Verkehrsrecht

Alkoholmissbrauch und Fahreignung

Aktenzeichen  11 CS 17.1919

Datum:
12.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14505
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a, § 46 Abs. 1 S. 1
StPO § 170 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Annahme, dass bei einem Antragsteller, der einmal unter hoher Alkoholkonzentration gefahren ist und dem „schwerer Alkoholmissbrauch mit abhängigkeitsähnlichen Zügen“ attestiert worden ist, der Tatbestand des § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a Alt. 2 FeV erfüllt ist, ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass von Personen, die mit einer höheren Blutalkoholkonzentration als 1,6‰ aufgefallen sind, eine hohe Rückfallgefahr ausgeht, nicht zu beanstanden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 S 17.1394 2017-09-06 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 6. September 2017 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Nachdem das Amtsgericht Schwandorf dem Antragsteller nach einer Trunkenheitsfahrt im Januar 2015 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,14 ‰ die Fahrerlaubnis entzogen hatte, erteilte ihm die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Neustadt a.d. Waldnaab (im Folgenden: Landratsamt) am 28. Dezember 2015 zunächst eine Fahrerlaubnis unter Auflagen; nach Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens am 25. Juli 2016 eine unbeauflagte Fahrerlaubnis für die Klassen A, A 2, A 1, AM, B und L. Der psychologische Gutachter ging von einem „zumindest“ schweren Alkoholmissbrauch mit abhängigkeitsähnlichen Zügen aus, bescheinigte aber dem Antragsteller im Hinblick auf die von ihm geübte Alkoholabstinenz bei einer insgesamt veränderten Lebensführung die Kraftfahreignung.
Im November 2016 wurde dem Landratsamt bekannt, dass die Polizei gegen den Antragsteller wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ermittelte. Dem lag zugrunde, dass ein Zeuge den Antragsteller beschuldigte, in der Nacht des 28. Juli 2016 betrunken in die Straße gesprungen zu sein, was ihn zu einem Ausweichmanöver mit Sachschaden veranlasst habe. Da der Antragsteller, bei dem eine Blutalkoholkonzentration von 2,00 ‰ gemessen wurde, bestritt, in die Fahrbahn gesprungen zu sein, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Verfügung vom 23. November 2016 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein.
Mit Schreiben vom 4. April 2017 forderte das Landratsamt den Antragsteller gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV auf, ein Gutachten zu den Fragen vorzulegen, ob er erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde und ob aufgrund der bekannten Alkoholauffälligkeit ggf. körperliche Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der beantragten Klassen in Frage stellten. Nachdem der Antragsteller sich mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 12. Juli 2017 geweigert hatte, das geforderte Gutachten beizubringen, entzog ihm das Landratsamt gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV mit Bescheid vom 24. Juli 2017 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und gab ihm unter Anordnung eines Zwangsgeldes auf, seinen Führerschein spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. In den Gründen ist unter anderem ausgeführt, der Antragsteller habe durch seine hohe Alkoholisierung nur drei Tage nach Aushändigung des Führerscheins die Einhaltung der Voraussetzungen für die positive gutachterliche Prognose in Frage gestellt. In dem Gutachten werde festgestellt, dass der Antragsteller seinen Alkoholkonsum nicht kontrollieren und nicht mäßig trinken könne. Es werde daher strikte Abstinenz gefordert. Aufgrund des Vorfalls sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Antragsteller erneut in alte Verhaltensmuster zurückfallen könnte, wieder unkontrolliert Alkohol konsumiere und erneut einen Kontrollverlust erleide, der in der Folge zu einem Alkoholmissbrauch führen könnte.
Hiergegen ließ der Antragteller am 12. August 2017 durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage (RO 8 K 17.1395) erheben und gleichzeitig Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Mit Beschluss vom 6. September 2017 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag mit der Begründung ab, die Fahrerlaubnisbehörde sei zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV ausgegangen und habe daher zwingend die Beibringung eines Gutachtens anordnen müssen. Der Vorfall vom 28. Juli 2016 habe gezeigt, dass die positive Prognose in dem vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten nicht zutreffe. Es sei nicht entscheidungserheblich, dass der Antragsteller bestritten habe, in die Fahrbahn gesprungen zu sein. Die Gutachtensanordnung sei fehlerfrei ergangen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, mit der der Antragsteller die Aufhebung des Gerichtsbeschlusses beantragt. Die Entscheidung sei schon deshalb aufzuheben, weil das Verwaltungsgericht von einem unrichtigen Sachverhalt (Sprung auf die Straße und Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers) ausgegangen sei. Der Antragsteller habe zwar unter Alkoholeinfluss gestanden, aber keine Ausfallerscheinungen gehabt und niemanden gefährdet. Es verbiete sich auch die Schlussfolgerung, dass er nicht in der Lage sei, zwischen Alkoholkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu unterscheiden. Er sei im Zusammenhang hiermit nicht mehr negativ aufgefallen. Vielmehr habe er an dem Tag bewusst auf das Fahrzeug verzichtet. Zu berücksichtigen sei auch, dass es sich um eine Schulabschlussparty gehandelt habe und der Alkoholkonsum eine Ausnahme gewesen sei.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass der Antragsteller keinen über die Aufhebung des Gerichtsbeschlusses hinausgehenden Sachantrag gestellt hat. Denn seinem Beschwerdevorbringen lässt sich nach zweckentsprechender Auslegung (§§ 122, 88 VwGO) hinreichend entnehmen, dass er die erstinstanzliche Entscheidung für unzutreffend hält und sein erstinstanzliches Begehren, die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherzustellen, weiterverfolgt.
Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der angefochtene Bescheid des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2421), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. Mai 2017 (BGBl. I S. 1282), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Zu diesen Tatsachen zählen auch Alkoholauffälligkeiten ohne unmittelbaren Bezug zum Straßenverkehr, sofern weitere Umstände Zweifel rechtfertigen, ob der Betroffene den Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs sicher trennen kann (BayVGH, B.v. 6.12.2012 – 11 CS 12.2173 – juris Rn. 21 f.; vgl. auch VGH BW, B.v. 19.8.2013 – 10 S 1266/13 – DAR 2014, 413 = juris Rn. 7 m.w.N.; OVG NW, B.v. 14.11.2013 – 16 B 1146/13 – NZV 2014, 236 = juris Rn. 7; OVG SH, B.v. 26.3.2018 – 4 LA 126/17 – juris Rn. 5; Dauer in Hentschel/ König/Dauer, StrVR, 44. Aufl. 2017, § 13 FeV Rn. 21 jeweils m.w.N.). Alkoholmissbrauch ist nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV gegeben, wenn der Konsum von Alkohol nicht hinreichend sicher vom Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt werden kann.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, sofern die Untersuchungsanordnung rechtmäßig und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt ist (stRspr BVerwG, B.v. 21.5.2012 – 3 B 65/11 – juris Rn. 7; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2/10 – BVerwGE 137, 10/13 Rn. 14 m.w.N.).
Der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht haben ihre Entscheidungen darauf gestützt, dass der Antragsteller, der nachweislich einmal unter hoher Alkoholkonzentration gefahren ist und dem „schwerer Alkoholmissbrauch mit abhängigkeitsähnlichen Zügen“ attestiert worden ist, die gutachterliche Prognose seiner wiedererlangten Fahreignung durch seine erneute Trunkenheit am 28. Juli 2016 in Frage gestellt hat. Ungeachtet der Formulierung in der Sachverhaltsdarstellung des angegriffenen Beschlusses hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung keine vom Antragsteller begangene Straßenverkehrsgefährdung zugrunde gelegt. Es hat vielmehr angeführt, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, und als rechtlich ausschlaggebend erachtet, dass der Antragsteller die im medizinisch-psychologischen Gutachten für eine positive Prognose vorausgesetzte dauerhafte Abstinenz nur kurze Zeit nach Wiedererteilung einer unbeauflagten Fahrerlaubnis gebrochen hat und die gutachterliche Prognose damit nicht mehr trägt. Den dem Antragsteller zur Last gelegten strafrechtlichen Vorwurf hat es ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich angesehen.
Die Annahme, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV erfüllt sind, ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass von Personen, die mit einer höheren Blutalkoholkonzentration als 1,6 ‰ aufgefallen sind, eine hohe Rückfallgefahr ausgeht (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 143 ff.), nicht zu beanstanden. Eine Fahrt unter hoher Alkoholkonzentration (vgl. Abschnitt 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [VkBl. S. 110], S. 78), die gutachterliche Einschätzung, der Antragsteller werde nicht in der Lage sein, einen Alkoholkonsum dauerhaft zu kontrollieren (was im Übrigen auch der Selbsteinschätzung des Antragstellers bei der Begutachtung entsprach) und somit zwischen Alkoholkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen, und die für einen neuerlichen Kontrollverlust sprechende starke Alkoholisierung (2,00 ‰) des Antragstellers am 28. Juli 2016 sind Tatsachen, die jedenfalls in der Gesamtschau die Annahme erneuten Alkoholmissbrauchs rechtfertigen. Nach Abschnitt 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien, die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind, ist eine wiedergewonnene Kraftfahreignung nach Alkoholmissbrauch nur dann gegeben, wenn das Trinkverhalten ausreichend geändert worden ist. Ist – wie hier beim Antragsteller – aufgrund der Lerngeschichte anzunehmen, dass sich ein konsequenter kontrollierter Umgang mit alkoholischen Getränken nicht erreichen lässt, setzt die Fahreignung voraus, dass Alkoholabstinenz eingehalten wird. Der Vorfall vom 28. Juli 2016 hat jedoch gezeigt, dass der Antragsteller keine Abstinenz einhält. Nach seinem Vortrag im Klage- und Eilverfahren ist er offenbar nunmehr der Ansicht, dass es genüge, wenn er im Zustand der Alkoholisierung kein Kraftfahrzeug führt.
Die begründete Annahme erneuten Alkoholmissbrauchs wird in Anbetracht des geringen Entdeckungsrisikos (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2012 – 11 CS 12.201 – juris Rn. 26) nicht dadurch widerlegt, dass der Antragsteller angibt, seit Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im Dezember 2015 bis Ende Juli 2016 nicht erneut unter der Wirkung von Alkohol gefahren zu sein.
Ferner hat die Fahrerlaubnisbehörde auch nicht ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen aus einer nicht verkehrsbezogenen Trunkenheit auf mangelndes Trennvermögen geschlossen. Wäre sie von feststehender Ungeeignetheit ausgegangen, hätte sie nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen müssen, ohne ein weiteres Eignungsgutachten anzuordnen (vgl. § 11 Abs. 7 FeV). Die Behörde hat jedoch dem Antragsteller zur Beibringung eines Gutachtens aufgefordert, um Eignungszweifel durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung zu klären, in deren Rahmen auch zu prüfen gewesen wäre, ob es sich bei der Trunkenheit am 28. Juli 2016, wie im Zulassungsverfahren erstmals vorgetragen, um eine „Ausnahme“ bzw. einen sog. „einmaligen Ausrutscher“ gehandelt hat. Da der Antragsteller eine Untersuchung verweigert und das geforderte Gutachten nicht beigebracht hat, hat die Fahrerlaubnisbehörde zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine fehlende Kraftfahreignung geschlossen.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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