Verkehrsrecht

Anscheinsbeweis bei Kettenauffahrunfall

Aktenzeichen  10 U 748/16

Datum:
12.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 7, § 17, § 18
BGB BGB § 823
ZPO ZPO § 286, § 287
RVG RVG § 13 Abs. 1, Nr. 2300 VV

 

Leitsatz

1. Bei einem Kettenauffahrunfall kommt ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Frontschadens an dem Fahrzeug, auf das das Fahrzeug des Hintermannes aufgefahren ist, mangels Feststellbarkeit eines ausreichend typischen Geschehensablaufs nicht in Betracht (Anschluss an OLG Hamm BeckRS 2014, 04509; OLG Düsseldorf BeckRS 2006, 12178). (Rn. 6) (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer erfordert die Feststellung, dass das ihm vorausfahrende Fahrzeug des Geschädigten rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug den Bremsweg des ihm folgenden Fahrzeugs verkürzt hat (hier verneint; vgl. auch OLG Hamm BeckRS 2014, 04509). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Abwicklung eines üblichen Verkehrsunfalls handelt es sich, auch in sogenannten einfachen Regulierungssachen, um eine durchschnittliche Angelegenheit, bei der die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG angemessen ist (Bestätigung von OLG München BeckRS 9998, 40513). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

19 O 27978/11 2016-01-14 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin vom 17.02.2016 gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 14.01.2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts München I und dieses Urteil sind jeweils vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
I.
Die Berufung war zurückzuweisen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
1.) Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf samtverbindliche Zahlung von 4.968,52 € nebst Zinsen.
a) Zur Position Kfz-Schaden (4.500,00 €):
aa) Wie vom Senat bereits mit Hinweisbeschluss vom 19.05.2016 (Bl. 262/269 d.A.) ausgeführt, gilt diesbezüglich zunächst Folgendes:
(1.) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Ersturteil insoweit nicht zu beanstanden, als es davon ausgeht, dass die Klägerin nicht den ihr obliegenden Nachweis dafür erbracht hat, dass der Beklagte zu 1) den Schaden an der Front des klägerischen Pkw verursacht hat. Es handelt sich hier nicht um einen gewöhnlichen Auffahrunfall, sondern einen Kettenauffahrunfall. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.06.2006, Az.: I-1 U 206/05, juris; OLG Hamm, Urteil vom 06.02.2014, Az.: 6 U 101/13, NJW 2014, 3790), dass bei Kettenauffahrunfällen jedenfalls hinsichtlich der Verursachung des Frontschadens an dem Fahrzeug, auf das das Fahrzeug des Hintermanns aufgefahren ist, der für ein Verschulden des Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis in der Regel nicht anwendbar ist, weil regelmäßig gerade kein ausreichend typischer Geschehensablauf feststellbar ist. So verhält es sich auch hier.
Auch soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des Erstgerichts angreift, ist dies nicht zielführend. Denn das Berufungsgericht ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. z.B. BGH VersR 2005, 945). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a. a.O.). Im Einzelnen:
Entgegen dem Vortrag in der Berufungsbegründung (vgl. dort S. 5 = Bl. 243 d.A.) ist dem angefochtenen Urteil bereits gar keine „Überzeugung des Erstgerichts, die Zeugin K. sei unglaubwürdig“, zu entnehmen. Vielmehr wird auf S. 9 unten des Ersturteils (= Bl. 210 d.A.) Folgendes ausgeführt: „Unabhängig davon, dass die Aussage der Zeugin K. von Unsicherheiten geprägt war, hat sie dem Gericht glaubwürdig bekundet, dass sie nicht mehr wisse, wie viele Anstöße sie verspürt habe.“ Das Berufungsvorbringen leidet an dieser Stelle bereits daran, dass nicht zwischen den Begriffen der Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit unterschieden wird. Wie ausgeführt, hat das Erstgericht der Zeugin mitnichten ihre – grundsätzliche – Glaubwürdigkeit abgesprochen. Was wiederum das Problem der gerichtlichen Bewertung der Glaubhaftigkeit einzelner Aussagen betrifft, hat das Erstgericht (allerdings ebenfalls unscharf den Ausdruck „glaubwürdig“ benutzend) ausgeführt, dass die Zeugin ihre ursprüngliche Version, lediglich einen Anstoß verspürt zu haben, relativiert habe und dass das Gericht diese neue, in der Sitzung vom 16.10.2012 erfolgte Aussage als glaubhaft einstuft.
