Strafrecht

Wiedererlangung der Fahreignung im Entziehungsverfahren; Einwand unvorsätzlicher Drogeneinnahme

Aktenzeichen  11 CS 16.1542

Datum:
30.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1, 4
FeV FeV § 11 Abs. 7, § 14 Abs. 2 Nr. 2, § 46 Abs. 1, Anlage 4 Nr. 9.1, Anlage 4 Vorbemerkung Nr. 3

 

Leitsatz

Hinsichtlich der Frage eines Drogenkonsums muss sich der Fahrer an den rechtskräftigen Feststellungen im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren festhalten lassen. (redaktioneller Leitsatz)
Aus welcher Motivation der Drogenkonsum stattfand, ist für die Beurteilung der Fahreignung regelmäßig unbeachtlich. Der Einwand, die Substanz bewusst eingenommen zu haben, es sei aber nur nicht bekannt gewesen, um was es sich gehandelt habe, ist daher unerheblich, wenn der Fahrer einräumt, dass er gewusst habe, dass es eine verbotene Substanz gewesen sei. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 S 16.845 2016-07-12 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Pflicht zur Vorlage seines Führerscheins.
Mit Bußgeldbescheid vom 9. Februar 2016, rechtskräftig seit 26. Februar 2016, verhängte das Bayerische Polizeiverwaltungsamt – Zentrale Bußgeldstelle gegen den Antragsteller wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 und 3 StVG ein Bußgeld und ein Fahrverbot von einem Monat. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller am 8. Oktober 2015 mit einer Konzentration von 44,00 ng/ml Amphetamin und 110,00 ng/ml Metamphetamin im Blut mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hatte.
Nach Anhörung entzog ihm das Landratsamt Fürth (im Folgenden: Landratsamt) mit Bescheid vom 6. Mai 2016 die Fahrerlaubnis der Klassen C1E, BE und A (mit Unterklassen) und ordnete die Abgabe des Führerscheins innerhalb von zehn Tagen nach Zustellung des Bescheids sowie dessen sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller sei nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da er harte Drogen konsumiere. Eine einjährige Abstinenz sei nicht nachgewiesen. Nach § 11 Abs. 7 FeV könne ihm daher die Fahrerlaubnis ohne weitere Sachverhaltsaufklärung entzogen werden.
Über die gegen den Bescheid vom 6. Mai 2016 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach noch nicht entschieden (AN 10 K 16.00846). Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2016 abgelehnt. Mit seiner Antragsschrift legte der Antragsteller einen Bericht des Labors Staber vom 9. Mai 2016 vor. Darin wird bestätigt, dass eine am 6. Mai 2016 eingegangene Urinprobe auf Rückstände verschiedener Betäubungsmittel untersucht worden sei. Es seien weder Amphetamine noch andere Drogenrückstände gefunden worden.
Mit seiner gegen den Beschluss vom 12. Juli 2016 erhobenen Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, er habe nicht gewusst, um welche Substanz es sich gehandelt habe, die er am 8. Oktober 2015 auf einer Party eingenommen habe. Es sei ihm aber klar gewesen, dass es sich um etwas Verbotenes handele. Er habe aber nicht bewusst harte Drogen eingenommen, sondern es hätte sich auch um ein Cannabisprodukt handeln können. In Zukunft lasse er sich nicht mehr hinreißen, solche Substanzen einzunehmen. Das Verwaltungsgericht habe sich mit der unbewussten Aufnahme einer harten Droge, dem Vorliegen eines Ausnahmefalls nach Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV und der Drogenabstinenz nicht hinreichend auseinandergesetzt. Er sei durch die Geldbuße und das Fahrverbot hinreichend beeindruckt. Er verliere seinen Arbeitsplatz, wenn er über keine Fahrerlaubnis mehr verfüge. Im Übrigen werde auf die Darlegungen in der Anhörung und in der Antragsschrift verwiesen. Er legte eine weitere negative Urinanalyse des Labors Staber vom 9. August 2016 vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt, ist im Regelfall zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (§ 11 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Anlage 4 Nr. 9.1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 18.12.2010 [BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Verordnung vom 2.10.2015 [BGBl I S. 1674]). Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis (§ 46 Abs. 6 Satz 1 FeV).
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch betäubungsmittelabhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin Betäubungsmittel einnimmt. Die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens unterbleibt allerdings, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (§ 11 Abs. 7 FeV).
Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Antragsteller am 8. Oktober 2015 Amphetamine eingenommen hat, denn er muss sich an dem im rechtskräftigen Bußgeldverfahren festgestellten Sachverhalt und der Beurteilung der Schuldfrage festhalten lassen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2016, § 3 StVG Rn. 26). Der Bußgeldbescheid vom 9. Februar 2016 ist am 26. Februar 2016 rechtskräftig geworden und basiert darauf, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Amphetaminen mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat. Aus welcher Motivation heraus ein solcher Konsum erfolgt, bleibt regelmäßig außer Betracht. Der Antragsteller hat auch nicht geltend gemacht, dass ihm die konsumierte Substanz ohne sein Wissen verabreicht worden sei (vgl. zu den Voraussetzungen der Darlegung eines unwissentlichen Konsums BayVGH, B. v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – ZfSch 2016, 175 = juris Rn. 12). Er hat ausgeführt, er habe die Substanz bewusst eingenommen, es sei ihm nur nicht bekannt gewesen, um was es sich gehandelt habe. Er habe aber gewusst, dass es eine verbotene Substanz gewesen sei. Unabhängig davon, ob dieser Vortrag überhaupt glaubhaft ist, musste er damit rechnen, dass es sich um ein Betäubungsmittel handelte und hat dies offensichtlich in Kauf genommen.
Dass bei dem Antragsteller ein Ausnahmefall vorliegen könnte und deshalb vom Landratsamt eine medizinisch-psychologische Untersuchung angeordnet werden musste, ist nicht ersichtlich. Nach Satz 2 der Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV kann eine Person, bei der einer der in der Anlage 4 aufgeführten Verlusttatbestände eingetreten ist und die die Voraussetzungen für die Wiedererlangung der Fahreignung nicht erfüllt, ausnahmsweise dann als fahrgeeignet anzusehen sein, wenn bei ihr eine besondere Veranlagung, Einstellung, Verhaltenssteuerung oder Verhaltensumstellung vorliegt oder Gewöhnung eingetreten ist. Hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls hat der Antragsteller nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller meint, es liege ein Ausnahmefall vor, weil er durch das Bußgeldverfahren beeindruckt worden sei und der Verlust seines Arbeitsplatzes drohe, verkennt er die Voraussetzungen für die Annahme einer Ausnahme nach Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV.
Das Landratsamt war auch nicht gehalten, zur weiteren Aufklärung eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV anzuordnen. Grundsätzlich ist im Entziehungsverfahren zwar zu berücksichtigen, ob die Kraftfahreignung wieder hergestellt ist. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 6. Mai 2016 hatte der Antragsteller die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aber offensichtlich noch nicht wiedererlangt und Aufklärungsmaßnahmen waren nicht veranlasst. Nach Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Begutachtungsleitlinien – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, gültig ab 1.5.2014, zuletzt geändert durch Erlass des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 3.3.2016 [VkBl 2016, 185]) können die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Drogenkonsum erst wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Nachweis geführt wird, dass kein Konsum mehr besteht. Bei Anwendung der mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 27. Januar 2014 (VkBl 2014, 132) als aktuellen Stand der Wissenschaft eingeführten 3. Auflage von „Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien“ (Beurteilungskriterien – Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP)/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM), 3. Auflage 2013) war zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses aber eine positive Begutachtung ausgeschlossen. Danach ist bei einer Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik nach dem Kriterium D 3.4 N der Beurteilungskriterien (S. 190) die Wiedererlangung der Fahreignung frühestens nach einem durch die Ergebnisse geeigneter polytoxikologischer Urin- oder Haaranalysen bestätigten Drogenverzicht von mindestens sechs Monaten (Nr. 1 des Kriteriums D 3.4 N) und zahlreichen weiteren Voraussetzungen möglich. Bei einer fortgeschrittenen Drogenproblematik ist nach Nr. 4 des Kriteriums D 2.4 N (S. 184) in der Regel erst nach einem Jahr nachgewiesener Drogenabstinenz und weiteren Voraussetzungen eine positive Begutachtung zu erwarten. Der Antragsteller hatte zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses den behaupteten Drogenverzicht nicht durch geeignete polytoxikologische Urin- oder Haaranalysen nachgewiesen.
Für die Anordnung eines Abstinenzprogramms war ebenfalls kein Raum, da der Antragsteller schon keine einjährige Drogenabstinenz behauptet hat und darüber hinaus auch noch Umstände hinzutreten müssten, die diese Behauptung glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 20.7.2016 -11 CS 16.1157 – juris m. w. N.). Der Antragsteller hat aber erstmals nach Bescheiderlass eine negative Urinanalyse beigebracht.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).


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