Verkehrsrecht

2 O 302/21

Aktenzeichen  2 O 302/21

Datum:
29.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Meiningen 2. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LGMEINI:2021:1229.2O302.21.00
Normen:
§ 249 BGB
§ 823 Abs 1 BGB
§ 286 ZPO
Spruchkörper:
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Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Š. Bank als Zweigniederlassung der V. Bank GmbH auf die Darlehenskontonummer IBAN xxx 4.727,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 23.05.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.251,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit sowie weitere 571,44
€ nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 23.05.2021 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche noch entstehenden Schäden aus dem Unfallereignis vom 17.09.2020 auf dem Firmengelände der Beklagten zu ersetzen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger ist Prüfingenieur, der sich am 17.09.2020 um die Mittagszeit auf dem Anwesen der Beklagten aufhielt, um in deren Werkhalle Hauptuntersuchungen vorzunehmen.
Sein Fahrzeug, einen PKW Skoda Oktavia, amtl. Kennzeichen xxx, hatte er auf dem Parkplatz der Beklagten abgestellt.
Gegen 12:50 Uhr löste sich ein Werbeschild auf dem Parkplatz der Beklagten und fiel so auf den klägerischen PKW, dass dieser im vorderen linken Frontbereich (linker Spiegel, linker Kotflügel und linke vordere „Fahrzeugecke“) beschädigt wurde.
Der Kläger selbst hatte das Herabfallen des Schildes nicht beobachtet, wurde jedoch von der Geschäftsführerin der Beklagten selbst nach draußen gebeten, wo beide feststellten, dass zu diesem Zeitpunkt das Werbeschild der Beklagten von dem Befestigungsmast heruntergefallen war und am linken Spiegel sowie Kotflügel des klägerischen PKW hochkant lehnte.
Das streitgegenständliche Werbeschild, welches zwischen 5 und 10 kg wiegt, war im Jahre 2010 erstmals montiert und aufgestellt worden. Wegen des weiteren Vorbringens zu den Eigenschaften des Schildes wird auf die Klageerwiderung S. 3, Bl. 40 d.A. verwiesen. Ca. 5 Jahre vor dem streitgegenständlichen Ereignis war es bereits einmal aus der Halterung gerissen worden.
Für die Reparatur des Fahrzeugs sind ausweislich des als Anlage K1 beigefügten Gutachtens Netto-Reparaturkosten in Höhe von 4.727,26 € und als Minderwert 350,00 € veranschlagt. Der Kläger hat für die Erstellung des Gutachtens 876,61 € aufgewandt.
Der Kläger macht weiter eine Unkostenpauschale in Höhe von 30,00 € geltend.
Das klägerische Fahrzeug ist finanziert.
Die finanzierende Škoda Bank hat den Kläger ausdrücklich ermächtigt, im Wege der Prozessstandschaft die ihm zustehenden Schadensersatzansprüche im eigenen Namen geltend zu machen und Zahlung an die finanzierende Bank auf die im Klageantrag zu Ziff. 1 angegebene Kontoverbindung zahlen zu lassen. Diesbezüglich wird auf die als Anlage K3 beigefügte Prozessvollmacht verwiesen.
Der Kläger behauptet, dass sich das Schild aufgrund nicht sachgemäßer Befestigung gelöst habe, indem es augenscheinlich durch einen leichten Windstoß aus den Nuten der Befestigung gedrückt worden und so auf den klägerischen Pkw gefallen sei.
Es hätten sich keine Schrauben an dem Schild befunden, es sei ganz offensichtlich selbst bei leichteren Windstößen möglich, dieses Schild aus den betreffenden dünnen L- bzw. U-Profilen auszudrücken.
Der Beklagten sei auch bewusst gewesen, dass das hier interessierende Werbeschild nicht sach- und fachgerecht angebracht gewesen sei, da die Geschäftsführerin der Beklagten im Nachgang zum Schadensereignis dem Kläger spontan mitgeteilt habe, „dass das Schild nun schon das dritte Mal heruntergefallen sei.“
Am Schadenstag seien die Witterungsbedingungen normal gewesen mit leichtem Wind. Die Schäden am klägerischen Fahrzeug seien aufgrund des streitgegenständlichen Vorfalls entstanden.
Der Kläger meint, dass für die Beklagte bereits aufgrund des unstreitigen Umstandes, dass sich das Schild bereits zuvor aus der Halterung gelöst habe, die Verpflichtung bestanden habe, entweder das Schild in regelmäßigen und engen Abständen zu kontrollieren oder gar das Schild abzumontieren und ggf. anders zu befestigen bzw. den Parkbereich unter und im unmittelbaren Umfeld des Werbeschildes zu sperren.
