Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens

Aktenzeichen  M 6 S 20.3709

Datum:
17.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32660
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 6, Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3
StVG § 3 Abs. 1, Abs. 4 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die 1969 geborene Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L und M.
Mit rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts München vom 22. Oktober 2019 wurde die Antragstellerin wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen sowie einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt. Dem Sachverhalt zufolge fuhr die Antragstellerin am … September 2018 mit ihrem Pkw auf einen Kundenparkplatz in der A* …Straße … in A* …, um dort ihren Pkw abzustellen. Als die Antragstellerin in eine Längsparklücke einfuhr, befand sich in der Nähe die spätere Geschädigte, welche ebenfalls mit ihrem Pkw auf der Suche nach einem Parkplatz war. Um an der Antragstellerin vorbei zu fahren wartete die spätere Geschädigte den Einparkvorgang der Antragstellerin ab und parkte ihren Pkw sodann in einer Parklücke einige Stellplätze entfernt. Als die spätere Geschädigte mit ihrem Pkw zum Stehen gekommen war, ging die Antragstellerin zum Fenster an der Fahrerseite. Im Rahmen des nachfolgenden Wortwechsels griff die Antragstellerin durch das geöffnete Fenster nach den Haaren der Geschädigten und zog daran deren Kopf mehrfach hin und her. Eine vorangehende Beleidigung der Antragstellerin durch die Geschädigte konnte nicht positiv festgestellt werden, umgekehrt aber auch nicht ausgeschlossen werden. Die Geschädigte erlitt durch den Vorfall, wie von der Antragstellerin zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, nicht unerhebliche Schmerzen. Das Strafgericht folgte weiter der Darstellung einer unbeteiligten Zeugin, dass die Geschädigte nach dem Vorfall verwirrt gewesen sei sowie gezittert und geweint habe. Hinsichtlich des Fahrverbots gemäß § 44 Strafgesetzbuch (StGB) führte das Gericht im Urteil abschließend aus: „Insoweit hielt das Gericht als Denkzettel- und Besinnungsstrafe ein einmonatiges Fahrverbot tat- und schuldangemessen. Das Fahrverbot führt auch zu keiner unangemessenen harten Sanktion der Tat.“
Mit Schreiben vom 18. März 2020 forderte die Fahrerlaubnisbehörde die Antragstellerin auf, innerhalb von drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Mit diesem Gutachten sollte geklärt werden, ob trotz der aktenkundigen Straftat (hohes Aggressionspotenzial im Straßenverkehr) zu erwarten ist, dass die zu begutachtende Person die Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und 2 im Verkehr erfüllt und dass die zu begutachtende Person nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche/strafrechtliche Bestimmungen verstoßen wird, so dass dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Zugunsten der Antragstellerin wurde ihr Teilgeständnis im Strafverfahren sowie der Umstand gewertet, dass die Antragstellerin sich bislang straffrei geführt hat. Ebenfalls zugunsten wurde gewertet, dass die Geschädigte keine schwerwiegenden oder länger andauert dauernden Verletzungen erlitt und eine Beleidigung seitens der Geschädigten zwar nicht positiv festgestellt, umgekehrt aber auch nicht ausgeschlossen werden konnte. Zulasten der Antragstellerin wurde gewertet, dass ihr Handeln von hoher Aggressivität zeugte. Im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit sei die Begutachtung angemessen, da die Antragstellerin mit ihrem aggressiven Verhalten Handlungsmuster offenbart habe, die eine fehlende Akzeptanz gegenüber dem körperlichen Wohl anderer Person zum Ausdruck bringt und die Vermutung rechtfertigt, dass sich dieses auch auf ihr zukünftiges Verhalten im Straßenverkehr auswirkt.
Als Rechtsgrundlage wurde § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) genannt. Die Gutachtensanordnung enthielt den Hinweis, dass auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen und die Fahrerlaubnis entzogen werde, wenn die angeordnete Begutachtung verweigert bzw. das angeordnete Gutachten nicht vorgelegt werde.
