Verkehrsrecht

Entziehung einer Fahrerlaubnis auf Grundlage des Fahreignungsbewertungssystems

Aktenzeichen  M 6 S 19.1046

Datum:
6.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15167
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 4 Abs. 5, Abs. 6

 

Leitsatz

Da der Erziehungsgedanke nicht mehr im Vordergrund der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG steht, kann es auch nicht auf die Richtigkeit der in der Ermahnung oder Verwarnung enthaltenen Information ankommen. Entscheidend ist ausschließlich, dass die Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 und 2 StVG ergriffen wurden. Eine Punktereduktion tritt nur in den Fällen des § 4 Abs. 6 StVG ein, nicht jedoch infolge einer unzutreffenden Bewertung der Verkehrsverstöße durch die Fahrerlaubnisbehörde. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungsbewertungssystem.
Nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts an die Fahrerlaubnisbehörde vom 10. April 2017 ergab sich für den Antragsteller zu diesem Zeitpunkt ein Stand von acht Punkten in dem Fahreignungsregister.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2016, dem Antragsteller zugestellt am 27. Oktober 2016 wurde er bei einem der Behörde bekannten Punktestand von 4 Punkten ermahnt. Nach Eingang der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamt vom 18. Januar 2017 über einen Punktestand von sieben Punkten, die händisch von der Antragsgegnerin auf sechs Punkte korrigiert wurde, wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 9. Februar 2017, zugestellt am 11. Februar 2017, mit einem Punktestand von sechs Punkten verwarnt. Die Antragsgegnerin wies den Antragsteller auf die Möglichkeit der freiwilligen Teilnahme an dem Fahreignungsseminar sowie darauf hin, dass seine Fahrerlaubnis bei einem Stand von acht Punkten entzogen würde.
Nach vorheriger Anhörung, der mehrfache Korrespondenz mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers folgte, entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller schließlich mit Bescheid vom 25. Februar 2019 die Fahrerlaubnis.
Mit beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 6. März 2019 eingegangenem Schriftsatz ließ der Kläger seinen Bevollmächtigten Klage erheben und beantragte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 25. Februar 2019 hinsichtlich Nummer 1 des Bescheides anzuordnen und hinsichtlich Nummer 2 des Bescheides wieder herzustellen.
Zur Begründung führte er aus, es handele sich bei einigen der im Fahreignungsregister angeführten Ordnungswidrigkeiten um „Doppelbestrafungen“. In mindestens einem Fall stehe außerdem fest, dass der Antragsteller nicht Fahrer gewesen sei. Er habe hinsichtlich jeder der Verkehrsordnungswidrigkeiten Wiedereinsetzungsanträge bei den zuständigen Behörden eingereicht. In einigen Fällen seien die relevanten Akten bereits vernichtet worden, die Taten dürften daher nicht mehr berücksichtigt werden. Einige der Taten seien schließlich bereits getilgt. Schließlich sei der Entzug der Fahrerlaubnis auch deswegen rechtswidrig, weil dieser im Wesentlichen auf Verstöße von nicht am Verkehr teilnehmenden Fahrzeugen gestützt werde. Die Entziehung der Fahrerlaubnis treffe den Antragsteller in seiner Existenzfähigkeit und würde diesen im Falle der Aufrechterhaltung in den Ruin (Insolvenz) treiben, da er auf dem … tätig sei und seinen Beruf nur mit Führerschein und einem geeigneten Transporter ausüben könne.
Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom 26. April 2019 die Akten vor, ohne einen Antrag zu stellen.
Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 17. April 2019 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Nach Auslegung des gestellten Antrages (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hinsichtlich der in Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügten und bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Entziehung seiner Fahrerlaubnis begehrt (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 9 Straßenverkehrsgesetz – StVG). Im Hinblick auf die durch behördlichen Sofortvollzug für sofort vollziehbar erklärte Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins in Nummer 2 des Bescheides ist bei verständiger Auslegung begehrt, die aufschiebende Wirkung der eingelegten Klage wiederherzustellen.
2. Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig von seiner Fahrerlaubnis weiter gebrauchen machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird. Bei der Prüfung ist in erster Linie von den Erfolgsaussichten des eingelegten Hauptsacherechtsbehelfs, hier der Klage vom 6. März 2019 auszugehen. Lässt sich bei der summarischen Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und der Betroffene in seinen Rechten verletzt, kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. So liegt die Sache hier.
2.1 Die zulässige Klage vom 6. März 2019 gegen die mit Bescheid vom 25. Februar 2019 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis hat keine Aussicht auf Erfolg, da diese rechtmäßig ist und den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Erlaubnis ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsbewertungssystem ergeben. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dann zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sie die Maßnahme der vorliegenden Stufen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG bereits ergriffen hat (§ 4 Abs. 6 Satz 1 StVG). Für die Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Behörde gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Punkte ergeben sich gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Bei der Berechnung des Punktestand werden Zuwiderhandlungen nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war (§ 4 Abs. 5 Satz 6 StVG). Spätere Verringerungen des Punktestandes aufgrund von Tilgungen bleiben unberücksichtigt (§ 4 Abs. 5 Satz 7 StVG).
2.2 Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind vorliegend erfüllt, wie sich aus der nachfolgenden Tabelle ersehen lässt:
Tattag
Ahndung
Rechtkraft
Tilgung
Punkte
Gesamt
Kenntnis Behörde
20.03.2014
29.08.2014
16.09.2014
16.03.2017
1
1
08.09.2015
12.11.2015
01.12.2015
01.06.2018
1
2
03.11.2015
04.01.2016
22.01.2016
22.07.2018
1
3
05.08.2016
07.09.2016
27.09.2016
27.03.2019
1
4
25.10.2016
27.10.2016
Ermahnung
01.08.2016
29.09.2016
18.10.2016
18.04.2019
1
5
18.01.2017
01.08.2016
29.09.2016
18.10.2016
18.04.2019
1
6
18.01.2017
21.10.2016
15.12.2016
03.01.2017
03.07.2019
1
7
18.01.2017
09.02.2017
11.02.2017
Verwarnung
16.03.2017
Tilgung
– 1
6
21.10.2016
15.12.2016
03.01.2017
03.07.2019
1
7
10.04.2017
05.01.2017
07.03.2017
24.03.2017
24.09.2019
1
8
10.04.2017
09.03.2017
26.04.2017
13.05.2017
13.11.2019
1
9
13.06.2017
01.06.2018
Tilgung
– 1
8
22.07.2018
Tilgung
– 1
7
28.06.2018
23.08.2018
15.09.2018
15.03.2021
1
8
17.10.2018
12.09.2018
06.11.2018
24.11.2018
1
9
17.12.2018
Der Antragsteller hatte wie oben ersichtlich bereits mit der Begehung seiner Tat vom 5. Januar 2017 einen Punktestand von acht Punkten erreicht, sodass die Fahrerlaubnis bereits zu diesem Zeitpunkt zu entziehen gewesen wäre. Nach dem oben Dargelegten ist dabei ohne Bedeutung, dass der Punktestand des Antragstellers, der sich zunächst infolge der Tat vom 9. März 2017 auf neun Punkte erhöhte, infolge der Tilgungen der Taten vom 8. September 2015 und 3. November 2015 wieder auf sieben Punkte gesunken war, § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG. Unabhängig davon hätte der Antragsteller infolge seiner Tat vom 28. Juni 2018 wiederum um einen Punktestand von acht Punkten erreicht, der bei isolierter Betrachtung ein weiteres Mal zur Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers hätte führen müssen. Auf die jüngste Tat vom 12. September 2018, die nach den Angaben des Antragstellers von einem Arbeitskollegen begangen wurde, käme es dabei nicht einmal an.
2.3 Die Antragsgegnerin hat auch die der Entziehung der Fahrerlaubnis vorgeschalteten Maßnahmen ordnungsgemäß ergriffen. Er wurde mit am 27. Oktober 2016 zugestellten Schreiben bei einem Punktestand von vier Punkten ermahnt und mit am 11. Februar 2017 zugestellten Schreiben bei einem Punktestand von sieben Punkten verwarnt. Ohne Bedeutung ist dabei, dass in der Verwarnung der Punktestand mit sechs statt sieben Punkte angegeben wurde. Über die Hintergründe der vorgenommenen Reduktion kann nur gemutmaßt werden, da die händische Korrektur der unverbindlichen Bewertung des Kraftfahrt-Bundesamtes nicht mit einem erläuternden Aktenvermerk versehen wurde. Mit der gesetzlichen Neuregelung zum 5. Dezember 2014 kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer von der Erlaubnisbehörde ergriffenen Maßnahme ausschließlich darauf an, ob und welche Verkehrsverstöße der Behörde bekannt waren (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2017 – 3 C 21.15 – juris Rn. 23 f. = BVerwGE 157, 235). In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, für das Fahreignungsbewertungssystem komme es wegen der Abkehr von dem Erziehungsgedanken des Mehrfachtäter-Punktesystems