Verkehrsrecht

Haftungsverteilung bei Einbiegen in die Tiefgarage

Aktenzeichen  17 O 11012/19

Datum:
21.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42106
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 7, § 9 Abs. 1, Abs. 5
StVG § 7, § 17

 

Leitsatz

Kollidiert ein unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1, 5 StVO rechts in eine Tiefgarageneinfahrt abbiegendes Kfz mit einem dahinter fahrenden Kfz, welches dieses rechts zu überholen versucht, ist eine Haftungsteilung 2/3 zu 1/3 geboten. (Rn. 26 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 1.880,17 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 67 % und die Beklagten samtverbindlich 33 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.645,56 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.880,17 € zuzüglich Zinsen zu.
1. Die durchgeführte Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der streitgegenständliche Unfall überwiegend, nämlich in Höhe von Zweidrittel, von dem klägerischen Fahrzeugführer, der unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO rechts in die Tiefgarageneinfahrt abzubiegen beabsichtigte, verursacht wurde. Jedoch ist auch dem Beklagten zu 2, der unter Missachtung der §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 1, Abs. 7 StVO rechts an dem klägerischen Fahrzeug vorbeizufahren beabsichtigte, ein Mitverschuldensvorwurf in Höhe von einem Drittel zu machen.
Im Einzelnen:
a) Der Beklagte zu 2 berichtete, dass das klägerische Fahrzeug langsam, mit einer Geschwindigkeit zwischen 20 und 30 km/h, vor ihm gefahren sei. Aufgrunddessen sei er davon ausgegangen, dass der Fahrer des Fahrzeuges einen Parkplatz suchen würde. In der … habe das klägerische Fahrzeug links geblinkt. Es sei dort eine Baustelle gewesen und er habe deshalb gedacht, dass das klägerische Fahrzeug zu der Baustelle fahren oder dort parken würde, da sich dort auch ein Parkplatz befinde. Das klägerische Fahrzeug sei dann gleich links rüber gefahren und habe seine Fahrbahn komplett verlassen. Er habe beschleunigt und sei an dem klägerischen Fahrzeug rechts vorbeigefahren. Er habe auf jeden Fall freie Fahrt gehabt. Das klägerische Fahrzeug sei dann wieder nach rechts gezogen und es habe sich die Kollision ereignet.
b) Der Zeuge … legte dar, dass er in die Tiefgarage rechts habe fahren wollen. Dies gehe jedoch nicht normal, vielmehr müsse man, weil rechts und links immer geparkte Fahrzeuge stehen würden, einen kleinen Bogen nehmen. Da es dort eng sei, müsse man, um abzubiegen, immer auf die Gegenfahrbahn fahren. Er habe sich allerdings nicht komplett links befunden, eher mittig. Bevor er abgebogen sei, habe er den rechten Blinker gesetzt. Normalerweise blinke er immer nur rechts. Wenn er gefragt werde, ob er auch links geblinkt habe, könne er sagen, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne. Es könne sein, dass er vielleicht kurz den linken Blinker berührt habe.
Als er dann den Bogen gemacht habe, habe sich die Kollision ereignet.
Zuvor habe er den Verkehr hinter sich schon durch den mittleren Spiegel beobachtet. Dabei habe er auch das Beklagtenfahrzeug gesehen, das sich in einer Entfernung von etwa 20 m befunden habe. Dieses sei etwa drei – bis viermal so schnell gewesen wie erlaubt und es habe dann auch aufgeholt. Als er rechts abgebogen sei, habe er es nicht mehr wahrgenommen. Er habe nur nach rechts geschaut, also dorthin, wohin er auch habe abbiegen wollen. Er habe nicht erwartet, dass ihn das Beklagtenfahrzeug überholen würde.
c) Der Zeuge … legte dar, sich genau an der Stelle befunden zu haben, an der der klägerische Fahrzeugführer habe rechts abbiegen wollen. Er, der Zeuge, habe gerade die Straße überqueren wollen. Das klägerische Fahrzeug habe den rechten Blinker gesetzt – er könne nicht sicher sagen, ob es auch links geblinkt habe, da er insoweit keine Sicht gehabt habe – und habe dann etwas, leicht, ausgeholt, um abbiegen zu können. An der rechten Seite seien Fahrzeuge geparkt gewesen; dies sei auch der Grund dafür gewesen, dass das klägerische Fahrzeug etwas ausgeholt habe. Ein parkendes Fahrzeug habe auch etwas die Einfahrt zugestellt. Das klägerische Fahrzeug habe nur einen kurzen Schlenker gemacht, es sei also nicht länger auf der linken Spur gefahren. Es habe die Fahrbahnmitte überfahren, sich aber nicht komplett auf der anderen Fahrbahn befunden. In diesem Moment sei es vom Beklagtenfahrzeug, das nicht langsam gefahren sei, rechts überholt worden.
