Strafrecht

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (abgelehnt), Vollzugsinteresse bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung, Wiederholungsgefahr, Herkunftsland Türkei

Aktenzeichen  2 S 21.6462

Datum:
1.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3857
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
AufenthG § 53 Abs. 1
AufenthG § 53 Abs. 3
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 55 Abs. 1 Nr. 1
ARB 1/80 Art. 7
ARB 1/80 Art. 14

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen seine Ausweisung.
Der am … geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde in M. geboren und wuchs mit zwei jüngeren Geschwistern bei seinen Eltern auf. Der Vater ist … und wurde im Jahr 2000 eingebürgert. Die Mutter arbeitet als … und … Unterstützung in einem … Nach der Grundschule besuchte der Antragsteller für zwei Jahre die Realschule, dann die Mittelschule, die er ohne Abschluss verließ. Zwischen 2014 und 2017 befand er sich in einer Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik und holte extern den Qualifizierenden Hauptschulabschluss nach. Die Ausbildungsstelle wurde nach dem 3. Lehrjahr wegen Fehlzeiten in der Berufsschule, Zuspätkommens und Arbeitens ohne Sicherheitsschuhe gekündigt. Es folgten verschiedene kurzfristige Festanstellungen als Elektroniker-Helfer für verschiedene Firmen für jeweils ein bis drei Monate. 2017 und 2020 jobbte der Antragsteller im …laden seines Onkels in … Er verdiente ca. 500,00 EUR monatlich. Er hat Kreditschulden in Höhe von ca. 13.000 EUR sowie Schulden aufgrund von Anwalts- und Gerichtskosten.
Dem Antragsteller wurde im Jahr 2000 erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Seit 22. April 2015 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG. Er hat die Rechtsstellung gemäß Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates (ARB 1/80) inne.
Der Antragsteller trat strafrechtlich mehrfach in Erscheinung, u.a. wie folgt:
Am … August 2016 erging eine Ermahnung wegen Betrugs durch die Staatsanwaltschaft ….
Mit Urteil vom … Oktober 2017 des Amtsgerichts … wurde der Antragsteller wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis in vier tatmehrheitlichen Fällen zu zwei Tagen Jungendarrest verurteilt. Außerdem wurde ein Monat Fahrverbot verhängt und es erging eine richterliche Weisung.
Am … April 2018 erging durch das Amtsgericht … eine Geldauflage wegen Geldfälschung in Tateinheit mit Betrug (Bl. 362 ff. der Behördenakte – BA). Außerdem erging eine richterliche Weisung. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Antragsteller sich zwanzig falsche 50-Euro-Scheine von einem Bekannten verschaffte in der Absicht, diese in Verkehr zu bringen. Der Antragsteller sollte den Bekannten an einem etwaig durch Wechselgeld entstehenden Gewinn beteiligen. Drei der gefälschten Scheine benutzte der Antragsteller unter Vorspiegelung der Echtheit der Scheine zur Bezahlung einer Prostituierten. Bei Tatbegehung besaß der Antragsteller die gemäß § 3 JGG erforderliche Reife. Zur Strafzumessung wurde im Urteil ausgeführt, dass der Antragsteller geständig gewesen sei und die Fälschung als solche relativ leicht zu erkennen gewesen sei. Zu Lasten des Antragstellers wurde ausgeführt, er sei einschlägig vorgeahndet gewesen und habe im Rahmen einer tateinheitlichen Begehungsweise mehrere Straftatbestände verwirklicht. Die Tat zum Nachteil der Prostituierten lasse auf Erziehungsmängel schließen. Das Gericht erachtete die Teilnahme an einem Leseprojekt mit 30 Stunden für erzieherisch ausreichend. Außerdem wurde der Antragsteller angewiesen, 2.000,00 EUR Geldauflage in monatlichen Raten von 300,00 EUR zu zahlen. Von der Anordnung eines Arrests wurde abgesehen, weil der Antragsteller nach den verfahrensgegenständlichen Taten am *. Oktober 2017 zu zwei Tagen Jugendarrest verurteilt worden sei, der bereits vollstreckt gewesen sei. In der Hauptverhandlung habe der Antragsteller angegeben, dass der Arrest schlimm gewesen sei. Zu weiteren Straftaten sei es nach Kenntnis des Gerichts nicht gekommen und eine erneute Arrestverhängung daher erzieherisch nicht geboten gewesen.
Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts … vom … Februar 2021 (Bl. 311 ff. BA) wurde der Antragsteller unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts … vom … April 2018 unter Anwendung von Jugendstrafrecht wegen Betrugs in 23 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit versuchtem Betrug in sechs tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit Betrug in 31 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Computerbetrug in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit neun tatmehrheitlichen Fällen des versuchten Computerbetruges in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung in 3 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit falscher Verdächtigung in Tatmehrheit mit Unterschlagung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Entscheidung lagen folgende Sachverhalte zugrunde.
Im September/Oktober 2019 schloss der Antragsteller gemeinsam mit einem Mittäter unter Vorlage von gefälschten Vollmachten und Ausweiskopien sukzessive insgesamt 14 Dienst- und Kaufverträge in fremdem Namen ab. Hierbei gab der Antragsteller an, dass er die Verträge als Dienstleistung für Kunden seiner Firma abschließe. So erlangte der Antragsteller Mobilfunktelefone im Wert von 6.299,18 EUR. Ein weiterer Schaden in Höhe von 6.299,18 EUR wurde verhindert, da der Inhaber des Mobilfunkladens rechtzeitig herausfand, dass tatsächlich keine Vollmacht vorlag.
Im November 2019 erlangte der Antragsteller zusammen mit einem Mittäter ein iPhone (Wert: 1.700 EUR), indem sie gegenüber einem DHL-Boten angaben, zur Entgegennahme der Sendung berechtigt zu sein. Nach gleichgelagerter Vorgehensweise erlangten der Antragsteller und sein Mittäter eine Vielzahl hochwertiger Mobiltelefone.
