Verkehrsrecht

Haftungsverteilung bei Abbiegerkollision – Nachweis der Eigentümerstellung

Aktenzeichen  11 O 777/20

Datum:
22.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48409
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 7, § 17
BGB § 1006
StVO § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 9 Abs. 1,

 

Leitsatz

1. Eine sekundäre Darlegungslast zu seinem – bereits nach § 1006 BGB vermuteten – Eigentum an dem beschädigten Kfz trifft den Unfallbeteiligten nur, wenn das Eigentum substantiiert bestritten wird. Allein der Vortrag, dass aufgrund des geringen Alters und des geringen Kilometerstandes eine Fremdfinanzierung und Leasing nicht ausgeschlossen seien, genügt indes nicht (Anschluss OLG Düsseldorf BeckRS 2018, 16046). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. 70% Mithaftung eines vorausfahrenden Abbiegers, der – jeweils ohne zu blinken – erst nach links, dann nach rechts schwenkt, schließlich rechts abbiegt und mit dem – ihn rechts überholenden – Nachzügler kollidiert. (Rn. 34 – 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 3950,30 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von € 3039, 51 seit dem 11.10.2020 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 265,20 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.10.2019 für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 47% und die Beklagten als Gesamtschuldner 53% zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klagepartei jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Gründe

Die Klage ist nur teilweise zulässig und begründet.
I.
Die Klage ist nur teilweise zulässig.
1. Die Klage ist im Leistungsantrag Ziff. I., III. insgesamt zulässig, insbesondere ist das Landgericht München II sachlich und örtlich zuständig, §§ 23 I Nr. 1, 71 I GVG, 32 ZPO, 20 StVG.
2. Der Feststellungsantrag ist unzulässig. Hinsichtlich immaterieller Schäden fehlt das Feststellungsinteresse der Klagepartei, § 256 ZPO, da es insoweit schon an der bloß entfernten Möglichkeit des Eintritts weiterer immaterieller Folgeschäden (BGH NJW-RR07, 601) fehlt. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er beim Unfallereignis verletzt wurde.
Hinsichtlich materieller Schäden besteht kein Feststellungsinteresse, da es dem Kläger selbst möglich gewesen wäre, die Schäden konkret zu beziffern, sodass aufgrund des Vorrangs der Leistungsklage ein Feststellungsinteresse fehlt (Zöller, § 256 Rn. 7 a).
II.
Die Klage ist nur teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von € 3960,38 gem. §§ 7 I, 17 I, II StVG, 115 I S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG. Dies entspricht einer Haftungsquote von 70%.
1. Aufgrund der Beweisaufnahme steht zur freien Überzeugung des Gerichts folgendes Unfallgeschehen fest, § 286 ZPO.
Die Beklagten fuhren, wie unstreitig vorgetragen, zunächst in Sichtweite hintereinander her. Danach schwenkte der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw ohne zu blinken nach links, verringerte sein Tempo, um nach kurzem Weiterfahren und ohne sich des rückwärtigen Verkehrs zu vergewissern auf dem Platz nach rechts abzubiegen, um zu wenden. Auch hierbei blinkte der Beklagte zu 1) nicht. Der Kläger ist in unverändertem Tempo am rechten Fahrbahnrand orientiert weitergefahren, um am Beklagten zu 1) rechts vorbeizufahren. Beim Abbiegevorgang kam es schließlich zur Kollision und zu den Schäden an den Unfallfahrzeugen im rechten Frontbereich des Beklagtenfahrzeugs sowie im linken hinteren Bereich des Klagefahrzeugs.
Die Schilder am Eingangstor des Gewerbeparks enthalten den Hinweis „Auf diesem Firmengelände gelten die Vorschriften der StVO“, sowie ein Verkehrsschild, das auf eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h hinweist. Die Fahrbahn ist nicht durch die üblichen Merkmale gekennzeichnet, insbesondere fehlt es an einer Fahrbahnmarkierung. Dies ergibt sich zweifelsfrei aufgrund der Lichtbilder 1-7, 32.45; 46/47, welche die Sachverständige im Rahmen ihres unfallanalytischen Gutachtens angefertigt hat.
Nach den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt, und der Schilderung der Klage- und Beklagtenpartei, hatte der Kläger im Kollisionszeitpunkt eine geschätzte Geschwindigkeit von maximal 22-24 km/h, der Beklagte zu 1) fuhr maximal 11 km/h.
