Verkehrsrecht

Schmerzensgeld von 6.000 EUR wegen einer Körperverletzung

Aktenzeichen  12 O 141/13

Datum:
7.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 137493
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823, § 830, § 840
ZPO § 286 Abs. 1, § 415, § 417

 

Leitsatz

1. Die tatsächlichen Feststellungen in einem Strafurteil können im Rahmen der eigenen freien Beweiswürdigung und der Überzeugungsbildung des Zivilrichters im Sinne von § 286 Abs. 1 ZPO Berücksichtigung finden, wobei das Urteil, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundsbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO zu verwerten ist (ebenso OLG Hamm BeckRS 2015, 9882 Rn. 7). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allerdings darf der Zivilrichter die vom Strafgericht getroffenen Feststellungen nicht ungeprüft übernehmen; er hat vielmehr die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Prüfung zu unterziehen (ebenso OLG Hamm BeckRS 2015, 9882 Rn. 7). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Das Teil-Versäumnisurteil vom 10.03.2014 wird aufrechterhalten.
2. Der Beklagte zu 2.) wird als Gesamtschuldner neben dem Beklagten zu 1.) verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,– € abzüglich bereits gezahlter 300,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2012 zu zahlen.
3. Der Beklagte zu 2.) wird als Gesamtschuldner neben dem Beklagten zu 1.) verurteilt, an den Kläger 638,25 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2012 zu zahlen.
4. Der Beklagte zu 2.) wird als Gesamtschuldner neben dem Beklagten zu 1.) verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 753,09 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2012 zu zahlen.
5. Es wird festgestellt, dass der Beklagten zu 2.) neben dem Beklagten zu 1.) als Gesamtschuldner für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Schadensereignis vom 04.01.2012 herrühren, aufzukommen hat, soweit Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Dritte übergegangen sind.
6. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger, der Beklagte zu 1.) und der Beklagte zu 2.) jeweils zu 1/3.
Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3.) hat der Kläger zu tragen.
Im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Hinsichtlich des jeweiligen Vollstreckungsverhältnisses des Klägers gegen den Beklagten zu 1.) und des Klägers gegen den Beklagten zu 2.) ist es gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zu 3.) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
8. Der Streitwert wird auf 8.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Einspruch des Beklagten zu 1.) gegen das Teil-Versäumnisurteil vom 10.03.2014 hat keinen Erfolg. Die Klage ist sowohl gegen den Beklagten zu 1.) als auch gegen den Beklagten zu 2.) zulässig und begründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Ansprüche auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung in dem beantragten Umfang aus §§ 823, 830, 840 BGB, 223 Abs. 1 StGB zu.
1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagten zu 1.) und zu 2.) gegenüber dem Kläger im Rahmen des streitgegenständlichen Geschehensablaufs eine schuldhafte unerlaubte Handlung in Form einer Körperverletzung begangen haben.
a) Dies folgt für das Gericht aus den Feststellungen des gegen die Beklagten zu 1.) und zu 2.) ergangenen Strafurteils des Amtsgerichts Obernburg a. Main vom 12.07.2012 wegen gefährlicher Körperverletzung (Bl. 147 ff. d. Strafakte). Ein Zivilgericht kann sich zum Zweck seiner eigenen Überzeugungsbildung, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen. Dem steht nicht entgegen, dass die in einem strafrichterlichen Urteil enthaltenen Feststellungen von Tatsachen für die zu derselben Frage erkennenden Zivilgerichte grundsätzlich nicht bindend sind. Die tatsächlichen Feststellungen in einem Strafurteil können aber im Rahmen der eigenen freien Beweiswürdigung und der Überzeugungsbildung des Zivilrichters im Sinne von § 286 Abs. 1 ZPO Berücksichtigung finden, wobei das Urteil, wenn eine Partei sich – wie hier der Kläger – zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundsbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO zu verwerten ist. Allerdings darf der Zivilrichter die vom Strafgericht getroffenen Feststellungen nicht ungeprüft übernehmen; er hat vielmehr die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Prüfung zu unterziehen (OLG Zweibrücken NJW-RR 2011, 496; OLG München, Beschluss v. 21.09.2011 – 7 U 2719/11; OLG Hamm, Beschluss v. 27.05.2015 – I-9 W 68/14, 9 W 68/14, juris Rn. 7).
b) Auch nach der gebotenen kritischen Prüfung bestätigt jedenfalls die in Augenschein genommene Aufzeichnung der Überwachungskamera diesen Sachverhalt im Hinblick auf den Beklagten zu 1.) und den Beklagten zu 2.), ohne dass auf Seiten des Gerichts noch vernünftige Zweifel verbleiben. Auf der Aufzeichnung ist klar und deutlich erkennbar, dass der Kläger von den Beklagten zu 1.) und zu 2.) attackiert wurde, indem diese gezielt aus der beteiligten Gruppe herausstießen und gegen den Kläger frontale Angriffe mit Faustschlägen und mit Tritten führten.