Zwar ist der Klägerin insoweit Recht zu geben, als es sich bei fehlender Aussagekonstanz oftmals so verhält, dass die älteste, am nächsten zum Geschehen liegende Zeugenaussage noch am ehesten den Geschehensablauf realistisch wiedergibt. Dies stellt indes kein Gesetz dar. So kann es im Einzelfall immer unterschiedliche Gründe für eine fehlende Aussagekonstanz geben; vermeintlich sichere zeitnahe Aussagen können sich durchaus als objektiv falsch erweisen. Das Erstgericht hat sich mit diesem Problem auseinandergesetzt. Die Beweiswürdigung ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der – eigentlich nicht die Beweiswürdigung, sondern das Verfahren, nämlich die Beweisaufnahme, betreffende – Vorwurf der Klägerin, das Erstgericht hätte es nicht ablehnen dürfen, den Zeugen Rechtsanwalt Ki. zum Beweis der klägerischen Behauptung zu vernehmen, die Zeugin K. habe auch dem Zeugen Ki. gegenüber erklärt, nur einen Anstoß verspürt zu haben, greift abermals nicht. Denn das Erstgericht hat – ausweislich S. 8 des Ersturteils (= Bl. 209 d.A.) – diese Behauptung als wahr unterstellt. Ein für die Klägerin günstigeres Ergebnis hätte eine entsprechende Beweisaufnahme ohnehin nicht erbringen können.
Ebenso wenig erschließt sich der Vorwurf der Klägerin, das Erstgericht hätte nicht aufzeigen dürfen, dass die ursprüngliche Version der Zeugin K., wonach sie nur einen Anstoß verspürt habe, nicht in Einklang zu bringen wäre mit der Aussage des Zeugen Ku., es habe bei ihm hinten zwei – bis dreimal gekracht. Denn tatsächlich würde dies einen Widerspruch bedeuten. Soweit die Klägerin argumentiert, das Gericht hätte deswegen aus diesem Widerspruch keine weiterreichende Schlüsse ziehen dürfen, weil wiederum die Aussagen des Zeugen Ku. „einen einzigen Widerspruch darstellen“ (vgl. S. 7 der Berufungsbegründung = Bl. 245 d.A.), was bereits im Schriftsatz vom 24.07.2013 dargestellt worden sei, ist auf Folgendes hinzuweisen:
– Es erschließt sich bereits von vornherein nicht, welches Interesse der im Verhältnis zu den hiesigen Parteien unbeteiligte Zeuge Ku. daran haben sollte, bewusst wahrheitswidrig zu behaupten, er habe nicht nur einen Anstoß verspürt, sondern zwei oder drei.
– Auf S. 6/7 des o.g. Schriftsatz vom 24.07.2013 (= Bl. 71/72 d.A.) wird (zur Begründung der fehlenden Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen Ku.) u.a. Folgendes ausgeführt: „In seiner richterlichen Einvernahme am 12.06.2012 i.S. Mauser ./. Riedl, 315 C 6616/12, behauptet er: „Ob es mehrere Anschläge waren – zwei oder auch drei – ich kann es nicht sagen“. Ferner: „Da ich ziemlich laut Musik gehört habe, habe ich das akustisch gar nicht so wahrgenommen usw.“.
