Verkehrsrecht

Keine Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten im Rahmen der Fahrzeugreparatur

Aktenzeichen  32 O 1208/20

Datum:
15.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48750
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249
ZPO § 91a, § 93

 

Leitsatz

Die durch Werkstattrechnung belegten Kosten der Desinfektion eines Fahrzeugs vor Rückgabe an den Geschädigten sind vom Schädiger nicht zu ersetzen. (Rn. 33 – 34)
1. Einen Anspruch auf Erstattung von Desinfektionskosten bejahen: AG Vaihingen BeckRS 2021, 16581; AG Frankenthal BeckRS 2021, 7263; AG München BeckRS 2020, 41990; BeckRS 2020, 37879; AG Heinsberg BeckRS 2020, 25146; AG Siegburg BeckRS 2020, 43192. Wie hier demgegenüber: LG Stuttgart BeckRS 2020, 39796; AG Stuttgart BeckRS 2021, 9149; AG Aachen BeckRS 2021, 2437; AG Wolfratshausen BeckRS 2020, 36873; AG Freiburg BeckRS 2020, 45395; AG Pforzheim BeckRS 2020, 45887. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommenen Kfz-Haftpflichtversicherer ist eine Prüfungszeit zuzubilligen, die mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens beginnt und vor deren Ablauf Verzug nicht Eintritt und eine Klage nicht veranlasst ist. Erhebt der Geschädigte vor Ablauf dieser Frist Klage, kann der Versicherer noch ein sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast abgeben oder bei fristgerechter Regulierung und anschließender Klagerücknahme oder übereinstimmender Erledigungserklärung auf eine ihm günstige Kostenentscheidung vertrauen. Die Dauer der Frist ist vom Einzelfall abhängig und ist bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall mit 4 bis 6 Wochen anzusetzen (Anschluss an OLG Schleswig BeckRS 2016, 16046; OLG Saarbrücken BeckRS 2016, 111327; BeckRS 2019, 9905). (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.041,29 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist in ihrer letzten Fassung vollständig unbegründet.
A.
Infolge der beiden übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist die Rechtshängigkeit der Hauptforderung in Höhe von 3.678,56 € + 864,32 € + 150,00 € + 25,00 € = 4,717,88 € und die Rechtshängigkeit der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 480,12 € nachträglich entfallen, § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO. Insoweit war keine Sachentscheidung mehr zu treffen.
B.
Der Kläger hat keine gegen die Beklagte gerichteten Ansprüche auf Zahlung weiterer Beträge in Höhe von 120,00 €, 47,60 € Geweils zzgl. Mehrwertsteuer) und 129,00 €.
I. Es besteht kein Anspruch auf Verbringungskosten in Höhe von 120,00 € zzgl. Mehrwertsteuer.
Die Klagepartei hat zwar unbestritten vorgetragen, dass die beauftragte Reparaturwerkstatt über keine eigene Lackiererei verfügt hat und aus diesem Grund Kosten in Höhe von 120,00 € angefallen sind.
Allerdings hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei nicht den Beweis dafür angetreten, dass zum Zwecke der Lackierung tatsächlich eine Verbringung des beschädigten Fahrzeugs zu einer Lackierwerkstatt stattgefunden hat, die ursächlich für entsprechende Kosten war.
Dies ist durch die Beklagte bestritten worden und kann im Falle einer konkreten Schadensberechnung auch nicht durch Vorlage einer Rechnung bewiesen werden. Die Aussagekraft einer Rechnung beschränkt sich allein auf die Frage der Erforderlichkeit und Angemessenheit tatsächlich angefallener Kosten, bezieht sich jedoch nicht auf die Durchführung der zugrundeliegenden und kostenverursachenden Maßnahmen selbst {Katzenstein in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, §§ 249, 250 BGB Rn. 14).
II. Es besteht kein Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 129,00 €.
Zwar besteht die Möglichkeit, im Falle eines entgangenen Gebrauchsvorteils eines Kraftfahrzeugs eine Entschädigung für den Nutzungsausfall verlangt werden kann. Allerdings ist hierfür Voraussetzung, dass tatsächlich ein Verlust der Gebrauchsmöglichkeit vorliegt und eine fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung vorliegt, die nur bei einem entsprechenden Nutzungswillen und einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit bejaht werden kann (BGH, Urteil v. 23.01.2018 – VI ZR 57/17, NJW 2018, 1393(1394)).
Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei hat jedoch überhaupt nicht schlüssig zu den entsprechenden Voraussetzungen vorgetragen. Es liegen keinerlei Ausführungen dazu vor, von wann bis wann das Fahrzeug infolge der Reparaturmaßnahmen auf die Nutzung des eigenen Fahrzeugs verzichtet werden musste, ein entsprechender Nutzungswille bzw. -bedarf bestand und im Übrigen auch kein weiteres Fahrzeug zur Hand war, durch das dieser Ausfall möglicherweise hätte kompensiert werden können. Behauptet wird lediglich ein entsprechender Betrag in Höhe von 129,00 €, in Bezug auf den jedoch auch nicht erläutert wird, wie sich dieser im Einzelnen zusammensetzt.
III. Auch auf den Betrag in Höhe von 47,60 € für Desinfektionsschutzmaßnahmen besteht unabhängig von dessen tatsächlicher Erforderlichkeit und Angemessenheit sowie der Frage, ob dieser dem sog. Werkstattrisiko unterfällt, kein Anspruch auf Erstattung.