Vor Mai 2018 schloss der Antragsteller in verschiedenen Mobilfunkshops im Namen und jeweils unter Vorlage gefälschter Handelsregisterauszüge und Gewerbeummeldungen zweier Firmen insgesamt 14 Mobilfunkverträge, Mobilfunkgeräte inbegriffen, ab, wobei er bewusst über die Identität des Vertragspartners täuschte. Die Mobilfunkgeräte wurden an die vom Antragsteller angegebene Adresse verschickt, wo dieser sie in Empfang nahm, ohne die vertraglich geschuldeten Leistungen zu bezahlen. Es entstand ein Schaden in Höhe von 12.285,77 EUR.
Im Juli 2019 schloss der Antragsteller gemeinsam mit einem anderen Mittäter fünf Mobilfunkverträge in dessen Namen ab. Der Antragsteller hatte dem Mittäter zuvor versichert, dass er die Verträge im Nachgang im System des Mobilfunkanbieters ändern würde, sodass nicht mehr nachvollziehbar wäre, wohin die Mobiltelefone versendet würden. Der Antragsteller erlangte die Mobiltelefone, eine Zahlung erfolgte nicht. Es entstand ein Schaden in Höhe von 4.898,20 EUR.
Zwischen Juni und Oktober 2019 verschaffte sich der Antragsteller gemeinsam mit einem anderen Mittäter weitere Mobiltelefone. Der Mittäter schloss unter Zugriff auf beim Mobilfunkanbieter angelegte Kundenprofile drei Mobilfunkverträge ab und ließ die Mobiltelefone an eine Adresse versenden, wo sie vom Antragsteller in Empfang genommen und nicht bezahlt wurden. In weiteren neun Fällen wurde nach dem genannten Tatplan ebenfalls ein Vertragsabschluss vorgenommen, ohne dass jedoch tatsächlich die Auslieferung der Mobiltelefone erfolgte.
Im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens gab der Antragsteller im Februar 2018 an, dass er den Berufsstand „Elektroinstallateur (Geselle)“ bekleide. Er legte eine Ablichtung eines gefälschten Gesellenbriefs vor.
Im Juni 2019 legte der Antragsteller im Rahmen der Anmietung eines Fahrzeugs einen gefälschten „vorläufigen Nachweis der Fahrerlaubnis“ vor, um über seine Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu täuschen. Nach Übergabe des Fahrzeugs fuhr er damit, obwohl er die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß.
Auch am … August 2019 fuhr der Antragsteller ohne die erforderliche Fahrerlaubnis. Als er wegen augenscheinlich überhöhter Geschwindigkeit und stark aufheulendem Motor durch die Polizei kontrolliert wurde, gab er an, dass er keine Dokumente mit sich führe, und gab falsche Personalien an.
Als der Antragsteller am … März 2019 ohne die erforderliche Fahrerlaubnis fuhr und kontrolliert wurde, gab er an, seinen Führerschein zusammen mit seinem Personalausweis und seinem Reisepass verloren zu haben. Er legte eine polizeiliche Verlustanzeige über den Verlust eines Führerscheins, eine Meldebestätigung, einen Auszug aus der Führerscheindatei sowie eine Bescheinigung des türkischen Konsulats vor. Alle Dokumente waren auf einen anderen Namen ausgestellt. Bei der Bescheinigung des türkischen Konsulats war fälschlicherweise ein Foto des Antragstellers hinzugefügt worden.
Im Juli/August 2018 gelangte der Antragsteller unter nicht näher bekannten Umständen an eine Kreditkarte einer fremden Person und nahm sie an sich, um sie zu behalten. Er tätigte 25 Verfügungen zwischen 1,53 EUR 1.319 EUR mit der Karte, obwohl er wusste, dass er nicht zur Nutzung der Karte berechtigt war.
Bis zur Festnahme am 20. Oktober 2020 trat der Antragsteller mit einem Mittäter wiederholt mit Betrugsdelikten in Erscheinung. Dabei verschafften sie sich auf nicht näher bekannte Weise Kenntnis von Bestellungen hochwertiger Mobiltelefone und gaben sich dann jeweils bei deren Auslieferung gegenüber dem Lieferanten als zum Empfang berechtigt aus, um sich den Besitz an den versendeten Mobiltelefonen zu verschaffen. In einem Fall übergab der Lieferant ein Paket, das ein iPhone im Wert von 1.390,55 EUR enthielt. In einem weiteren Fall übergab er das Paket nicht.
Hinsichtlich eines weiteren Sachverhalts zum Fahren ohne Fahrerlaubnis und weiterer Computerbetrugsvorwürfe wurde das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
Im Urteil wird ausgeführt, dass sich der Antragsteller vom 15. November 2019 bis zur 1. Hauptverhandlung am 19. März 2020 in U-Haft befunden habe. Aufgrund der Coronalage sei das Verfahren ausgesetzt und der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt worden. Hieraus habe sich für den Antragsteller die Gelegenheit zur „faktischen Vorbewährung“ ergeben. Dies sei so auch im Rahmen eines Verständigungsgesprächs am 19. März 2020 zwischen Verteidigung, Gericht und Staatsanwaltschaft kommuniziert worden. Wie in diesem Gespräch angekündigt, habe der Antragsteller Aufklärungshilfe im Ermittlungsverfahren gegen einen anderweitig Verfolgten geleistet. Seine Jobsuche sei zunächst aufgrund der Coronapandemie erfolglos geblieben. Er habe sich auf zwei Auszubildendenstellen beworben. Aufgrund der weiteren in das Urteil miteinbezogenen Taten vom … und … Oktober 2020 (Anklage vom 9. Dezember 2020 (Bl. 282 ff. BA)) sei der Antragsteller am 21. Oktober 2020 erneut inhaftiert worden. Seine Bewerbungsverfahren habe er nicht beenden können. Bis zur Hauptverhandlung habe sich der Antragsteller in Untersuchungshaft befunden.
