Verkehrsrecht

Verjährung der gemäß § 116 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche

Aktenzeichen  10 U 1122/19

Datum:
20.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53331
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 u. Nr. 4
SGB X § 116

 

Leitsatz

Verfahrensgang

20 O 7495/18 2019-02-05 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers vom 07.03.2019 gegen das Endurteil des LG München I vom 05.02.2019 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 II 1 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht zurückzuweisen.
Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 II 1 Nr. 1-3 ZPO); eine solche ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten (§ 522 II 1 Nr. 4 ZPO).
2. Es wird hiermit Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Entscheidung bis
einen Monat nach Zustellung dieses Beschlusses
gegeben (§ 522 II 2 ZPO).
Der Hinweis nach § 522 II 2 ZPO dient nicht der Verlängerung der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist (OLG Koblenz NJOZ 2007, 698); neuer Sachvortrag ist nur in den Grenzen der §§ 530, 531 II 1 ZPO zulässig (BGHZ 163, 124), wobei die Voraussetzungen des § 531 II 1 ZPO glaubhaft zu machen sind (§ 531 II 2 ZPO).
3. Nach derzeitiger Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen dieser Frist zu prüfen (im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gem. Nr. 1222 Satz 2 KV-GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0).
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 50.000,00 € festzusetzen.

