Verkehrsrecht

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Aktenzeichen  74 O 1577/19

Datum:
17.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 44462
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.719,51 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet und war daher vollumfänglich abzuweisen.
A.
Der Kläger hat gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche aufgrund des behaupteten Verkehrsunfalls vom 13.12.2018 in Ingolstadt, insbesondere ergeben sich derartige Ansprüche nicht aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2, Abs. 3 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 VVG, §§ 1, 3a Nr. 1 PflVG, §§ 823, 249 ff. BGB. Ebenfalls unbegründet sind daher der Feststellungsantrag sowie der Antrag auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren.
I.
Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht davon überzeugt im Sinne des hier anwendbaren § 286 ZPO, dass die klägerseits geltend gemachten Beschädigungen kausal durch den vom Kläger vorgetragenen Unfall vom 13.12.2018, nämlich den geschilderten Ausparkvorgang des Beklagten zu 1.), verursacht wurden.
1.) Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Eine Schätzung im Sinne des § 287 ZPO ist in diesem Fall ausgeschlossen, sondern der konkrete Haftungsgrund, also im vorliegenden Fall der Unfall als anspruchsbegründendes Ereignis, ist voll zu beweisen (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 287 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen; BGH NJW 2004, 777). Diese Beweislast trägt hier vollumfänglich der Kläger.
2.) Dem Kläger ist es hiernach nicht gelungen zu beweisen, dass die von ihm vorgetragenen Schäden an seinem Fahrzeug kausal durch den Ausparkvorgang des Beklagten zu 1.) am 13.12.2018 in der Tiefgarage Theater West in Ingolstadt verursacht wurden.
a) Der Beklagte zu 1.) schilderte in seiner schlüssigen und widerspruchsfreien informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2020, dass er beim Ausparken einen Mann hinter sich winken gesehen habe. Nur deswegen sei er stehen geblieben und ausgestiegen. Er hätte gedacht, dass die am klägerischen Fahrzeug festgestellten weißen Striche von ihm hätten sein können, und habe deswegen die Zettel am klägerischen Fahrzeug hinterlassen und die Polizei angerufen. Er hätte gedacht, es könne zumindest möglich sein, dass er einen Anstoß aufgrund des Pfeifens seiner Parksensoren nicht gehört habe. Einen taktilen Anstoß habe er aber nie gespürt. Als er von der Beschädigung des Kotflügels gehört habe, sei er sich aber sicher gewesen, dass die Beschädigungen nicht von ihm stammen können.
b) Die Zeugin H2. sagte in ihrer ebenfalls plausiblen und nachvollziehbaren Aussage aus, dass sie bei der Rückkehr zu ihrem geparkten Fahrzeug auf der rechten Seite frische Beschädigungen habe feststellen können. In der Tiefgarage habe sie nur Lackkratzer an der Beifahrertüre festgestellt, zu Hause aber auch Beschädigungen am rechten Kotflügel vorne entdeckt. An ihrem Fahrzeug seien keine Vorschäden vorhanden gewesen. Sie könne nicht sagen, ob rechts neben ihrem Fahrzeug bei ihrer Rückkehr in die Tiefgarage ein anderes Fahrzeug geparkt habe oder ob der entsprechende Parkplatz frei gewesen sei.
c) Eine erhöhte Glaubwürdigkeit sieht das Gericht weder bei dem Beklagten zu 1.) noch der Zeugin H2. als Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs. Beide schildern das Geschehen aus ihrer Sicht ohne Ungereimtheiten oder übermäßigen Belastungseifer. Bei waren zum Unfallzeitpunkt die Fahrer der jeweiligen Fahrzeuge. Zwar ist die Zeugin als Ehefrau des Klägers möglicherweise persönlich am Ausgang des Rechtsstreits interessiert, allerdings fanden sich hierfür zum einen keinerlei Anhaltspunkte, zum anderen ist dies auch nicht geeignet, ihre Glaubwürdigkeit per se in Frage zu stellen. Auch beim Beklagten zu 1.) waren keine Anhaltspunkte für eine Unglaubwürdigkeit ersichtlich, insbesondere brachte dieser durch Anbringen der Zettel am klägerischen Fahrzeug sowie durch Verständigen der Polizei sein Interesse zum Ausdruck, einen möglichen Unfall korrekt abzuwickeln.
d) Das Hinterlassen der Zettel am klägerischen Fahrzeug durch den Beklagten zu 1.) sowie das Verständigen der Polizei ist auch nicht geeignet, automatisch von einer Unfallverursachung durch ihn auszugehen. Der Beklagte zu 1.) hat dem Gericht gegenüber nachvollziehbar und plausibel geschildert, dass er keinen taktilen Anstoß der beiden Fahrzeuge wahrgenommen habe, aber aufgrund des Winkens des anderen Mannes sowie der festgestellten Kratzer am klägerischen Fahrzeug eine Verursachung seinerseits nicht ausschließen konnte. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht sicher gewesen.