Der Beklagte zu 1) hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung, nachdem er dies zunächst schriftsätzlich bestritten hatte, selbst gesagt, dass er nach rechts abbog, um zu wenden. Auch hat die glaubwürdige Zeugin St. sich erinnert, dass der Beklagte zu 1) dies nach dem Unfall zu ihr gesagt habe.
Der Kläger und die Zeugin St. haben darüber hinaus übereinstimmend ausgesagt, dass der Beklagte zu 1) zu keinem Zeitpunkt geblinkt habe. Insbesondere ist die Aussage der glaubwürdigen Zeugin St. glaubhaft, da sie ohne Zögern und widerspruchsfrei erfolgte. Sie konnte sich positiv erinnern, weder einen Blinker nach links noch nach rechts gesehen zu haben. Mit dem Vorhalt des Gerichts konfrontiert, der Beklagte zu 1) habe in der informatorischen Anhörung ausgesagt, die Zeugin St. habe kurz nach dem Unfall zu ihm gesagt: „Ja, du hast geblinkt“, hat die Zeugin St. ebenfalls spontan verneint. Vielmehr habe sie zu ihm gesagt, dass er schuld sei. Die gegenteilige Behauptung des Beklagten zu 1) erscheint insoweit als Schutzbehauptung.
Im Übrigen haben der Kläger, der Beklagte zu 1) und die Zeugin St. in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend das oben beschriebene Fahrmanöver geschildert.
Die Sachverständige konnte aufgrund des auf den Lichtbildern 1 bis 7, 33 (Lichtbildmappe Anlage) abgebildeten Hintergrundes (Bild 34, 35) sowie der dort abgebildeten signifikaten Fahrbahnaufteerungen und des Gullideckels die Endposition und den geschätzten Abstand der Fahrzeuge für das Gericht gut nachvollziehbar lokalisieren. Aus den überzeugenden und verständlichen Schilderungen der Sachverständigen, die ihrer Unfallanalyse alle relevanten Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hat, ergibt sich, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1) den Unfall bei einer geschätzten Maximalgeschwindigkeit des Klägers von 24 km/h und des Beklagten zu 1) von 11 km/h bei einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden nicht mehr vermeiden konnte, als das Beklagtenfahrzeug nach rechts abbog. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Kläger die Absicht des Beklagten zu 1), nach rechts zu lenken, aufgrund der fahrbahnparallelen Positionen der Fahrzeuge nicht mehr erkennen. Auch bei Variation der Geschwindigkeiten, die den Berechnungen zu Grunde lagen, so die schlüssige Erläuterung der Sachverständigen, wäre es unvermeidbar – wenn auch ggf. mit anderen Anstoßpunkten der Fahrzeuge – zu dem Unfall gekommen.
Schließlich hat die Sachverständige nachvollziehbar geschildert, dass es mehr als 0,8 sec vor der Kollision bei der gut überschaubaren Unfallörtlichkeit sowohl für den Kläger als auch den Beklagten zu 1) ohne weiteres möglich war, das Fahrverhalten des jeweils anderen Unfallbeteiligten zu beobachten.
2. Daraus ergibt sich folgende rechtliche Bewertung:
a) Die Beklagten haften dem Kläger dem Grunde nach gem. §§ 7 I, 17 I, II StVG, 115 I S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG für den aus dem Unfall entstandenen Schaden zu 70%.
(1) Der Kläger ist aktivlegitimiert. Für den Kläger spricht die Vermutung des § 1006 I 1 BGB. Zum Unfallzeitpunkt war der Kläger Fahrer und damit unmittelbarer Besitzer des Unfallfahrzeugs. Auch war der Kläger nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast nicht gehalten, die Umstände seines Besitz- und Eigentumserwerbs vorzutragen. Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Kläger nur, wenn die Beklagtenpartei ihrerseits das Eigentum substantiiert bestreitet. Allein der Vortrag – beim klägerischen Fahrzeug ersichtlich ins Blaue hinein – dass aufgrund des geringen Alters und des geringen Kilometerstandes eine Fremdfinanzierung und Leasing nicht ausgeschlossen seien, genügt indes nicht (statt vieler OLG Saarbrücken 08.05.2014 – 4 U 393/11, Düsseldorf 19.06.2018 – 1 U 164/17). Des Weiteren hat die Beklagte zu 2) den Schaden bereits teilweise reguliert. Hierin ist ein deklaratorisches (kausales) Schuldanerkenntnis zu erblicken (BGH 19.11.2008 – IV ZR 293/05 Rz. 9), sodass der Beklagtenpartei der Einwand des fehlenden Eigentums verwehrt ist.