Er kenne den Kläger und den klägerischen Fahrzeugführer; diese hätten damals Elektroarbeiten auf seiner Baustelle durchgeführt.
d) Der Zeuge … berichtete, damals ein Kollege des Beklagten zu 2 gewesen zu sein. Er sei damals zufälligerweise hinter dem Beklagtenfahrzeug hergefahren, sie seien beide auf dem Weg zur Arbeit gewesen. Es sei dann so gewesen, dass das Beklagtenfahrzeug gestanden sei, weil das klägerische Fahrzeug vor ihm ganz langsam gefahren sei. Er habe gesehen, dass das klägerische Fahrzeug links geblinkt habe und dann auf die Gegenfahrbahn gefahren sei. Es habe sich komplett dort befunden. Der Beklagte zu 2 habe normal an ihm vorbeifahren wollen, als der klägerische Fahrzeugführer nach rechts gelenkt habe. Er habe davon nicht nach rechts geblinkt.
e) Der Sachverständige Diplom-Ingenieur Dr. … führte aus, dass sich mit den zur Verfügung stehenden objektiven Anknüpfungstatsachen die absolut gefahrenen Geschwindigkeiten zum Kollisionszeitpunkt und auch die gefahrenen Geschwindigkeiten davor nicht feststellen lassen würden. Aufgrund der Fahrzeugbeschädigungen stehe lediglich fest, dass ein flacher Kollisionswinkel vorgelegen habe, das klägerische Fahrzeug sei zum Zeitpunkt der Kollision also noch kaum nach rechts abgebogen gewesen. Für den Fahrer des klägerischen Fahrzeuges wäre das hinter ihm befindliche Beklagtenfahrzeug als solches zu erkennen gewesen, wenn er unmittelbar vor dem Abbiegen nach rechts in den rechten Außenspiegel geblickt hätte.
Inwiefern auch der beabsichtigte Abbiegevorgang des klägerischen Fahrzeuges nach rechts für den Beklagten zu 2 abschätzbar oder zu vermuten gewesen sei, könne technisch nicht beurteilt werden.
f) Der Sachverständige … ist dem Gericht als sorgfältiger und fachkundiger Gutachter bekannt. Er hat die ihm vorliegenden Anknüpfungstatsachen sorgfältig und nachvollziehbar ausgewertet. Das Gericht schließt sich seinen Feststellungen daher vollumfänglich an und macht sich diese zu Eigen.
g) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der klägerische Fahrzeugführer rechts in die Tiefgarage abbiegen wollte und jedenfalls ein Stück auf die linke Fahrbahn fuhr, um sodann den Abbiegevorgang nach rechts durchzuführen. Dies gab der Zeuge … selbst an. Soweit der Beklagte zu 2 und die Zeugen unterschiedliche Angaben in Bezug auf die Frage machten, wie weit sich das klägerische Fahrzeug auf der linken Fahrspur befunden habe und ob es dort längere Zeit gefahren sei, konnte sich das Gericht keine hinreichende Überzeugung von der Richtigkeit einer der Angaben bilden. Dies gilt auch bezüglich der Frage, ob der klägerische Fahrzeugführer aufgrund eines rechts geparkten Fahrzeuges nach links fahren musste, um den Abbiegevorgang vornehmen zu können. Das Gericht hält insoweit keine der Aussagen für glaubhafter als die jeweils andere. In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass die Zeugen … und … Arbeitskollegen des Zeugen … bzw. des Beklagten zu 2 gewesen sind, mithin keine völlig unbeteiligte Zeugen.
Auch hinsichtlich der Frage, ob der Zeuge … vor dem beabsichtigten Rechtsabbiegen den Fahrtrichtungsanzeiger setzte bzw. welchen, konnte sich das Gericht nicht von der Richtigkeit einer der Angaben überzeugen. Während der Zeuge … in Übereinstimmung mit dem klägerischen Fahrzeugführer schilderte, dass dieser rechts geblinkt habe, berichteten der Beklagte zu 2 und der Zeuge …, dass der Zeuge … nach links geblinkt habe. Wenngleich der Zeuge … auf Nachfrage angab, dass es sein könne, dass er kurz den linken Blinker berührt habe, kann sich das Gericht hiervon im Ergebnis nicht mit der erforderlichen Gewissheit überzeugen.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 StVO muss, wer abbiegen will, dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Wer nach rechts abbiegen will, hat sein Fahrzeug möglichst weit rechts, wer nach links abbiegen will, bis zur Mitte, auf Fahrbahnen für eine Richtung möglichst weit links, einzuordnen, und zwar rechtzeitig.