Zur Strafzumessung ist ausgeführt, dass angesichts der Vielzahl der gleichgelagerten, über einen langen Zeitraum begangenen, erheblichen und auch nach längerer U-Haft und der Bewährungsgelegenheit jeweils wieder fortgesetzten Straftaten eine Jugendstrafe zu verhängen gewesen sei. Zugunsten des Antragstellers seien sein vollumfängliches Geständnis sowie seine Aufklärungshilfe im Ermittlungsverfahren gegen einen Mittäter gewürdigt worden. Zu einem Sachverhalt sei er überschießend geständig gewesen. Er habe zweimal jeweils über einen längeren Zeitraum U-Haft verbüßt, wobei die Haftbefehle aufgrund Wiederholungsgefahr „selbstverschuldet“ gewesen seien. Zu Lasten des Antragstellers wurde gewürdigt, dass er mehrfach einschlägig vorgeahndet sei und sich weder die erste längere U-Haft noch die im Frühjahr 2020 verabredete Möglichkeit der „faktischen Vorbewährung“ zur Warnung habe dienen lassen.“
Auch die über den Sommer 2020 installierte intensive pädagogische Weisungsbetreuung habe den Antragsteller nicht zur Rückkehr in die Legalität bewegen können.
Im Rahmen der Anhörung zu einer beabsichtigten Ausweisung teilte der Antragsteller mit Schreiben vom *. September 2021 (Bl. 394 f. BA) mit, er habe aktuell drei Tanten mütterlicherseits sowie einen Onkel und zwei Tanten väterlicherseits in der Türkei. Zu ihnen habe er keinen Kontakt. Seine Oma, die seine einzige Bezugsperson in der Türkei gewesen sei, sei 2020 verstorben. Er verstehe die türkische Sprache gut, seine Aussprache sei eher mangelhaft. Seine aktuellen sozialen Verhältnisse beschränkten sich auf die Familie, insbesondere das Verhältnis zu seiner Tante in A* … sei gut. Er sei für seine Taten verantwortlich, wolle aber ab sofort sein Leben anders gestalten. Er wolle als Gabelstaplerfahrer arbeiten, da er in der Haft den Führerschein hierfür erworben habe, seine Schulden abzahlen und seine Ausbildung als Elektroniker beenden. Außerdem wolle er den Führerschein machen und straffrei bleiben.
Am 6. September 2021 und 29. September berichtete die JVA … über den Antragsteller (Bl. 425 f. und Bl. 429 f. BA), er sei ein ruhiger und sehr umgänglicher Gefangener. Er habe guten Kontakt zu den Mitgefangenen und keine Probleme mit ihnen. Seit 29. März 2021 werde er in der Elektrowerkstatt als Hilfsarbeiter eingesetzt. Beim Zugang habe er angegeben, Geselle zu sein, nach mehrmaliger Nachfrage habe er zugegeben, dass dies nicht wahr sei und er kurz vor der Prüfung inhaftiert worden sei. Eine Fortsetzung der Ausbildung sei sinnvoll, bisher aber nicht zustande gekommen. Disziplinarisch sei er einmal wegen Störung des geordneten Zusammenlebens (Austausch der Namensschilder von zwei Mitgefangenen) in Erscheinung getreten. Für konkrete Therapiemaßnahmen habe sich der Antragsteller nicht beworben und es seien ihm auch keine nahegelegt worden. Es sei noch ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs anhängig. Am 21. September 2021 finde eine Verhandlung u.a. wegen Beleidigung statt. Einer vorzeitigen Entlassung zum 16. September 2021 gemäß § 88 JGG werde entgegengetreten. Aus der Übersicht der Sozialkontakte ergeben sich Besuche der Eltern, des Bruders und einer Tante.
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft … vom … September 2021 (Bl. 427 BA) wurde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der JVA der vorzeitigen Haftentlassung zum Halbstrafenzeitpunkt entgegengetreten. Bei der Staatsanwaltschaft … * sei eine Vielzahl an (insb. Betrugs-)Verfahren im Hinblick auf die Verurteilung nach § 154 StPO eingestellt worden.
Mit Schreiben vom … Oktober 2021 wandte sich der Antragsteller an die Ausländerbehörde mit der Bitte um Zustimmung zu Vollzugslockerungen, um ein Praktikum zu machen, das für eine anschließende Ausbildung Voraussetzung ist.
Am 26. Oktober 2021 berichtete die JVA … über den Antragsteller im Wesentlichen identisch wie im vorangegangenen Bericht vom 6. September 2021. Zusätzlich wird mitgeteilt, dass der Antragsteller die Ausbildung nicht habe beenden wollen, da er auf vorzeitige Entlassung hoffe. Es sei angeklungen, dass er evtl. einen anderen Beruf ergreifen möchte. Es wurde nochmals auf den strafrechtlichen Werdegang mit einer Vielzahl gleichgelagerter Straftaten und der vertanen Bewährungschance hingewiesen und der Vorfall betont, als der Antragsteller zu Beginn seiner Inhaftierung wahrheitswidrig angegeben hatte, Geselle zu sein. Einer vorzeitigen Entlassung nach § 88 JGG wurde entgegengetreten.
