Verkehrsrecht

Verkehrsunfall, Berufung, Minderung, Bescheid, Haftungsverteilung, Unfall, Unfallzeitpunkt, Kennzeichnung, Mitverschulden, Schmerzensgeld, Schadensereignis, Lichtzeichenanlage, Unfallgeschehen, Verletzung, Darlegungs und Beweislast, Entrichtung einer Geldrente

Aktenzeichen  10 U 6245/20

Datum:
16.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3890
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

17 O 14322/17 2020-09-25 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 29.10.2020 wird das Endurteil des LG München I vom 25.09.2020 (Az. 17 O 14322/17) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 20.984,96 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz wie folgt zu bezahlen:
– aus einem Betrag von 17.000,00 € seit dem 30.03.2018 – aus einem weiteren Betrag von 3.719,46 € seit dem 09.08.2019 und
– aus einem weiteren Betrag von 265,50 € seit dem 28.12.2019.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 50% aller weiteren materiellen Schäden sowie unter Berücksichtigung eines 50%-igen Mitverschuldens der Klägerin alle künftigen immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 22.11.2016 in M. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht von Gesetzes wegen auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Beklagten wird im Übrigen zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 45% und die Beklagten samtverbindlich 55%.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Die Klägerin macht gegenüber den Beklagten Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallgeschehen am 22.11.2016 an der Kreuzung L.straße/G.straße/O.-A.-Straße in M. geltend. Weiter begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfallgeschehen, soweit die Ansprüche nicht gesetzlich auf einen Dritten übergegangen sind.
Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 25.09.2021 (Bl. 175/200 Band I d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat nach Erholung eines schriftlichen medizinisch-orthopädischen Sachverständigengutachtens der Sachverständigen Dr. B. (Bl. 97/117 und 134 Band I d. A.) und eines mündlichen unfallanalytischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. S. (Bl. 86/87 Band I d. A.), informatorischer Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 2) (Bl. 74/81 sowie Bl. 158/162 und Bl. 851/85 Band I d. A.) sowie Vernehmung der Tochter T. M. der Klägerin (Bl. 162/164 Band I d. A.) der Klage – bei Annahme einer Haftung der Beklagten zu 80% dem Grunde nach und eines 20%-igen Mitverschuldens der Klägerin – nur zum Teil stattgegeben und die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 26.380,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wie folgt zu zahlen:
aus einem Betrag von 20.000,00 € seit 30.08.2018,
aus einem weiteren Betrag von 5.951,13 € seit 09.08.2019,
aus einem weiteren Betrag von 429,80 € seit 28.12.2019
und festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin 80% aller weiteren materiellen Schäden sowie unter Berücksichtigung eines 20%-igen Mitverschuldens der Klägerin alle künftigen immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 22.11.2016 in München zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht von Gesetzes wegen auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses, der Klägerin am 01.10.2020 und den Beklagten ebenfalls am 01.10.2020 zugestellten Urteils haben die Klägerin mit einem beim Oberlandesgericht München am 27.10.2020 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 220/222 Band II d. A.) und die Beklagten mit einem beim Oberlandesgericht München am 29.10.2020 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 223/224 Band II d. A.) jeweils Berufung eingelegt. Die Berufung wurde jeweils mit Schriftsatz der Klägerin vom 01.12.2020 (Bl. 231/237 Band II d. A.), eingegangen am selben Tag (Bl. 238 Band II d. A.), und mit Schriftsatz der Beklagten vom 03.12.2021 (Bl. 242/256 Band II d. A.), eingegangen am 13.01.2021 (Bl. 257 Band II d. A.) – nach 2-facher Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zuletzt zum 13.01.2021 (Bl. 241 Band II d. A.) -, begründet.
Die Berufung der Klägerin wurde nach einem Hinweisbeschluss des Senats gemäß § 522 II 1 ZPO (Bl. 262/272 Band II d. A.) mit Beschluss vom 12.10.2021 (Bl. 311/314 Band II d. A.), der Klägerin zugestellt am 18.10.2021 (zu Bl. 311/315 Band II d A.), zurückgewiesen.