– Ausweislich S. 4 des Protokolls jener Sitzung vor dem AG München, Az.: 315 C 6616/12, lautet die Aussage des Zeugen Ku. indes vollständig: „Ob es mehrere Anschläge waren – zwei oder auch drei – ich kann es nicht sagen. Ich kann nur vermuten, ich glaube es, aber ich kann es nicht sicher sagen, dass die Dame hinter mir auf mich aufgeschoben wurde. Zwei Schläge habe ich mit Sicherheit wahrgenommen, und zwar habe ich die an meinem Auto gespürt. Da ich ziemlich laut Musik gehört habe, habe ich das akustisch gar nicht so wahrgenommen, sondern ich habe es taktil gespürt.“
Was von der Klägerin verkannt wird, was die ohnehin bereits nicht zu beanstandende erstgerichtliche Beweiswürdigung aber noch weiter, und zwar ganz entscheidend stützt, ist dabei ein ganz anderer Aspekt: Ausweislich des unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. L. (vgl. dort insb. S. 24 oben) spricht „die deutlich größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beklagte“ (hier: Klägerin) „aktiv auf das Heck des Fiat der Zeugin auffuhr“. Weshalb wiederum dieses Gutachten falsch sein sollte, erschließt sich dem Senat abermals nicht. Insbesondere kam der Sachverständige aufgrund ausreichender objektiver Anknüpfungstatsachen (Lichtbilder / Schadengutachten), und nicht etwa anhand subjektiver Zeugenaussagen, zu dem Ergebnis, dass aufgrund der zur Verursachung der Schäden am Heck des Pkw Fiat Punto erforderlichen Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen Pkw sowie aufgrund der Höhenlagen der jeweiligen Schäden die größere Wahrscheinlichkeit für ein aktives Auffahren der Klägerin spricht.
Letztlich setzt die Klägerin bloß ihre eigene (für sie günstige) Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Erstgerichts. Dies stellt aber kein berufungsrechtlich relevantes Vorbringen dar, weil eine Beweiswürdigung nicht schon dadurch fehlerhaft i.S.d. § 529 I Nr. 1 ZPO wird, dass ein gegenteiliges Beweisergebnis denkbar wäre.
(2.) Zu beanstanden ist das Ersturteil jedoch in anderer Hinsicht, nämlich soweit es das Problem des Heckschadens des klägerischen Pkws betrifft, und zwar aus folgenden Gründen:
– Das Erstgericht geht zunächst ohne nähere Begründung davon aus, dass die Beklagten insoweit grundsätzlich haften. Dieser Mangel der Urteilsdarstellung belastet die Berufungsführerin allerdings nicht. Nur ergänzend ist daher auf Folgendes hinzuweisen: Offenbar wendet das Erstgericht hinsichtlich der Verursachung des Heckschadens zu Gunsten der Klägerin einen für ein Verschulden des Beklagten zu 1) als Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis an. Dies ist indes bei Kettenauffahrunfällen keineswegs selbstverständlich. So hat das OLG Hamm in seinem bereits oben zitierten Urteil Folgendes ausgeführt: „Bei einem Kettenauffahrunfall kommt ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass das ihm vorausfahrende Fahrzeug des Geschädigten rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug den Bremsweg des ihm folgenden Fahrzeugs verkürzt hat.“ Die Frage dieser Bremswegverkürzung war jedoch Gegenstand des vom Erstgericht gem. § 411a ZPO verwerteten o.g. unfallanalytischen Sachverständigengutachten (nebst Ergänzungsgutachten). Demzufolge kam es hier allenfalls zu einer geringfügigen, für die Kollision des Beklagtenfahrzeuges mit dem klägerischen Pkw letztlich nicht kausalen Bremswegverkürzung.
– Widersprüchlich sind die Gründe des angefochtenen Urteils, soweit es um die Frage geht, ob die Beklagten für den Heckschaden allein haften oder nur anteilig. Während auf S. 7 und S. 12 des Ersturteils (= Bl. 208 und 213 d.A.) die Rede ist von einer „quotenmäßigen Begrenzung“ bzw. der Haftung der Beklagten „für 2/3 des Heckschadens“, spricht das Erstgericht der Klägerin die als Heckschaden geschätzten 500,00 € dann doch vollständig zu. Auch dies ist im Ergebnis jedoch nicht zu beanstanden, erschlösse sich doch nicht, woraus sich eine anteilige Haftung der Klägerin hinsichtlich des Heckschadens ergeben sollte.
