Strafrecht

Zum Anwendungsbereich des persönlichen Strafaufhebungsgrundes des Art. 31 Nr. 1 GFK

Aktenzeichen  6 Qs 186/16

Datum:
25.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
GFK Art. 1, Art. 31 Nr. 1
AsylG AsylG § 2 Abs. 1, § 3

 

Leitsatz

1. Art. 31 Nr. 1 GFK, auf den § 95 Abs. 5 AufenthG verweist, besagt, dass die vertragsschließenden Staaten wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen werden, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit iSv Art. 1 GFK bedroht werden und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragsschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unter den Begriff des Flüchtlings iSd Art. 1 lit. a GFK fallen die gemäß § 2 Abs. 1 AsylG durch das Bundesamt anerkannten Asylberechtigten nach Art. 16a Abs. 1 GG, ferner gemäß § 3 AsylG Personen, bei denen das Bundesamt oder ein Gericht unanfechtbar festgestellt hat, dass ihnen die in § 60 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, und schließlich Asylbewerber. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nicht unter diesen Begriff fallen Ausländer, welche aus einem Drittstaat iSd Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG (sicherer Drittstaat) eingereist sind. Sie können sich nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen und werden nicht als Asylberechtigte anerkannt, können also auch die Eigenschaft als „Flüchtling“ iSd GFK nicht mehr beanspruchen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ob sich der Anwendungsbereich des Art. 31 Nr. 1 GFK auch auf „typische“ Begleitdelikte der unerlaubten Einreise erstreckt, erscheint selbst aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 Cs 505 Js 23889/16 2016-07-25 Bes AGLANDAUADISAR AG Landau

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Landshut gegen den Beschluss des Amtsgerichts Landau a.d. Isar vom 25.07.2016 wird dieser aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Landau a. d. Isar zurückgegeben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeschuldigte.