Gründe

I. Eine mündliche Verhandlung ist nicht gem. § 522 II 1 Nr. 4 ZPO geboten.
Eine „existentielle Bedeutung“ des Rechtsstreits für den Berufungsführer aufgrund der Natur des Rechtsstreits ist vorliegend nicht gegeben: Der Rechtsstreit betrifft Schadensersatzansprüche wegen Sach- und Vermögensschäden im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall.
Eine „existentielle Bedeutung“ des Rechtsstreits ist auch nicht wegen der Höhe des in Streit befindlichen Betrages gegeben. Die absolute Höhe des Betrages ist grundsätzlich nicht entscheidend (OLG Koblenz, Beschl. v. 16.2.2012 – 10 U 817/11 [juris Rz. 28]; r+s 2013, 450 [451 für eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von knapp 400 €]; OLG Hamm, Beschl. v. 18.9.2013 – 3 U 106/13 [juris Rz. 1] in einer Arzthaftungssache; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 25.11.2013 – 18 U 1/13 [juris Rz. 22]). Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Berufungsführers (vgl. zu dieser Fallgestaltung OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.8.2012 – 21 U 34/11 [juris Rz. 4; Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschl. des BGH v. 20.2.2014 – VII ZR 265/12 zurückgewiesen]; Stackmann JuS 2011, 1087 [1088 unter II 4]) ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich.
II. Die Berufung ist auch offensichtlich unbegründet (§ 522 II 1 Nr. 1 ZPO).
1. Eine offensichtliche Unbegründetheit ist gegeben, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe (solche sind nur eine Rechtsverletzung [§ 513 I Var. 1 i. Verb. m. § 546 ZPO], eine unrichtige Tatsachenfeststellung [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. § 529 I Nr. 1 ZPO] oder das Vorbringen neuer berücksichtigungsfähiger Angriffs- und Verteidigungsmittel [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. §§ 529 I Nr. 2, 531 II ZPO]) das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können (vgl. BVerfG NJW 2002, 814 [815]). Offensichtlichkeit setzt aber nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit gewissermaßen auf der Hand liegt, also nur dann bejaht werden dürfte, wenn die Unbegründetheit der Berufung anhand von paratem Wissen festgestellt werden kann (BVerfG EuGRZ 1984, 442 f.); sie kann vielmehr auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein (vgl. BVerfGE 82, 316 [319 f.]).
2. Dem Senat ist es nicht verwehrt, auf der Grundlage der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen ergänzende, das angefochtene Urteil weiter rechtfertigende oder berichtigende Erwägungen anzustellen (OLG Stuttgart VRS 122 [2012] 340; OLG Düsseldorf v. 10.4.2012 – 2 U 3/10 [juris]; OLG Köln v. 20.4.2012 – 5 U 139/11 [juris]; KG RdE 2013, 95; OLG Koblenz VersR 2013, 708; OLG Hamm VersR 2013, 604).
3. Dies zugrunde gelegt, nimmt der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlich begründete Entscheidung des LG München I Bezug, in der zu allen relevanten Punkten zutreffend Stellung genommen worden ist.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist zu bemerken:
a) Dem Erstgericht ist kein Fehler bei der Tatsachenfeststellung unterlaufen.
Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden.
Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. BGH VersR 2005, 945; Senat, Urt. v. 9.10.2009 – 10 U 2965/09 [juris] und v. 21.6.2013 – 10 U 1206/13). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat, a.a.O.); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.).
Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung nicht aufgezeigt worden.
b) Das Erstgericht hat auch die sachlich-rechtlichen Fragen zutreffend beantwortet.
Das Landgericht München I geht zu Recht von einer Verjährung der auf den Kläger gemäß § 116 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche des bei dem Verkehrsunfall am 03.06.1988 in München geschädigten … aus. Der Kläger ist als Rechtsnachfolger der zuvor örtlich zuständigen Sozialhilfeträger – auch in verjährungsrechtlicher Hinsicht – in das Regressrechtsverhältnis nach § 116 SGB X so eingetreten, wie es sich bei dem Rechtsübergang befand. Es liegt keine (latente) Gesamtgläubigerschaft mit einem originär eigenen Regressanspruch des nachträglich örtlich zuständig gewordenen Klägers vor (vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2017 – VI ZR 226/16: Frage offengelassen). Die von dem Bundesgerichtshof zum Rechtsübergang bei Sozialversicherungsträgern aufgestellten Grundsätze (vgl. BGH, Urteil vom 1.07.2014 – VI ZR 391/13) beanspruchen – unter Berücksichtigung der bei Sozialhilfeträgern im Rahmen des § 116 SGB X anerkannten Besonderheiten (vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2017 – VI ZR 226/16m.w.N.) – auch bei einem örtlichen Zuständigkeitswechsel von Sozialhilfeträgern Geltung.
aa) Das Erstgericht bedient sich hierbei in nicht zu beanstandender Weise der aus der juristischen Methodenlehre entwickelten und in der Rechtsprechung anerkannten Auslegung nach dem Wortlaut der Rechtsnorm (grammatische Auslegung), nach ihrem Sinn und Zweck (teleologische Auslegung) und nach den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) (vgl. https://www.juracademy.de/methodenlehre/juristischeauslegungskriterien.html):