Für das Gericht passt dies zum insgesamten Vorgehen des Beklagten zu 1.) in der Situation, dass er sich rechtmäßig verhalten wollte und Gelegenheit zur Klärung der tatsächlichen Umstände geben wollte. Dies stellt jedoch für das Gericht kein Schuldeingeständnis oder Ähnliches dar, sodass es im Rahmen der Beweiswürdigung nicht zu seinen Lasten gewertet werden kann.
e) Es steht insofern Aussage gegen Aussage der beiden beteiligten Fahrzeugführer, wobei die Zeugin H2. zum vermeintlichen Unfallzeitpunkt nicht im Fahrzeug bzw. an der Unfallstelle war.
f) Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) M. B2. eingeholt. Der Sachverständige ist dem Gericht aus zahlreichen Begutachtungen als erfahren und kompetent bekannt. Einwände gegen die Sachkunde des Sachverständigen wurden auch seitens der Parteien nicht vorgebracht.
Der Sachverständige kommt in seinem schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten vom 22.06.2020 zu dem Ergebnis, dass sich am klägerischen Fahrzeug zwei unterschiedliche Schadenszonen befinden.
Im oberen Bereich finden sich sowohl am rechten Vorderkotflügel sowie an der Beifahrertür Kratz- und Schürfspuren, die einen durchgehenden Verlauf vom rechten Vorderkotflügel bis in die Beifahrertür unterhalb des rechten Außenspiegels aufzeigen. An dem Beklagtenfahrzeug finden sich hierzu korrespondierende Beschädigungen mit Kratz- und Schürfspuren, sodass ausgeführt werden könne, dass dieser Schadensbereich bei einer rückwärtigen Fahrbewegung des Beklagtenfahrzeugs erzeugt worden sein kann.
Die untere, intensivere Schadenszone am Klägerfahrzeug mit ausgeprägten Kratzspuren und überlagerten Eindellungen können einer Erzeugung durch das Beklagtenfahrzeug nicht zugeordnet werden. Hierzu fehlen am Beklagtenfahrzeug entsprechende scharf abgegrenzte und verformungssteife Bauteile, welche zur Erzeugung der scharf abgegrenzten Kratzspuren am klägerischen Fahrzeug geeignet wären. Zudem zeigen sich am Beklagtenfahrzeug keinerlei kompatible Beschädigungen.
Das Gutachten ist schlüssig und frei von Widersprüchen. Es besteht kein Interesse des Sachverständigen am Ausgang des Rechtsstreits. Das Gericht schließt sich daher vollumfänglich den Ausführungen des Sachverständigen an und macht sich diese zu eigen. Auch die Parteien haben innerhalb der gesetzten Frist keine Einwände gegen das Sachverständigengutachten vorgebracht.
g) In Zusammenschau der gesamten durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht nicht ausreichend überzeugt im Sinne des § 286 ZPO, dass die Schäden am klägerischen Fahrzeug bzw. ein Teil dieser Schäden kausal durch den Beklagten zu 1.) verursacht wurden.
Direkte Zeugen zu Lasten des Beklagten zu 1.), die beim behaupteten Unfallereignis dabei waren, sind nicht vorhanden bzw. konnten im Nachgang zumindest nicht mehr festgestellt werden. Die Zeugin H2. kann lediglich angeben, dass ihr Fahrzeug beim Verlassen der Tiefgarage unbeschädigt gewesen sein soll. Sie kann aber gleichzeitig nicht mit Sicherheit sagen, ob bei ihrer Rückkehr wiederum ein anderes Fahrzeug rechts neben ihr an der Stelle parkte, an der vorher der Beklagte zu 1.) mit seinem Fahrzeug stand.
Der Sachverständige kann für den unteren Teil der Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug eine Verursachung durch das Beklagtenfahrzeug mit Sicherheit ausschließen. Für den oberen Teil der Beschädigungen besteht nach seinem Gutachten die Möglichkeit, dass diese durch das Beklagtenfahrzeug erzeugt worden sein können. Eine definitive Aussage zur Verursachung der oberen Beschädigungen durch den Beklagten zu 1.) kann vom Sachverständigen nicht getroffen werden.
Insgesamt reicht diese Beweislage für das Gericht nicht aus, um zu einer sicheren Schadensverursachung durch den Beklagten zu 1.) zu gelangen, auch nicht für einen Teil der klägerseits geltend gemachten Beschädigungen (wie z.B. die obere Schadenszone). Das haftungsbegründende Ereignis kann nach Überzeugung des Gerichts nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Schäden in der oberen Schadenszone des klägerischen Fahrzeugs durch ein anderes Fahrzeug als das Beklagtenfahrzeug verursacht wurden, zumal die Möglichkeit hierzu unschwer bestanden hätte, weil möglicherweise vor dem Beklagtenfahrzeug zunächst ein anderes Fahrzeug neben dem klägerischen Fahrzeug geparkt haben könnte.
3.) Es besteht daher bereits keine begründete Anspruchsgrundlage des Klägers gegenüber den Beklagten zu 1.) und 2.), sodass eine Haftung dieser abzulehnen war.
Infolgedessen scheitern neben dem Hauptsacheanspruch auch die weiteren Ansprüche auf Feststellung, vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren und Zinsen.
II.
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
C.
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 708 Nr. 11, § 711 S. 1 und 2 in Verbindung mit § 709 S. 2 ZPO.


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