Mit Bescheid vom 16. November 2021 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1), ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an und befristete es unter der Bedingung, dass Straffreiheit nachgewiesen wird, auf die Dauer von sechs Jahren ab Ausreise, bei Nichteintritt der Bedingung auf acht Jahre (Nr. 2). Dem Antragsteller wurde angekündigt, dass er nach erfülltem Strafanspruch des Staates aus der Haft in die Türkei abgeschoben werde. Sollte er aus der Haft entlassen werden, bevor die Abschiebung durchgeführt werden könne, sei der Antragsteller verpflichtet, das Bundesgebiet bis spätestens vier Wochen nach Entlassung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4). Zur Begründung des auf § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG gestützten Bescheids wurde angeführt, das Verhalten des Antragstellers stelle gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Es wurden die Ausführungen in den Strafurteilen dargestellt und darauf hingewiesen, dass Straftaten begangen wurden, die das Amtsgericht zum Anlass genommen habe, eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten zu verhängen. Dem hätten auch spezialpräventive Überlegungen zugrunde gelegen. Die eigenständige Prognose der Ausländerbehörde über die Wiederholungsgefahr führe zur konkreten Gefahr, dass der Antragsteller sich aufgrund seines Hanges zu betrügerischen Taten auch nach Entlassung aus der Haft erneut einen Vorteil durch derartige Straftaten verschaffen werde. Er habe eine erhebliche kriminelle Energie an den Tag gelegt, da er eine Vielzahl an Delikten begangen habe. Daraus werde seine massive Gleichgültigkeit geltendem Recht und dem Eigentum anderen gegenüber mehr als deutlich. An der konkreten Gefahr weiterer ähnlicher Delikte ändere auch die Tatsache nichts, dass sich der Antragsteller erstmals für lange Zeit in Haft befinde. Die mehrfache einschlägige Vorahndung und zwei längere Zeiträume in Untersuchungshaft hätten keine Verhaltensänderung bewirkt. Bezeichnend sei besonders die im Frühjahr 2020 verabredete Möglichkeit der „faktischen Vorbewährung“, während der der Antragsteller erneut straffällig geworden sei. Er habe nicht einmal ernsthaft versucht, diese „Vorbewährung“ zur Arbeitssuche zu nutzen. Darüber hinaus hätten die letzten Jahre gezeigt, dass der Antragsteller ein notorischer Lügner sei. Er versuche, sich in den verschiedensten Lebenslagen einen Vorteil zu verschaffen, indem er bewusst wahrheitswidrige Angaben mache. Er habe eine Vielzahl an verschiedenen Dokumenten gefälscht. Hieraus werde seine Einstellung zu geltendem Recht mehr als deutlich. Aufgrund der Vorgeschichte und der Rückkehr in sein altes Umfeld sei davon auszugehen, dass er in sein altes Verhaltensmuster zurückfalle. Die Taten berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Sie verstießen gegen besonders wichtige Schutzgüter, nämlich gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung und das Eigentum. Das Ausweisungsinteresse wiege besonders schwer, da er wegen einer Vielzahl von Straftaten verurteilt worden sei. Das Bleibeinteresse wiege ebenfalls schwer, da der Antragsteller eine Niederlassungserlaubnis besitze und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. In der Abwägung wird festgestellt, dass die Folgen einer Ausweisung den Antragsteller selbst unter Würdigung des langen Aufenthalts sowie der hier bestehenden familiären Bindungen gegenüber einer womöglich ungesicherten Situation in der Türkei zwar schwer träfen, aber nicht unverhältnismäßig seien. Die Integration des Antragstellers stütze sich vor allem auf seinen langen Aufenthalt. Obwohl er sein Leben bisher in Deutschland verbracht habe, habe er sich nicht so integrieren können, dass ihm die Ausreise in die Türkei nicht zugemutet werden könnte. Er sei ein erwachsener junger Mann und verfüge über verwandtschaftliche Kontakte in der Türkei. Der Kontakt mit der Familie könne auch in der Türkei mittels moderner Medien oder Heimatbesuchen aufrecht erhalten bleiben. Zur Begründung des Sofortvollzugs wurde ausgeführt, überwiegende öffentliche Belange, die es rechtfertigten, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, lägen vor. Es sei konkret damit zu rechnen, dass der Antragsteller im Fall eines Zuwartens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Streitverfahrens gegen die Ausweisung weiterhin die öffentliche Sicherheit durch Straftaten in schwerwiegender Weise beeinträchtige. Er habe nach der Haftentlassung keine Zukunftsperspektive. Der familiäre Raum könne ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Auf die Begründung des Bescheids im Übrigen wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Mit Bescheid vom 22. November 2021 (Bl. 491 f. BA) wurde gemäß § 456a Abs. 1 StPO i.V.m. § 2 JGG von der weiteren Strafvollstreckung zum Zeitpunkt der Abschiebung des Verurteilten aus der Bundesrepublik abgesehen und für den Fall der Rückkehr des Antragstellers die Nachholung der Vollstreckung angeordnet, § 456a Abs. 2 Satz 3 StPO.
Am … Dezember 2021 erhoben die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers Klage (M 2 K 21.6459) gegen diesen Bescheid und beantragten, den Bescheid vom 16. November 2021 aufzuheben.
Gleichzeitig beantragten sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 beantragte die Antragsgegnerin,
den Eilantrag abzulehnen.
Maßgeblich für den Bescheid sei eine Verurteilung wegen Betrugs mit zahlreichen Einzeltaten. Zu den im Bescheid genannten Strafverfahren käme eine Vielzahl von (insbesondere Betrugs-)Verfahren, die nach § 154 StPO eingestellt worden seien (vgl. Bl. 220, 223, 232, 244, 247, 268, 270, 272, 274, 276, 278, 287, 290, 303, 308, 349, 356, 357, 358, 361, 378, 405, 450 BA, vgl. die Auflistung im Schriftsatz vom 27. Dezember 2021).
Im Führungsbericht vom 12. Januar 2022 nimmt die JVA … im Wesentlichen auf die vorangegangenen Berichte Bezug. Zusätzlich wird mitgeteilt, der Antragsteller wolle nach seiner Entlassung zu seiner Tante nach A* … ziehen. Einer vorzeitigen Entlassung zur Bewährung gemäß § 88 JGG werde zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt nicht entgegengetreten.
Mit Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts … vom *. Februar 2022 wurde die Haftentlassung am 1. März 2022 angeordnet und der Rest der Strafe unter Anordnung einer Bewährungsfrist von drei Jahren und Führungsaufsicht von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Antragsgegnerin teilte mit, die Haftentlassung erfolge am 21. Februar 2022.