(2) Die Beklagten zu 1) und 2) trifft dem Grunde nach eine Haftung gem. §§ 7 I, 17 I, II StVG, 115 I S. 1 Nr. 1, S. 4. VVG. Der Beklagte zu 1), welcher im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war, ist Halter des unfallbeteiligten KFZ. Er hat bei Betrieb eines KFZ kausal einen Schaden an dem klägerischen KFZ verursacht. Die Haftung der Beklagten ist auch nicht gem. §§ 7 II, 17 III StVG ausgeschlossen. Der Unfall ist weder durch höhere Gewalt noch durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist darauf abzustellen, ob der Fahrer jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat. Als Maßstab stellt die Judikatur auf einen Idealfahrer ab, der ein über das gewöhnliche Maß hinausgehendes, sachgemäßes, reaktionsschnelles und geistesgegenwärtiges Handeln an den Tag legt. Nach seiner eigenen Aussage im Rahmen der informatorischen Anhörung hat der Beklagte zu 1) den Kläger während des gesamten streitgegenständlichen Fahrvorgangs nicht gesehen. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen, denen sich das Gericht vollumfänglich anschließt, war es dem Beklagten zu 1) durch einen Blick in den Rückspiegel und rechten Außenspiegel vor der Lenkbewegung jedoch ohne weiteres möglich, den hinter ihm fahrenden Kläger-Pkw zu sehen. Dass im Zeitpunkt der Lenkbewegung eine Unvermeidbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 1) vorlag, ist insoweit unerheblich, da ein Idealfahrer aufgrund des Gesagten nicht in die Unfallsituation geraten wäre.
(3) Es ist vorliegend auch eine grundsätzliche Mithaftung des Klägers, der ebenfalls zum Unfallzeitpunkt Halter des Unfallfahrzeugs war, zu berücksichtigen, §§ 7 I, 17 I, II StVG. Ein Haftungsausschuss gem. § 7 II, 17 III StVG liegt nicht vor. Ein Idealfahrer ist insbesondere argwöhnischer als der Durchschnittsfahrer und achtet daher sorgfältiger auf Anzeichen für unrichtiges oder ungeschicktes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer (BGH 22.09.2009 – VI ZR 18/09). Dabei ist die Prüfung nicht darauf beschränkt, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrsituation wie ein Idealfahrer reagiert hat, sondern ob ein Idealfahrer in eine solche Lage geraten wäre. Er berücksichtigt auch Erkenntnisse, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrsituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH 03.12.2005 – VI ZR 68/04). Hierzu gehört auch die Beobachtung weiter vorn fahrender Fahrzeuge und nahe liegender Verdachtsmomente. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Fahrzeug ohne ersichtlichen Grund langsamer wird. Nach eigener Aussage des informatorisch angehörten Klägers fuhr der Beklagte zu 1) zunächst nach links, fuhr so einige Meter parallel versetzt geradeaus weiter und verlangsamte, sodass er zwar noch im Rollen gewesen sei aber fast gestanden habe. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten zu 1) war die Fahrbahn von anderen Verkehrsteilnehmern frei, sodass ein Grund für das leichte Ausfahren nach links sowie die Verlangsamung jedenfalls unklar war. Ein Idealfahrer hätte folglich bei Beobachtung dieses Fahrmanövers das eigene Fahrtempo verlangsamt und nicht versucht, am Beklagtenfahrzeug rechts vorbei zu fahren.
(4) Liegen die Voraussetzungen der §§ 7 I, 17 II StVG vor, so richtet sich die Haftungsverteilung im Einzelfall insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht bzw. verschuldet worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge können allerdings nur solche Umstände berücksichtigt werden, die entweder unstreitig oder nach § 286 ZPO bewiesen sind, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Auf ein Verschulden kommt es nur nachrangig an, da zunächst die objektiven Umstände der Unfallverursachung maßgeblich sind (BGH NJW 2012, 1953 Rz. 7). Dabei hat jede Seite grundsätzlich die Umstände zu beweisen, die für sie günstig, das heißt für die andere Seite nachteilig sind (OLG München, r+s 2014, 471).
