Verkehrsrecht

Haftungsverteilung für Radfahrkollision bei abknickender Vorfahrt

Aktenzeichen  44 O 3499/19

Datum:
7.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43533
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 8, § 9
ZPO § 256

 

Leitsatz

Wer trotz eines Schildes, welches die abknickende Vorfahrt anzeigt, nicht darauf achtet, ob am Ende des Gehsteigs ein Radfahrer abfährt oder ein Fußgänger dort entlangläuft, obgleich er gemäß § 8 StVO dazu verpflichtet gewesen wäre, verstößt gegen die ihm nach § 9 StVO obliegende besondere Sorgfalt und trägt im Fall einer Kollision regelmäßig die alleinige Haftung. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A. Die Klage ist zwar zulässig.
Dem Kläger steht auch das gemäß § 256 I ZPO für Feststellungsklagen erforderliche Feststellungsinteresse zu. Dies besteht immer dann, wenn wie vorliegend, der Beklagte die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche ernstlich bestreitet und das Urteil geeignet ist, die dadurch entstandene Unsicherheit zu beseitigen. Dem steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Kläger bereits einzelne Positionen seines Schadensersatzanspruches beziffern könnte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass sich ein Kläger bei einer noch nicht abgeschlossenen Ermittlung der Schadenshöhe oder einer noch andauernden Schadensentwicklung grundsätzlich auf einen Feststellungsanspruch beschränken darf. Er muss die bereits feststehenden Einzelansprüche nicht nach und nach beziffern und mit Leistungsanträgen geltend machen. Dies folgt schon aus prozessökonomischen Gründen, weil eine sukzessive Einführung einzelner Schadenspositionen und eine fortwährende Antragsumstellung dem Beklagten ständig neue Angriffspunkte liefern würde. Dies könnte zu einer unangemessenen Verfahrensverzögerung führen, vgl. auch BGH NJW-RR 2016, 759; Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 256 Rn. 7 a.
B. Die Klage ist jedoch unbegründet.
I. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger den Unfall allein verschuldet hat. Ein Verschulden des Beklagten ist nicht nachgewiesen.
1. Der Kläger konnte schon seine Unfallversion nicht beweisen.
a) Der Kläger hat nämlich in der mündlichen Verhandlung vom … ausgesagt, dass er von der untergeordneten Straße kam und nach rechts in die …straße eingebogen sei. Von links sei keiner gekommen. Von rechts sei auch niemand gekommen. Er sei dann an der weißen Markierung gewesen, die man auf den Lichtbildern erkennen kann. Als er dann eingebogen sei, sei das Rad des Beklagten auf der Straße gestanden. Er sei dann in das Rad des Beklagten gefahren. Dieses habe sich komplett auf der Fahrbahn befunden. Er habe sich schon rechts gehalten. Allerdings hätte er auch etwa ca. 1 m Abstand vom Straßenrand eingehalten. Er habe schon noch versucht zu bremsen, habe aber sehr stark gebremst. Er sei dann vorn übers Rad. Dabei könne er nicht mehr so schnell gewesen sein. Dort, wo auf dem übergebenen Lichtbild das Kreuz eingezeichnet ist, habe sich die Kollision ereignet. Den Beklagten habe er erst nach dem Abbiegen gesehen. An der weißen Markierung habe er nicht angehalten, habe aber vorher geschaut. Es sei nichts gekommen, dann sei er abgebogen. Er sei ziemlich mittig auf der rechten Straße auf der rechten Fahrbahn zum Liegen gekommen. Den Beklagten als Radfahrer habe er erst nach der Kurve gesehen, kurz vor der Kollision hinter dem weißen Block.
b) Demgegenüber hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom … ausgesagt, dass er zunächst mit seinem Fahrrad auf dem Gehsteig unterwegs gewesen sei. Sie seien vorher aus dem Hof gekommen, nämlich dort, wo auf Bild 8 der Lichtbildanlage des Sachverständigen N.N. der gelbe Strauch erkennbar ist. Sie seien dann vor gefahren. Er habe die …straße geradeaus überqueren wollen. Auf Höhe des Gullydeckels vorn beim Gehsteig, der auf Bild 8 am rechten Rand erkennbar ist, sei er mit seinem Rad runter von der Straße. Dabei sei er langsam gefahren. Das Vorderrad sei dann schon auf der Straße gewesen. Das Hinterrad noch auf dem Gehsteig. Erst kurz vor der Kollision habe er den anderen Radfahrer gesehen. Vorher habe er diesen nicht sehen können, weil noch ein Gebüsch da gewesen sei, sodass er die …straße nicht habe einsehen können. Sie seien deswegen auf dem Gehsteig gefahren, weil sie gerade aus dem Hof raus gekommen seien. Die Kollision habe sich dort ereignet, wo auf Bild 10 der Lichtbilder des Sachverständigen N.N. der Gully erkennbar ist. Die Kollision habe sich nicht auf Höhe des Stromkastens ereignet. Er habe zunächst die …straße überqueren und dann nach links in Richtung Heimatmuseum fahren wollen.
