Verkehrsrecht

Nachweis für den Ölaustritt an einem parkenden Fahrzeug

Aktenzeichen  M 2 K 18.5907

Datum:
16.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17012
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
BayStrWG Art. 16

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
I.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 29. Oktober 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Art. 16 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) ermächtigt die Beklagte im Falle von Verunreinigungen öffentlicher Straßen zur Beseitigung und zur Kostenerhebung vom Verursacher im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Die Vorschrift ist insoweit eine Sonderregelung gegenüber Art. 7 Abs. 3 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) sowie, was die Kostenerhebung durch Leistungsbescheid angeht, auch gegenüber Art. 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 10 und Art. 20 Kostengesetz (KG). Es handelt sich um eine Regelung des besonderen Sicherheits- und Ordnungsrechts.
2. a) Verursacher im Sinne des Art. 16 Hs. 2 BayStrWG ist, wer als Störer nach Maßgabe des Art. 9 LStVG zu qualifizieren ist. Demnach ist Verursacher, wer durch sein Verhalten oder den Zustand einer ihm gehörenden Sache die Verunreinigung hervorgerufen hat. Dabei genügt es, dass dem Verursacher (Störer) eine unmittelbare Verursachung im Rahmen des Gemeingebrauchs an der Straße (Art. 14 BayStrWG) zugerechnet werden kann (vgl. VG München, U.v. 27.10.2017 -M 2 K 17.1131 – juris Rn. 15 f.).
b) Hieran fehlt es. Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das die Straße verunreinigende Öl aus dem Fahrzeug der Klägerin ausgetreten ist. Sie ist daher weder Handlungs- noch Zustandsstörerin. Auf die Feststellung des alternativen Geschehens, etwa einen Unfall am Nachmittag des 26. Juli 2018, kommt es dabei nicht an.
Die Grundlage der freien richterlichen Überzeugungsbildung bildet das im Einklang mit § 86 Abs. 1 VwGO und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zustande gekommene Gesamtergebnis des Verfahrens. Das Gericht ist verpflichtet, sich eine Überzeugung zu bilden, ob bestimmte, nach dem Gesamtergebnis erhebliche Tatsachen oder Geschehensabläufe der Wahrheit entsprechen oder nicht. Es hat die Aufgabe, sich im Wege der freien Sachverhalts- und Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Das Gericht muss sich die für seine Entscheidung gebotene Überzeugungsgewissheit verschaffen, die in dem Sinne bestehen muss, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – der anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hat, sofern nicht ein (gesetzliches) abgesenktes Beweismaß Anwendung findet (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.2003 – 8 B 154/03 – NVwZ 2004, 627/628).
Das Gericht ist vorliegend nicht davon überzeugt, dass das Fahrzeug der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum das ausgetretene Öl verloren hat. Da gerade die Münchner Innenstadt von vielen Fahrzeugen frequentiert wird und entsprechend zahlreiche Parkvorgänge stattfinden, kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Fahrzeug, in dessen unmittelbarem Umgriff Öl entdeckt wird, für dessen Austritt verantwortlich ist. Es bedarf entsprechender Nachweise der Beklagten für den Verursachungsbeitrag des klägerischen Fahrzeugs, zumal die Klägerin nachdrücklich vortragen ließ, dass ihr Fahrzeug weder am 26. Juli 2018 noch davor einen Unfall oder einen Defekt gehabt und habe auch im Weiteren keinen Ölverlust erlitten habe. Ein Nachweis des Verursachungsbeitrags konnte die Beklagte nicht erbringen. Selbst basale „Beweissicherungsmaßnahmen“, wie insbesondere eine Augenscheinuntersuchung insbesondere des Unterbodens des Fahrzeugs, sind zumindest nicht dokumentiert. Das vorgelegte Bildmaterial belegt zwar, dass an der Stelle, an der das Fahrzeug der Klägerin geparkt wurde, Öl in nicht unerheblicher Menge auf die Straße ausgetreten ist. Eine zeitliche Abfolge zwischen Parken und Ölaustritt und damit ein Verursachungsbeitrag des klägerischen Fahrzeugs lässt sich indes den Bildern nicht entnehmen. Fotos vom Zustand der Straße im Zeitraum vor dem Parken der Klägerin liegen nicht vor. Es ist daher ohne weiteres