(1) „Wortlautargument“ (grammatische Auslegung)
Wie der Kläger selbst zutreffend ausführt, findet sich im Wortlaut der Norm des § 116 SGB X gerade kein Anhaltspunkt für eine differenzierende Betrachtungsweise bei der Behandlung von Sozialversicherungsträgern und Sozialhilfeträgern hinsichtlich des Anspruchsübergangs. Der Absatz 1 der Norm knüpft den Anspruchsübergang auf Sozialversicherungsträger oder Träger der Sozialhilfe vielmehr an die gleichen Voraussetzungen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15).
In § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X heißt es: „Ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens geht auf den Versicherungsträger oder [Anmerkung: Hervorhebung durch den Senat] Trager der Sozialhilfe über, soweit dieser auf Grund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schadiger zu leistende Schadensersatz beziehen“. (§ 116 SGB X in der Fassung vom 20.11.2015)
Zwar weist der Kläger nicht zu Unrecht auf die Unterschiede zwischen Sozialversicherungsträgern und Sozialhilfeträgern hin, die sich aus dem Zeitpunkt des Anspruchsübergangs ergeben: Soweit es um einen Träger der Sozialversicherung geht, findet der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang grundsätzlich bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, was sich aus dem zwischen dem Geschädigten und dem Sozialversicherungsträger bestehenden „besonderen Band“ des Sozialversicherungsverhältnisses ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 24.04.2012 – VI ZR 329/10 m.w.N.; OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15). Dagegen findet bei dem Sozialhilfeträger die Zession statt, „sobald infolge des schädigenden Ereignisses aufgrund konkreter Anhaltspunkte, auch für eine Bedürftigkeit des Geschädigten, mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers zu rechnen ist“ (BGH, Urteil vom 12.12.1995 – VI ZR 271/94). Erforderlich ist mithin, dass Sozialleistungen durch den Sozialhilfeträger nach den konkreten Umständen des Einzelfalls ernsthaft in Betracht zu ziehen sind (vgl. BGHZ 127, 120, 125; BGH, Urteil vom 12.12.1995 – VI ZR 271/94; OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15).
Der unterschiedliche Zeitpunkt des Anspruchsübergangs sagt aber – worauf das OLG Celle bereits in seiner Entscheidung vom 11.05.2016 (14 U 168/15) zutreffend hingewiesen hat – nichts über die Frage der Rechtsnachfolge aus. Zudem fallen der Zeitpunkt des Übergangs von Ansprüchen auf den Sozialversicherungsträger und den Sozialhilfeträger im vorliegenden Fall zusammen, da sich infolge der Schwere der Verletzungen bereits im Zeitpunkt des Unfallereignisses – was auch der Kläger nicht in Abrede stellt – die schädigungsbedingte Sozialbedürftigkeit des Geschädigten … ernsthaft abzeichnete.
Auch der vom Kläger eingewandte Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe führt zu keinem anderen Ergebnis. Der in § 2 BSHG normierte Nachrang bedarf nach dem Bundesgerichtshof einer „sachgerechten Inhaltsbestimmung in seinem Verhältnis zu der Legalzession des § 116 Abs. 1 SGB X“ (BGH, Urteil vom 12.12.1995 – VI ZR 271/94). Sinn und Zweck der Regelung kann es nicht sein, den Schadensersatzanspruch nach § 116 Abs. 1 SGB X nur aufschiebend bedingt durch die tatsächliche Erbringung von Sozialleistungen auf den Sozialhilfeträger übergehen zu lassen, denn dies würde der bereits durch den Wortlaut zum Ausdruck kommenden Gleichstellung von Sozialhilfeträgern und Sozialversicherungsträgern, denen mit dem Anspruchsübergang die volle Gläubigerstellung verschafft wird, zuwiderlaufen (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.1995 – VI ZR 271/94).
(2) Gesetzesmaterialien und Entstehungsgeschichte (historische Auslegung)
Vollkommen zu Recht weist das Landgericht auch darauf hin, dass mit der Aufnahme der zunächst im Gesetzentwurf der Bundesregierung ausgenommenen Sozialhilfeträger in den endgültigen Gesetzestext einer Schlechterstellung der Sozialhilfeträger entgegengewirkt werden sollte. Der Bundesrat führte hierzu in seiner Stellungnahme aus: „Die Träger der Sozialhilfe würden hierbei wegen ihrer Ersatzansprüche leer ausgehen, weil sie durch den vorgesehenen gesetzlichen Übergang der Schadenersatzansprüche mit einer Oberleitung nach § 90 BSHG stets zu spat kommen würden. Insbesondere die Sozialhilfeträger müssen – im Verhältnis zu anderen Sozialleistungsträgern- recht häufig bei Schadensfällen Leistungen, insbesondere zur Rehabilitation, erbringen. Die Regelung des Gesetzentwurfs entspricht deshalb nicht dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe im Verhältnis zu den Leistungen anderer Träger“ (BT-Drucks. 95/5, S. 41 zu Artikel I § 122).
(3) Sinn und Zweck der Norm (teleologische Auslegung)
