Verkehrsrecht

Ersatzfähigkeit von Nebenkosten – Ausfall älterer Fahrzeuge

Aktenzeichen  2 O 7690/19

Datum:
19.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12535
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BGB § 187 Abs. 1, § 249 Abs. 2 S. 1, § 255, § 322 Abs. 1, § 632 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Kosten eines Sachverständigengutachtens sind auch dann noch als angemessen zu ersetzen, wenn sie die nach BVSK-Honorarbefragung berechnete Höhe um 24% übersteigen. (Rn. 22 – 24). Ob das Gutachten Fehler aufweist, ist hierfür irrelevant, der Geschädigte ist aber zur Abtretung etwaiger Regressansprüche verpflichtet. (Rn. 15 – 16). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bemessung der Nutzungsausfallentschädigung ist bei Anwendung der Schwacke-Liste für Fahrzeuge, die älter als 5 Jahre sind, eine Herabstufung um eine Gruppe vorzunehmen und bei Fahrzeugen mit einem Alter über 10 Jahre um zwei Gruppen (Anschluss OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 09185). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.469,71 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.10.2019 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Abtretung der dem Kläger gegen das Sachverständigenbüro C. aus dem Gutachten vom 28.08.2019 (Gutachten-Nummer …) sowie gegen die Fa. … Lackiererei … aus der Reparaturrechnung vom 13.09.2019 (Rechnung Nr. …) zustehenden Schadensersatzansprüche.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.290,34 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.10.2019 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Abtretung der dem Kläger gegen das Sachverständigenbüro C. aus dem Gutachten vom 28.08.2019 (Gutachten-Nummer …) zustehenden Schadensersatzansprüche.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 197,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.10.2019 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 808,13 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.10.2019 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 9.375,05 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Abzüge ergeben sich hinsichtlich der Nutzungsausfallentschädigung. Hinsichtlich der Reparaturkosten und der Sachverständigenkosten kann der Kläger außerdem Zahlung lediglich Zug-um-Zug gegen Abtretung ihm zustehende Ersatzansprüche gegen das Sachverständigenbüro und den Reparaturbetrieb beanspruchen.
I. 
Unstreitig zwischen den Parteien ist – jedenfalls zwischenzeitlich – die Aktivlegitimation des Klägers sowie die Haftung der Beklagten zu 100 % dem Grunde nach. Da das Fahrzeug des Klägers beim Betrieb des Beklagten-Fahrzeugs beschädigt wurde, haftet die Beklagte dem Kläger aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG.
II.
Der Schaden des Klägers, d.h. der zur Schadensbeseitigung erforderliche Betrag (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB), den die Beklagte zu erstatten hat, beläuft sich auf insgesamt 8.957,05 €.
1. Hinsichtlich der Reparaturkosten ist dem Kläger der ihm vom Reparaturbetrieb in Rechnung gestellte Betrag in Höhe von 7.469,71 € in voller Höhe zu ersetzen. Auf die Gegenkalkulation der Beklagten und ihren Vortrag, es handle sich vorliegend tatsächlich um einen (reinen) Totalschadenfall, kommt es entscheidungserheblich nicht an:
Der Kläger hat vorliegend im Vertrauen auf „sein“ Schadengutachten disponiert und die entsprechende Reparatur in Auftrag gegeben. Er rechnet vorliegend – innerhalb der sog. 130 %-Grenze (130 % von 5.800,00 € Restwert brutto = 7.540,00 €) (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 393/02 -, juris) nach tatsächlich erfolgter Reparatur auf der Grundlage der als Anlage K 2 vorgelegten Reparaturrechnung ab. Insofern gilt: Im Falle einer tatsächlichen Reparatur darf der Geschädigte grundsätzlich auf das Gutachten „seines“ Sachverständigen (hier Anlage K 1) vertrauen: Lässt er im berechtigten Vertrauen auf die Begutachtung „seines“ Sachverständigen das Fahrzeug – wie hier – in vorgeschlagener Art und Umfang reparieren, darf er die dabei angefallenen Kosten ersetzt verlangen, selbst wenn das Gutachten falsch ist und die durchgeführte Reparatur objektiv nicht erforderlich gewesen wäre (BGH v. 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -, juris).
Der Beklagten ist aber nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung analog § 255 BGB allerdings Zug-um-Zug Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen den Schadengutachter sowie den Reparaturbetrieb zuzusprechen sein, § 322 Abs. 1 BGB (vgl. OLG Düsseldorf NJW-Spezial 2008, 458; OLG Nürnberg OLGR 2002, 471; LG Saarbrücken, Urteil vom 19. Oktober 2012 – 13 S 38/12 -, juris). Dieser Grundsatz der Vorteilsausgleichung ist von Amts wegen zu beachten (BGH NJW 2013, 450). Auf die Kostenverteilung wird sich dies indes nicht aus.