– Zu beanstanden ist schließlich die Methode des Erstgerichts bei der Schätzung der Höhe des Heckschadens. Weshalb dieser ausgerechnet 500,00 € betragen sollte, und nicht etwa weniger oder auch mehr, bleibt unklar. Trotz der Beweiserleichterung im Rahmen von § 287 ZPO hätte es hier entweder einer schlüssigen Darstellung der Berechnung dieser 500,00 € in Verbindung mit einer Darlegung der hierfür erforderlichen besonderen Sachkunde des Gerichts bedurft oder der Erholung eines Sachverständigengutachtens.
bb) Im Hinblick auf die Ausführungen im Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.08.2016 (Bl. 274/288 d.A.) ist ergänzend Folgendes zu bemerken:
– Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Heckschaden nicht isoliert vom Frontschaden betrachtet werden: Wer mit einem bereits vorbeschädigten Fahrzeug kollidiert, haftet nur für denjenigen Schaden, welcher neu verursacht wird. Der Geschädigte trägt die Beweislast, dass es sich bei dem von ihm geltend gemachten Schaden um einen solchen neu verursachten handelt. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Klägerin im hiesigen Verfahren nicht den Ersatz ihres Frontschadens als solchen begehrt.
– Es bleibt dabei, dass vorliegend die vom Senat bereits beispielhaft zitierte Rechtsprechung zu den sog. Kettenauffahrunfällen einschlägig ist. Denn unstreitig kollidierten hier – sei es nun aktiv oder passiv im Sinne eines Aufschiebens – nicht nur zwei Fahrzeuge miteinander, sondern vier. Bei derartigen Sachverhalten spricht nicht bereits der erste Anschein dafür, dass der Frontschaden eines mittleren Gliedes der Kette durch das Auffahren und ein damit verbundene Aufschieben des „Hintermannes“ verursacht worden ist. Denn ebenso ist es möglich, dass das mittlere Fahrzeug bereits vor dem Auffahren durch das Fahrzeug des „Hintermannes“ seinerseits bereits auf das Fahrzeug des „Vordermannes“ aufgefahren war. Diese Rechtsprechung gilt im Übrigen nicht nur hinsichtlich auf § 7 StVG gestützter Ansprüche (Gefährdungshaftung), sondern auch hinsichtlich § 18 StVG (Haftung für vermutetes Verschulden) und § 823 BGB (Verschuldenshaftung).
– Schließlich bleibt es auch dabei, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit die Feststellung des Sachverständigen Dipl.-Ing. L., wonach eine größere Wahrscheinlichkeit für ein aktives Auffahren des klägerischen Pkws auf den Pkw Fiat Punto spricht als für ein Aufschieben durch den Beklagten-Pkw, falsch sein sollte. Insbesondere liegen dieser Feststellung ersichtlich allein objektive Anknüpfungstatsachen zu Grunde. Soweit der Sachverständige auf S. 24 des Gutachtens vom 03.05.2013 (= Bl. 135 der Akte des AG München, Az.: 315 C 6616/12) ausführt, dass der Zeuge Ku. zwei Aufschläge wahrgenommen habe, handelt es sich um keine für das Gutachtensergebnis konstitutive Feststellung, sondern nur eine Kontrollüberlegung. Doch selbst wenn die Wahrscheinlichkeit für ein aktives Auffahren durch die Klägerin nicht größer wäre als für ein Aufschieben durch den Beklagten-Pkw, würde dies nichts daran ändern, dass damit die Klägerin bereits im Ansatz noch nicht den ihr obliegenden Nachweis erbracht hat, dass sie vom Beklagten-Pkw auf den vor ihr befindlichen Pkw aufgeschoben worden ist.
cc) Der Senat ist aufgrund des von ihm erholten schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. K. vom 13.02.2017 (Bl. 304/309 d.A.) davon überzeugt, dass der Restwert des klägerischen Pkws zwar höher gewesen wäre, wäre es nicht zu dem Heckaufprall gekommen. Wie der dem Senat als sachkundig und erfahren bekannte Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, hätte der Restwert ohne Heckschaden aber nur 100,00 € mehr betragen, als seitens der Klägerin realisiert werden konnte. Nachdem die Beklagte zu 2) 165,00 €, und mithin mehr als der Klägerin zustand, auf den Kfz-Schaden bezahlt hat (vgl. auch das Schreiben der Beklagten zu 2) vom 16.08.2011 = Anlage zur Klageschrift bzw. Anlage B1 sowie den Hinweis des Senats im o.g. Beschluss zu I.1.)b) = Bl. 263 d.A.), ist der Anspruch durch Erfüllung gem. § 362 I BGB erloschen. Soweit das Ersturteil diesbezüglich eine Verurteilung der Beklagten zur samtverbindlichen Zahlung von 500,00 € (nebst Zinsen) enthält, ist dies zwar fehlerhaft, gereicht der Klägerin aber nur zum Vorteil und kann vom Senat nicht gem. § 528 ZPO abgeändert werden.
