Strafrecht

Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für Bewährungsüberwachung nach Reststrafenaussetzung gemäß § 36 BtMG

Aktenzeichen  22 Ws OWi 84/16

Datum:
11.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 462a
BtMG BtMG § 35, § 36 Abs. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

1. Die Regelung des § 36 V 1 BtMG, die für die Aussetzung des Strafrestes nach Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. §§ 35, 36 BtMG die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges begründet, enthält für die in § 36 IV BtMG in Bezug genommenen, nach der Aussetzung des Strafrestes zu treffenden Entscheidungen (u. a. Bewährungswiderruf) keine Sonderregelung. War die Freiheitsstrafe zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts schon teilweise vollstreckt, bleibt deshalb für die Bewährungsaufsicht und alle Folgeanordnungen nach § 462a I 2 i. V. m. IV 1 und 3 StPO die StVK unabhängig davon zuständig, ob sich der Verurteilte zum Zeitpunkt der Aussetzung des Strafrestes oder zum Zeitpunkt der Nachtragsentscheidung (noch) in Haft befindet oder nicht. (u. a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 03.02.1995 – 2 ARs 459/94 = NStZ-RR 1996, 56 = BGHR StPO § 462a Abs. 1 Bewährungsaufsicht 1 = BGHR BtMG § 36 II Zuständigkeit 1). (amtlicher Leitsatz)
2. Die allgemeine Fortsetzungszuständigkeit der StVK wird durch die Regelung des § 36 V 1 BtMG nicht aufgehoben. Es ist deshalb ohne Belang, dass sie vor einer Zurückstellungs- bzw. Aussetzungsentscheidung nach den§§ 35, 36 BtMG tatsächlich mit der Sache noch nicht befasst wurde und auch während der sich anschließenden Bewährungsüberwachung nicht angegangen worden ist (u. a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 09.05.2001 – 2 ARs 101/01 [bei juris]). (amtlicher Leitsatz)
3. Wird die die Bewährungsüberwachung im Anschluss an eine Aussetzungsentscheidung (§ 36 BtMG) durch das nicht mehr zuständige erstinstanzliche Gericht geführt und werden bei diesem Gericht Tatsachen aktenkundig, die den Widerruf der Reststrafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen, so wirkt die Befassung des nicht mehr zuständigen erstinstanzlichen Gerichts auch für die zu diesem Zeitpunkt tatsächlich örtlich und sachlich zuständige StVK (u. a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 19.11.1976 – 2 ARs 395/76 [bei jurion] und v. 27.08.1975 – 2 ARs 203/75 = BGHSt 26, 187). (amtlicher Leitsatz)
4 Gehört die tatsächlich zuständige Strafvollstreckungskammer nicht zum Bezirk des Beschwerdegerichts, so ist dieses an einer eigenen Sachentscheidung gehindert und zur Aufhebung des Beschlusses gezwungen. (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Zum Sachverhalt:
Mit seit 22.11.2012 rechtkräftigem Urteil des LG D. vom 10.07.2012 wurde der Bf. u. a. wegen unerlaubter Einfuhr von BtM in nicht geringer Menge in 6 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Zur Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde der Bf. am 13.02.2013 in die JVA C aufgenommen, wo die Gesamtfreiheitsstrafe bis zu seiner am 05.02.2014 erfolgten Entlassung nach Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG gemäß Verfügung der StA vom 17.01.2014 vollstreckt wurde. Nach erfolgreicher Therapie setzte das LG D. als erstinstanzliches Gericht mit Beschluss vom 23.09.2014 die weitere Vollstreckung der gegen den Bf. verhängten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 36 II BtMG unter Erteilung von Weisungen, die sich insbesondere auf eine fortdauernde Betäubungsmittelabstinenz bezogen, auf 4 Jahre zur Bewährung aus und unterstellte den Bf. der Aufsicht und Leitung des zuständigen Bewährungshelfers. Weiterhin ordnete das LG gemäß § 36 III BtMG an, dass die von dem Bf. in einer Fachklinik verbrachte Behandlungszeit mit 182 Tagen auf die Freiheitsstrafe anzurechnen sei, bis 2/3 der Strafe erledigt seien. Die Bewährungsüberwachung wurde in der Folgezeit durch das LG D. geführt. Einen ersten Widerrufsantrag der StA wies das LG am 01.03.2016 bei gleichzeitiger Neufassung verschiedener Weisungen zurück. Am 29.06.2016 ging bei dem LG D. die Mitteilung der StA über die seit 17.05.2016 rechtskräftige Verhängung einer Freiheitstrafe von 1 Monat gegen den Bf. gemäß Urteil des AG D. vom 25.04.2016 wegen unerlaubten Besitzes von BtM (Tatzeit: 12.02.2016) ein. In einem an das LG D. gerichteten und am 08.07.2016 dort eingegangenen Bericht der Bewährungshelferin vom 07.07.2016 teilte diese u. a. mit, dass sich bei der Durchführung von Urinkontrollen