Es spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschuldender der Beklagten in Form einer Verkehrssicherungspflichtverletzung. Diesbezüglich wird auf das Vorbringen in der Klageschrift S. 3 Bl. 3 d.A. verwiesen.
Der Kläger beantragt daher wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Škoda Bank als Zweigniederlassung der Volkswagen Bank GmbH auf die Darlehenskontonummer IBAN xxx 4.727,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.256,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit sowie weitere 571,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche noch entstehenden Schäden aus dem Unfallereignis vom 17.09.2020 auf dem Firmengelände der Beklagten zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers.
Sie verweist darauf, dass es auf ihrem Betriebsgelände zahlreiche andere Möglichkeiten gegeben habe, Fahrzeuge ordnungsgemäß abzustellen..
Die am streitgegenständlichen Werbeschild vorhandenen Halterungen und Befestigungen seien auch ausreichend, um das Schild verkehrssicher zu halten. Bei der erstmaligen Montage im Jahre 2010 sei es ordnungsgemäß aufgestellt und errichtet worden; es habe sowohl zum Errichtungszeitpunkt als auch zum streitgegenständlichen Schadenszeitpunkt dem geltenden Stand der Technik entsprochen. Es habe zu keiner Zeit erkennbare Anhaltspunkte dafür gegeben, dass das Schild nicht ordnungsgemäß befestigt gewesen sei. Wegen des weiteren Vorbringens hierzu wird auf das Vorbringen in der Klageerwiderung, S. 3 f, Bl. 40 f d.A. verwiesen
Die Beklagte mutmaßt, dass zum Schadenszeitpunkt extreme, unangekündigte Böen aufgetreten seien, die ausgereicht hätten, das ordnungsgemäß und hinreichend befestigte Schild aus den Verankerungen zu reißen.
Betreffend die Schadenshöhe bestreitet sie, dass sämtliche geltend gemachten Schäden unfallbedingt entstanden seien und trägt unter Vorlage eines Gutachtens einer Control Expert (Anlage BLD 2) vor, dass allenfalls Reparaturkosten in Höhe von 4.267,36 € zu erwarten seien.
Wegen des weiteren Vorbringens zu den von Klägerseite geltend gemachten Kosten wird auf S. 9 f der Klageerwiderung, Bl. 46 f d.A. verwiesen.
Die Beklagte meint, dass ein haftungskonsumierendes Mitverschulden des Klägers darin liege, dass er nach seinem eigenen Vorbringen sein Fahrzeug „sehenden Auges unter ein offensichtlich nicht befestigtes Werbeschild abgestellt habe und damit einen möglichen Schaden durch Herausfallen des Schildes in Kauf genommen hätte“.
Ein Mitverschulden des Klägers ergebe sich zudem daraus, dass er sein Fahrzeug auf einem anderen Parkplatz auf dem Betriebsgelände hätte abzustellen können.
Eine Einstandspflicht bestehe auch deswegen nicht, da ein klassischer Fall von höherer Gewalt vorliege. Es deute alles darauf hin, dass wohl vereinzelt extreme, für die Beklagte aber unvorhersehbare Böen auf den Gegenstand eingewirkt und diesen zum Lösen aus der Halterung gebracht hätten.
Wegen des weiteren Vorbringens hierzu wird auf die Ausführungen in der Klageerwiderung S. 7 f, Bl. 44 f d.A. verwiesen.
Die Klage wurde der Beklagten am 22.05.2021 zugestellt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nahezu vollumfänglich begründet.
I.
Der Kläger ist in Bezug auf die geltend gemachten Netto-Reparaturkosten ausweislich der als Anlage K 3 beigefügten Vollmacht berechtigt, Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Schadensfall eigenverantwortlich gegen die Beklagte geltend zu machen.
II.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung der für die Reparatur des Fahrzeugs in Höhe von 4.727,26 € veranschlagten Kosten aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Denn die Beklagte hat eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, wodurch am klägerischen Fahrzeug ein Schaden entstanden ist.
1.
Die Beklagte hat eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen hat, durch geeignete Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass sich das streitgegenständliche Werbeschild nicht aus seiner Verankerung löst.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren, wobei verkehrssicherungspflichtig auch derjenige ist, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt .
Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass bereits aufgrund des unstreitigen Umstands, dass das streitgegenständliche Werbeschild sich zumindest bereits einmal aus seiner Verankerung gelöst hat, die nicht fernliegende Möglichkeit bestand, dass sich ein derartiges Ereignis wiederholen könnte, dies umso mehr, als die Beklagte diesbezüglich keinen Vortrag gehalten hat, welche Anstrengungen sie unternommen hat, dergleichen für die Zukunft auszuschließen. Sofern sie – lediglich – darauf abstellt, dass seinerzeit ein Starkwindereignis ursächlich gewesen sei, kann sie dies nicht entlasten.