Letztlich kann auch aus dem Sinn und Zweck des § 116 SGB X, nämlich Doppelleistungen beim Verletzten zu vermeiden (Peters-Lange, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 116 SGB X Rn. 14), wie auch das Landgericht darlegt (Seite 8 des EU), kein Argument gegen eine Gleichstellung von Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträgern abgeleitet werden.
Wie der Kläger selbst zutreffend ausführt, wird der Schutz vor Verfügungen des Geschädigten unabhängig davon erreicht, ob man von einer Rechtsnachfolge oder einer latenten Gesamtgläubigerschaft ausgehen möchte (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15).
Die bereits im Wortlaut angelegte Gleichstellung der Sozialleistungsträger gebietet es aber, dass entsprechend der Rechtsprechung des BGH bei einem Wechsel des Sozialleistungsträgers die vom zuerst verpflichteten Sozialleistungsträger gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X erworbenen Ersatzanspräche des Geschädigten kraft Gesetzes auf den nun zuständigen Sozialleistungsträger übergehen, sofern die Sozialleistung sachlich und zeitlich kongruent ist (für Sozialversicherungsleistungen: BGH, Urteil vom 01.07.2014 – VI ZR 391/13; Peters-Lange, in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 116 SGB X Rn. 23). Dabei erwirbt der nachfolgende Sozialleistungsträger die Ersatzforderung – auch was einen beim zuerst verpflichteten Sozialversicherungsträger eingetretenen Verjährungsbeginn anbelangt – so, wie sie sich bei dem Rechtsübergang befindet. (BGH, Urteil vom 01.07.2014 – VI ZR 391/13). Die sachliche Kongruenz der gewährten Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe (Wohnheimkosten, Werkstattkosten, Sozialversicherungsbeiträge und Barbeträge) liegt im vorliegenden Fall – wie das Erstgericht auf Seite 7 des EU ausführt – auch unproblematisch vor. Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum die Rechtsprechung des BGH zur Rechtsnachfolge im Falle gleichartiger Versicherungsleistungen (vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2014 – VI ZR 391/13) nicht auch im vorliegenden Fall gleichartiger Sozialhilfeleistungen Anwendung finden sollte. Spräche man sich dagegen für die vom Kläger vertretene latente Gesamtgläubigerschaft der nacheinander örtlich zuständigen Sozialhilfeträger aus, so würde das im konkreten Falle der kongruenten Sozialhilfeleistungen bedeuten, dass der jeweils nachfolgende, örtlich zuständige Sozialhilfeträger zwar im Wege der Legalzession nach § 116 Abs. 1 SGB X den gleichgelagerten Ersatzanspruch erwirbt, sich aber anders als der Sozialversicherungsträger hinsichtlich der Verjährung nicht die Kenntnis des zuvor örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers entgegenhalten lassen müsste. Dies würde eine Ungleichbehandlung von Sozialversicherungsträgern und Sozialhilfeträgern bedeuten, die weder vom Wortlaut der Norm gedeckt ist noch dem Sinn und Zweck der Norm bzw. dem Schuldnerschutzgedanken (siehe unten) entspräche.
bb) Zutreffend weist das Landgericht in Anlehnung an die Entscheidung des OLG Celle vom 11.05.2016 (14 U 168/15) auch darauf hin, dass die vom Kläger vertretene Konstruktion der latenten Gesamtgläubigerschaft, nach der sich der Anspruchsübergang wegen der Zuständigkeitsregeln des SGB XII nur hinsichtlich einzelner Sozialhilfeträger tatsächlich realisiert und ansonsten ins „Leere“ geht (OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15), rechtsdogmatischen Bedenken begegnet und im Übrigen dem BGB wesensfremd ist. Das OLG Celle hat hierzu bereits ausgeführt: „Soweit ersichtlich findet sich in anderen Konstellationen des gesetzlichen Forderungsübergangs (z.B. §§ 774, 1143, 1225, 1249, 1251 BGB) keine vergleichbare Konstruktion, was indes dadurch zu erklären sein dürfte, dass in den genannten Fällen die Unklarheit über die Person des neuen Gläubigers im Zeitpunkt des Forderungsübergangs kaum vorstellbar sein dürfte. […] Parallelen in der Rechtsordnung, die den Übergang auf im Übergangszeitpunkt unbekannte Rechtsträger zum Gegenstand haben, finden sich in der Gesamtrechtsnachfolge nach dem Tod einer Person (§ 1922 Abs. 1 BGB). Diese Rechtsnachfolge tritt nach dem Grundsatz des Vonselbsterwerbs im Todeszeitpunkt unabhängig davon ein, ob die Person des Erben bzw. die Erbenstellung dem Erben oder allgemein bekannt ist (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., vor § 1922 Rz. 3, § 1922 Rz. 6, § 1941 Rz. 1, § 1960 Rz. 6). Das erst spätere namentliche Bekanntwerden des Erben ändert nichts an dessen bereits im Todeszeitpunkt eingetretener Erbenstellung und Rechtsnachfolge“.
Anders als bei der in § 1922 BGB geregelten Gesamtrechtsnachfolge, bei der mit dem Tod des Erblassers die Erbschaft unmittelbar und von selbst auf einen oder mehrere konkrete/n – wenn auch namentlich noch nicht bekannte/n Erben – übergeht (vgl. Weidlich, in: Palandt, BGB, 79. Aufl., § 1922 Rn. 6), würde sich bei der Annahme einer (latente) Gesamtgläubigerschaft eine Konkretisierung der als Gesamtheit zuständig gewordenen Sozialhilfeträger aber erst im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen örtlichen Zuständigkeit ergeben.
Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass auch bei der Annahme einer Rechtsnachfolge der Anspruchsübergang zunächst erfolgt, ohne das zu diesem Zeitpunkt der konkret zuständige und regressbefugte Sozialhilfeträger bekannt ist (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15). Im Gegensatz zur Konstruktion der (latenten) Gesamtgläubigerschaft wirkt die spätere Konkretisierung des tatsächlich örtlichen Sozialhilfeträgers aber auf den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs zurück (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15).
Bei der Zuständigkeit jeweils nur eines Sozialhilfeträgers im Wege der Rechtsnachfolge kann somit – anders als der Kläger es vorträgt – der Anspruchsübergang gerade nicht „ins Leere“ laufen. Es mag sein, dass eine „Außenwirkung“ des Anspruchsübergangs erst mit der tatsächlichen Gewährung von Sozialhilfe eintritt. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass der örtlich zuständige Sozialhilfeträger die Regressbefugnis bereits in dem Moment erhält, in dem infolge des schädigenden Ereignisses aufgrund konkreter Anhaltspunkte, auch für eine Bedürftigkeit des Geschädigten, mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.1995 – VI ZR 271/94) und daher eine Zession nach § 116 SGB X stattfindet. Auf die tatsächliche Gewährung von Sozialleistungen stellt § 116 SGB X dagegen nicht ab.
cc) Auch die vom Kläger ins Feld geführten Unterschiede zwischen dem System der Sozialversicherung und dem System der Sozialhilfe vermögen der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zwar besteht zwischen dem Geschädigten und dem Sozialhilfeträger kein „besonderes Band“ (vgl. BGH, Urteil vom 24.04.2012 – VI ZR 329/10) des Sozialversicherungsverhältnisses. Dies hat indes keine Auswirkung auf die Frage der Rechtsnachfolge, sondern ist allein für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs nach § 116 SGB X relevant (vgl. OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15). Auch aus dem in § 2 BSHG normierten Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe lässt sich – wie oben dargestellt – kein anderes Ergebnis für den Kläger herleiten (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15).
dd) Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Annahme einer Rechtsnachfolge der eigentlichen gesetzgeberischen Intention, nämlich der Entlastung der öffentlichen Kassen (vgl. Peters-Lange, in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 116 SGB X Rn. 15), zuwiderlaufe und der Schuldnerschutz daher zurücktreten müsse, verkennt er, dass der BGH auch bereits bei seinem Urteil vom 24.04.2012 (VI ZR 329/10) betreffend Sozialversicherungsträger den Schuldnerschutzgedanken nicht unberührt gelassen hat. Der BGH hat hierzu ausgeführt: „Auch der gebotene Schutz der Sozialversicherungsträger und deren anerkanntes Interesse an effektiven Rückgriffsmöglichkeiten rechtfertigen keine andere Beurteilung. Zwar hat der Gedanke, den Belangen der Sozialversicherungsträger Rechnung zu tragen, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Zeitpunkt des Anspruchsübergangs auf den Sozialversicherungsträger entscheidend beeinflusst. Der Gesetzgeber hat jedoch – ausgehend von dem Grundgedanken, dass die Rechtsposition des Schuldners durch einen Forderungsübergang nicht verschlechtert werden darf – in §§ 404, 412 BGB bestimmt, dass dem Schuldner die bestehenden Gegenrechte gegenüber dem Zessionar erhalten bleiben. Davon hat der Gesetzgeber für den Forderungsübergang nach § 116 SGB X keine Ausnahme vorgesehen. Den Gerichten ist es daher verwehrt, die Gesetzesanwendung nach dem Schutzbedürfnis der Sozialversicherungsträger auszurichten, selbst wenn sie dieses Schutzbedürfnis hoher bewerten wollten als den Schutz des Schuldners (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober 1983 – VI ZR 194/81, VersR 1984, 136, 137 zu § 1542 RVO“ (BGH, Urteil vom 24. April 2012 – VI ZR 329/10). Das Landgericht hat insoweit zutreffend auf die Schuldnerschutzvorschriften der §§ 404, 412 BGB und die die Verjährungsvorschriften prägenden Prinzipien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hingewiesen (vgl. so auch OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15: „Mit §§ 404, 412 BGB und den Anliegen des Verjährungsrecht, nämlich nach einem gewissen Zeitablauf Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu gewährleisten, ließe sich kaum vereinbaren, dass mit jedem Zuständigkeitswechsel des Sozialhilfeträgers zulasten des Schuldners ein Neubeginn der Verjährung anzunehmen wäre“.) Die Belange der Sozialhilfeträger müssen insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zurücktreten.
III. Da, wie aus dem Vorstehenden erhellt, auch die Voraussetzungen des § 522 II 1 Nr. 2 und 3 ZPO vorliegen, beabsichtigt der Senat, die Berufung gem. § 522 II 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.


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