b) Zur Position Nutzungsausfall (428,77 €):
Zu Recht hat das Erstgericht den Ersatz des geforderten Nutzungsausfallschadens (630,00 € abzüglich seitens der Klägerin hierauf verrechneter 201,23 € ergibt 428,77 €) abgelehnt. Denn wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt, ist dieser Schaden bereits durch den – den Beklagten aus den o.g. Gründen nicht zuzurechnenden – Frontschaden verursacht worden, welcher unstreitig bereits zu einem wirtschaftlichen Totalschaden geführt hat.
c) Zur Position Attestkosten (39,75 €):
Was wiederum die Position „Kosten für ein medizinisches Gutachten“ (39,75 €) betrifft, hat das Erstgericht diese im Ergebnis zu Recht nicht zugesprochen, hat die Klägerin doch bereits nicht den Nachweis erbracht, dass der Beklagte zu 1) für ihre körperlichen Beschwerden verantwortlich ist (vgl. dazu unten 2.). Doch selbst wenn dieser Anspruch entstanden wäre, wäre er abermals in Folge der Zahlung seitens der Beklagten zu 2) durch Erfüllung erloschen (vgl. auch die Anlage B3).
d) Zu den Verzugszinsen:
Die Klägerin hat gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf samtverbindliche Zahlung von Zinsen aus 4.968,52 €. Denn eine entsprechende Geldschuld i.S.d. §§ 288 I 1 BGB bzw. § 291 I 1 BGB lag, wie dargelegt, nur in Höhe von 100,00 € vor und war auch insoweit bereits vor dem 01.11.2011 durch Erfüllung erloschen (vgl. auch Anlage B3). Soweit demgegenüber das Ersturteil eine Verurteilung der Beklagten zur samtverbindlichen Zahlung von Zinsen aus 500,00 € enthält, handelt es sich abermals um einen vom Senat gem. § 528 ZPO nicht zu berichtigenden Fehler.
2.) Die Klägerin hat gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf samtverbindliche Zahlung eines Schmerzensgeldes nebst Zinsen.
a) Wie vom Senat bereits mit dem o.g. Hinweisbeschluss ausgeführt, gilt diesbezüglich zunächst Folgendes:
aa) Soweit sich das Erstgericht bereits keine Überzeugung dahingehend gebildet hat, dass die Klägerin überhaupt aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat, ist dies nicht zu beanstanden und bindet den Senat folglich gem. § 529 I Nr. 1 ZPO.
– Zu Recht ist das Erstgericht – mangels klägerischen Nachweises – nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin durch den vom Beklagten zu 1) geführten Pkw auf den Pkw Fiat Punto aufgeschoben worden ist (vgl. dazu oben). Vielmehr hat es für seine weiteren Überlegungen folgerichtig zu Grunde gelegt, dass die Klägerin zunächst ihrerseits aktiv gegen den Pkw Fiat Punto gestoßen und erst anschließend der Anprall gegen das Heck ihres Pkw seitens des vom Beklagten zu 1) geführten Pkw erfolgt ist.
– Für diesen Fall ist ausweislich S. 28 des vom Erstgericht erholten biomechanisch-orthopädischen Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. B. und Dr. H. vom 07.07.2015 die Entstehung eines HWS-Schleudertraumas des Grades I (Erdmann) bzw. des Grades 1 (Quebec Task Force) nur „nicht ausschließbar denkbar“.