c) Der Zeuge N.N. konnte nur angeben, dass sich der Beklagte am Ende des Gehsteigs befunden habe, als beide auf der Straße lagen. Der Kläger habe sich davor im Kreuzungsbereich befunden. Die genaue Stelle könne er aber nicht angeben.
d) Dagegen konnte der Zeuge N.N. die Unfallversion des Beklagten bestätigen. Sie seien zuerst auf dem Gehsteig unterwegs gewesen. Am Ende des Bürgersteigs sei der Beklagte mit dem Vorderrad nach unten auf die Straße gefahren. Er wisse nicht mehr, ob das Vorderrad schon ganz auf der Straße war oder nicht. Das Hinterrad sei jedoch noch auf dem Gehweg gewesen. Dann sei alles richtig schnell gegangen. Der Kläger sei gekommen und in den Beklagten reingefahren. Auf Vorlage von Bild 8 der Lichtbildanlage des Sachverständigen N.N. bestätigte der Zeuge, dass sie aus der Einfahrt beim gelben Busch auf den Gehsteig gefahren seien. Bei Bild 9 der Lichtbildanlage des Sachverständigen N.N. erklärte der Zeuge, dass sich der Unfall am Rande des Gehsteigs im Bereich links und rechts neben diesem Gully ereignet habe. Den Kläger habe er vor der Kollision nicht gesehen. Er habe auch nicht gesehen, wo dieser herkam. Vor der Kollision seien sie schon noch gefahren, aber eher langsamer. Sie hätten die über die …straße rüber fahren und dann nach links fahren wollen.
e) Danach konnte der Kläger schon nicht beweisen, dass sich der Unfall so zugetragen hat, wie ihn der Kläger geschildert hat. Insbesondere konnte der Kläger den von ihm geschilderten Kollisionsort nicht beweisen. Der Beklagte wollte nicht die …straße überqueren, sondern am Ende des Gehsteigs auf der linken Seite der …straße die …straße überqueren, wie dies auch der Zeuge N.N. bestätigt hat. Weitere objektive Beweismittel stehen nicht zur Verfügung. Von einem Unfallhergang, wie ihn der Kläger geschildert hat, konnte sich das Gericht keine Überzeugung bilden.
2. Jedenfalls wäre der Unfall für den Kläger in jeder Unfallversion auch vermeidbar gewesen.
a) Wenn sich der Unfall so abgespielt hätte, wie ihn der Kläger geschildert hat, hätte der Kläger den Unfall auf jeden Fall vermeiden können. Der Sachverständige N.N. hat hierzu nämlich in der mündlichen Verhandlung vom … nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass unfallkausale Sichteinschränkungen nach links und nach rechts in Fahrtrichtung des Klägers nicht gegeben waren. Insbesondere, wenn man davon ausgeht, wie von dem Kläger angegeben, dass er an der Haltelinie nach links und rechts geblickt habe und es nach seinen Angaben auf Höhe des Stromkastens rechts in seiner Fahrtrichtung zum Kollisionskontakt gekommen sei. Dann müsste man schon rein aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zwingend davon ausgehen, dass jedenfalls bei Einfahrt in die Straße der von rechts herannahende, wenn auch links orientiert, fahrende Beklagte zu sehen gewesen sei. Der Unfall wäre dann für den Kläger vermeidbar gewesen, wenn er nicht in die …straße eingefahren wäre. Zwar hat der Sachverständige N.N. auch angegeben, dass der Unfall für den Beklagten dann vermeidbar gewesen wäre, wenn der Beklagte auf der Straße rechts gefahren wäre. Dies ist jedoch unerheblich. Zum einen ist der Beklagte schon nicht auf der Straße gefahren, auch nicht links. Vielmehr ist der Beklagte auf dem Gehsteig gefahren. Zum anderen konnte der Kläger eine entsprechende Unfallversion auch nicht beweisen.
Das Gericht hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen N.N.. Der Sachverständige ist dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger bekannt. Zudem konnte sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung ebenfalls von der Sachkunde des Sachverständigen N.N. noch einmal selbst überzeugen.