Zum einen ist dieses Vorbringen nicht hinreichend substantiiert.
Zum anderen ist es auch insoweit unerheblich als trotz des insoweit unterstellt geringeren Risikos sich vorliegend eine Pflicht zur Sicherung des Werbeschildes daraus ergibt, dass im Falle des Herauslösens des Werbeschildes besonders schwere Schäden drohen. Der Eintritt besonders schwerer Schäden kommt vorliegend deshalb in Betracht, da aufgrund der Eigenart der Schildes, welches zwischen 5 und 10 kg wiegt besondere Gefahren aus dem Vorgang des Herabfallens als solchem drohen, möglicherweise auch insoweit als dass Menschen getroffen und verletzt werden können.
Die Beklagte hat die ihr obliegenden Pflichten verletzt.
Sie hat insoweit keinerlei Vortrag gehalten, welche – geeigneten – Vorkehrungen sie dahingehend getroffen hat, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden.
2.
Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist kausal für den Schaden am Fahrzeug des Klägers geworden.
Insoweit spricht in Abweichung von der grundsätzlichen Beweislastverteilung vorliegend bereits der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der am klägerischen Fahrzeug entstandene Schaden auf einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der Beklagten beruht. Denn vorliegend hat unstreitig das aus seiner Verankerung gelöste Werbeschild der Beklagten das Fahrzeug des Klägers beschädigt, eine andere Schadensursache kommt nicht in Betracht.
3.
Der Kläger kann betreffend die für die Instandsetzung des durch das herabfallende Werbeschild beschädigte Fahrzeug voraussichtlich entstehenden Reparaturkosten in Höhe von 4.727,26 € von der Beklagten die Zahlung an die Škoda Bank verlangen.
Der Kläger hat die Höhe des Schadens durch Vorlage eines Privatgutachtens qualifiziert dargelegt. Es hätte daher der Beklagten oblegen, ihrerseits eine substantiierte hiervon abweichende Sachverhaltsdarstellung abzugeben. Diese ihr obliegende Darlegungslast, dass der vorgetragene Reparaturaufwand nicht erforderlich ist, kann sie durch bloßen Verweis auf einen – wohl mittels künstlicher Intelligenz erstellten – Prüfbericht nicht nachkommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die im Sachverständigengutachten aufgeführten Verbringungskosten sowie die UPE-Aufschläge auch bei fiktiver Abrechnung zu ersetzen, wenn sie bei einer Reparatur in einer (regionalen) markengebundenen Fachwerkstatt üblicherweise anfallen. Dabei wird von einer Erstattungsfähigkeit ausgegangen, wenn wie vorliegend ein öffentlich bestellter und vereidigter Kfz-Sachverständiger unter Berücksichtigung der örtlichen Gepflogenheiten zu dem Ergebnis gelangt, dass im Falle einer Reparatur UPE-Aufschläge erhoben werden und Verbringungskosten entstehen.
Betreffend die Kosten für Beilackierungsarbeiten hat der BGH (Urteil vom 17.09.2019 – Az. VI ZR 396/18) entschieden, dass ein Anspruch nicht mit der Begründung verneint werden kann, die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten lasse sich erst nach durchgeführter Reparatur sicher beurteilen, auch insoweit war daher kein Abzug vorzunehmen. .
4.
Der Kläger kann vom der Beklagten ferner den Ersatz der entstandenen Sachverständigenkosten in Höhe von 876,61 € verlangen.
Soweit beklagtenseits bestritten wurde, dass diese Kosten notwendig, erforderlich, angemessen und ortsüblich sind sowie dass der Sachverständige tatsächlich alle in Ansatz gebrachten Positionen geleistet und diese auch richtig abgerechnet habe, handelt es sich um unsubstantiiertes und damit nicht erhebliches Vorbringen.
Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen zudem die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten, die vorliegend in der geltend gemachten Höhe entstanden sind.
Ein Abzug war lediglich bei der in Höhe von 30,00 € geltend gemachten Unkostenpauschale zu machen, die das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 25,00 € schätzt.
III.
Der Klageantrag zu 3) ist zulässig und begründet.
Das Feststellungsinteresse des Klägers im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO liegt vor; die Entstehung eines über die geltend gemachten Kosten hinausgehender Schaden keineswegs unwahrscheinlich. So ist bei der von Klägerseite beabsichtigten Reparatur von weiteren Schadenspositionen, wie z.B. Umsatzsteuer, Nutzungsausfall bzw. Mietwagenkosten auszugehen, die derzeit – mangels tatsächlich durchgeführter Reparatur – noch nicht im Wege der Leistungsklage geltend zu machen sind.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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