– Zu Recht hat das Erstgericht dem angefochtenen Urteil auch die Ergebnisse dieses Gutachtens, ebenso wie diejenigen des o.g. unfallanalytischen Gutachtens, zu Grunde gelegt. Die Angriffe der Klägerin gegen diese Gutachten erscheinen nicht nachvollziehbar, bauen beide Gutachten doch jeweils auf objektiven Grundlagen auf, untersuchen jeweils die verschiedenen denkbaren Sachverhaltsvarianten und überlassen jeweils ausdrücklich dem Gericht die letztliche juristische Bewertung.
bb) Selbst unterstellt, der Beklagte zu 1) hätte durch das Auffahren bei der Klägerin tatsächlich ein HWS-Schleudertrauma verursacht, hätte das Gericht mangels genauerer Erkenntnisse hinsichtlich dessen Tragweite die Höhe eines Schmerzensgeldes nicht bemessen können. Denn wie der Senat bereits in diesem Verfahren auf S. 3 des Beschlusses vom 02.05.2014 (= Bl. 134 d.A.) ausgeführt hat, war der Umfang der von der Klägerin geltend gemachten HWS-Distorsionsverletzung bislang (vor Erholung des o.g. biomechanisch-orthopädischen Gutachtens) noch nicht festgestellt worden. Durch die Erholung dieses Gutachtens hat sich daran nur insoweit etwas geändert, als dass das Gericht – entgegen dem klägerischen Vortrag – nun allenfalls (vgl. dazu aber oben) von einem leichten HWS-Schleudertrauma (Grad I nach Erdmann bzw. Grad 1 nach Quebec Task Force) ausgehen konnte. Für genauere Erkenntnisse hätte es der von den gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Nachuntersuchung bedurft, welche die Klägerin aus hier nicht näher bekannten Gründen nicht wahrgenommen hat (vgl. S. 17 des o.g. Gutachtens).
cc) Im Übrigen hat das Erstgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin seitens der Beklagten bereits ein Schmerzensgeld in Höhe von 450,00 € erhalten hat. Für ein darüber hinausgehendes Schmerzensgeld bestand nach alledem erst recht kein Raum.
b) Im Hinblick auf die Ausführungen im o.g. Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.08.2016 ist ergänzend Folgendes zu bemerken:
aa) Soweit die Klägerin Widersprüche zwischen den Ausführungen des Senats im o.g. Hinweisbeschluss zu I.)2.)a) aa) auf der einen und bb) und cc) auf der anderen Seite bzw. den Ausführungen auf S. 11 des Ersturteils im vierten Absatz auf der einen und im siebten Absatz auf der anderen Seite sieht, vermag der Senat solche nicht zu erkennen. Es bleibt vielmehr dabei: Die Klägerin trägt die Beweislast für ihre Behauptung, sie habe durch die vom Beklagten zu 1) verursachte Kollision die von ihr behaupteten Verletzungen erlitten. Kann sie – wie hier – nicht nachweisen, dass ihr Pkw vom Beklagten-Pkw auf den vor ihr befindlichen Pkw aufgeschoben worden ist, ist zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass der klägerische Pkw bereits zuvor aktiv auf den „Vordermann“ aufgefahren war. Für diesen Fall – und nur von diesem ist zu Gunsten der Beklagten aufgrund der mehrfach dargestellten Beweislastverteilung auszugehen – konnten die vom Erstgericht beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. Dipl.-Ing. B. und Dr. H. in ihrem interdisziplinären (biomechanischen / medizinischen) Gutachten vom 07.07.2015 ausweislich S. 29 ein leichtes HWS-Schleudertrauma lediglich nicht ausschließen. Die Klägerin hat jedoch gem. § 286 ZPO den Vollbeweis zu erbringen, überhaupt aufgrund des Einwirkens des Beklagten zu 1) verletzt worden zu sein.
bb) Ferner bleibt es auch dabei, dass es in die Sphäre der beweisbelasteten Klägerin fällt, wenn sie sich allein auf ihren eigenen mittels eines ärztlichen Attestes, welches noch dazu bis auf den Hinweis auf eine radiologisch festgestellte „leichte Steilstellung der HWS“ keine objektivierten Anknüpfungstatsachen enthält, qualifizierten Parteivortrag stützen will und an der für die Beantwortung der Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Beschwerden und Unfall erforderlichen Nachuntersuchung durch den medizinischen Sachverständigen nicht teilnimmt (vgl. S. 15 und 17 des o.g. Gutachtens).