Der Beklagten rügen mit ihrer Berufung die vom Erstgericht vorgenommene Haftungsverteilung und beanstanden die Ermittlung des Haushaltsführungsschadens, des Erwerbsschadens und der Fahrtkosten. Zudem wenden sie ein, das zugesprochene Schmerzensgeld sei zu hoch bemessen.
Die Beklagten beantragen,
Das Endurteil des Landgerichts München I vom 25.09.2020 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass die Klage insgesamt kostenpflichtig abgewiesen wird.
Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des Ersturteils,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf die vorgenannten Berufungsbegründungsschriften und auf die weiteren Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsniederschriften vom 15.01.2019 und vom 08.09.2020 (Bl. 73/87 Band I d. A. und 156/165 Band I d. A.) Bezug genommen.
B.
I. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg. Über die Berufung der Klägerin war im Urteil inhaltlich nicht mehr zu entscheiden, da die Berufung bereits im Beschlusswege zurückgewiesen wurde.
1. Zu Recht hat das Erstgericht festgestellt, dass der Klägerin grundsätzlich ein gesamtschuldnerischer Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten nach §§ 7 I, 18 I StVG, 823 I, II, 249 ff. BGB jeweils in Verbindung mit § 115 I S. 1 Nr. 1 VVG zusteht.
Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile hat das Erstgericht aber nach Dafürhalten des Senats den Haftungsanteil der Klägerin nicht angemessen gewichtet:
a) Die Klägerin hat ihre Wartepflicht verletzt, indem sie über die abgesenkte Borsteinkante des Gehwegs in die L.straße einfuhr, um diese im Bereich der Fußgängerfurt in Richtung O.-A.-Straße zu überqueren. Gegen die Klägerin spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine Verletzung der aus § 10 S. 1 StVO resultierenden Sorgfaltspflichten. Nach § 10 S. 1 StVO hat derjenige, der über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diesen Sorgfaltsanforderungen hat – wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt (vgl. Seite 8/9 des EU) – die Klägerin nicht genügt.
Das Erstgericht hat weiter zutreffend darauf hingewiesen, dass sich hiergegen nicht einwenden lässt, dass die Klägerin im Bereich einer dort befindlichen Fußgängerfurt auf die L.straße eingefahren ist (vgl. Seite 9 des EU). Da die Klägerin die Fußgängerfurt nach ihren eigenen Angaben radfahrenderweise benutzt hat, kommt ihr das Privileg der Fußgängerfurt nicht zugute (vgl. Seite 9 des EU und LG Frankenthal, Urteil vom 24.11.2010 – 2 S 193/10, Rn. 25 juris). Hieran ändert entgegen der Auffassung der Klägerseite (vgl. Seite 3 der Berufungsbegründung = Bl. 233 Band II d. A.) auch der Umstand, dass die Klägerin entsprechend der Ausführungen des Sachverständigen zum Unfallzeitpunkt – wie ein Fußgänger – in „normaler Schrittgeschwindigkeit“ unterwegs war (vgl. Seite 14 des Protokolls vom 15.01.2019 = Bl. 86 Band I d. A.), nichts.
Die Erwägungen des Erstgerichts, wonach die Klägerin zwar verbotswidrig die Fußgängerfurt benutzt habe, der Verkehrsverstoß aber nicht nachweislich unfallkausal geworden sei, da die Kollisionsgeschwindigkeit im Bereich von Schrittgeschwindigkeit gelegen habe und der Beklagte zu 2) auch für einen Fußgänger anhalten hätte müssen (vgl. Seite 9 des EU), überzeugen indes nicht. Letztlich kann es nur darauf ankommen, dass die Klägerin unter Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten des § 10 S. 1 StVO in die Straße eingefahren ist und sich damit zum Zeitpunkt der Kollision auf der Fahrbahn befand. Ob sich die Klägerin bei Überquerung der Fußgängerfurt als Fußgängerin in genau demselben Zeitpunkt an genau derselben Stelle der Fahrbahn befunden hätte, lässt sich gerade nicht klären (vgl. hierzu auch LG Frankenthal, a.a. O., Rn. 26 juris). Dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. S., der dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als äußerst zuverlässig und sachkundig bekannt ist, war es anhand der objektiven Anknüpfungstatsachen gerade nicht möglich, die Annäherungsphase für die Klägerin und den Beklagten zu 2) an den Kreuzungsbereich unfallanalytisch darzustellen (vgl. Seite 14 des Protokolls vom 15.01.2019 = Bl. 86 Band I d. A.). Er konnte nur eine Aussage zu der jeweiligen Kollisionsgeschwindigkeit treffen (vgl. Seite 14/15 des Protokolls vom 15.01.2019 = Bl. 86/87 Band I d. A.).