Nachdem nachfolgend kein Gutachten von der Antragstellerin vorgelegt wurde, entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Antragstellerin mit Bescheid vom 28. Juli 2020 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Ziffer 1) und ordnete die sofortige Vollziehung an (Ziffer 4). Der Anordnung zur Abgabe des Führerscheins (Ziffer 2) – hinsichtlich der ein Zwangsgeld angedroht wurde (Ziffer 3) – kam die Antragstellerin am … August 2020 nach.
Gegen den Bescheid vom 28. Juli 2020 ließ die Antragstellerin am 14. August 2020 Widerspruch erheben, stellte gleichzeitig beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einen Antrag im vorläufigen Rechtsschutz und beantragte,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. August 2020 hinsichtlich der angeordneten Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen sowie die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen und die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich lediglich um einen marginalen Vorfall auf einem Supermarktparkplatz gehandelt habe. Zudem übersehe die Fahrerlaubnisbehörde die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG).
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Das Gutachten sei zur Klärung der Eignungsmängel zu Recht gefordert worden. Die Antragstellerin habe die Geschädigte bei einem alltäglichen Verkehrsgeschehen in vollkommen unangemessener Weise körperlich attackiert. Dadurch habe sie gezeigt, dass sie ihre persönlichen Interessen höher bewerte als die körperliche Unversehrtheit ihrer Mitmenschen. Eine Bindungswirkung bestehe überdies nicht. Das Urteil vom 13. November 2019 enthalte keine Feststellungen hinsichtlich der Eignung der Antragstellerin.
Über den Widerspruch wurde bis zur Entscheidung des Gerichts nicht entschieden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig, aber unbegründet und daher ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 28. Juli 2020 gerichtet ist. Aus der Gesamtschau der Anträge lässt sich entnehmen, dass die aufschiebende Wirkung auch hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins wiederhergestellt werden soll. Die diesbezügliche Verpflichtung in Ziffer 2 des Bescheides hat sich durch die Abgabe des Führerscheins nicht erledigt, denn sie stellt den Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris). Die Antragstellerin will auch erkennbar gerade diese Rechtsgrundlage beseitigen um den Führerschein so schnell wie möglich wieder zu erhalten.
2. Einwendungen gegen die formellen Anforderungen an die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 3 VwGO) wurden weder vorgebracht noch sind solche ersichtlich.
3. Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Es trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung und hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem (von der Behörde geltend gemachten) Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs zu berücksichtigen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, da sich die Entziehung der Fahrerlaubnis nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt, so dass der hiergegen erhobene Widerspruch ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides wiegt insoweit schwerer als das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs.
Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag zugrunde zu legen, weil das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Der streitgegenständliche Entziehungsbescheid ist demnach rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da er zu Recht unter Zugrundelegung der Wertung des § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV davon ausgeht, dass eine Fahreignung der Antragstellerin nicht gegeben ist. Das Gericht verweist zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO) und führt mit Rücksicht auf das Vorbringen der Antragstellerin lediglich ergänzend bzw. zusammenfassend aus:
3.1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 FeV kann bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahrereignung steht, insbesondere, wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen, zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 Abs. 1 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden.
3.2. Der Gutachtensanordnung stand dabei nicht eine sich aus § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG ergebende Bindungswirkung des Strafurteils des Amtsgerichts München 22. Oktober 2019 entgegen. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Allerdings ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat (s. OVG NW, B. v. 01.08.2014, 16 A 2960/11 m.w.N.).
Ist dies nicht der Fall oder bestehen auch nur Unklarheiten, so wäre es mit der den Fahrerlaubnisbehörden im Interesse der Verkehrssicherheit übertragenen Ordnungsaufgabe nicht zu vereinbaren, ihnen die Möglichkeit zu nehmen, durch Anordnungen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV Klarheit über die zweifelhaft gebliebene Eignung des verurteilten Kraftfahrers zu schaffen. Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 StVG darf im Ergebnis nicht dazu führen, dass in keinem der beiden in Betracht kommenden Verfahren die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ordnungsgemäß überprüft und beurteilt wird (BVerwG, U.v. 15.7.1988 – 7 C 46.87 – juris). So liegt der Fall hier. Das Urteil des Amtsgerichts München vom 22. Oktober 2019 enthält keine Ausführungen zur Fahreignung der Antragstellerin und einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB, sondern verhält sich allein zur Frage eines Fahrverbots (§ 44 StGB). Ihm lässt sich damit bereits nicht entnehmen, ob das Strafgericht eine eigenständige Eignungsbeurteilung in dem von § 3 Abs. 4 StVG vorausgesetzten Sinn überhaupt vorgenommen hat (vgl. auch BayVGH, B. v. 14.09.2020 – 11 CS 20.941 -, juris). Entgegen der Ansicht der Antragstellerin existieren damit keine die Fahrerlaubnisbehörde bindenden strafrichterlichen Feststellungen zur Fahreignung.