cc) Soweit die Klägerin im Übrigen weiterhin die Auffassung vertritt, die Beklagten hätten den entsprechenden klägerischen Vortrag zugestanden, so dass es insoweit überhaupt keiner Beweisaufnahme bedurft hätte, wird auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 02.05.2014 (Bl. 132/140 d.A.) Bezug genommen.
dd) Soweit die Klägerin schließlich an ihrer Auffassung festhält, die Beklagte zu 2) habe auf die Schmerzensgeldforderung nicht 450,00 €, sondern nur 339,75 € bezahlt, verkennt sie die anderslautenden Tilgungsbestimmungen der Beklagten zu 2); vgl. auch den Hinweis- und Beweisbeschluss des Senats vom 26.08.2016 (= Bl. 289/291 d.A.) sowie das als Anlage B3 vorgelegte Schreiben der Beklagten zu 2) vom 05.12.2011.
3.) Die Klägerin hat schließlich gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf samtverbindliche Zahlung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten in Höhe von 481,36 € nebst Zinsen, sondern nur auf samtverbindliche Zahlung von Zinsen aus 62,48 € für die Zeit vom 09.02.2012 bis zum 07.09.2016.
Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann bei der Berechnung des Gegenstandswertes nicht einfach von den von der Beklagten zu 2) bereits vorprozessual gezahlten Beträgen (zuzüglich dem per Urteil Zugesprochenen) ausgegangen werden. Vielmehr ist maßgeblich, bzgl. welcher Positionen eine Rechtsverfolgung erfolgt war und in welcher Höhe diese Rechtsverfolgung jeweils zu Recht erfolgt war. Berechtigt war die Rechtsverfolgung nur bzgl. der o.g. 100,00 € (Restwertreduzierung durch Heckaufprall) zuzüglich 25,00 € (Unfallnebenkosten-Pauschale). Nicht berechtigt war sie bzgl. eines höheren Kfz-Schadens, der Nutzungsausfallentschädigung, der Attestkosten, des Schmerzensgeldes, aber auch bzgl. der Sachverständigenkosten. Hinsichtlich letzterer erfolgte sie deswegen nicht zu Recht, weil der Schaden mit nur 100,00 € die sog. Bagatellgrenze nicht überstiegen hat (vgl. auch Notthoff in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2, Rdnr. 854 ff m.w.N.).
Aus einem Gegenstandswert in Höhe von 125,00 € errechnet sich gem. der Tabelle als Anlage 2 zu § 13 I RVG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 32,50 €. Die ganz herrschende Rechtsprechung geht davon aus, dass es sich bei der Abwicklung eines üblichen Verkehrsunfalls auch nach Inkrafttreten des RVG grundsätzlich, auch in sogenannten einfachen Regulierungssachen, um eine durchschnittliche Angelegenheit handelt, bei der die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG angemessen ist (so Senat, Hinweis vom 19.04.2006 – 10 U 1613/06; vgl. ferner die Rechtsprechungsübersichten in DAR 2006, 58 f., NJW 2006, 1477 ff. und in MittBl. der Arge VerkR 2006, 53 ff.).
Zuzüglich Pauschale in Höhe von 20,00 € sowie zuzüglich 19% Umsatzsteuer auf 52,50 € errechnen sich Anwaltskosten in Höhe von 62,48 €.
Nachdem die Beklagte zu 2) hierauf am 07.09.2016 83,54 € bezahlt hat (vgl. S. 1 des Schriftsatzes des Beklagtenvertreters vom 07.09.2016 = Bl. 293 d.A.), ist der Anspruch abermals durch Erfüllung gem. § 362 I BGB erloschen. Es bleibt allein ein Anspruch auf Zinsen aus 62,48 € für die Zeit vom 09.02.2012 bis zum 07.09.2012.
Soweit demgegenüber das Ersturteil eine Verurteilung der Beklagten zur samtverbindlichen Zahlung von 102,69 € nebst Zinsen enthält, ist dies zwar fehlerhaft, gereicht der Klägerin jedoch abermals nur zum Vorteil und kann vom Senat nicht gem. § 528 ZPO abgeändert werden.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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