2. Auch die Sachverständigenkosten sind dem Kläger in voller Höhe von 1.290,34 € zu ersetzen.
a) Dabei bleibt die Frage, ob die Reparaturkalkulation des Sachverständigen überhöht war (wie beklagtenseits vorgetragen), ohne Auswirkungen auf den hiesigen Rechtsstreit:
Der Schädiger hat dem Geschädigten die Kosten des Gutachtens zur Schadensfeststellung regelmäßig auch dann zu ersetzen, wenn dieses objektiv ungeeignet ist: Der Sachverständige ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten (OLG Saarbrücken BeckRS 2014, 10591). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Geschädigte die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten hat (OLG Saarbrücken BeckRS 2014, 10591; OLG Köln VersR 2012, 1008; KG BeckRS 2005, 3419; OLG Düsseldorf BeckRS 2008, 22877). Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich, entsprechenden Nachweis im Sinne eines Mitverschuldens gemäß § 254 BGB hat die Beklagte auch nicht geführt.
b) Die dem Kläger in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten in Höhe von 1.290,34 € brutto erweisen sich aus Sicht des Gerichts insgesamt betrachtet als (noch) marktgerecht und damit angemessen und erforderlich.
aa) Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlage der – von ihm beglichenen – Rechnung des mit der Begutachtung beauftragten Sachverständigen. Denn der in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrunde liegenden getroffenen Preisvereinbarung vom Geschädigten tatsächlich erbrachte Aufwand bildet (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ (ex ante zu bemessenden) Betrages (BGH r+s 2014, 203; BGH r+s 2014, 630). Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten aber erkennbar erheblich über den in der Branche üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (BGH r+s 2014, 203; BGH r+s 2014, 630; zur – weitgehenden – Darlegungslast der Schädigerseite im Rechtsstreit OLG München BeckRS 2015, 15458).
Vorliegend hat der Kläger trotz erfolgten Hinweises seitens des Gerichts auf die Bedeutung der bezahlten Sachverständigenrechnung zu der Frage der Begleichung der Rechnung nichts weiter vorgetragen.
bb) Es kommt hier entscheidungserheblich auch nicht darauf an, ob der Kläger mit dem Sachverständigen eine Honorarvereinbarung getroffen hat oder die Kosten nunmehr als übliche Vergütung im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden. Denn die vom Sachverständigen berechneten Preise liegen vorliegend nicht erkennbar und erheblich über den in der Branche üblichen Preisen, sodass sie als aus Sicht des Klägers erforderlich anzusehen sind.
Das Gericht zieht in diesem Zusammenhang als Schätzgrundlage für marktübliche Preise im Rahmen der Schadensermittlung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO die sog. die BVSK-Honorarbefragung (vgl. Anlage K 8) heran und nimmt insofern auch Bezug auf die klägerische Berechnung im Schriftsatz vom 28.01.2020 (Bl. 62 d.A.). Die Klagepartei hat hiernach – jedenfals zunächst – ein Sachverständigenhonorar in Höhe von 876,20 € errechnet. Dies würde im Vergleich mit dem in Rechnung gestellten Sachverständigenhonorar einen Unterschied von 47 % bedeuten. Erst im weiteren Schriftsatz vom 21.04.2020 (Bl. 122 ff. d.A.) berücksichtigt die klägerische Berechnung, dass es sich bei den Werten in der BVSK-Tabelle um Nettobeträge handelt. Da dem nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Kläger ein Bruttobetrag in Rechnung gestellt wurde, sind insofern auch Bruttowerte zu vergleichen. Auf die zunächst erfolgte klägerische Berechnung war insofern – wie mit Schriftsatz vom 21.04.2020 vorgetragen – der Mehrwertsteuersatz von 19 % aufzuschlagen, woraus sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 1.042,68 € ergibt. Im Vergleich mit dem Rechnungsbetrag von 1.290,34 € liegt zwar immer noch ein prozentualer Anstieg von 24 % vor, das Gericht ist indes der Auffassung, dass es sich hierbei nicht um einen für einen Laien erkennbar erheblich erhöhten Tarif handelt, sodass der in Rechnung gestellte Betrag insgesamt (noch) als angemessen zu betrachten ist und dem Kläger auch ein etwaiges Mitverschulden bei der Auswahl des Sachverständigen und dem Abschluss einer etwaigen Honorarvereinbarung nicht zuzurechnen ist.
c) Der Beklagten ist aber auch hier nach vorstehend dargestellten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung Zug-um-Zug Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen den Schadengutachter zuzusprechen.