3.3. Bei nicht fristgerechter Beibringung des geforderten Gutachtens darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV schließen. Sie ist dabei angesichts der gesetzlichen Formulierung („darf“) zwar nicht ausnahmslos gezwungen, in diesen Fällen auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen (BayVGH, Beschluss vom 11.05.2007 – 11 C 06.2890 -, juris Rn. 18), doch eröffnet diese Formulierung auch kein Ermessen. Sie beinhaltet vielmehr eine Beweiswürdigung des Inhalts, dass auf die Ungeeignetheit zu schließen ist, wenn die Weigerung oder Nichtvorlage ohne ausreichenden Grund erfolgt und deshalb anzunehmen ist, dass Eignungsmängel verborgen werden sollen. Der Schluss auf die Nichteignung ist dann geboten und muss zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen (OVG Schleswig, Beschluss vom 26.03.2018 – 4 LA 126/17 -, juris Rn. 4; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 11 FeV Rn. 51, beide m.w.N).
Aufgrund der sich aus § 11 Abs. 8 FeV ergebenden weitreichenden Konsequenzen sowie der fehlenden isolierten Überprüfbarkeit der Anordnung ist der Schluss auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 FeV jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01; BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22, B.v. 27.7.2005 – 11 CS 05.801; BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – juris, Rn. 19 m.w.N). Dies ist hier der Fall. Die Antragsgegnerin hat bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens das ihr eingeräumte Ermessen erkannt und rechtsfehlerfrei ausgeübt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde hierbei beachtet.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Fahrerlaubnisbehörde das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, ist der Zeitpunkt der Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens (vgl. BVerwG, U.v.17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 36).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV lagen vor. Die Antragstellerin hat mit der vorsätzlichen Körperverletzung eine im Hinblick auf die Kraftfahrereignung erhebliche Straftat im Sinne dieser Vorschrift begangen. Der Begriff „erheblich“ ist nach der Begründung der Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnisverordnung vom 18. Juli 2008 (BGBl I S. 1338, BR-Drs. 302/08 S. 61) nicht ohne weiteres mit „schwerwiegend“ gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die Kraftfahrereignung (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 11 FeV Rn. 30 m.w.N.). Der Bezug zur Kraftfahrereignung setzt dabei nicht voraus, dass ein Kraftfahrzeug als Mittel zur Straftat genutzt wurde oder die Tat selbst unmittelbar im Straßenverkehr begangen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2014 – 11 C 13.1837, juris Rn. 7). Vielmehr muss anhand konkreter Umstände, die sich aus der Tat unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit ergeben, festgestellt werden, ob die Anlasstat tatsächlich Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zulässt (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2012 – 11 C 12.874, juris Rn. 27; B.v. 6.11.2017 – 11 CS 17.1726, juris Rn. 27).
Die erforderlichen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial müssen hinreichend konkret sein und den entsprechenden Eignungsmangel des Fahrerlaubnisinhabers als naheliegend erscheinen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 20.6.2002 – 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378, 2380). Das Aggressionspotenzial muss aber nicht bereits als vorhanden festgestellt worden sein (VGH Mannheim, U.v. 14.9.2004 – 10 S 1283/04 -, juris Rn. 31). Die Einholung eines Gutachtens dient gerade der Klärung bestehender Zweifel an der Fahreignung.
