Verkehrsrecht

Kein Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger bei fehlendem Sozialversicherungsverhältnis trotz erbrachter Leistungen an den Geschädigten durch den Sozialversicherungsträger

Aktenzeichen  10 C 23/19

Datum:
14.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 52977
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 812 Abs. 1
SGB X § 116
SGB VI § 15a

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.09.2017 zu bezahlen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.300,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als vollständig begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten Rückzahlungsansprüche in Höhe von 3.300,00 € gemäß § 812 Abs. 1 BGB.
Die Zahlung zum Ausgleich der Unterbringungskosten, die der Beklagten anlässlich der Rehabilitationsmaßnahmen der geschädigten L. entstanden sind, erfolgte ohne rechtlichen Grund.
Ein Forderungsübergang der Schadensersatzansprüche der geschädigten L. auf die Beklagte gemäß § 116 SGB X hat nicht stattgefunden.
Der Beklagten ist zwar dahingehend Recht zu geben, dass rein aus dem Wortlaut des § 116 Abs. 1 SGB X nicht geschlussfolgert werden kann, dass ein Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger davon abhängig ist, dass ein Sozialversicherungsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Sozialversicherungsträger besteht. Der Wortlaut der Vorschrift knüpft lediglich daran an, dass Voraussetzung für einen Forderungsübergang das Erbringen von Sozialleistungen aufgrund des Schadensereignisses ist. Vorliegend hat die Geschädigte unstreitig an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen, für die die Beklagte 3.300,00 € aufwenden musste. Die Zahlung der Kosten der Rehamaßnahmen wurde kausal ausgelöst durch den Verkehrsunfall, den der klägerische Versicherungsnehmer verursacht hatte. Nichtsdestotrotz ist unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes davon auszugehen, dass es sich bei der fraglichen Leistung, die die Beklagte erbrachte, nicht um eine solche handelt, die im Sinne von § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X „aufgrund des Schadensereignisses“ erfolgte.
Das Gericht hält die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24.04.2012 (MDR 2012, 840 f) für anwendbar. Der jener Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist in wesentlichen Teilen identisch mit der hiesigen Fallkonstellation. In jenem Verfahren ging es allerdings um die Frage, ob gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger bereits zum Zeitpunkt des Unfalles auch dann erfolgt, wenn der Geschädigte zum Unfallzeitpunkt noch nicht durch ein Sozialversicherungsverhältnis mit dem Sozialversicherungsträger verbunden ist und auch nicht absehbar ist, dass ein solches in naher Zukunft begründet wird. Auch in jener Fallkonstellation hatte der Rentenversicherungsträger für das geschädigte Kind auf Antrag der Eltern eine Heilbehandlung bewilligt, wobei deren Kosten nicht Gegenstand der vom Bundesgerichtshof zu treffenden Entscheidung waren. Vielmehr ging es in jener Entscheidung darum, ob festgestellt werden kann, dass entsprechende Schadensersatzansprüche des geschädigten Kindes bereits im Unfallzeitpunkt auf den klagenden Rentenversicherungsträger übergegangen sind, so dass dieser sich im Fall zukünftiger Inanspruchnahme etwaige von dem Schädiger bzw. dessen Versicherung mit den gesetzlichen Vertretern des geschädigten Kindes geschlossenen Abfindungsvergleiche nicht entgegenhalten lassen muss und darüber hinaus auch nicht den Verjährungseintritt zu befürchten hat.
Insoweit ist der Beklagtenseite Recht zu geben, dass letztlich noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, ob eine Fallkonstellation wie die konkret hier vorliegende, die bereits erbrachte Leistungen betrifft, so zu entscheiden ist wie der Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 24.04.2012 zugrunde liegt.