nicht mehr darauf an, ob eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreiche und damit die Möglichkeit der Verhaltensänderung eingeräumt werde. Ebenso liegt der Fall hier, da der Antragsteller bereits mit der Tat vom 5. Januar 2017 objektiv acht Punkte erreicht hatte, die Verwarnung ihn aber erst am 11. Februar 2017 erreichte. Steht demnach der Erziehungsgedanke nicht mehr im Vordergrund der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG, kann es folglich – anders etwa als bei einer Entziehung nach § 11 Abs. 8 FeV – auch nicht auf die Richtigkeit der in der Ermahnung oder Verwarnung enthaltenen Information ankommen. Entscheidend ist ausschließlich, dass die Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Nrn. 1 und 2 StVG ergriffen wurden. Eine Punktereduktion tritt nur in den Fällen des § 4 Abs. 6 StVG ein, nicht jedoch infolge einer unzutreffenden Bewertung der Verkehrsverstöße durch die Fahrerlaubnisbehörde. Aber auch ein Fall des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG liegt im konkreten Fall nicht vor. Zwar hatte der Antragsteller sowohl zum Zeitpunkt der Ermahnung als auch der Verwarnung bereits weitere Verkehrsverstöße begangen, die bei Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde miteinbezogen hätten werden müssen und in diesem Fall tatsächlich eine Reduktion gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG zur Folge gehabt hätte. Von den vor der Ermahnung liegenden Taten vom 1. August 2016 erhielt die Antragsgegnerin allerdings erst mit Schreiben des Kraftbundesamtes vom 18. Januar 2017 und damit nach der Ermahnung vom 25. Oktober 2016 Kenntnis. Gleiches gilt für die zweite Tat vom 21. Oktober 2016, die vom Kraftfahrtbundesamt erst mit Schreiben vom 10. April 2017 und damit nach der Zustellung der Verwarnung am 11. Februar 2017 mitgeteilt wurde.
2.4 An diesem Ergebnis ändert schließlich auch nichts, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers in allen Fällen Wiedereinsetzungsanträge bei den zuständigen Bußgeldbehörden gestellt hat. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG ist die Antragsgegnerin bei der Durchführung von Maßnahmen an die rechtskräftigen Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Eine Überprüfung der eingetragenen und mit Punkten bewerteten Verstöße bzw. Entscheidungen findet deshalb nicht statt – auch nicht im Hinblick auf den sinngemäßen Einwand, die Verkehrsverstöße vom 1. August 2016 und 21. Oktober 2016 stünden (soweit sie dieselben Fahrzeuge beträfen) in Tateinheit, so dass nur ein Punkt anzusetzen sei (vgl. dazu ThürOVG, B.v. 3.11.2005 – 1 Ss 226/05 – juris). Die bloße Beantragung einer Wiedereinsetzung führt gemäß § 52 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 74 Abs. 1 StPO jedoch nicht zur Hemmung und damit nicht zur Durchbrechung der Rechtskraft eines bereits bestandskräftig gewordenen Bescheides. Hierfür bedarf es einer positiven Entscheidung der Bußgeldstelle bzw. des Gerichts über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. OVG SH, B.v. 27. Januar 2017 – 4 MB 3/17). Eine solche positive Entscheidung über die gestellten Anträge auf Wiedereinsetzung hat der Antragsteller aber nicht glaubhaft gemacht. Ausweislich des Schreiben des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes (Zentrale Bußgeldstelle) vom 15. November 2018 (Bl. 131 d.A.) sowie des darauf befindlichen Telefonvermerks des Sachbearbeiters hat das zuständige Amtsgericht im Gegenteil in fünf der vom Prozessbevollmächtigten genannten Fälle den Antrag auf Wiedereinsetzung bereits abgelehnt.
2.5 Einer rechtlichen Grundlage entbehrt schließlich die Rechtsansicht des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, eine Verwertung sei in allen jenen Fällen ausgeschlossen, in denen die Bußgeldstelle die Ermittlungsakten bereits vernichtet habe, so dass sie nicht mehr überprüft werden könnten. Verkehrsordnungswidrigkeiten sind, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde oder dem Gericht hierbei ein Ermessen zustünde, so lange zu berücksichtigen, bis sich gesetzliche Verwertungsverbote ergeben. Dies wäre hinsichtlich der Taten vom 8. September 2015 und 3. November 2015, sofern man der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Reichweite des § 29 Abs. 7 StVG folgt (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.593 – juris, B.v. 15.3.2019 – 11 CS 19.199 – juris; dagegen VG München, U.v. 11. Juli 2018 – M 6 K 18.1821), frühestens nach Ablauf der Überliegefrist am 1. Juni 2019 gewesen. Da es zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides ankommt, war die Heranziehung der genannten Taten zum Zwecke der Ergreifung von Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG durch die Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Auch der Umstand, dass zwischen der letzten Tat vom 5. Januar 2017 und dem Entziehungsbescheid vom 25. Februar 2019 mehr als zwei Jahre vergangen sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Allein der Zeitablauf begründet insoweit kein schutzwürdiges Vertrauen. Vielmehr musste er aufgrund der Verwarnung vom 9. Februar 2017 bei weiteren Zuwiderhandlungen mit der Entziehung der Fahrerlaubnis rechnen (BayVGH, B.v. 13.6.2017 – 11 CS 17.909 – juris Rn. 12).
2.6 Der Fahrerlaubnisbehörde ist bei der Ergreifung von Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG schließlich auch kein Ermessen eingeräumt, so dass diese auch nicht berücksichtigen konnte, dass es sich bei den Ordnungswidrigkeiten teilweise „nur“ um überzogene Hauptuntersuchungen handelte. Es steht dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber im Rahmen der ihm zukommenden Einschätzungsprärogative offen, auch solchen Verstößen eine Bedeutung zuzumessen, die sich im Fahreignungsbewertungssystem niederschlägt. Die sich im Falle des Antragstellers über mehrere Monate erstreckende Gleichgültigkeit hinsichtlich der bereits im Oktober 2015 abgelaufenen Hauptuntersuchungen zweier Anhänger, die zu Bußgeldbescheiden im August 2016, Oktober 2016 und Januar 2017 führte, wirft in der Tat Fragen auf. Gerade der Umstand, dass er häufig große Lasten über große Strecken mithilfe dieser Anhänger zu bewegen hatte, macht es umso unverständlicher, warum er sich nicht um den Nachweis der Verkehrstüchtigkeit dieser Anhänger bemüht und damit billigend in Kauf genommen hat, dass andere Verkehrsteilnehmer möglicherweise infolge der mangelnden Verkehrstüchtigkeit dieser Anhänger gefährdet werden. Die Aufnahme des 186.2.3 BKat in die Anlage 13 zur FeV ist daher nachvollziehbar.
2.7 Die Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins ergibt sich wiederum aus § 47 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV. Die Begründung des Sofortvollzugs ist ausreichend einzelfallbezogen und genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO bei typisierten Sachverhalten.
3. Da die Anfechtungsklage des Antragstellers damit offensichtlich ohne Erfolg bleiben wird, fällt die Interessenabwägung im Eilverfahren zu seinen Lasten aus. Eine andere Interessenabwägung lässt sich auch nicht durch den Vortrag des Antragstellers rechtfertigen, im Falle der Entziehung seiner Fahrerlaubnis drohe ihm die Insolvenz. Wer beruflich aus die Inanspruchnahme eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, stellt durch seine häufigere Teilnahme am Straßenverkehr – im Falle des Antragstellers noch dazu gefahrenerhöhend unter Transport von Ausrüstung mit Hilfe von Anhängern – auch ein größeres Risiko für die Allgemeinheit dar, wenn er als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, so dass auch dieses Interesse als schwerwiegender in die Abwägung mit einzustellen ist. Eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen die von dem Betroffenen ausgehende Gefährdung nicht das Maß übersteigt, das mit der Zulassung von Personen am Straßenverkehr allgemein verbunden ist. Auch hier gilt, dass die vom Verordnungsgeber in der Nr. 3.4.1 der Anlage 13 zur FeV i.V.m. Nr. 186.2.3 des Bußgeldkatalogs – BKat – getroffene Wertung, solche Verstöße gegen die Fahrzeug-Zulassungsverordnung miteinzubeziehen, angesichts der potentiell von solchen Fahrzeugen ausgehenden Gefahren eine abweichende Interessenabwägung nicht zulassen, solange nicht zumindest die Sperrfrist des § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG abgelaufen ist.
Dahinstehen kann daher in diesem Verfahren, ob einer Wiedererteilung gem. § 10 Abs. 4 Satz 2 StVG zwingend eine medizinisch-psychologischen Untersuchung vorangehen muss oder der Umstand, dass drei Punkte aus wiederholten Verstößen gegen 186.2.3 BKat – möglicherweise ohne neuen Tatentschluss – resultieren und der Antragsteller im Wiedererteilungsverfahren möglicherweise nachweisen kann, die Tat vom 12. September 2018 nicht begangen zu haben, ausnahmsweise ein Absehen rechtfertigen kann.
4. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts hat seine Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2013, Nrn. 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5).


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