Verkehrsrecht

Aussagekraft eines Gutachtens über Alkoholmissbrauch

Aktenzeichen  11 CS 18.1027

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14567
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 46 Abs. 1 S. 1
StPO § 111a

 

Leitsatz

1 Hat ein Kraftfahrer ein von ihm gefordertes Gutachten vorgelegt, kann er nicht einwenden, die Behörde habe ihre Erkenntnisse rechtswidrig erlangt (vgl. BVerwG BeckRS 2010, 50799). (redaktioneller Leitsatz)
2 Dass ein Gutachten die Diagnose des Alkoholmissbrauchs im medizinischen Sinne stellt, während die Fahrerlaubnis bereits nach § 111a StPO entzogen war, steht der Verwertbarkeit nicht entgegen, wenn sich das Gutachten auf einen Zeitpunkt bezieht, zu dem die Antragstellerin noch im Besitz ihres Führerscheins war, und auch nicht ein einmaliger, sondern ein regelmäßiger Alkoholmissbrauch, der sich damit über einen gewissen Zeitraum erstreckt haben muss, diagnostiziert wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 18.385 2018-04-11 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E und CE79.
Mit Gutachten vom 30. Januar 2018 stellte die TÜV T. F. GmbH & Co. KG fest, dass bei der Antragstellerin ein kontrollierter Alkoholkonsum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sei. Angesichts der Vorgeschichte sei für die Annahme von Fahreignung von der Notwendigkeit eines auf Dauer angelegten Alkoholverzichts auszugehen. Da sie nicht auf Alkohol verzichte, sei zu erwarten, dass sie in Zukunft ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde.
Nach Anhörung entzog ihr das Landratsamt Sch. (im Folgenden: Landratsamt) mit Bescheid vom 22. Februar 2018 die Fahrerlaubnis aller Klassen und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Ablieferung des Führerscheins sowie die sofortige Vollziehung an. Am 6. März 2018 gab die Antragstellerin ihren Führerschein beim Landratsamt ab.
Über die Klage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2018 (Az. W 6 K 18.384) hat das Verwaltungsgericht Würzburg noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Die Klage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, da das Gutachten nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Antragstellerin fahrungeeignet sei. Ob die Gutachtensanordnung rechtmäßig gewesen sei, habe keine Bedeutung, da die Antragstellerin das Gutachten vorgelegt habe.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Die Antragstellerin macht geltend, sie sei am 7. Juli 2015 nicht betrunken Auto gefahren. Sie habe nach dem Unfall im Rahmen eines Sturztrunkes Alkohol konsumiert und damit 2,38 Promille Blutalkoholkonzentration erreicht. Sie habe Stimmungsschwankungen gehabt und teilweise laut herumgeschrien. Dies lasse nicht auf Alkoholgewöhnung schließen. Das eingeleitete Strafverfahren sei auch nach § 153 StPO eingestellt worden. Es treffe auch nicht zu, dass sie sich vom 12. Juli 2016 bis 9. August 2016 in der psychiatrischen Universitätsklinik in W* … befunden habe, denn am 1. August 2016 habe sie ihren Führerschein persönlich abgeholt. Sie habe dann ihren Alkoholkonsum erheblich reduziert. Die Diagnose eines Alkoholmissbrauchs stehe auch nicht im Zusammenhang mit der Fahreignung, da der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Diagnose der Führerschein nach § 111a StPO vorläufig entzogen gewesen sei. Sie trenne stets zwischen Alkoholkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr. Sie sei bereit, ein Alkoholabstinenzprogramm zu absolvieren. Das Verwaltungsgericht sei selbst davon ausgegangen, dass die Gutachtensanordnung nicht rechtmäßig gewesen sei. Sie sei auf jeden Fall auch nicht verhältnismäßig gewesen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei daher rechtswidrig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das form- und fristgerechte Beschwerdevorbringen berücksichtigt, ist nicht begründet, denn die Klage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2018 wird voraussichtlich nicht erfolgreich sein.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), vor Bescheiderlass zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Januar 2018 (BGBl I S. 2), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV liegt bei Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne, d.h. wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann, keine Fahreignung vor. Das Gutachten vom 30. Januar 2018 stellt schlüssig und nachvollziehbar fest, dass bei der Antragstellerin keine Fahreignung vorliegt, da sie nicht in der Lage ist, den Alkoholkonsum vom Führen eines Fahrzeugs sicher zu trennen, weil sie dafür auf den Konsum von Alkohol vollständig verzichten müsste (vgl. Hypothese A2 der Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP] und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Aufl. 2013, S. 133 ff.).
Soweit die Antragstellerin meint, das Gutachten könne nicht verwertet werden, da die Anordnung nicht rechtmäßig gewesen sei, kann sie damit nicht gehört werden. Hat ein Kraftfahrer ein von ihm gefordertes Gutachten vorgelegt, kann er nicht einwenden, die Behörde habe ihre Erkenntnisse rechtswidrig erlangt. Das Ergebnis des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich aus der Fahrerlaubnis-Verordnung oder sonstigem innerstaatlichen Recht nicht ableiten. Einem Verwertungsverbot steht auch das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 2.10 – BVerwGE 137, 10, U.v. 28.6.2012 – 3 C 30.11 – BayVBl 2013, 408/410; BayVGH, B.v. 26.7.2017 – 11 ZB 17.1199 – juris Rn. 19; B.v. 3.3.2015 – 11 ZB 14.2418 – juris Rn. 18, B.v. 11.6.2014 – 11 CS 14.532 – juris Rn. 11; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 11 FeV Rn. 26).
Durchgreifende Argumente, aus welchen Gründen das Fahreignungsgutachten vom 30. Januar 2018 nicht nachvollziehbar sein soll, hat die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht geltend gemacht. Die Ausführungen der Antragstellerin sind nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22. Februar 2018 zu begründen. Das Gutachten vom 30. Januar 2018 legt nicht zugrunde, dass der Antragstellerin eine Fahrt unter Alkoholeinfluss am 7. Juli 2015 nachgewiesen werden konnte, sondern bezieht sich nur auf die damals ermittelte Blutalkoholkonzentration von 2,38 Promille. Auch die Frage, ob sich die Antragstellerin tatsächlich bis 9. August 2016 oder nur bis 31. Juli 2016 im Universitätsklinikum befunden hat, spielte keine entscheidungserhebliche Rolle. Der Umstand, dass die Diagnose des Alkoholmissbrauchs im medizinischen Sinne während der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO erfolgt ist, führt ebenfalls nicht zur Mangelhaftigkeit des Fahreignungsgutachtens, denn zum einen bezog sich das rechtsmedizinische Gutachten vom 7. Juni 2016 auf den Vorfall vom 7. Juli 2015, also einen Zeitpunkt, zu dem die Antragstellerin noch im Besitz ihres Führerscheins war. Zum anderen ist dort nicht von einem einmaligen, sondern von einem regelmäßigen Alkoholmissbrauch die Rede, der sich damit über einen gewissen Zeitraum erstreckt haben muss. Das Fahreignungsgutachten kam angesichts der mangelnden Offenheit der Antragstellerin hinsichtlich ihres früheren Alkoholkonsums und den Widersprüchen in den Untersuchungsgesprächen zu dem Ergebnis, dass ein kontrollierter Alkoholkonsum nicht möglich erscheint und damit zur Herstellung der Fahreignung vollständige Abstinenz erforderlich ist. Diese Feststellungen konnte die Antragstellerin mit ihrer Beschwerdebegründung nicht erschüttern.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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