Am 8. Februar 2022 teilte die JVA … der Ausländerbehörde mit, der Antragsteller besitze kein freies/pfändbares Eigengeld.
Mit Schriftsatz vom … Februar 2022 begründeten die Bevollmächtigten des Antragstellers den Antrag im Wesentlichen wie folgt. Verurteilungen wegen Gewaltdelikten lägen nicht vor. Die polizeilichen Auskünfte seien insofern nicht aussagekräftig. Es bestehe außerdem keine Wiederholungsgefahr. Die Antragsgegnerin verkenne die Reifungsprozesse, die in Jugendlichen und Heranwachsenden wirkten, und die eine Prognose über Delinquenz beeinflussten. Das Strafgericht sei aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Antragsteller davon ausgegangen, dass Reifeverzögerungen nicht auszuschließen seien. Beim Jugendstrafrecht stünde – anders als beim Erwachsenenstrafrecht – Gesamterziehung und nicht Strafe im Vordergrund. Ein Abbruch deliktischen Verhaltens sei bei Jugendlichen wahrscheinlicher als bei Erwachsenen. Die Abweichung von der Bewährungsentscheidung habe im Bescheid keine substantiierte Begründung erfahren. Der Bescheid basiere dagegen schon zeitlich auf weniger Tatsachenmaterial. Für die Feststellung, der Antragsgegner sei ein „notorischer Lügner“ fehle der Antragsgegnerin jede Sachkompetenz. Vorsorglich wurde ausgeführt, der Antragsteller sei faktischer Deutscher und habe zwar häufig Straftaten begangen, diese fielen aber keineswegs in den Bereich der „Schwerkriminalität“. Sein Aufenthalt sei bis zur Erlass der Ausweisung rechtmäßig gewesen. Die Ausweisung stelle daher eine „besondere Härte“ dar und bedürfe „sehr gewichtiger Gründe“.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Klageverfahren, und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Er ist zulässig, aber unbegründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung bzgl. der Ausweisung in Nr. 1 des Bescheids vom 16. November 2021 ist formell ordnungsgemäß begründet (1.). Die in materieller Hinsicht gebotene Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollziehungsinteresse fällt zu Lasten des Antragstellers aus (2.). Es besteht ein besonderes überwiegendes Interesse daran, den Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland noch vor Abschluss des Klageverfahrens zu beenden (3.).
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell ordnungsgemäß erfolgt.
Die Antragsgegnerin hat dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO Rechnung getragen. In ihrer Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung hat die Antragsgegnerin auf den konkreten Einzelfall abstellend dargelegt, warum ihrer Auffassung nach ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht.
2. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
Die gebotene Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Interessen führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers daran, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens nicht ausgewiesen bzw. abgeschoben zu werden, das aus der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung resultierende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht überwiegt. Maßgeblich sind insoweit die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage. Der vorliegende Bescheid der Antragsgegnerin ist nach summarischer Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Der Antragsteller gehört zu der Personengruppe der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Er hat eine abgeleitete Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 erlangt, da die Mutter des Antragstellers dem hiesigen, regulären Arbeitsmarkt angehört und der Antragsteller mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Er kann sich daher auf die erhöhten Ausweisungsanforderungen nach § 53 Abs. 3 AufenthG berufen. Nach § 53 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG i. V. m. Art. 14 ARB 1/80 sind erfüllt.
a) Die wiederholte Straffälligkeit wiegt schwer. Die Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht … vom … Februar 2021 wegen einer Vielzahl von Taten und Delikten zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.v. § 54 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG. Insofern ist der Begriff der schweren Straffälligkeit im Sinne des Ausländerrechts zu verstehen und nicht etwa i.S.v. § 100a StPO.
b) Vom Antragsteller geht gegenwärtig die Gefahr der Begehung solcher oder ähnlich schwerwiegender Straftaten aus.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, U.v. 15.01.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Für diese Prognose sind nicht nur das Verhalten im Strafvollzug und danach heranzuziehen, sondern auch die besonderen Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6/00 – BverwGE 112, 185, juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.29778 – juris Rn. 13). Sind bei Anwendung „praktischer Vernunft“ neue (einschlägige) Verfehlungen nicht (mehr) in Rechnung zu stellen, d. h. ist das von dem Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht, ist eine Wiederholungsgefahr zu verneinen (BVerwG, B.v. 17.10.1984 – 1 B 61.84 – juris Rn. 7). Nach ständiger Rechtsprechung sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (z.B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.29778 – juris Rn. 13; U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34).
Eine Würdigung aller für und gegen den Antragsteller sprechenden Umstände im Rahmen der anzustellenden Gefahrenprognose fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
Das bisherige Verhalten des Antragstellers begründet die hinreichend wahrscheinliche Annahme, dass er in Zukunft weitere vergleichbare Straftaten begehen wird.
Er hat in der Vergangenheit bereits über einen beachtlichen Zeitraum hinweg eine Vielzahl oft mittäterschaftlich begangener Betrugs- und Urkundenfälschungsdelikte begangen. Die Tatausführungen lassen zu einem großen Teil auf ein planmäßiges und geübtes Vorgehen und damit erhebliche kriminelle Energie schließen. Der Antragsteller hat selbst auch spontane Gelegenheiten und Zufälle, wie das Erlangen einer fremden Kreditkarte, für eine Vielzahl von Straftaten genutzt. Wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, durch Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Ausnutzung der Situation an Geld oder Vorteile zu kommen, nutzte er diese. Er hat ferner dann noch Straftaten begangen, wenn er auf frischer Tat betroffen wurde oder bereits angeklagt war. Die Erheblichkeit der Distanz zur (Straf-)Rechtsordnung wird auch dadurch deutlich, dass der Taten teilweise mit wechselnden Mittätern begangen hat; er war nicht nur „Mitläufer“.