Gründe

I.
Am 21.06.2016 beantragte die Staatsanwaltschaft Landshut beim Amtsgericht Landau a. d. Isar den Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten wegen Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen. Mit Beschluss vom 25.07.2016 lehnte das Amtsgericht Landau a. d. Isar den Erlass des Strafbefehls ab. Gegen den am 28.07.2016 zugestellten Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Landshut mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 02.08.2016, eingegangen beim Amtsgericht am 03.08.2016. Mit weiterem Schriftsatz vom 14.07.2016 wurde das Rechtsmittel begründet. Mit der Vorlage der sofortigen Beschwerde an das Landgericht Landshut verfolgt die Staatsanwaltschaft Landshut ihren Antrag weiter.
II.
Die gemäß § 311 II StPO zulässige sofortige Beschwerde erweist sich in der Sache als begründet. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben.
Dass der Angeschuldigte in Bezug auf die in Rede stehende griechische Bescheinigung diese in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt (§ 276 I Nr. 1 StGB) hat, steht außer Frage.
Zur rechtlichen Einordnung des Dokuments ist die Beschwerdekammer der Auffassung, dass die – nach Anfechtung des angegriffenen Beschlusses erst in die deutsche Sprache übersetzte – in Rede stehende griechische Bescheinigung den Vorschriften der §§ 276 a, 276 I StGB unterfällt und dass das Verhalten des Angeschuldigten nicht durch Art. 31 der Genfer Konvention (GFK) gedeckt ist.
1. Urkunde im Sinne der §§ 276 a, 276 I StGB
a) § 276 I StGB stellt auf unechte oder verfälschte amtliche Ausweise oder amtliche Ausweise, die eine falsche Beurkundung im Sinne der §§ 271, 348 StGB bezeichneten Art enthalten, ab. Amtliche Ausweise sind Urkunden, die von einer Behörde oder einer Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, ausgestellt sind, um die Identität einer Person oder ihre persönlichen Verhältnisse zu beweisen (vgl. Fischer StGB 64. Auflage § 276 Rn. 2, § 275 Rn. 2).
Durch die Ausdehnung des Anwendungsbereichs in § 276 a StGB sind nicht nur Urkunden mit konstitutiver Wirkung erfasst, sondern auch solche, welche die Stellung einer Person deklaratorisch dokumentieren (vgl. ebenda). § 276 a StGB umfasst gerade Urkunden, die die aufenthaltsrechtliche Stellung einer Person mit konstitutiver oder deklaratorischer Wirkung dokumentieren, wozu insbesondere die in §§ 4 I, 10 und 14 II AufenthG genannten Aufenthaltstitel zählen sowie diverse weitere Aufenthaltstitel wie z. B. bei Asylantragstellung (§ 10 AufenthG), Bescheinigungen im Rahmen der Aussetzung der Abschiebung (§§ 60 a IV, 48 II AufenthG) oder die EU-Aufenthaltserlaubnis (§ 5 II FreizügG) (vgl. a. a. O. § 276 a Rn. 3).
b) Diesen Anforderungen genügt die griechische Bescheinigung. Zum einen wurde sie durch die griechischen Polizei ausgestellt, die unzweifelhaft eine Behörde im Sinne der Vorschrift ist. Ob die Bescheinigung die Identität des Angeschuldigten beweist, wenn sie nur in den Gründen Angaben zu dessen Personalien enthält, kann dahinstehen.
Jedenfalls enthält die Bescheinigung als eine mit „Aktenzeichen“ und „Gründen“ versehene „Entscheidung“ Angaben zum ausländerrechtlichen Status des Angeschuldigten in Griechenland, wenn
– darin die Unmöglichkeit der Rückführung bescheinigt wird;
– sie eine – verlängerbare – Gültigkeitsdauer von sechs Monaten hat;
– sie dem Angeschuldigten u. a. für die Zeitdauer dieser Entscheidung eine Aufenthaltsberechtigung für Griechenland zugesteht;
– sie ihm einen bestimmten Aufenthaltsort zuweist und
– sie ihm das Betreten bestimmter griechischer Gebiete verbietet, womit die Bescheinigung auch örtliche Beschränkungen enthält.
Damit verhält sich die griechische Bescheinigung auf jeden Fall zu den ausländerrechtlichen, also persönlichen Verhältnissen des Angeschuldigten.
2. Art. 31 Genfer Konvention
Das Einführen der griechischen Bescheinigung durch den Angeschuldigten ist nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht durch Art. 31 GFK gedeckt. Dem Angeschuldigten steht kein persönlicher Strafaufhebungsgrund zur Seite.
Art. 31 Nr. 1 GFK, auf den § 95 V AufenthG verweist, besagt, dass die vertragsschließenden Staaten wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen werden, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Art. 1 GFK bedroht werden und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragsschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Aus dieser Norm folgt nach einhelliger Auffassung ein persönlicher Strafaufhebungsgrund gegenüber den mit einer unerlaubten Einreise verwirklichten Delikten (vgl. Bundesgerichtshof Urteil vom 25.03.1999 – 1 StR 344/98).
Der Anwendungsbereich der Norm ist jedoch nicht eröffnet.
a) Der Angeschuldigte war zum maßgeblichen Zeitpunkt – der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland – nicht Flüchtling im Sinne von Art. 31 Nr. 1 GFK.
Unter den Begriff des Flüchtlings im Sinne des Art. 1 lit. a. GFK fallen die gemäß § 2 I AsylG durch das Bundesamt anerkannten Asylberechtigten nach Art. 16 a I GG, ferner gemäß § 3 AsylG Personen, bei denen das Bundesamt oder ein Gericht unanfechtbar festgestellt hat, dass ihnen die in § 60 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, und schließlich Asylbewerber (vgl. BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 08.12.2014 – 2 BvR 450/11 Rn. 27).
Nicht unter diesen Begriff fallen Ausländer, welche aus einem Drittstaat im Sinne des Art. 16 a II 2 GG (sicherer Drittstaat) eingereist sind. Sie können sich nicht auf Art. 16 a I GG berufen und werden nicht als Asylberechtigte anerkannt, können also auch die Eigenschaft als „Flüchtling“ im Sinne der GFK nicht mehr beanspruchen (vgl. BVerG a. a. O.).