3. Dem Kläger steht auch Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 172,00 €, d.h. für 4 Tage à 43,00 € zu.
a) Die grundsätzlichen Voraussetzungen eine Nutzungsausfallentschädigung bei Kraftfahrzeugen, d.h. Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit, wurden beklagtenseits nicht bestritten.
b) Hinsichtlich der Dauer des Nutzungsausfalls gilt Folgendes: Ausweislich des klägerischen Schadengutachtens (Anlage K 1, dort S. 7) war das klägerische Fahrzeug nach dem Unfallereignis vom 23.08.2019 nicht mehr fahrbereit. Ebenfalls unstreitig befand sich das Fahrzeug bis einschließlich 11.09.2019 in der Reparatur. Da der Kläger für den Zeitraum vom 26.08.2019 bis 10.09.2019 ein Ersatzfahrzeug angemietet hatte, verbleiben für den Zeitraum des Nutzungsausfalls lediglich weitere 4 Tage, einschließlich des Unfalltags sowie des Tags der Fertigstellung der Reparatur, denn grundsätzlich kann ein Geschädigter für denselben Zeitraum entweder nur Nutzungsausfallentschädigung oder nur Ersatz der Mietwagenkosten verlangen (OLG Karlsruhe NZV 1989, 231).
c) Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung bestimmt sich grundsätzlich nach dem Nutzungswert (Freymann/Rüßmann in; Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 216), wobei zur Schätzung der Höhe im Rahmen des § 287 ZPO die in der Praxis durchweg maßgeblichen Tabellen herangezogen werden können (BGH NJW 2005, 1044; OLG Saarbrücken BeckRS 2008, 1338).
Unstreitig ist in der Rechtsprechung insofern, dass, auch wenn der Tabelle die Mietsätze für Neufahrzeuge zugrunde gelegt sind, diese im Interesse einer gleichmäßigen Handhabung grundsätzlich auch bei älteren Fahrzeugen herangezogen werden, wobei dem Alter des Fahrzeugs hierbei Rechnung zu tragen ist (Freymann/Rüßmann, a.a.O., Rn. 218 m.w.N.). Eine einheitliche Linie hat sich hierbei aus Sicht des Gerichts nicht vollständig herausgebildet, wobei es sich im Wesentlichen etabliert haben dürfte, bei Fahrzeugen, die älter als 5 Jahre sind, eine Herabstufung um eine Gruppe vorzunehmen und bei Fahrzeugen mit einem Alter über 10 Jahre um zwei Gruppen (OLG Düsseldorf NJW 2012, 2044; OLG Saarbrücken BeckRS 2008, 1338; OLG Hamm r+s 1996, 357; Stiefel/Maier/Rogler, 19. Aufl. 2017, § 249 BGB, Rn. 108). Bei besonders alten Fahrzeugen wird zum Teil auch nur auf die reinen Vorhaltekosten abgestellt, wobei sich dies aus Sicht des Gerichts auf Fahrzeuge zu beschränken hat, „deren Nutzungswert mit demjenigen eines neueren Fahrzeuges des gleichen Typs schlechterdings nicht mehr vergleichbar ist“ (so BGH NJW 1988, 484; vgl. auch Freymann/Rüßmann, a.a.O.), wofür sich vorliegend keine Anhaltspunkte ergeben. Insofern ist beim klägerischen Fahrzeug, das grundsätzlich in die Nutzungsausfallklasse G nach Schwacke einzugruppieren ist (d.h. 59,00 €/Tag), eine Herabstufung um zwei Gruppen vorzunehmen (d.h. Gruppe E mit 43,00 €/Tag).
4. Die allgemeine Auslagenpauschale nach Verkehrsunfällen, die das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO entsprechend der ständigen Rechtsprechung im hiesigen Gerichtsbezirk mit 25,00 € bemisst, kann der Kläger von der Beklagten ersetzt verlangen.
5. Der Kläger hat auch Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlich erforderlichen Rechtsanwaltskosten. Diese belaufen sich bei einem berechtigten Gegenstandswert in Höhe von 8.957,05 € bei einer 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer auf 808,13 €.
6. Der Anspruch auf Verzinsung der berechtigten Schadensersatzansprüche des Klägers folgt aus § 286 Absatz ein Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB. Entsprechend § 187 Abs. 1 BGB befand sich die Beklagte ab dem Tag nach Ablauf der klägerseits bis 14.10.2019 gesetzten Frist in Verzug.
B.
Die Entscheidung folgt hinsichtlich der Kosten aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.


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