c) Schließlich war das Gericht gehalten, insoweit die Einlassung des Beklagten zu 2.) im Rahmen seiner informatorischen Befragung als weiteres Beweismittel zum Nachteil beider Beklagten zu verwerten, wonach sich der Vorgang so zugetragen habe, wie es das Amtsgericht Obernburg im Strafurteil festgestellt hat (Bl. 93 d. A.).
2. Dem Kläger sind dadurch die geltend gemachten materiellen und immateriellen Schäden entstanden. Auch insoweit ist dem Kläger die Beweisführung gelungen.
a) Im Hinblick auf ein Schmerzensgeld hält das Gericht ein solches in Höhe von 6.000,00 EUR für angemessen.
Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (st. Rspr.; siehe z.B. BGH NJW 2006, 1068, 1069). Maßgebend sind zudem die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen und der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit (vgl. BGH VersR 1955, 615; OLG Brandenburg, Urt. v. 14.07.2016 – 12 U 121/15). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (siehe nur OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2007 – 12 U 154/06; OLG München, Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10).
Vor diesem Hintergrund waren für das Gericht vorliegend die folgenden Überlegungen entscheidend:
Der Sachverständige Prof. Dr. med. … ist in seinem Gutachten vom 08.12.2014 (Bl. 179 d. A.) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger aufgrund des streitgegenständlichen tätlichen Übergriffs eine Brustwandprellung beidseits, eine Rückenprellung, Prellungen der linken Hand sowie des linken Handgelenkes, starke Prellungen der rechten Leistenbeuge und Prellungen beider Flanken erlitten habe. Auch die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vom 04.01.2012 bis zum
28.04.2012 durch Herrn Dr. …
wird von den Gutachtern nicht bezweifelt.
Die Sachverständigen Frau Dr. med. … hat in ihrem Gutachten vom 26.10.2015 (Bl. 223 d. A.) festgestellt, dass sich beim Kläger infolge des Übergriffs kausal nachgewiesen eine Anpassungsstörung ausgebildet habe, deren Vollbild mindestens in der Zeit seiner Krankschreibung vom Tag des Überfalls bis zum 28.04.2012 bestanden habe. In der weiteren Folge bestünden überdauernd Symptome, die als Restzustand dieser Anpassungsstörung aufzufassen seien mit einem Unwohlsein bis hin zur Angst mit körperlichen Symptomen, wenn sich der Kläger einer Gruppe Jugendlicher nähere, und Schmerzen in der rechten Schulter.
Das Gericht folgt den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen. Die Gutachten sind in sich schlüssig und nachvollziehbar. Insbesondere sind die Sachverständigen jeweils von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und haben die daraus gezogenen Konsequenzen logisch und widerspruchsfrei dargestellt.
Ein Mithaftungsanteil auf Seiten des Klägers kam insoweit ebenfalls nicht in Betracht. Die Sachverständige Frau Dr. med. … hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung ihres schriftlichen Gutachtens festgestellt, dass sich an der Anpassungsstörung des Klägers auch bei früherer Behandlung mit großer Wahrscheinlichkeit nichts geändert hätte. Zudem sei es in keinem Fall dem Kläger, sondern den behandelnden Ärzten anzulasten, dass die Anpassungsstörung nicht früher erkannt bzw. nicht früher regelrecht behandelt wurde.
b) Durch Vorlage der Verdienstbescheinigung, der Gehaltsabrechnung und der Bescheinigung über den Bezug von Entgeltersatzleistungen der AOK (Bl. 20 ff. d. A.) hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts einen Erwerbsausfallschaden in Höhe von 533,32 EUR nachgewiesen. Dasselbe gilt für die geltend gemachten Arztrechnungen in Höhe von 24,73 EUR und 50,00 EUR (Bl. 23 f. d. A.). Das Gericht sieht keinen Grund, an der Richtigkeit dieser Urkunden zu zweifeln. Die Unkostenpauschale des Klägers legt das Gericht nach Schätzung gemäß § 287 ZPO auf 30,00 EUR fest.
c) Der Kläger kann infolgedessen auch Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 753,09 EUR verlangen, da diesen kein überhöhter Gegenstandswert zugrunde liegt. Der Geschäftsgebührenansatz von 1,55 ist aus Sicht des Gerichts gleichfalls gerechtfertigt, da der Rechtsstreit jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht als umfangreich zu bewerten ist.
3. Auf Seiten des Klägers war auch kein Mitverschulden gemäß § 254 BGB erkennbar. Weder aus der Aufzeichnung der Überwachungskamera noch aus der Aussage des Zeugen W. geht hervor, dass der Kläger den Angriff auf irgendeine Art und Weise provoziert oder sich in der Situation anderswie schuldhaft verhalten hat. Im Gegenteil gingen Auseinandersetzung und Angriff von den Beklagten aus.
II.
Die Nebenforderungen des Klägers beruhen auf §§ 286, 288, 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.


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