Die darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei hat auch insoweit keinen Beweis für die zwischen den Parteien umstrittene Behauptung angetreten, dass die in Rechnung gestellten Infektionsschutzmaßnahmen überhaupt tatsächlich durchgeführt wurden. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I. verwiesen werden.
C.
Ein Anspruch auf weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 91,32 € besteht daher ebenfalls nicht.
D.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 S. 1,91a Abs. 1 S. 1,93 ZPO.
Die Klagepartei trägt hinsichtlich der zuletzt noch rechtshängigen Streitgegenstände die Kosten des Rechtsstreits, da sie insoweit vollständig unterlegen ist, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Hinsichtlich der übereinstimmend für erledigt erklärten Streitgegenstände entsprach es billigem Ermessen i. S. v. § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen. Zwar hat die Beklagte insoweit nach Rechtshängigkeit geleistet, ohne der Berechtigung der entsprechenden Forderungen zu widersprechen. Dies allein rechtfertigt es jedoch nicht, der Beklagten im Rahmen des § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO die Kosten aufzuerlegen. Vielmehr ist im vorliegenden Fall ausschlaggebend, dass die Beklagte keinen Anlass gegeben hat, zum hier erfolgten Zeitpunkt die Klage zu erheben. Auch im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO kommen die allgemeinen Kostengrundsätze, mithin § 93 ZPO, zur Anwendung.
Ein Beklagter gibt dann Veranlassung zur Klageerhebung, wenn sein Verhalten vor Prozessbeginn gegenüber dem Kläger so war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne seine Klage nicht zu seinem Recht kommen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass einem Kraftfahrzeug-Pflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird, eine Prüfungszeit zuzubilligen ist, die mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens beginnt und vor deren Ablauf Verzug nicht Eintritt und eine Klage nicht veranlasst ist. Erhebt der Geschädigte vor Ablauf dieser Frist eine Klage, kann der Versicherer noch ein sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast abgeben oder bei fristgerechter Regulierung und anschließender Klagerücknahme oder übereinstimmender Erledigungserklärung auf eine ihm günstige Kostenentscheidung vertrauen. Die Dauer dieser Frist ist vom Einzelfall abhängig, wird bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall jedoch mit 4 bis 6 Wochen angesetzt (OLG Schleswig, Beschluss v. 30.05.2016 – 7 W 15/16, NJW-RR 2016, 1536; OLG Saarbrücken, Beschluss V. 05.12.2016 – 4 W 19/16, NJW-RR 2017, 697 (698f.); OLG Saarbrücken, Beschluss v. 17.05.2019 – 4 W 4/19, NJW-RR 2018, 922f.).
Bezieht man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, so hat das vorprozessuale Verhalten der Beklagten nicht die Annahme begründet, es sei zur Durchsetzung der klägerischen Ansprüche die Klageerhebung erforderlich. Auf die erste anwaltliche Zahlungsaufforderung des Klägervertreters vom 17.07.2020 reagierte die Beklagtenseite innerhalb von vier Tagen und teilte mit, dass der Fall geprüft werde, die erforderlichen Unterlagen zwar bereits angefordert seien, jedoch noch nicht vorliegen würden und man unaufgefordert wieder auf den Klägervertreter zukommen werde. Eine wie auch immer geartete Ablehnung war mit dieser Mitteilung der Beklagten vom 21.07.2020 nicht verbunden. Vielmehr durfte und musste der Klägervertreter davon ausgehen, dass sich die Beklagte wieder bei ihm melden würde. Im Zeitpunkt der zweiten Aufforderung vom 03.08.2020, die im Übrigen auch mit einer betragsmäßigen Erhöhung verbunden war, hatte die Beklagte noch nicht einmal zweieinhalb Wochen Zeit zur Prüfung des Sachverhalts gehabt. Die in dieser Aufforderung gesetzte Zahlungsfrist von gerade einmal zwei Tagen endete zu einem Zeitpunkt, als ebenfalls noch nicht einmal drei Wochen seit der ersten Aufforderung vergangen waren. Die Klageschrift ging bereits am 07.08.2020, also genau drei Wochen nach der ersten Zahlungsaufforderung bei Gericht ein. Eben an diesem Tag kündigte die Beklagte die Zahlung eines Großteils der zunächst eingeklagten Kosten an und brachte lediglich untergeordnete Positionen in Abzug, ohne jedoch auch insoweit definitiv durch das sog. „letzte Wort“ eine endgültige Zahlungsverweigerung zum Ausdruck zu bringen. Ob der Klägervertreter von diesem Schreiben überhaupt noch Kenntnis erlangt hat, ist unklar. Tatsache ist jedoch, dass eine Klageerhebung zum hier geschehenen Zeitpunkt nicht veranlasst war. Dass die Beklagte im späteren Prozessverlauf die Begleichung einzelner untergeordneter Posten endgültig ablehnen würde, war angesichts des im Zeitpunkt der Klageerhebung erfolgten Schriftwechsels noch nicht absehbar.
E.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 S. 1 und S. 2, 709 S. 2ZPO.


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