Da der klägerische Fahrzeugführer rechts abzubiegen beabsichtigte, musste er dies durch Betätigung des rechten Fahrtrichtungsanzeigers ankündigen. Dies konnte die insoweit beweispflichtige Klagepartei, ebenso wie ihre Behauptung, dass der Zeuge … wegen eines rechts geparkten Fahrzeuges nach links habe fahren müssen, aufgrund der – wie dargelegt – widersprüchlichen Angaben jedoch nicht nachweisen.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 StVO ist vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten; vor dem Abbiegen ist es dann nicht nötig, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Wer ein Fahrzeug führt, muss sich beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.
Auch hiergegen hat der klägerische Fahrzeugführer, der selbst angab, das Beklagtenfahrzeug zwar schnell herannahend hinter sich wahrgenommen, gleichwohl vor dem Abbiegevorgang nicht mehr auf dieses geachtet zu haben, verstoßen. Wie dargelegt bekundete der Sachverständige ebenfalls, dass das aufholende Beklagtenfahrzeug für den Zeugen … zu erkennen gewesen wäre, wenn er unmittelbar vor dem Abbiegen nach rechts in den rechten Außenspiegel geschaut hätte.
Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmenden Haftungsabwägung ist zum Nachteil der Beklagtenpartei ein Verstoß des Beklagten zu 2 gegen §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 7 StVO zu berücksichtigen. Nach § 5 Abs. 7 Satz 1 StVO ist, wer seine Absicht, nach links abzubiegen, ankündigt und sich eingeordnet hat, rechts zu überholen.
Vorliegend ist, wie dargelegt, ungeklärt, ob an dem klägerischen Fahrzeug der linke oder rechte Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war. Auch lässt sich nicht klären, ob sich das klägerische Fahrzeug bereits vollständig auf der linken Fahrspur befand.
Der Beklagte zu 2 durfte sich vor diesem Hintergrund nicht darauf verlassen, dass der Zeuge … nach links abbiegen würde, sondern hätte abwarten müssen, bis die Verkehrslage ein gefahrloses Überholen zulassen würde. Dies wäre erst dann der Fall gewesen, wenn für den Beklagten zu 2 die Absichten des klägerischen Fahrzeuges durch den tatsächlich beginnenden Abbiegevorgang deutlich geworden wäre oder wenn er zweifelsfrei davon ausgehen konnte, dass links abgebogen werde (Heß in B/H/H/J, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage, § 5 StVO Rn. 62 m.w.N.).
Demnach haben beide Fahrer den Unfall schuldhaft herbeigeführt. Da der Verschuldensanteil des klägerischen Fahrzeugführers, der den höchsten Sorgfaltsmaßstäben zu genügen hatte, den des Beklagten zu 2 aber deutlich übersteigt, hält das Gericht vorliegend eine Haftungsverteilung von einem Drittel zu Zweidrittel zum Nachteil des Klägers für angemessen und geboten (vgl. insoweit auch Heß in B/H/H/J, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage, § 5 StVO Rn. 69a m.w.N.).
2. Der Höhe nach unstreitig sind der Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 4.907,56 € (Wiederbeschaffungswert in Höhe von 6.000,00 € abzüglich Restwert in Höhe von 1.092,44 €) sowie die Sachverständigenkosten in Höhe von 708,00 €, sodass der Kläger hiervon 1/3, also 1.871,85 € verlangen kann. Daneben steht ihm entsprechend der festgestellten Haftungsquote ein Anspruch auf Zahlung einer Unkostenpauschale – die gemäß der ständigen Rechtsprechung Münchner Verkehrsgerichte lediglich 25,00 € beträgt – in Höhe von 8,33 € zu.
3. Der Zinsanspruch seit dem 22.02.2020 folgt – unter Berücksichtigung einer der Beklagtenseite zuzustehenden Prüffrist von vier Wochen – aus §§ 286, 288 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 711 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts des Rechtsstreits hat ihre Grundlage in § 3 ZPO.


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