möglich, dass die Ölspur bereits vorhanden war, als die Klägerin ihr Fahrzeug dort geparkt hat. Es lässt sich auch nicht annehmen, dass die Klägerin eine vorhandene Ölspur zwingend hätte bemerken und die Polizei informieren müssen, und – da sie dies unterlassen hat – hieraus zu schlussfolgern wäre, dass das Öl erst nach dem Einparken und damit aus ihrem Fahrzeug ausgetreten ist. Zwar lässt sich möglicherweise auf einem der Fotos – und selbst das ist mangels Beschriftung der Bilder (durch den Fotografen) zweifelsbehaftet – erkennen, dass am klägerischen Fahrzeug (außen) Öl vorhanden ist, was für einen Ölaustritt sprechen könnte. Jedoch handelt es sich um keine große Menge, so dass hieraus nicht auf eine Verursachung der vorhandenen umfangreichen Öl-Menge auf der Straße geschlussfolgert werden kann. Zweifel am Ölaustritt aus dem Fahrzeug der Klägerin weckt auch der Umstand, dass sich auf dem Bordstein und auf dem angrenzenden Radweg (wenige) Ölspuren befinden. Zwar ist es grundsätzlich lebensnah, anzunehmen, dass Öl an diese Stelle gerät, wenn ein beschädigtes Fahrzeug „über“ den Bordstein bzw. Radweg eingeparkt wird. Hierfür dürfte für die Klägerin allerdings kaum Anlass bestanden haben, weil die Fläche vor dem gewählten Parkplatz angesichts der dort vorhandenen Hofeinfahrt typischerweise frei sein wird; ein Einparken ohne Überfahren des Bordsteins bzw. Radwegs ist daher besonders leicht möglich und dürfte daher stattgefunden haben. Hinzutritt, dass das Fahrzeug der Klägerin vergleichsweise weit vom Bordstein weg steht, was typischerweise gerade nicht der Fall ist, wenn jemand „über“ den Bordstein bzw. Radweg einparkt. Die Zweifel an einem Ölaustritt am Fahrzeug der Klägerin können auch nicht dadurch ausgeräumt werden, dass der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommene Polizeibeamte es als übliche Vorgehensweise geschildert hat, in solchen Fällen das „verdächtige“ Fahrzeug auch vor Ort konkret auf den Ölaustritt zu untersuchen bevor die Halterdaten ermittelt und an die zuständigen Stellen übermittelt werden. Denn an einer konkreten Erinnerung daran, dass diese Untersuchung auch im vorliegenden Fall stattgefunden hat, mangelt es dem Zeugen angesichts der Alltäglichkeit des Vorfalls und des seither vergangenen Zeitraums. Auch der (nachträglich) angefertigte polizeiliche Vermerk vom 10. November 2018 enthält nicht ansatzweise Aussagen zur Beachtung des üblichen Vorgehens der Polizei und auch nicht zum Ergebnis einer vor Ort getroffenen Feststellung zum Verursachungsbeitrag. Der sehr knappe Vermerk lässt es auch nicht zu, der enthaltenen Feststellung, dass beim Eintreffen der Polizei aus dem Fahrzeug kein Öl mehr ausgetreten sei, indirekt zu entnehmen, dass dies aber zuvor (durch eine polizeiliche Untersuchung festgestellt) der Fall gewesen sei.
Angesichts der fehlenden Überzeugung des Gerichts von der Störereigenschaft der Klägerin liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 16 BayStrWG nicht vor. Dem bedingten Beweisantrag der Klägerin, den die Beklagte nicht befürwortet hat, war daher nicht nachzugehen. Die Amtsermittlungspflicht zwingt das Gericht zwar, jedem Erkenntnismittel nachzugehen, bei dem nach der konkreten Sachlage die Möglichkeit besteht, dass es zu einer Änderung des bisherigen Bildes von dem Geschehen führen kann. Sie geht aber nicht so weit, dass auch Erkenntnismittel herangezogen werden müssen, bei denen diese Möglichkeit zwar abstrakt und theoretisch nicht gänzlich auszuschließen ist, bei denen aber weder nach der Lebenserfahrung noch auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie das bisherige Beweisergebnis in Frage stellen könnten (vgl. Dawin in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 19. EL November 2009, VwGO, § 86 Rn. 61). So verhält es sich hier. Es gibt angesichts der fehlenden oder zumindest nicht ausreichend dokumentierten „Beweissicherungsmaßnahmen“ der Beklagten keine näheren Anhaltspunkte dafür, dass das Fahrzeug der Klägerin den Ölaustritt verursacht hat.
c) Im Ergebnis ist der Bescheid daher, auch hinsichtlich der Erhebung einer Verwaltungsgebühr (Art. 16 Abs. 5 KG), rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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