Dass der Antragsteller sich von dieser Einstellung zur Rechtsordnung handlungsleitend abgewendet hat und deshalb eine hinreichend wahrscheinliche Wiederholungsgefahr zu verneinen wäre, ist nicht ersichtlich. Zwar führt sich der Antragsteller in der Haftanstalt im Wesentlichen gut (ein Disziplinarverfahren, zu dem ein Vorfall geführt hat, in dem der Antragsteller Namensschilder von Mitgefangenen vertauscht hat, sowie ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung, das zu einer Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO führte, können insoweit im Rahmen der Prognosebasis vernachlässigt werden) und könnte der Antragsteller nach Entlassung aus der Haft zu seiner Tante ziehen. Jedoch bestand dieses familiäre Umfeld bislang schon, ohne dass ihn dies von der Begehung einer großen Vielzahl von Straftaten über einen langen Zeitraum abgehalten hätte. Auch ein möglicher Wohnsitzwechsel zur Tante nach A… rechtfertigt nicht die Verneinung einer Wiederholungsgefahr. Denn auch bislang hat der Kläger Straften nicht nur in seinem engeren räumlichen Umfeld begangen, sondern beispielsweise auch in A* … Auch war die Tante schon früher Bezugsperson des Antragstellers, ohne dass dies auf ihn offenbar positiven Einfluss hatte. Auch die Absicht, sich eine Ausbildungsstelle zu suchen, rechtfertigt keine andere Prognose. Denn der Antragsteller hat auch im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren für eine Ausbildungsstelle ein Urkundendelikt begangen und in der JVA über seinen Ausbildungsstatus getäuscht. Schließlich ist der Antragsteller noch nie einer geregelten Beschäftigung nachgegangen; es lässt sich nicht annehmen, dass die (ohnehin derzeit eher theoretische Möglichkeit, eine Arbeitsstelle zu finden) ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten könnte.
Anders als der Bevollmächtigte des Antragstellers vorträgt, spricht gegen eine Wiederholungsgefahr nicht, dass der Antragsteller die Straftaten in jugendlichem Alter verübt hat und jugendtypische Delinquenz grundsätzlich anderen Bedingungen unterworfen ist. Der Grundsatz, dass ein Abbruch deliktischen Verhaltens bei Jugendlichen wahrscheinlicher ist als bei Erwachsenen, trifft grundsätzlich zu. Gleichwohl bietet das bisherige Verhalten des Antragstellers keine tragfähigen Anhaltspunkte, von einem Deliktsabbruch auszugehen. So hat die JVA beispielsweise nur mitgeteilt, der Antragsteller könne auch mit negativen Entscheidungen gut umgehen, akzeptiere diese und verhalte sich freundlich und respektvoll. Besonderheiten im Reifungsprozess des Antragstellers werden nicht erwähnt. Vielmehr wird mitgeteilt, dass der Abschluss der Berufsausbildung nicht vorangetrieben worden sei; damit hätte der Antragsteller möglicherweise dokumentieren können, dass ein früheres Reifedefizit inzwischen ausgeglichen wurde.
Schließlich wirkt sich für die Gefahrprognose der Umstand negativ aus, dass sich der Antragsteller selbst die Gelegenheit der „faktischen Bewährung“, die ihm die Coronakrise durch Zufall zugespielt hat, nicht nur nicht zu Nutze machte, um sich eine Ausbildungsstelle zu suchen oder auf sonstige Weise seine Absicht zur Verhaltensänderung zu belegen, sondern sogar erneut einschlägig und wiederholt straffällig wurde. Obwohl er sich schon für mehrere Monate (November 2019 bis März 2020) in Untersuchungshaft befunden hatte und obwohl ihm der Sinn der „faktischen Bewährung“ ausdrücklich als Entgegenkommen der Strafverfolgungsbehörden klar dargelegt wurde, beging er im Oktober 2020 Betrugsstraftaten nach seinem eingeübten Muster.
Die vorgenommene Prognose wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die weitere Vollstreckung der Jugendstrafe ausgesetzt worden ist. Zwar ist Inhalt der Aussetzungsentscheidung eine positive Prognose. Es sind die unterschiedlichen Zwecke der Strafaussetzung zur Bewährung und der Ausweisung zu berücksichtigen, so dass die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte aber für die Frage der sicherheitsrechtlichen Wiederholungsgefahr an diese Entscheidung nicht gebunden sind. Die Strafvollstreckung nimmt vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte in den Blick, wobei zu begründen ist, ob der Täter das Potential hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Bei der Ausweisung ist demgegenüber maßgeblich, ob und inwieweit das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers zu tragen ist. Die Prognoseentscheidung im Rahmen der Ausweisung muss daher einen längeren Zeithorizont heranziehen, indem sie beurteilt, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein von relevanten Straftaten freies Leben zu führen. Mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung entfällt somit nicht zwangsläufig oder regelmäßig eine ausländerrechtliche Wiederholungsgefahr. Entscheidend ist vielmehr, ob der Ausländer auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann. Einen dieser Faktoren kann das Potential, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, darstellen. Dieses allein genügt jedoch nicht (vgl. insgesamt BayVGH, B.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 22; vgl. auch BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 10 C 10.12 – juris Rn. 19).
Vorliegend ergibt sich die Abweichung von der strafgerichtlichen Entscheidung (vgl. zur Begründung BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21) insbesondere daraus, dass der Aussetzungsbeschluss lediglich auf den Mitteilungen der JVA und damit auf schmaler Tatsachenlage beruht. Umstände, die für die ausländerrechtliche Gefahrenprognose relevant sind, lässt er außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 21. Mai 2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 23). Außerdem hält auch der Amtsrichter die ausgesprochenen Weisungen für erforderlich, um der Gefahr der weiteren Begehung von Straftaten vorzubeugen.