Im Übrigen gilt auch zu beachten, dass es sich bei einer Fußgängerfurt gerade nicht um einen Fußgängerüberweg nach § 26 StVO handelt. Ein Fußgängerüberweg im Sinne des § 26 StVO, räumt Fußgängern, „auch wenn sie ein Rad schieben (nicht aber, wenn sie damit fahren: OLG Hamm NZV 1993, 66; 1996, 449; OLG Düsseldorf NZV 1998, 296; Grüneberg NZV 1997, 420), und ihnen gleichgestellten Verkehrsteilnehmern (§ 2 Abs. 5 S. 1; → § 2 Rn. 64: radfahrenden Kindern; Roll- und Krankenfahrstuhlfahrern, auch motorisierten)“ nur „auf den durch Z 293 („Zebrastreifen“) gekennzeichneten Überwegen, nicht aber auf anderen Übergängen, den Vorrang vor dem Fahrverkehr (BayObLG DAR 1968, 27; OLG Hamburg VM 1974, 22)“ (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVO § 26 Rn. 2) ein. Die an Lichtzeichenanlagen nach VwV III zu § 25 Abs. 3 markierten Fußgängerfurten, bei denen keine deutliche, durchgehende Kennzeichnung mit sog. Zebrastreifen (Z 293) besteht, sind somit keine Fußgängerüberwege im Sinne des § 26 StVO, so dass insoweit auch kein Vorrang vor dem Fahrverkehr besteht (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVO § 26 Rn. 2, 3 m.w.N.). Vielmehr gelten für Fußgänger, die eine Fußgängerfurt benutzen, weiterhin die Sorgfaltsanforderungen des § 25 III StVO. Entsprechend der Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung (vgl. Seite 3 = Bl. 244 Band II d. A.) sind Fußgänger nur dann bevorrechtigt, wenn die Lichtzeichenanlage Grünlicht anzeigt. Nach der Beweiswürdigung des Erstgerichts, an die der Senat nach § 529 I Nr. 1 ZPO gebunden ist, sofern – wie hier – keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgebracht werden, lässt sich jedoch im streitgegenständlichen Fall gerade nicht aufklären, ob die Lichtzeichenanlage für die Klägerin Rot- oder Grünlicht zeigte (vgl. Seite 9 des EU = Bl. 183 Band I d. A.), wobei schon nicht geklärt wurde, welche Lichtzeichenanlage für die Klägerin gegolten hat. In den Entscheidungsgründen heißt es hierzu: „Der Klägerin konnte allerdings kein Rotlichtverstoß nachgewiesen werden. Zwar gab der Beklagte zu 2) bei seiner informatorischen Anhörung an, dass er sich, bevor er losgefahren sei, vergewissert habe, dass die Fußgängerampel rot gewesen sei. Der Beklagte zu 2) war sich auch sehr sicher, dass die Ampel Rotlicht gezeigt habe. Dahingegen war sich die Klägerin sehr sicher, dass die Ampel grün war. Damit stehen sich die Angaben der beiden Parteien diametral gegenüber. […] Damit konnte die Beklagtenseite einen Rotlichtverstoß der Klägerin nicht nachweisen“ (vgl. Seite 9 des EU = Bl. 183 Band I d. A.). In gleicher Weise konnte die Klägerin für sich auch kein Vorrangrecht in Anspruch nehmen, da gerade nicht aufgeklärt werden konnte, ob die Ampelanlage an der Fußgängerfurt Grün- oder Rotlicht gezeigt hat.