Als aggressive Straftaten in diesem Sinne gelten solche, die eine Neigung zu planvoller, bedenkenloser Durchsetzung eigener Anliegen ohne Rücksicht auf berechtigte Interessen anderer oder eine Bereitschaft zu ausgeprägt impulsivem Verhalten offenbaren und dabei Verhaltensmuster deutlich machen können, die sich so negativ auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken können, dass die Verkehrssicherheit gefährdet wird. Dabei kommt auch eine vorsätzlich begangene Körperverletzung als erhebliche Tat in Betracht, insbesondere wenn die Tat in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Verhalten im Straßenverkehr steht. Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin ist laut den Feststellungen des Strafgerichts nach einer Einparksituation der Geschädigten zu ihrem Auto gefolgt und hat diese vorsätzlich verletzt. Das Greifen der Haare der Geschädigten durch das geöffnete Fahrerfenster und das mehrfache hin und her Schütteln des Kopfes an den Haaren stellt – auch bei einer möglicherweise vorangegangenen Provokation – entgegen der Ansicht der Antragstellerin keinen „marginalen Vorfall“ dar, sondern zeugt von großer Aggressivität und mangelnder Impulskontrolle. Es blieb im vorliegenden Fall gerade nicht bei einer rein verbalen Auseinandersetzung (vgl. VG Freiburg i. Br., B. v. 24.11.2015 – 4 K 2480/15), sondern die Schwelle zum körperlichen Angriff wurde überschritten. Die Fahrerlaubnisinhaberin konnte nicht kraft eigener Willenskontrolle die Überschreitung dieser Schwelle unterlassen und damit belegen, dass sie imstande ist, eine Aggression zumindest so zu steuern, dass es nicht zu einer Verletzung der körperlichen Integrität kommt.
Das Verhalten der Antragstellerin, welches aus einer alltäglichen Parksituation entstanden ist, ist geeignet Zweifel an der Eignung der Antragstellerin zu begründen, da es im Straßenverkehr immer wieder zu Konfliktsituationen mit anderen Verkehrsteilnehmern kommen kann, die eine ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme erforderlich machen. Mit dem berechtigt angeordneten Gutachten sollte aufgeklärt werden, ob es zu einer Einstellungs- und Verhaltensänderungen gekommen ist, damit (künftig) eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden kann.
3.4. Die Fahrerlaubnisbehörde hat auch das ihr zustehende Ermessen in der hier maßgeblichen Gutachtensanordnung 18. März 2020 erkannt und fehlerfrei ausgeübt (§ 11 Absatz 6 Satz 2 FeV). Sie hat der Antragstellerin unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an ihrer Eignung mitgeteilt, dass er sich einer Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat. Dabei sind die Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin offengelegt und damit Sinn und Zweck der angeordneten Mitteilungspflicht Genüge getan worden (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15, Rn. 38; BayVGH, B.v. 30.5.2017 – 11 CS 17.274 – NJW 2017, 2695). Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde beachtet. Fahrerlaubnisbehörde hat zulasten wie zugunsten der Antragstellerin sprechende Gesichtspunkte im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Anordnung rechtsfehlerfrei in ihrer Abwägung eingestellt.
Auch die Fragestellung der Gutachtensanordnung genügte den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV ergebenden Anforderungen. Sie ist vom Sachverhalt gedeckt. Die Frist für die Beibringung des Gutachtens war mit 3 Monaten ab Zustellung der Gutachtensanordnung ausreichend bemessen. Ebenso sind die Hinweise nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV und § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erfolgt. Die nicht befolgte Gutachtensanordnung war somit rechtmäßig. Die Straftat war auch im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis noch nicht getilgt und gelöscht. Die Fahrerlaubnis wurde nach alledem zu Recht entzogen.
4. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Widerspruchs und der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen hat es bei der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis zu verbleiben und müssen die privaten Interessen der Antragstellerin am Erhalt der Fahrerlaubnis zurücktreten.
5. Da die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Ziffer 1 des Bescheides folglich nicht wiederherzustellen war, verbleibt es auch bei der für sofort vollziehbar erklärten Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins in Ziffer 2 des Bescheids (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG).
6. Der Antrag war insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
7. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – und berücksichtigt die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2013, Nrn. 1.5, 46.3 und 46.5).


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