Verkehrsrecht

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Aktenzeichen  17 C 2207/19

Datum:
16.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
SVR – 2020, 470
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 415,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.07.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 415,40 € festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten nach dem Verkehrsunfall vom 31.01.2017, bei welchem das klägerische Fahrzeug Ford Mondeo … durch ein bei der Beklagten pflichtversichertes Fahrzeug beschädigt wurde, kein Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten aus Verzug gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB zu.
Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht im Verzug.
Die Klägerin mahnte die Beklagte zu keiner Zeit an. Auch greift kein Ausnahmetatbestand des § 286 Abs. 2 BGB.
Demgemäß konnten die Kosten der Klägerin nur nach § 249 BGB erstattet werden.
Insoweit wird die Auffassung vertreten, dass Leasing- und Mietwagenunternehmen grundsätzlich Anwaltskosten nur als Verzugsschaden geltend machen können (Jahnke in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, zu § 249 BGB, Rn. 306). Hiernach würde ein Anspruch nach § 249 BGB schon von vorherein ausscheiden.
Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten als unfallbedingte Schadensposition gemäß §§ 115 VVG, 7 Abs. 1 StVG, 249 ff. BGB zu.
Gemäß § 249 BGB ist Schadensersatz in Art und Umfang nur im Hinblick auf den erforderlichen Geldbetrag gerechtfertigt. Die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin war vorliegend erforderlich.
Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen. An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Ist die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. In derart einfach gelagerten Fällen kann der Geschädigte grundsätzlich den Schaden selbst geltend machen, so dass sich die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen kann, etwa wenn der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden. (vgl. BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 29.10.2019 – BGH Aktenzeichen VI ZR 45/19, BeckRS 2019, 30178 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen kann sich eine etwaige Geschäftsgewandtheit des Geschädigten – insbesondere Sach- und Fachkenntnisse im Zusammenhang mit der Abwicklung vergleichbarer Schadensfälle – (nur) in zweierlei Hinsicht auswirken: Erstens bei der Beurteilung, ob aus Sicht des entsprechend qualifizierten Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde. Zweitens hat der Geschädigte, wenn es sich nach den genannten Kriterien um einen derart einfachen, aus seiner Sicht zweifelsfreien Fall handelt, sein Wissen bei der erstmaligen Geltendmachung des Schadens einzusetzen, darf also die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (zunächst) nicht für erforderlich erachten. Handelt es sich hingegen nicht um einen einfach gelagerten Fall, ist der Geschädigte, gleich ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen, ungeachtet etwaiger Erfahrungen und Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet. Demnach kann es auch einem mit Schadensabwicklungen vertrauten Unternehmen nicht verwehrt werden, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, sofern nicht zweifelsfrei ist, dass und inwieweit der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners den Schaden regulieren wird. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts, also die Sicht ex ante. (vgl. BHG a.a.O.)
Inzwischen wird in der Rechtsprechung der unteren Instanzgerichte überwiegend die Auffassung geteilt, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt. (vgl. BHG a.a.O. m.w.N.)
Dabei wird darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird.
Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige-Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und – ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens – die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus. (vgl. BHG a.a.o.).
Vorliegend hat zwar die Beklagte unverzüglich ihre Haftung dem Grunde nach gegenüber der Klägerin erklärt und letztlich auch den vollständigen von der Klägerin begehrten Schaden ersetzt. Jedoch stand die Höhe des zu erstattenden Schadens zeitweise in Zweifel. Die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin war daher erforderlich.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.


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