b) Aber auch wenn sich der Unfall so abgespielt hat, wie ihn der Beklagte geschildert hat, hätte der Kläger den Unfall vermeiden können. Der Sachverständige N.N. hat hierzu nämlich ebenfalls verständlich ausgeführt, dass der Kläger bei der Unfallversion des Beklagten einen seitlichen Abstand nach rechts zur Bordsteinkante im Bereich von 25 bis 50 cm gehabt habe. Wenn man rechtlich davon ausgehen würde, dass der Kläger bereits mit bevorrechtigtem Verkehr rechnen musste zu dem Zeitpunkt, zu dem er in die Verlängerung des Gehweges, von wo sich der Beklagte nach Beklagtenvortrag angenähert hat, und in diesen Bereich nicht einfahren durfte, sondern davor anhalten muss und ggf. querenden Verkehr auf dem Gehweg prüfen muss und mit diesem rechnen muss, würde sich auch in dieser Unfallversion für den Kläger die Vermeidbarkeit ergeben.
c) Für den Beklagten dagegen wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen N.N. eine Reaktion auf den erkennbaren Kläger von der …straße kommend als Halt bei normal üblicher Fahrt aufgrund erforderlicher Reaktionszeiten nicht möglich gewesen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn man vom Beklagten rechtlich einfordern würde, dass er noch ohne erkennbare Gefahr am Ende des Gehweges anhält und überprüft, ob aus der …straße Verkehr kommt oder nicht. Eine Einsicht in die …straße zielführender Art sei nur am Ende des Gehweges möglich gewesen. Zuvor liege eine Sichteinschränkung vor. So sei der Bewuchs zum Unfallzeitpunkt stärker gewesen. 5 bis 10 m vor Ende des Gehweges würde also kein Sichtkontakt bestehen. Vielmehr müsse man an das Ende des Gehweges fahren und dann schon gezielt nach schräg links vorne blicken, unter Umständen sogar mit Nach-Vorne-Beugen der Person.
d) Entscheidend ist jedoch, dass der Kläger auf keinen Fall auf Sicht gefahren sein kann, da er dann den Beklagten rechtzeitig hätte erkennen müssen. Trotz Schildes, welches die abknickende Vorfahrt anzeigt, hat der Kläger weder darauf geachtet, ob am Ende des Gehsteigs nun ein Radfahrer, wie der Beklagte, abfährt oder ein Fußgänger dort entlangläuft, obgleich er gemäß § 8 StVO dazu verpflichtet gewesen wäre. Auch wollte der Kläger nach rechts in eine Vorfahrtstraße einbiegen und hatte darum auch gemäß § 9 StVO besondere Sorgfaltspflichten. Der Zusammenstoß im Bereich des Gullys belegt nochmals, dass sich der Unfall nicht so zugetragen hat, wie ihn der Kläger geschildert hat. Zum anderen belegt er aber auch, dass der Kläger entweder nicht ausreichend vor dem Abbiegen nach rechts geschaut hat oder seine Geschwindigkeit nicht entsprechend angepasst hat. Zumindest hätte er dann vor der Einbiegung einen entsprechend größeren Seitenabstand vom Fahrbahnrand einhalten müssen, wenn er nicht überblicken kann, ob von rechts etwas kommt. Dem Beklagten hingegen kann kann Vorwurf gemacht werden, da der Sachverständige gerade bestätigt hat, dass der Beklagte zum Unfallzeitpunkt bis ans Ende des Gehweges hätte fahren und gezielt nach schräg links vorne hätte blicken müssen, unter Umständen sogar mit Nach-Vorne-Beugen der Person, um den Kläger überhaupt erblicken zu können. Es ist auch nachvollziehbar, dass der Beklagte mit seinen Freunden diesen Weg gewählt hat. Andernfalls hätte der Beklagte zunächst die …straße überqueren müssen und dann in einer abknickenden Vorfahrtstraße im Kreuzungsbereich nochmals die …straße überqueren müssen, um dann links weiterfahren zu können. Dies wäre für die Kinder ein ziemlich gefährliches Fahrmanöver gewesen, wobei sich der vom Beklagten gewählte Weg als weniger gefährlich darstellt. Unerklärlich bleibt am Ende, warum der Kläger den Beklagten beim Abbiegen nicht gesehen hat und er so dicht am rechten Fahrbahnrand fährt, dass er direkt neben dem Gehsteig auf dem Gullydeckel mit dem Beklagten kollidiert. Ein Verschulden des Beklagten deswegen ist nicht ersichtlich, schon gar kein alleiniges Verschulden. Im Übrigen handelt es sich beim Beklagtenfahrzeug um ein Kindermountainbike, für das gemäß § 24 I 2 StVO die Vorschriften über den Fußgängerverkehr entsprechend gelten, sodass der Beklagte gemäß § 25 StVO auch den Gehweg benutzen durfte.
II. Mangels Hauptanspruchs hat der Kläger gegen den Beklagten auch keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 48 I, 63 II GKG iVm 3 ZPO.


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