am 25.05.2016 und am 29.06.2016 bei dem Bf. positive Amfetamin- bzw. Methamfetaminwerte ergeben hätten. Daraufhin beantragte die StA am 14.07.2016 erneut den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Die vorgenannte einmonatige Freiheitsstrafe verbüßte der Verurteilte in der Zeit von 14.07.2016 bis 13.08.2016 in der JVA I. Mit Beschluss vom 27.07.2016 hat das LG D. die mit Beschluss vom 23.09.2014 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung wegen der erneuten Straffälligkeit des Bf. widerrufen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Bf. mit seiner am 03.08.2016 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sein Rechtsmittel erwies sich als begründet.
Aus den Gründen:
I. Dem zulässigen Rechtsmittel ist ein – jedenfalls vorläufiger – Erfolg nicht zu versagen (§§ 453 II 3, 311, 306 StPO), weil das LG im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses zur Entscheidung über den Bewährungswiderruf als Gericht des ersten Rechtszugs sachlich nicht zuständig war.
1. Zwar war das LG D. als erstinstanzliches Gericht – wie sich aus § 36 V BtMG ergibt – zuständig für die Entscheidung über die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 36 I BtMG und über die Anrechnung gemäß § 36 III BtMG. Für die nachfolgende Bewährungsüberwachung und die im Weiteren zu treffende Entscheidung über einen Bewährungswiderruf war allerdings nicht mehr das LG D. als erstinstanzliches Gericht, sondern die StVK des LG C. zuständig. Die gerichtliche Zuständigkeit hinsichtlich der der Aussetzungsentscheidung nachfolgenden Bewährungsaufsicht und weiterer sich anschließender Entscheidungen (u. a. Widerruf der Strafaussetzung) richtet sich nämlich nicht nach der Sonderregelung in § 36 V 1 BtMG, sondern nach der allgemeinen Regelung in § 462a StPO (Körner/Patzak/Volkmer BtMG 8. Aufl. § 36 Rn. 54; MK/Kornprobst StGB 2. Aufl. § 36 BtMG Rn. 89). War – wie im vorliegenden Fall – die Freiheitsstrafe zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts schon teilweise vollstreckt, so war damit für die Bewährungsaufsicht und die Folgeanordnungen die StVK des LG C. zuständig und zwar unabhängig davon, dass sich der Bf. zum Zeitpunkt der Strafaussetzung zur Bewährung durch das erstinstanzliche Gericht nicht mehr in Haft befand (KK/Appl StPO 7. Aufl. § 462a Rn. 4 m. w. N.; MK/Kornprobst a. a. O.). Zuständig für die Überwachung eines Verurteilten in der Bewährungszeit ist nämlich gemäß § 462a I 1 StPO die StVK, in deren Bezirk der Verurteilte inhaftiert war. § 462a I 2 StPO trifft eine allgemeine Zuständigkeitsbestimmung für die Fälle, in denen Freiheitsstrafe vollzogen wird oder wurde (BGH, Beschl. v. 03.02.1995 – 2 ARs 459/94 = NStZ-RR 1996, 56 = BGHR StPO § 462a I Bewährungsaufsicht 1 = BGHR BtMG § 36 II Zuständigkeit 1). Das BtMG weist durch § 36 V BtMG lediglich Entscheidungen im Zusammenhang mit der Zurückstellung der Vollstreckung, der Anrechnung von Behandlungsmaßnahmen auf die Strafe sowie darauf zurückzuführende Entscheidungen über die Strafaussetzung zur Bewährung dem Gericht des ersten Rechtszuges zu. Die Frage, welches Gericht nach einer solchen Strafaussetzung die Bewährungsaufsicht zu führen hat, regelt es jedoch nicht (BGH a. a. O.).
2. Dass die StVK des LG C. vor der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG und Aussetzung der weiteren Vollstreckung zur Bewährung durch das LG D. tatsächlich mit der Sache noch nicht befasst war und auch während der sich anschließenden Bewährungsüberwachung nicht angegangen wurde, ist ohne Belang. Die sachliche Zuständigkeit der StVK folgt bereits aus der Aufnahme des Bf. in eine zu ihrem Bezirk gehörende Anstalt zum Zwecke des Vollzuges von Strafhaft, ohne dass dem ein Befasstwerden hinzutreten müsste (Immel JR 2004, 82, 84; vgl. MK/Kornprobst a. a. O. m. w. N.). Die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs für Entscheidungen im Rahmen der Bewährungsüberwachung besteht zwar – nicht nach der Sonderregelung des § 36 V BtMG, sondern nach allgemeiner Regelung – grundsätzlich auch dann, wenn ein Verurteilter wieder aus der Haft entlassen ist (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 462a Rn. 18); hiervon ausgenommen sind jedoch die Fälle des § 462a I 2 StPO, nämlich dann, wenn eine Unterbrechung der Strafvollstreckung stattgefunden hat oder die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde; um eine solche Strafaussetzung i. S. d. § 462a I 2 StPO handelt es sich auch bei einer Strafaussetzung nach §§ 35, 36 BtMG (Meyer-Goßner/Schmitt § 462a Rn. 15 m. w. N.). Dass über die Aussetzung selbst nach der besonderen Zuständigkeitsregelung in § 36 V 1 BtMG das erstinstanzliche Gericht entschieden hat, ändert nichts an der allgemeinen Fortsetzungszuständigkeit der StVK (BGH, Beschl. v. 09.05.2001 – 2 ARs 101/01 [bei juris]).
