachdem beim Kläger ein Drogenvortest positiv hinsichtlich verschiedener Betäubungsmittel war, so dass der dringende Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG gegeben war. Das Gericht hält an dieser bisher herrschenden Rechtsprechung fest. Es sieht sich insbesondere nicht durch das Obiter dictum im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.6.2014 veranlasst, von einem Verwertungsverbot auszugehen (so etwa auch OVG Münster, B. v. 26.9.2016 – 16 B 685/16).
cc) Damit steht fest, dass der Kläger nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt bei feststehender Nichteignung die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Die normative Wertung von Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfaltet eine strikte Bindungswirkung für die Fahrerlaubnisentziehung, solange keine Umstände des Einzelfalls vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ausnahmen von der Regelvermutung der Anlage 4 zur FeV sind nur dann anzuerkennen, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft werden in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und – umstellungen genannt, durch die z.B. eine Kompensation drogenbedingter Einschränkungen erfolgen kann. Es obliegt dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2007 – 11 CS 06.2028). Solche Umstände wurden weder dargetan noch sind sie sonst ersichtlich. Vielmehr belegt auch der sonstige Akteninhalt eine Neigung des Klägers zum Drogenkonsum. Im Zusammenhang mit dem Auffinden von Cannabisprodukten am 4.9.2012 und am 12.9.2016 hat er entsprechenden Konsum auch eingeräumt. Wirtschaftliche Nachteile infolge der Entziehung der Fahrerlaubnis, einschließlich des Verlustes des Arbeitsplatzes, haben gegenüber dem öffentlichen Interesse keine Bedeutung; Billigkeitserwägungen können nicht entgegengesetzt werden.
dd) Gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV kann frühestens nach einem Jahr nachgewiesener Abstinenz von einer Wiedererlangung der Fahreignung ausgegangen werden. Damit der Betroffene nach Ablauf der Jahresfrist nicht alsbald wieder in ein früheres, rechtswidriges und gefahrenträchtiges Konsumverhalten zurückfällt, setzt die Wiedererlangung der Fahreignung darüber hinaus die Prognose voraus, dass die Verhaltensänderung von Dauer ist. Das lässt sich nur bejahen, wenn zu einer positiven Veränderung der körperlichen Befunde ein stabiler, tief greifender Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (so die Begründung zu Abschnitt 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung). Das erfordert – gegebenenfalls neben ärztlichen Feststellungen – eine psychologische Bewertung (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526).
2. Die Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheids) ist ebenfalls rechtmäßig. Denn nach § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG erlischt mit der Entziehung die Fahrerlaubnis und nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG ist nach der Entziehung der Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern.
3. Schließlich begegnet auch die auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwVZG beruhende Zwangsgeldandrohung keinen rechtlichen Bedenken.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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