Das Gericht geht jedoch davon aus, dass die vom BGH aufgestellten Grundsätze auf Fallkonstellationen wie die vorliegende übertragbar sind. Dafür spricht, dass der Bundesgerichtshof sich ausführlich damit befasst hat, ob seine Rechtsprechung für Leistungen, die nicht auf Basis eines bereits bestehenden Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, auf Fallkonstellationen wie die vorliegenden anzuwenden sind. Sofern Leistungen unabhängig von einem bestehenden Sozialversicherungsverhältnis erbracht werden, ist nach ständiger Rechtsprechung für den Zeitpunkt des Forderungsüberganges maßgebend, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Eine Übertragung jener Grundsätze hätte nahegelegen, weil in der am 24.04.2012 entschiedenen Konstellation ein Sozialversicherungsverhältnis des geschädigten Kindes zur gesetzlichen Rentenversicherung zwischenzeitlich entstanden war. Dass der Bundesgerichtshof sich nichtsdestotrotz mit der Frage der Übertragbarkeit seiner Rechtsprechung zu den von einer Sozialversicherung unabhängigen Leistungen auf die hier zu entscheidende Frage befasst und diese verneint hat, sieht das Gericht als Indiz dafür, dass die in jener Entscheidung entwickelten Grundsätze verallgemeinerungsfähig sein sollen (vgl. auch die Entscheidungsbesprechung des Herrn Prof. Giesen, NJW 2012, 3609 unter VII „Fazit“). Insoweit geht das Gericht davon aus, dass ein Forderungsübergang bereits zum Unfallzeitpunkt gemäß § 116 Abs. 1 SGB X das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses zum Unfallzeitpunkt voraussetzt. Besteht das Sozialversicherungsverhältnis zum Unfallzeitpunkt nicht, erwirbt der Sozialversicherungsträger die Forderung erst mit der Begründung des Versicherungsverhältnisses durch das geschädigte Kind (vgl. Küppersbusch-Höher 12. Auflage, 2016, Randnummer 590; vgl. Entscheidungsbesprechung des Rechtsanwalts J. J. JURIS PR-Verkehrsrecht 14/2012, Anmerkung 2 a dd). Die Leistungen, die die Beklagte vorliegend zu Gunsten der geschädigten L. erbracht hat, erbrachte sie deshalb, weil sie gemäß § 15 a SGB VI aufgrund des Sozialversicherungsverhältnisses der Eltern der L. hierzu verpflichtet war. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 24.04.2012 klargestellt, dass Leistungen, die einem Kind aufgrund eines Versicherungsverhältnisses der Eltern zugute kommen, keine Einheit bilden mit eigenen rentenversicherungsrechtlichen Ansprüchen (vgl. BGH a.a.O. Randnummer 17). Insoweit stand das Forderungsrecht ausschließlich den Eltern der geschädigten L. zu, so dass die auf dieser Basis vorgenommenen Zahlungen der Beklagten keine Leistungen sind, die die Beklagte im Sinne von § 116 Abs. 1 SGB X „auf Grund des Schadensereignisses“ erbrachte. Voraussetzung für einen Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X ist das Entstehen eines Sozialleistungsanspruchs, nicht der bloße Tatbestand der Leistungserbringung durch einen Sozialversicherungsträger (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht 103. EL 3/19 § 116 SGB X Rn. 27, 35, 37). Dass es in einer Konstellation wie der vorliegenden in Einzelfällen dazu kommt, dass der Schädiger entlastet wird, weil der Sozialversicherungsträger Zahlungen erbringt, ohne Regressieren zu können, ist hinzunehmen, weil anderenfalls der Geschädigte ein eigenes Forderungsrecht gegen den Schädiger verlöre, obwohl ihm noch keine eigenen Ansprüche gegen den Sozialversicherungsträger zustehen und gänzlich unklar ist, ob solche jemals entstehen. Zudem hat der Vertreter der Beklagten im Termin bestätigt, dass Leistungsregresse nach einer Kinderrehabilitation gemäß § 15 a SGB VI selten vorkommen. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass entsprechende Reha-Aufenthalte auch über die Familienkrankenversicherung beantragt und abgewickelt werden können. Die Familienversicherung nach § 10 SGB V sieht einen umfassenden Versicherungsschutz auch für die Kinder vor, so dass bei Leistungserbringung durch dies Krankenversicherung ein Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X unproblematisch anzunehmen ist (vgl. BGH a.a.O. Rn 17). Das hier gefundene und zunächst als möglicherweise unbillig empfundene Ergebnis dürfte daher in der Praxis auf nicht allzu viele Fallkonstellationen zutreffen.
Nachdem auch durch die konkret erbrachte Leistung der Beklagten kein Schadensersatzanspruch der geschädigten L. auf sie überging, erfolgte die Regulierung der 3.300,00 € durch die Klägerin im Jahr 2017 ohne rechtlichen Grund. Die Klägerin kann daher mit Erfolg die Rückerstattung des Betrages nebst Zinsen verlangen, §§ 247, 286, 288 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung erging gemäß § 91 ZPO.
III.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
IV.
Der Streitwert war gemäß §§ 3 ff ZPO, 40 GKG festzusetzen.


Ähnliche Artikel


Nach oben