3. An der Zuständigkeit der StVK des LG C. für die zu treffende Widerrufsentscheidung hat auch die zwischenzeitlich in der Zeit vom 14.07.2016 bis 13.08.2016 in der JVA I. erfolgte Vollstreckung der einmonatigen Freiheitsstrafe im Anlassverfahren nichts geändert. Noch vor der dort am 14.07.2016 erfolgten Aufnahme des Bf. lag nämlich ein „Befasstsein“ der StVK des LG C. i. S. d. § 462a I 1 StPO vor. Befasst mit der Sache i. S. v. § 462a I StPO wird ein Gericht, wenn ein Antrag eines Verfahrensbeteiligten vorliegt oder das Gericht von sich aus im Hinblick auf eine bestimmte Entscheidung das Erforderliche veranlasst bzw. unabhängig davon, ob ein Antrag gestellt ist oder das Gericht schon etwas veranlasst hat, sobald eine nachträgliche Entscheidung erforderlich wird (BGH, Beschl. v. 27.08.1975 – 2 ARs 203/75 = BGHSt 26, 187). Bei der Frage des Bewährungswiderrufs liegt ein Befasstsein der bislang zuständigen StVK schon vor, wenn ihr etwa eine neue Verurteilung, eine Anklageschrift bzw. ein Haftbefehl in einer neuen Sache oder ein Bericht des Bewährungshelfers mitgeteilt werden, aus dem sich Widerrufsgründe ergeben (Meyer-Goßner/Schmitt § 462a Rn. 11b unter Hinweis auf BGH NStZ-RR 2005, 69). Derartige Unterlagen, die schließlich zum Bewährungswiderruf führten, waren bereits am 29.06.2016 bzw. 08.07.2016 bei dem LG D. eingegangen. Dass die betreffenden Unterlagen nicht bei der an sich zuständigen StVK des LG C. eingegangen waren, sondern bei dem unzuständigen LG D., führt zu keinem anderen Ergebnis. Befasst sich nämlich ein nicht mehr zuständiges Gericht mit einer Sache, etwa indem es mit Blick auf den Widerruf einer von ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung eine Stellungnahme der StA anfordert, so wird hierdurch zwar keine Zuständigkeit begründet, diese Befassung wirkt aber auch für die zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zuständige StVK (Meyer-Goßner/Schmitt § 462a Rn. 10 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 19.11.1976 – 2 ARs 395/76 [bei jurion]; KK/Appl § 462a Rn. 20). Nichts anderes kann gelten, wenn – wie vorliegend – die Bewährungsüberwachung im Anschluss an eine Strafaussetzung nach den §§ 35, 36 BtMG durch das nicht mehr zuständige erstinstanzliche Gericht geführt wird und bei diesem Gericht Tatsachen aktenkundig werden, die den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen (vgl. auch BGH, Beschl. v. 15.10.1975 – 2 ARs 296/75 = BGHSt 26, 214 hinsichtlich des Eingangs eines Antrags eines Verfahrensbeteiligten bei einem unzuständigen Gericht, bei dem der Eingang jedenfalls dann zu einer Befassung des an sich zuständigen Gerichts führt, wenn es sich um ein Gericht handelt, das für die Entscheidung zuständig sein kann, mithin das Gericht des ersten Rechtszuges bzw. die StVK der LG, in deren Bezirken der Verurteilte einsitzt bzw. eingesessen hat). Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass das LG D. in Verkennung seiner Zuständigkeit bereits einen früheren Widerrufsantrag der StA mit Beschluss vom 01.03.2016 zurückgewiesen hatte. Auch dies ändert nichts an der fortwirkenden Zuständigkeit der für die Bewährungsüberwachung und weitere sich anschließende Entscheidungen zuständigen StVK des LG C., denn ein solcher (erster) Gesetzesverstoß rechtfertigt nicht weitere Zuständigkeitsverletzungen (KK/Appl § 462a Rn. 20 a.E. m. w. N.).
4. Da die StVK des LG D. mithin für die am 27.07.2016 getroffene Widerrufsentscheidung sachlich nicht zuständig war und die tatsächlich sachlich und örtlich zuständige StVK des LG C. nicht zum Bezirk des Senats gehört, kann eine eigene Sachentscheidung des Senats nicht erfolgen. Vielmehr ist der Senat zur Aufhebung des Beschlusses insgesamt gezwungen (LR/Matt StPO 25. Aufl. § 309 Rn. 13 m. w. N.; Körner/Patzak/Volkmer § 36 Rn. 97). Es wird Sache der für die Strafvollstreckung zuständigen StA sein, einen entsprechenden Antrag bei der StVK des LG C. zu stellen.
II. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 I StPO, da der Bf. das Ziel seines Rechtsmittels, nämlich die Verhinderung des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung, jedenfalls vorläufig in vollem Umfang erreicht hat.


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