Strafrecht

Wirksamkeit eines Hauptverhandlungshaftbefehls trotz zeitgleicher oder späterer vorläufiger Einstellung des Verfahrens

Aktenzeichen  1 Ws 12/16

Datum:
4.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 103773
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 205, § 230 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein zeitlich mit oder nach Erlass eines Haftbefehls nach § 230 StPO ergangener Einstellungsbeschluss nach § 205 StPO macht den Haftbefehl nicht unwirksam (Abweichung zu OLG Hamm BeckRS 2008, 23257). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen den Beschluss der 12. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Dezember 2015 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragte am 15.10.2015 die Aufhebung des vom Amtsgericht Hersbruck am 24./26.06.2015 im vorliegenden Verfahren erlassenen Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO, der wegen des Fernbleibens des Angeklagten im Termin vom 24.06.2015 ergangen ist. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, der Haftbefehl sei im Blick auf die am 24.06.2015 erfolgte Verfahrenseinstellung nach § 205 StPO unwirksam und daher (deklaratorisch) aufzuheben.
Das Amtsgericht Hersbruck hat am 22.10.2015 die Aufhebung abgelehnt und der Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 30.10.2015 hiergegen am 09.11.2015 nicht abgeholfen.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 11.12.2015 als unbegründet zurückgewiesen.
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth am 18.12.2015 weitere Beschwerde ein, welcher das Landgericht Nürnberg-Fürth nicht abgeholfen hat.
Auf die Ausführungen von Amtsgericht, Landgericht und Staatsanwaltschaft wird Bezug genommen.
II. Die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ist zulässig (§§ 310 Abs. 1 Nr. 1, 304 StPO), hat in der Sache aber keinen Erfolg, da die zeitgleich mit dem Haftbefehl getroffene Entscheidung des Amtsgerichts Hersbruck vom 24.06.2015, das Verfahren vorläufig nach § 205 StPO einzustellen, keinen Einfluss auf den am 24.06.2015 erlassenen und am 26.06.2015 ausgefertigten Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO hat. Der Haftbefehl ist wirksam und nicht (deklaratorisch) aufzuheben.
Ein zeitlich mit oder nach Erlass eines Haftbefehls nach § 230 StPO ergangener Einstellungsbeschluss nach § 205 StPO macht den Haftbefehl nicht unwirksam (so auch der 2. Strafsenat im Beschluss vom 04.02.2016, Az. 2 Ws 824/15).
Der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO dient der Absicherung der Anwesenheit des Angeklagten in einer zukünftigen Hauptverhandlung und verliert seine Wirkung erst mit Durchführung dieser Hauptverhandlung durch Urteil oder Aussetzung der Hauptverhandlung. Die vorläufige Einstellung nach § 205 StPO hat dagegen im Wesentlichen nur verfahrensklarstellende Bedeutung. Sie ist entgegen der Auffassung des OLG Hamm (NStZ-RR 2009, 89, 90 und dem folgend Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 230 Rn. 37; Paeffgen in: SK-StPO, 5. Aufl., § 205 Rn. 17 a; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 230 Rn. 23) nicht der Verfahrensaussetzung gleichzusetzen und tangiert die Wirksamkeit des Haftbefehls nicht.
1. Mit Durchführung und Ende bzw. Abbruch der Hauptverhandlung nach Festnahme eines Angeklagten aufgrund Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO erschöpft sich die Wirkung dieses Haftbefehls. Denn er war wegen des unentschuldigten Fernbleibens des Angeklagten im vorangegangenen Termin erlassen worden und diente dem Zweck, dessen Anwesenheit in der anstehenden Hauptverhandlung zu sichern. Erfolgt nun die Aussetzung des Verfahrens, weil dem Fortgang der Verhandlung ein Hindernis entgegensteht, das nicht innerhalb der Unterbrechungsfrist beseitigt werden kann, hat der Haftbefehl dennoch seinen Zweck erfüllt. Er hat die Anwesenheit in der (gesamten) Sitzung erzwungen, welche dem unentschuldigten Ausbleiben im vorangegangenen Termin folgte. Es ist hingegen nicht Zweck des Haftbefehls nach § 230 StPO, jede erst unter Umständen in (unbestimmter) Zukunft stattfindende neue (dritte) Hauptverhandlung zu sichern.
2. Völlig anders ist die Sachlage im Fall der vorläufigen Einstellung des Verfahrens nach § 205 StPO wegen Abwesenheit des Angeklagten. Der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO soll in diesem Fall nach wie vor die kommende, nach Festnahme des Angeklagten erst noch anzuberaumende Hauptverhandlung absichern. Die ganz überwiegend der Verfahrensklarheit dienende Einstellungsvorschrift des § 205 StPO hindert daher weder den Erlass eines Haftbefehls (vgl. BGH NStZ-RR 13, 251 Rn. 17 nach juris) noch hat sie Einfluss auf den Bestand eines Haftbefehls, der die Anwesenheit des Angeklagten in der kommenden Hauptverhandlung gewährleisten soll.
Dies gilt auch für den vorliegenden Fall, in dem die Einstellungsentscheidung nach § 205 StPO und der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO zeitgleich erlassen wurden.
Der Haftbefehl vom 24./26.06.2015 war hier zu Recht ergangen, weil der Angeklagte vom Termin am 24.06.2015 Kenntnis hatte und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt hat. Die Einstellungsentscheidung vom 24.06.2015 konnte ebenfalls getroffen werden, weil der Angeklagte seinen Wohnsitz verloren hatte und sein weiterer Aufenthalt nach der Entlassung aus der Klinik unbekannt war. So konnte der Angeklagte auch in der Folgezeit nicht mehr erreicht werden.
Aus den oben dargelegten Erwägungen beeinträchtigt die Einstellung des Verfahrens vom 24.06.2015 den am 24./26.06.2015 erlassenen Haftbefehl nicht. Dieser dient dem Zweck, die Anwesenheit des Angeklagten in der nach seiner Festnahme anzuberaumenden zukünftigen Hauptverhandlung sicherzustellen, und hat dieses Ziel bislang nicht erreicht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


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