(a) Im vorliegenden Fall ist bei der gem. § 17 II, I StVG vorzunehmenden Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge von einer überwiegenden Verantwortlichkeit des Beklagten zu 1) auszugehen. Dabei ist, da es sich um ein Privatgelände handelt, auf dem die Regeln der StVO nur entsprechend Anwendung finden, das allgemeine Rücksichtnahmegebot gem. § 1 II StVO als Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen. Die Regeln über den Anscheinsbeweis bei Wendevorgängen finden insoweit keine unmittelbare Anwendung. Freilich finden aber die Wertungen der StVO-Regelungen bei dem an die allgemeine Rücksichtnahmepflicht zu stellenden Maßstab Berücksichtigung (vgl. OLG Köln, r+s 1994, 53). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als sich der Unfall auf einer fahrbahnähnlichen Fläche ereignet hat (vgl. OlG Stuttgart, NJW-RR 1990, 670).
(b) Bei der Bewertung des Verursachungsbeitrags des Beklagten zu 1) ist zu beachten, dass dieser gegen die allgemeinen gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten verstoßen hat, § 1 II StVO. Nach dieser Vorschrift muss sich ein Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Vorliegend ist der Verstoß gegen die allgemeinen Rücksichtnahmepflichten darin zu erblicken, dass der Kläger die gesteigerten, hier mittelbar, zu beachtenden Sorgfaltsanforderungen beim Wenden bzw. Rechtsabbiegen missachtet hat und dass es nicht zu dem streitgegenständlichen Unfall gekommen wäre, wenn der Beklagte zu 1) vor Einleitung des Wendevorgangs die Vorbeifahrt des klägerischen Pkw abgewartet hätte.
Wer nach rechts abbiegen will hat sein Fahrzeug rechtzeitig möglichst weit rechts einzuordnen, vgl. § 9 I 2 StVO, wobei dies rechtzeitig durch Verwendung des Fahrtrichtungsanzeigers anzukündigen ist, vgl. § 9 I 1 2. HS StVO. Vor dem Abbiegen ist nochmals auf den nachfolgenden Verkehr zu achten, vgl. § 9 I 4 StVO. Hiergegen hat der Beklagte zu 1) in dreifacher Hinsicht verstoßen.
Entgegen den Wertungen des § 9 I 2 StVO hatte sich der Beklagte zu 1) nicht nach rechts eingeordnet, sondern fuhr nach eigener Aussage zunächst einen leichten Bogen nach links, um die Rechtskurve fahren zu können. Darüber hinaus hat der Beklagte zu 1) seine auch im Rahmen des § 1 II StVO zu beachtende doppelte Rückschaupflicht verletzt. Wie bereits dargelegt, hätte der Beklagte vor dem Abbiegen nach rechts den sich von hinten nähernden Kläger im rechten Außenspiegel sehen können. Der Beklagte zu 1) hätte deshalb nicht wenden dürfen, sondern die Vorbeifahrt des Klägers abwarten müssen. Wäre er der zweiten Rückschaupflicht nachgekommen, hätte er den Unfall vermeiden können. Schließlich hat der Beklagte zu 1), wie im Rahmen der Beweisaufnahme festgestellt, auch nicht den Blinker gesetzt.
(c) Bei der Bewertung des Verursachungsbeitrags des Klägers ist zu berücksichtigen, dass dieser im Rahmen seiner Rücksichtnahmepflicht gem. § 1 II StVO wegen der Fahrweise des Beklagten zu 1) vom Vorliegen einer unsicheren Verkehrslage entsprechend der Wertungen des § 5 III Nr. 1 StVO auszugehen hatte, sodass der Kläger nicht rechts hätte überholen dürfen und mit einer angepassten Geschwindigkeit hätte fahren müssen.
Von einer unsicheren Verkehrslage ist auszugehen, wenn nach allen Umständen mit einem ungefährdenden Überholen nicht gerechnet werden darf (OLG Saarbrücken 24.04.2001 – 4 U 419/00). Das ist etwa der Fall, wenn ungewiss ist, wie sich das vorausfahrende Fahrzeug verhalten wird. Entscheidend sind die gesamten äußeren Umstände, die für einen aufmerksamen Kraftfahrer, der überholen will, erkennbar sind. Insbesondere auf einem Privatgelände, das hier nur fahrbahnähnliche Merkmale aufweist, muss in besonderer Weise auf das Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer geachtet werden. Der Kläger ist, obwohl er nach eigener Aussage bemerkt hatte, dass der Beklagte zu 1) nach links ausschwenkt und verlangsamt, geradeaus weitergefahren.
Insbesondere hätte der Kläger bei Beobachtung des Fahrmanövers seine Geschwindigkeit anpassen müssen. Ohne Belang ist es insoweit, dass grundsätzlich 20 km/h auf dem Privatgelände erlaubt sind. Das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme gebietet es, bei unklarer Verkehrslage sein Tempo zu verringern, um gegebenenfalls bremsbereit zu sein. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es dem Kläger nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen unter den örtlichen Gegebenheiten möglich war, das Fahrverhalten des Beklagten zu 1) zu beobachten.
