Verkehrsrecht

Keine Vertragsanpassung wegen allenfalls fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung mehr als 5 Jahre nach Vertragsschluss

Aktenzeichen  73 O 3522/16

Datum:
9.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 48771
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 19 Abs. 4 S. 2, § 21 Abs. 3 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

Der Berufsunfähigkeitsversicherer ist wegen der Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 S. 1 VVG nicht berechtigt, mehr als 5 Jahre nach Vertragsschluss rückwirkend einen Risikoausschluss in den Vertrag einzufügen, sofern der Versicherungsnehmer eine vorvertragliche Anzeigepflicht schuldlos oder allenfalls fahrlässig verletzt hat. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, die Ausschlussklausel betreffend des vom Kläger im Jahre 2008 erlittenen Wadenbeinbruchs aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit der Vers.-Nr. – herauszunehmen und sämtliche Änderungen, welche durch die mit Schreiben vom 23.12.2014 erklärten nachträglichen Vertragsänderung eingetreten sind, rückgängig zu machen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 8.767,33 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage erweist sich im Hauptantrag als zulässig und begründet.
I.
Die Klage erweist sich als unproblematisch zulässig. Das Landgericht Landshut ist gemäß § 215 VVG sachlich zuständig.
II.
Weiterhin erweist sich die Klage als begründet. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.12.2014 (Anlage K 5) gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG wegen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den Kläger den Inhalt der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung rückwirkend ab Beginn eine Vereinbarung dahingehend, dass sämtliche Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, sofern die Unfallverletzung am linken Außenknöchel des Fußes oder nachgewiesene Folge des Leidens die Ursache bilden, abgeändert. Gemäß § 21 Abs. 3 VVG erlöschen die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG jedoch nach Ablauf von 5 Jahren nach Vertragsschluss, soweit nicht Versicherungsfälle vorliegen, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Letzteres ist hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Vorliegend datiert die Versicherungsurkunde (Anlage K 3) vom 11.05.2009. Zum Zeitpunkt der Ausübung des Rechts nach § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG war die 5-Jahresfrist daher abgelaufen und entsprechende Rechte der Beklagten erloschen.
Etwas anderes würde lediglich dann gelten, wenn der Kläger seine Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt hätte, § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist dies jedoch gerade nicht der Fall.
Nach dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme geht das Gericht von einer schuldlosen bzw. allenfalls leicht fahrlässigen Anzeigepflichtverletzung durch den Kläger aus. Der Kläger selbst hat geschildert, immer von einem „glatten“ Wadenbeinbruch ohne Gelenkbeteiligung ausgegangen zu sein. In seiner informatorischen Anhörung im Termin vom 11.09.2017 hat er angegeben, dass auch seitens der behandelnden Ärzte im Krankenhaus ihm gegenüber von einer Wadenbeinfraktur gesprochen wurde. Er habe die entsprechende Frage durch den Zeugen D. entsprechend seinem damaligen Kenntnisstand beantwortet.
Der Zeuge D., Versicherungsvertreter der Beklagten, der bei Gericht den Eindruck eines sehr gewissenhaften und sorgfältigen Versicherungsvertreters hinterließ, hat den Vortrag des Klägers, das Vorliegen einer Wadenbeinfraktur ihm gegenüber angegeben zu haben, bestätigt. Ihm gegenüber habe der Kläger einen glatten Knochenbruch ohne Gelenkbeteiligung geschildert. Der Kläger habe geschildert, beim Fischen umgeknickt zu sein und dann noch selbst nach Hause gefahren zu sein, was für ihn, den Zeugen D., darauf hingedeutet habe, dass eine komplikationslose und nicht allzu schlimme Fraktur vorgelegen habe. Insgesamt sei über diesen Punkt sehr intensiv diskutiert worden. Die Schilderungen des Klägers seien bei dem Vertragsgespräch damals aus Sicht des Zeugen D. glaubhaft gewesen.
Der Zeuge Dr. U., Hausarzt des Klägers, hat in seiner uneidlichen Einvernahme vom 11.09.2017 zum einen zwar geschildert, dass es sich bei der Fraktur des Klägers um eine solche mit Gelenkbeteiligung gehandelt habe, weshalb ohne die in § 21 Abs. 3 VVG normierte 5-Jahresfrist eine rückwirkende Vertragsanpassung zumindest ab der laufenden Versicherungsperiode wohl möglich gewesen wäre. Allerdings hat er gleichzeitig auch geschildert, dass die Frage, ob eine Weber-A-Fraktur oder eine Weber-B-Fraktur vorgelegen habe, längere Zeit nicht klar war. Erst am 08.11.2008 sei durch einen Arztbrief des Kreisklinikums D. (der Arztbrief wurde durch den Zeugen in der Sitzung zu Protokoll gegeben) klar gewesen, dass es sich um Weber-B-Fraktur handelte. Er selbst habe mit dem Kläger lediglich die Operationsvorbereitung und die Nachbehandlung durchgeführt, nicht jedoch ihn über die Operationsrisiken aufgeklärt und ihm gegenüber die Indikation einer Operation erläutert. Der Kläger habe ihm gegenüber immer berichtet, dass von einer Wadenbeinfraktur die Rede war. Die Gelenkbeteiligung sei ihm nach Ansicht des Zeugen Dr. U. nicht bewusst gewesen. Er selbst habe den immer von einem Wadenbeinbruch sprechenden Kläger auch nicht auf eine mögliche Gelenkbeteiligung hingewiesen. Auch wies der Zeuge darauf hin, dass im übergebenen Arztbericht vom 08.11.2008 ebenfalls lediglich vom Außenknöchel die Rede war, nicht vom Sprunggelenk.
Das Gericht geht wie ausgeführt nach durchgeführter Beweisaufnahme davon aus, dass der Kläger tatsächlich davon ausging, dass eine Gelenkbeteiligung bei der Fraktur im November 2008 bei ihm nicht vorgelegen habe. Die Aushändigung des Arztbriefes vom 08.11.2008 durch die behandelnden Ärzte an ihn (er gab ihn anschließend an den Hausarzt Dr. U. weiter), in welchem von einer Weber-B-Fraktur die Rede ist, begründet beim Kläger, bei dem es sich um einen medizinischen Laien handelt, allenfalls (wenn überhaupt) die Annahme leichtester Fahrlässigkeit, zumal in diesem Schreiben auch lediglich von einer Außenknöchelfraktur die Rede ist. Von Vorsatz oder gar Arglist kann hier nicht ausgegangen werden, weshalb die Rechte des Versicherers auf Vertragsanpassung erloschen sind, § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG.
III.
Nicht verlangen kann der Kläger jedoch den Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Eine Anspruchsgrundlage ist vorliegend nicht ersichtlich, insbesondere wird seitens des Klägers auch kein Schadensersatz geltend gemacht.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 ZPO.
V.
Der Streitwert war gemäß §§ 3 ff. ZPO festzusetzen. Das Gericht schätzt den Streitwert auf 20% der 3,5-fachen Jahresrente.


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