Strafrecht

Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  5 Qs 23/18

Datum:
4.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 37287
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 69 Abs. 2 Nr. 3
StPO § 111a

 

Leitsatz

Ein bedeutender Fremdschaden im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt unter Berücksichtigung der Entwicklung der Einkommen und Kosten für die Beseitigung der Unfallfolgen ab einem Schaden von 2.500,- € netto vor. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 Cs 702 Js 100126/18 2018-01-19 Bes AGNEUSTADTADAISCH AG Neustadt a.d. Aisch

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 19.01.2018, Az. 4 Cs 702 Js 100126/18, aufgehoben.
2. Der Führerschein ist an den Angeklagten herauszugeben.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth legt dem Angeklagten zur Last am 03.12.2017 gegen 19.10 Uhr mit dem Pkw Opel Astra, … auf der N. Straße in Mü. gefahren zu sein und auf Höhe der Hausnummer 10 infolge der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt einen Unfall verursacht zu haben Aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit bei schneebedeckter Fahrbahn und der Tatsache, dass der Pkw mit Sommerreifen ausgestattet war, soll er in einer Linkskurve in gerader Richtung von der Fahrbahn abgekommen und gegen eine Mauer der Gemeinde Mü. gestoßen sein. An der Mauer sei ein Sachschaden in Höhe von 2.394,00 Euro netto entstanden. Der Angeklagte habe den Unfall bemerkt und erkannt beziehungsweise damit gerechtnet, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden war. Er habe die Unfallstelle verlassen, bevor er eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hätte, ohne dass jemand bereit war, zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Durch die Tat habe er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.
Das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch erließ am 19.01.2018 auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Strafbefehl und entzog dem Angeklagten mit Beschluss vom gleichen Tag vorläufig die Fahrerlaubnis. Hiergegen legte der Verteidiger des Angeklagten am 08.03.2018 Beschwerde ein. Der Führerschein wurde am 27.02.2018 sichergestellt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Verteidigung hat ihre Beschwerde am 19.05.2018 damit begründet, dass der Angeklagte am nächsten Morgen den Bürgermeister von Mü. kontaktieren wollte. Seine Beifahrerin … stamme selbst aus diesem Ort und würde den Bürgermeister kennen Bei einer umfassenden Würdigung der mutmaßlichen Tat und Täterpersönlichkeit bestehe keine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagten wegen der Anlasstat ungeeignet zum Führen eines Kfz sei. Die Kollision habe sich an einem Sonntagabend bei plötzlich einsetzenden Schneefall ereignet und nicht unmittelbar auf einer Verkehrsfläche ereignet. Andere Verkehrsteilnehmer seien nicht gefährdet wurden. Der Angeklagte habe tatsachlich nicht erkennen können, dass der an der Begrenzungsmauer eingetretene Schaden in den nunmehr festgestellten Umfang entstanden sei. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass der Angeklagte tatsächlich die Absicht hatte, die Gemeinde am nächsten Morgen zu informieren, so dass bei einer Gesamtwürdigung all dieser Umstände eine Ausnahme vom Regelfall des § 69 Abs. 2 StGB bejaht werden könnte.
2. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach § 111 a StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig nur dann entzogen werden, wenn sich aus der vorgeworfenen Tat auch ergibt, dass er Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (§ 69 StGB). Dringende Gründe für den endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis liegen vor, wenn dieser in hohem Maße wahrscheinlich ist. Dies ist der Fall, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für die körperliche oder charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen besteht Dies ist derzeit nicht der Fall.
a) Der Angeklagte ist derzeit nicht dringend verdächtig ist, einen Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklicht zu haben. Zwar besteht momentan ein dringender Tatverdacht der Unfallflucht (§ 142 Abs. 1 StGB) aufgrund der Angaben der Zeugen … sowie den Angaben des Angeklagten in der Beschwerdebegründung. Durch den Unfall wurde jedoch kein bedeutender Fremdschaden an der Gemeindemauer verursacht.
Ein bedeutender Fremdschaden liegt ab einem Betrag von 2.500 Euro (netto). Die Kammer hat die Änderung von § 44 Abs. 1 StGB und damit die seit dem 24.08.2017 geschaffene Möglichkeit der Verhängung von Fahrverboten von bis zu sechs anstelle von drei Monaten zum Anlass genommen, ihre Rechtsprechung zum Begriff des bedeutenden Fremdschadens zu ändern (bisher 1.800 Euro, vgl. z.B. Beschluss v. 11.04.2008, Az. 5 Qs 61/2008). Im Hinblick auf die in § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angeordnete Gleichsetzung des bedeutenden Fremdschadens mit der Tötung bzw. nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zehn Jahren andererseits hat die Kammer im Interesse der Rechtssicherheit eine großzügige Anpassung der Wertgrenze nach oben vorgenommen. Die Kammer hat dabei die Entwicklung der Einkommen und der Kosten für die Beseitigung der Folgen von Verkehrsunfällen berücksichtigt und sich an einer groben Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert. Ein exakte Ermittlung der Kostenentwicklung bei der Beseitigung von Unfallfolgen ist nicht zuletzt wegen der Vielfältigkeit der Unfallszenarien von geringer Aussagekraft. Die Kammer hat deswegen davon abgesehen anhand von einem Musterunfallgeschehen auf eine insoweit singuläre Kostenentwicklung abzustellen (vgl. aber zu diesem Ansatz, LG Frankfurt am Main, Beschluss v. 13.05.2008, Az. 5/9a Qs 5/08). Die Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen sind allein in den Jahren von 2010 bis 2016 um 11,6 % angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindex für Deutschland, Klassifikation CC 0723). Im gleichen Zeitraum steigerte sich der Reallohnindex lediglich um 7,8 % (vgl. Statistisches Bundesamt, Verdienste und Arbeitskosten, Reallohnindex und Nominallohnindex, 4. Vierteljahr 2017). Auch im Bereich der Bergungs- und Abschleppkosten ist es zu deutlichen Preissteigerungen gekommen. So sind beispielsweise die Preise für ein Standard-Bergungsfahrzeug zum Abtransport von liegen gebliebenen Pkws bis 7,49 t zwischen den Jahren 2006 und 2016 um 35,5 % angestiegen (vgl. VBA, Preis- und Strukturumfrage im Bergungs- und Abschleppgewerbe, Ergebnisse 2006 sowie 2016). Eine großzügige Anpassung der Wertgrenze war im Interesse der Rechtssicherheit geboten, um eine wiederholte Anpassung um kleinere Beträge in kürzeren Zeitabständen möglichst zu vermeiden.
Nachdem der vorliegend eingetretene Schaden mit 2.394,00 Euro netto an der Gemeindemauer unterhalb dieses Betrages liegt, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Angeklagte wusste oder hätte wissen können, dass ein Schaden in dieser Höhe eingetreten ist.
b) Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass der Angeklagte aus anderen Gründen zur Führung von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 StPO.


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