Strafrecht

Widerruf, Strafaussetzung, Staatsanwaltschaft, Arbeit, Frist, Arbeitsleistung, Auflagen, Auskunft, Fristablauf, Widerrufsverfahren, Auflage, dritte, Geldauflage, Zeitpunkt, Widerruf der Strafaussetzung

Aktenzeichen  12 Qs 22/22

Datum:
25.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8324
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 56f
StPO § 453 Abs. 1 Satz 4

 

Leitsatz

Hat das Gericht im Widerrufsverfahren gem. § 56f StGB dem Verurteilten im Anhörungstermin wegen unzureichender Erfüllung der Arbeits-/Zahlungsauflage eine weitere Leistungsfrist gesetzt, kann es nach fruchtlosem Fristablauf nicht ohne erneute mündliche Anhörung über den Widerruf entscheiden.

Verfahrensgang

BwR 403 Ds 803 Js 23931/20 2022-03-30 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.03.2022 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das Amtsgericht Nürnberg zurückverwiesen.

Gründe

I.
Am 10. November 2020 verurteilte das Amtsgericht Nürnberg den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten und setzte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Das Urteil ist seit 18. November 2020 rechtskräftig. Die Frist zur Bewährung setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 10. November 2020 auf drei Jahre von der Rechtskraft des Urteils an fest und erteilte dem Verurteilten die Auflage, eine Zahlung in Höhe von 1.000 € zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu leisten oder 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit nach näherer Weisung des T e.V. zu erbringen.
Das Amtsgericht forderte den Verurteilten mit Schreiben vom 23. November 2020 auf, die Geldauflage zu zahlen oder ab 15. Dezember 2020 die Arbeitsauflage zu erfüllen. Mit Schreiben vom 24. März 2021 teilte der T e.V. mit, der Verurteilte habe bislang lediglich 15,25 Stunden Arbeit geleistet. Der Verurteilte sei krank und unzuverlässig gewesen. Eine Neuvermittlung durch den T e.V. erfolgte zum 13. Juli 2021. Nach Auskunft des T e.V. vom 9. September 2021 trat der Verurteilte die Arbeit nicht an. Er sei am 30. August 2021 schriftlich hierzu aufgefordert worden. Das Amtsgericht stellte dem Verurteilten das Schreiben des T e.V. vom 9. September 2021 am 17. September 2021 zu und drohte den Bewährungswiderruf an. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2021 teilte der T e.V. mit, der Verurteilte habe nun 50,75 Arbeitsstunden abgeleistet und sei kurz davor, auch seine dritte Einsatzstelle wieder zu verlieren. Mit Verfügung vom 30. Dezember 2021 bestimmte das Amtsgericht einen Anhörungstermin auf den 25. Januar 2022, wies den Verurteilten erneut auf den drohenden Bewährungswiderruf hin und legte dem Verurteilten nahe, bis zur Anhörung die noch offenen 49,25 Arbeitsstunden abzuleisten oder alternativ an den Leistungsempfänger die Restsumme von 492,50 € zu bezahlen. Im Anhörungstermin äußerte der Verurteilte, er habe noch 12 Arbeitsstunden abzuleisten. Das Amtsgericht Nürnberg verlängerte die Frist zur Erbringung der restlichen Arbeitsauflage mit Beschluss vom 25. Januar 2022 bis 15. Februar 2022. Mit Schreiben vom 23. März 2022 teilte der T e.V. mit, der Verurteilte habe insgesamt 82,75 Arbeitsstunden abgeleistet und komme seiner Auflage nicht mehr nach. Das Amtsgericht Nürnberg hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth die Strafaussetzung zur Bewährung mit Beschluss vom 30. März 2022 widerrufen. Von einer erneuten Anhörung des Verurteilten hat es mit der Begründung abgesehen, der Verurteilte habe bereits im Anhörungstermin am 25. Januar 2022 rechtliches Gehör erhalten.
Gegen den dem Verurteilten am 7. April 2022 zugestellten Beschluss hat dieser am 13. April 2022 zu Protokoll der Geschäftsstelle sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung ein Schreiben vom 11. April 2022 sowie eine Sterbeurkunde übergeben. Zur Begründung seiner sofortigen Beschwerde führt er aus, er werde die ausstehenden Arbeitsstunden noch diese Woche ableiste. Er habe sehr große gesundheitliche und private Probleme gehabt. Zudem sei seine Mutter am 18. Februar 2022 verstorben.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) und auch im Übrigen zulässig. Auch in der Sache hat sie jedenfalls vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
1. Nach § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO soll das Gericht dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben, wenn es über den Widerruf der Strafaussetzung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden hat. Die Sollvorschrift ist dahingehend zu verstehen, dass die Anhörung zwingend ist, wenn sie eine weitere Aufklärung verspricht oder wenn ihr keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 453 Rn. 7). Das Gesetz will damit verhindern, dass schwerwiegende Widerrufsentscheidungen ohne zureichende Tatsachengrundlage ergehen. Vorliegend standen der Anhörung keine schwerwiegenden Gründe entgegen. Auch war für das Amtsgericht nicht ersichtlich, dass eine Anhörung vorliegend keine weitere Aufklärung versprochen hätte. Zwar hat das Amtsgericht dem Verurteilten bereits im Rahmen des Anhörungstermins am 25. Januar 2021 Gelegenheit zur Äußerung gegeben und den Widerruf der Bewährung angedroht, jedoch hat es nach Anhörung des Verurteilten die Frist zur Erbringung der Arbeitsleistung nochmals verlängert. Insoweit war für die Frage, ob der Verurteilte vorliegend gröblich und beharrlich gegen Auflagen verstoßen hat, jedenfalls auch die Nichterfüllung der Auflagen innerhalb dieser verlängerten Frist maßgeblich (OLG Jena, Beschluss vom 15. Februar 2008 – 1 Ws 49/08, juris). Das Amtsgericht hätte den Verurteilten daher erneut anhören müssen, da es zu dem Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung nicht ausschließen konnte, dass der Verurteilte beachtenswerte Gründe für die Nichterfüllung innerhalb der Fristverlängerung gehabt hat (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 19. November 2010 – 2 Ws 743/10, 744/10, juris zur fehlenden erneuten Anhörung nach Verlängerung einer Frist zur Erfüllung einer Zahlungsauflage durch das Erstgericht).
2. Die unterbliebene Anhörung des Verurteilten kann auch nicht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nachgeholt werden, sondern führt als schwerwiegender Verfahrensmangel zur Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung an das Amtsgericht, da das Amtsgericht eine im vorliegenden Fall zwingend vorgeschriebene Anhörung unterlassen hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 309 Rn. 8 und § 453 Rn. 15; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15. Dezember 2008 – 1 Ws 212/08 und vom 30. August 2018 – 1 Ws 138/18; OLG Köln, Beschluss vom 19. November 2010 – 2 Ws 743/10, 744/10; OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2017 – 2 Ws 38/17, alle in juris).


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