Auf der Grundlage, dass sich das gemeinsame Europäische Asylsystem auf das Prinzip des Vertrauens gründet und die daran beteiligten Staaten die Grundrechte und die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der GFK und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, liegt dem Europäischen Asylsystem die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den getroffenen Vereinbarungen und Grund- bzw. Menschenrechtskonventionen (vgl. so auch Landgericht Offenburg Beschluss vom 14.07.2017 – 3 Qs 48/16) behandelt wird. Diese Regelungen sind verfassungsgemäß (vgl. BVerfG Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1938/93).
Der fehlende Status als „Flüchtling“ folgt für den Angeschuldigten allerdings nicht aus dem Umstand, dass dieser zunächst über Griechenland in die Europäische Union einreiste. Zwar handelt es sich bei Griechenland um eine Mitgliedsstaat der Europäischen Union im Sinne von § 26 a II AsylG. Tatsächlich genügt Griechenland jedoch nur unzureichend den vorgenannten Anforderungen. Die dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH Urteil vom 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG a. a. O. und 2 BvR 2315/93) zugrundeliegende Vermutung ist nämlich nicht unwiderleglich. Die den nationalen Gerichten obliegende Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechts-Charta ausgesetzt zu werden (vgl. VG München Beschluss vom 30.05.2016 – M 8 S. 16.50301) führt zu der Annahme, dass für Griechenland jedenfalls für den maßgeblichen Zeitpunkt Ende 2015 davon ausgegangen werden muss, dass dort die Schutzmechanismen für Flüchtlinge nicht entsprechend den Standards der GFK umgesetzt wurden. Dies war einer Überlastung der Einrichtungen sowie der Ausschöpfung der administrativen Kapazitäten aufgrund sowohl der durch die Eurokrise bedingten Einsparmaßnahmen als auch der extremen Flüchtlingswelle geschuldet. Deutschland hat aufgrund der strukturellen Defizite des griechischen Asylverfahrens zu einem späteren Zeitpunkt von seinem Eintrittsbzw. Übernahmerecht nach Art. 3 II der EG-VO Nr. 343/2003 (Dublin II) Gebrauch gemacht und die Asylanträge von Personen, die über Griechenland eingereist waren, in eigener Zuständigkeit bearbeitet (vgl. BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 08.12.2014 – 2 BvR 450/11). Die Einreise über Griechenland dürfte daher den Status als „Flüchtling“ nicht entfallen lassen.
Der Angeschuldigte ist jedoch (auch) über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Österreich ist ein sicherer Drittstaat im Sinne des § 26 a II AsylG und schließt damit sowohl eine Anwendung des Art. 16 a I GG als auch des Art. 31 Nr. 1 GFK aus. Eine Ausnahme nach § 26 a I Satz 3 Nr. 1-3 AsylG ist nicht gegeben. Insbesondere ergibt sich keine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens aus der EU-VO Nr. 604/2013 vom 26.07.2013 (Dublin III). Lediglich die Möglichkeit nach Art. 17 I der EG-VO, das Asylverfahren nach eigenem Ermessen an sich zu ziehen, genügt hierfür nicht. Andernfalls liefe § 26 a I Satz 3 Nr. 2 AsylG leer. Bezüglich der Republik Österreich ist zur Überzeugung der Beschwerdekammer ein genügendes Schutzniveau nach den Grundsätzen der Europäischen Konvention der Menschenrechte und der GFK sichergestellt.
Der Angeschuldigte unterfiel damit nicht dem Schutzbereich des § 95 V AufenthG i. V. m. Art. 31 GFK, so dass auch kein persönlicher Strafaufhebungsgrund gegeben ist. (so auch ausführlich Landgericht Offenburg a. a. O. zur Einreise über Frankreich).
b) Im Übrigen hat die Beschwerdekammer auch Bedenken hinsichtlich einer weitergehenden Erstreckung des Anwendungsbereichs des Art. 31 Nr. GFK auf „typische“ Begleitdelikte der unerlaubten Einreise (unter Bezugnahme auf BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 08.12.2014 – 2 BvR 450/11 mit ausführlicher Erörterung der völkerrechtlichen Auslegung der Reichweite des persönlichen Strafaufhebungsgrundes). Selbst aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht mehr gegen eine Erstreckung der Reichweite auf Begleitdelikte. Jedenfalls wäre aus Sicht der Beschwerdekammer von Verfassungs wegen eine solche nur angesichts einer aktuellen Verfolgungssituation geboten bei notstandsähnlicher Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit, die für die Einreise erforderlichen Formalitäten zu erfüllen, welche die Begehung (auch) des Begleitdelikts als geeignet, erforderlich und angemessen erscheinen lässt. Die Annahme einer solchen notstandsähnlichen Situation bei dem Angeschuldigten erachtet die Beschwerdekammer als eher fernliegend angesichts des schon fehlenden persönlichen Anwendungsbereichs der GFK und der darauf basierenden Aussichtslosigkeit des Asylverfahrens. Auch die Erforderlichkeit der Einfuhr des falschen griechischen Dokuments erscheint beim Angeschuldigten fraglich. Er führte zusätzlich einen Reisepass mit seinen korrekten Personalien mit sich.
3. Im Ergebnis war daher der Beschluss des Amtsgerichts Landau a. d. Isar aufzuheben. Nachdem die Beschwerdekammer zu Erlass eines Strafbefehls nicht berechtigt ist, war das Verfahren an das Amtsgericht zur weiteren Entscheidung – auch über die konkrete rechtliche Würdigung der Tat und die Möglichkeit, von § 408 III 2 StPO Gebrauch zu machen – zurückzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus analoger Anwendung des § 467 IV StPO.

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