Auch wenn vorliegend die Aussetzung des Strafrests von Seiten der Strafvollstreckung als verantwortbar angesehen wird, fällt die ausländerrechtliche Beurteilung, ob es dem Antragsteller langfristig gelingen wird, auch über die Bewährungszeit hinaus ein Leben ohne Begehung einschläligger Straftaten zu führen, negativ aus. Der Antragsteller wurde trotz mehrfacher strafrechtlicher Verurteilungen, Weisungen und der Bewährungsgelegenheit immer wieder straffällig und es sind im Lebenswandel und Verhalten des Antragstellers keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass von endgültiger Einsicht des Antragstellers ausgegangen werden kann. Zwar lässt sich seiner Darstellung anlässlich der Anhörung zur Ausweisung sowie dem weiteren Schreiben, in dem er um Zustimmung zur Vollzugslockerung bittet, um seine Ausbildung voranzutreiben, entnehmen, dass er sich ändern will und seine Taten bereut. Ob dieser Ankündigung angesichts der Persönlichkeit des Antragstellers, der zu vielen Gelegenheiten die Unwahrheit gesagt und falsche Tatsachen vorgespielt hat, maßgebliches Gewicht zugemessen werden kann, ist mehr als zweifelhaft. Über diese Ankündigungen und seine weitgehend gute Führung in der JVA hinaus ist jedoch nichts ersichtlich, was diese Ankündigung untermauern würde.
c) Die Ausweisung des Antragstellers ist für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.
„Unerlässlich“ in diesem Sinne ist eine Ausweisung, wenn sie verhältnismäßig ist (BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 – juris Rn. 21), d.h. wenn das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Ausländers überwiegt. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung erfordert neben den bisher genannten Voraussetzungen eine unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet, die dazu führt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt, § 53 Abs. 1 AufenthG. In diese Abwägung einzubeziehen sind die in § 54 AufenhtG und § 55 AufenthG genannten Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung. Neben dieser Strukturierung der Abwägung sind weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die Interessenabwägung ist immer nötig, selbst beim Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses, bei dem häufig von einem Übergewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung auszugehen sein wird (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 – juris Rn. 39). Auch die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist zwar i.d.R. prägend, darf aber nicht schematisch und ohne umfassende Bewertung der den Einzelfall prägenden Umstände angewandt werden (vgl. BverfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 41 zum alten Ausweisungsrecht). Im Einzelfall können besondere Umstände auch zu einer weniger schweren Gewichtung der Ausweisungsinteressen führen (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 50). Insgesamt ist eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen für das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits nicht zulässig (BayVGH, B.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 31; U.v. 21.11.2017 – 10 B 17.818 – juris Rn. 41, VGH BW, U.v. 13.1.2016 – 11 S 889/15 – juris Rn. 142).
Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere die Wahrung der Grundrechte des Ausländers zu beachten, v.a. das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anhand der konkreten Umstände (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 77 m.w.N.). „Unerlässlich“ i.S.v. § 53 Abs. 3 AufenthG bedeutet nicht „ultima ratio“, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern und Assoziationsberechtigten entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, U.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 33; B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.823 – juris Rn. 20). Dabei ist insbesondere sogar bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht von einer Verdrängung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung auszugehen, sondern anhand der sog. „Boultif-Kriterien“ ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner gegen die Niederlande – Individualbeschwerde Nr. 46410/99 – Rn. 57; vgl. auch BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris; B.v. 23.1.2006 – 2 BVR 1935/05 – juris Rn. 23; vgl. BayVGH, U.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 34).
In die Abwägung ist zu Gunsten des Antragstellers ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG) einzustellen. Der Antragsteller besitzt eine Niederlassungserlaubnis und hat sich seit seiner Geburt in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Auch hat er eine Rechtsposition nach dem ARB 1/80 erworben. Er hat seine gesamte Sozialisation hier erfahren, einen Schulabschluss erreicht und verfügt über deutsche Sprachkenntnisse. Zu seinen in der Bundesrepublik lebenden Familienangehörigen hat der Antragsteller enge familiäre Bindungen. Er plant, nach der Haftentlassung zu seiner Tante nach A… zu ziehen.
Auch für „faktische Inländer“ besteht aber kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner gegen die Niederlande – Individualbeschwerde Nr. 46410/99 – Rn. 54; BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19; B.v. 25.8.2020 – 2 BvR ä640/20 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 35). Vielmehr ist zu berücksichtigen, inwieweit der Ausländer unter Beachtung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist, wobei Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, rechtlicher Status, Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache in die Betrachtung einzubeziehen sind. Dies ist darüber hinaus in Beziehung zu setzen mit Faktoren der Entwurzelung vom Land der Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft, z.B. persönliche Befähigung und familiäre Anbindung (BayVGH, B.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 36).
All dies zugrunde gelegt, führt die Gesamtabwägung hier zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise die privaten Interessen des Antragstellers überwiegt. Trotz seiner Stellung als „faktischer Inländer“ ist zu beachten, dass er zumindest nachweislich ab seinem 17. Lebensjahr immer wieder Straftaten verübt hat. Eine Berufsausbildung hat er nicht; er ist auch nicht auf andere Art und Weise wirtschaftlich verwurzelt. Es ist zu beachten, dass sein Verhalten ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründet. Aufgrund der Vielzahl der begangenen Einzeltaten und des „Bewährungsversagens“ besteht eine schwerwiegende Gefahr, dass er erneut Straftaten von erheblichem Ausmaß begeht. Insbesondere ist damit zu rechnen, dass der Antragsteller erneut mit der Anlassverurteilung vergleichbare Taten begeht, die zu erheblichen finanziellen Schäden führen können. Dies stellt auch bei der gebotenen Außerachtlassung generalpräventiver Aspekte eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es ist dem Antragsteller zumutbar, den haftbedingt eingeschränkten Kontakt zu den im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen aus dem Ausland durch Telefon, Brief und E-Mail und/oder Besuchskontakte aufrecht zu erhalten, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass er volljährig ist.