(3) Bei Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gem. § 17 I StVG ist nach den getroffenen Feststellungen von einer weit überwiegenden Verantwortlichkeit des Beklagten zu 1) auszugehen. Dennoch trifft den Kläger vorliegend eine Mitverschulden. Wie bereits geschildert, hat dieser den Unfall insoweit mit verursacht, als er, anders als dies von einem Idealfahrer im Rahmen des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme zu erwarten gewesen wäre, ohne jegliche Reaktion auf die unklare Verkehrslage an dem Beklagtenfahrzeug rechts vorbeigefahren ist. Daher erachtet das Gericht eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 70% zu 30% zu Lasten der Beklagtenpartei für angemessen.
b) Der Schadensersatzanspruch ist auch der Höhe nach nur teilweise begründet.
(1) Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten in Höhe von weiteren € 2.660,15 (netto). Die Höhe der konkreten Reparaturkosten von € 7.254,28 (netto) sind unstreitig. Hiervon hat die Beklagte 2) 2.417,85 € reguliert. Bei Zugrundelegung einer Haftungsquote von 70% hat die Klagepartei noch einen weiteren Anspruch i.H.v. € 2.660,15 (netto).
(2) Der Kläger hat Anspruch auf Nutzungsausfall in Höhe von weiteren € 920,86. Die Beklagte zu 2) hat den Nutzungsausfallschaden bereits teilweise reguliert. Hierin ist ein deklaratorisches (kausales) Schuldanerkenntnis zu erblicken (BGH 19.11.2008 – IV ZR 293/05; OLG München 23.06.2016, 10 U 37766/14), sodass der Beklagtenpartei der Einwand, die Klagepartei habe schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Nutzungsausfallschaden, verwehrt ist. Die Höhe einer Nutzungsausfallentschädigung von tägl. € 65,00 ist unstreitig. Der Anspruch besteht für die Dauer von 25 Tagen. Maßgeblich ist die tatsächliche Dauer des Nutzungsausfalls. Diese wird durch die Vorlage der Reparaturrechnung seitens der Klagepartei belegt. Die Beklagtenpartei hat bereits € 216,64 bezahlt. Bei Zugrundelegung einer Haftungsquote von 70% hat die Klagepartei noch einen weiteren Anspruch i.H.v. € 920,86.
(3) Der Kläger hat einen weiteren Anspruch auf Schadensersatz wegen Wertminderung in Höhe von € 367,00 sowie Anspruch auf Erstattung der Auslagenpauschale in Höhe von weiteren € 12,67.
II.
1. Dem Kläger stehen Verzugszinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag i.H.v. € 3039,51 seit 11.10.2020 zu (§§ 286 I, 288 I BGB), da mit Schreiben vom 26.09.2019 eine Mahnung erfolgte. Im Hinblick auf Verzugszinsen für den Nutzungsausfallschaden ist die Klage unschlüssig, da sich aus dem Vortrag der Klagepartei nicht ergibt, durch welches Schreiben für den Nutzungsausfall Verzug eingetreten sein soll. Ab dem 11.10.2019 kann schon gar kein Verzug über die gesamte geltend gemachte Höhe des Schadensersatzanspruchs vorliegen, da die Dauer und somit Höhe der Nutzungsausfallentschädigung erst am 28.11.2019 bekannt war.
2. Die Klagepartei hat Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten i.H.v. € 265,20 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.10.2019.
Hinsichtlich der Geltendmachung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Klagepartei aufgrund Ermächtigung seitens der Rechtsschutzversicherung aktivlegitimiert. Vorliegend war eine 1,3 Geschäftsgebühr als angemessen zugrunde zu legen. Das Gericht hat eine umfassende Überprüfungskompetenz hinsichtlich der Angemessenheit der Rechtsanwaltsgebühren (BGH NJW-RR 2013, 1020 Rn. 7; NJW 2016, 789, Rn. 34). Eine Erhöhung der Rahmengebühr ist nur bei besonderem Umfang und Schwierigkeit der Sache angemessen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Verkehrsunfallsache von durchschnittlicher Schwierigkeit. Die Regulierungspraxis ist nicht außergewöhnlich. Auch stellt sich die Beweisaufnahme mit einer Zeugin und einem unfallanalytischen Gutachten als nicht besonders umfangreich dar.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 I 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708, 709 ZPO.


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