Die Integration des Antragstellers in die türkischen Lebensverhältnisse wird angesichts seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet zwar schwierig, gleichwohl jedoch möglich sein. Er hat mindestens ausreichende Kenntnisse der türkischen Sprache. Zwar hat er angegeben, dass seine Aussprache mangelhaft sei. Seine schriftlichen Kenntnisse sind aber jedenfalls mindestens ausreichend, was ein Brief an seinen Bruder, der sich bei den Behördenakten befindet, belegt (Bl. 422 ff. BA) und es ist davon auszugehen, dass sich Mängel in der Aussprache vor Ort rasch beheben lassen. Auch dürften die Deutschkenntnisse bei der Arbeitssuche von Vorteil sein. Zwar verfügt der Antragsteller in der Türkei über keine Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt; das gilt jedoch für den deutschen Arbeitsmarkt in vergleichbarer Weise. Er kann zudem auf soziale Bindungen in der Türkei zurückgreifen. Zwar war die einzige Bezugsperson des Antragstellers in der Türkei nach seinen Angaben seine Oma, die verstorben ist. Er hat aber fünf Tanten und einen Onkel, zu denen das Verhältnis nach Angaben des Antragstellers wohl mangelhaft ist, die aber dennoch erreichbar sein dürften.
Im Ergebnis überwiegen die für eine Ausweisung des Antragstellers sprechenden Gesichtspunkte. Es steht zu befürchten, dass der Antragsteller auch zukünftig wieder in ähnlich erheblicher Weise straffällig werden wird. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Aufenthalt des Antragstellers zu beenden, um die erneute Begehung solcher oder ähnlicher Straftaten zu verhindern. Angesichts der von seinem persönlichen Verhalten ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vermögen die ganz erheblichen Bleibeinteressen das Ausweisungsinteresse in der Gesamtschau nicht zu überwiegen.
3. Es besteht ein besonderes, überwiegendes Interesse daran, den Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland noch vor Abschluss des Klageverfahrens zu beenden.
Die hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Begründung einer Anordnung des Sofortvollzugs durch die Behörde im Falle einer Ausweisung (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179/95 – juris Rn. 42 f.) sind erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Ausweisung eine schwerwiegende Maßnahme dar, deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch erheblich verschärft wird, zumal die gerade verhaltensbezogene Prognose im Eilrechtsschutz ohne persönliche Anhörung des Antragstellers getroffen wird. Für die Anordnung des Sofortvollzugs muss daher ein besonderes, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehendes Erfordernis vorliegen. Es muss die begründete Besorgnis bestehen, die von dem Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren (vgl. BVerG, B.v. 13.6.2005 – 2 BvR 485/05 – NJW 2005, 3275; BayVGH, B.v. 21.5.2021 – 19 CS 20.2977 – juris Rn. 7; B.v. 14.3.2019 – 19 CS 17.1784 – juris Rn. 7; B.v. 19.2.2009 – 19 CS 08.1175 – juris Rn. 49 jeweils m.w.N.). Hierbei geht es nicht um die Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen, sondern um die Frage, ob das Risiko einer Verwirklichung der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr noch vor Abschluss des Klageverfahrens ein Interesse am sofortigen Vollzug der Ausweisung begründet (vgl. OVG Bremen, B.v. 26.5.2021 – 2 B 119/21 – juris Rn. 37).
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist vorliegend als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsachverfahrens erforderlich, da die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung überwiegen.
Aufgrund der vom Antragsteller ausgehenden erheblichen Wiederholungsgefahr kann sein Verbleib im Bundesgebiet bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht hingenommen werden. Die Realisierung der spezialpräventiv abzuwendenden Gefahr droht nach den obigen Ausführungen schon während des Hauptsacheverfahrens und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt. Der Zeitraum bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache dürfte zwar überschaubar sein, aber dennoch noch mehrere Monate umfassen. Der Antragsteller hat in den vergangenen Jahren aber eine Vielzahl an Betrugs-, Urkundenfälschungs- und sonstigen Delikten begangen und seine Delinquenz trotz des Eindrucks einer Untersuchungshaft und der besonderen Bewährungsmöglichkeit unmittelbar fortgesetzt. Eine berücksichtigungswürdige, mehrmonatige Straffreiheit war bislang nur in Haft gegeben. Die hohe Frequenz der Taten und die hohe Rückfallgeschwindigkeit verbunden mit der erheblichen kriminellen Energie, sprechen dafür, dass die von ihm ausgehende Gefahr sich bereits vor Abschluss des Klageverfahrens gegen die Ausweisung zu verwirklichen droht.
Dass beim Antragsteller eher keine Körperverletzungs-, sondern Vermögensdelikte zu erwarten sind, führt nicht dazu, dass eine Verwirklichung dieser Gefahr bis zum Abschluss des Klageverfahrens hinnehmbar erscheint. Durch die Begehung von Vermögensdelikten mit erschwerenden Umständen, wie z.B. der beträchtlichen Schädigung einer Vielzahl von Personen oder der gewerbsmäßigen Begehung, liegt genauso wie bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit eine schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft vor (OVG Bremen, B.v. 26.5.2021 – 2 B 119/21 – juris Rn. 38 m.w.N.). Auch finanzielle Schäden sind nicht regelhaft reversibel. Schadensersatzansprüche können häufig mangels Leistungsvermögens des Täters nicht realisiert werden. Auch im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller zur Erfüllung von Ersatzansprüchen der Opfer seiner bisherigen Taten in der Lage wäre.
Demgegenüber ist der Antragsteller in wirtschaftlicher Hinsicht im Bundesgebiet nicht integriert. Der Sofortvollzug ist also nicht mit dem Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz verbunden. Außerdem könnten die Wirkungen des Sofortvollzugs im Falle des Obsiegens im Hauptsacheverfahren weitgehend wieder rückgängig gemacht werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum dem Antragsteller für diesen Fall keine Wiedereingliederung im Bundesgebiet möglich und zumutbar wäre.
Nach alledem ist der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.


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