Mithin bleibt es dabei, dass gegen die Klägerin bereits der Beweis des ersten Anscheins für ein sorgfaltswidriges Verhalten nach § 10 S. 1 StVO spricht, so dass es an ihr gewesen wäre, diesen Anschein zu erschüttern (vgl. LG Frankenthal, a.a.O., Rn. 27 juris).
b) Das Erstgericht kommt zutreffend zu dem Ergebnis, dass dem Beklagten zu 2) im Rahmen der Abwägung nach § 9 I StVG in Verbindung mit § 254 BGB nur ein Verstoß gegen das in § 1 II StVO normierte allgemeine Rücksichtnahmegebot vorzuwerfen ist (vgl. Seite 7/8 des EU= Bl. 181/182 Band I d. A.). Die Generalklausel des § 1 II StVO (vgl. Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 1 StVO (Stand: 17.08.2016), Rn. 42) fordert von jedem Verkehrsteilnehmer, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Entsprechend der Ausführungen des Landgerichts ist der Beklagte zu 2) diesen Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht geworden (vgl. Seite 7/8 des EU = Bl. 181/182 Band I d. A.). Der gerichtliche Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 2) „im engen wegzeitlichen Zusammenhang“ die Möglichkeit hatten, einander zu erkennen bzw. zu sehen (vgl. Seite 14 des Protokolls vom 15.01.2019 = Bl. 86 Band I d. A.), so dass das Unfallgeschehen auch für den Beklagten zu 2) infolge der „denkbar[en] geringen Kollisionsgeschwindigkeit“ bei entsprechender Sichtzuwendung und rechtzeitigem Anhalten vermeidbar gewesen wäre (vgl. Seite 7 des EU = Bl. 181 Band I d. A.). Nachdem der Sachverständige auch keine „Sichthindernisse der Parteifahrzeuglenker aufeinander“ feststellen konnte (vgl. Seite 14 des Protokolls vom 15.01.2019 = Bl. 86 Band I d. A.), kann der Senat auch der Schlussfolgerung des Erstgerichts, wonach der Beklagte zu 2) unmittelbar vor dem Kollisionsgeschehen unaufmerksam bzw. „abgelenkt“ (vgl. Seite 8 des EU) gewesen sein dürfte, beitreten.
c) Bei der Abwägung der jeweiligen Verursachungs- bzw. Verschuldensanteile kommt der Senat infolge des Vorrangverstoßes der Klägerin und des dagegen eher leichten Verschuldens des Beklagten zu 2) in Form des Verstoßes gegen § 1 II StVO, wobei aber noch die Betriebsgefahr des von diesem geführten Kraftfahrzeugs zu berücksichtigen ist, zu einer hälftigen Schadensteilung (vgl. so auch OLG Celle, Urteil vom 5.08.1999 – 14 U 159/98, Rn. 4 juris).
2. Infolge der vom Senat anders gewichteten Verschuldensanteile ist auch die Schadensersatzhöhe entsprechend der abweichenden Haftungsverteilung anzupassen. Hingegen überzeugen die darüber hinaus gehenden Angriffe der Beklagten gegen die vom Erstgericht zugesprochene Schadensersatzhöhe nicht.
a) Die Bemessung des Haushaltsführungsschadens durch das Erstgericht ist grundsätzlich nicht zu beanstanden.
aa) Der geltend gemachte Haushaltsführungsschaden ergibt sich aus §§ 842, 843 Abs. 1 BGB. Nach § 843 Abs. 1 BGB ist dem Verletzten durch Entrichtung einer Geldrente Schadenersatz dafür zu leisten, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit aufgehoben oder gemindert ist. Zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dieser Norm gehört die Haushaltsführung, soweit sie Unterhaltsleistungen an Familienangehörige betrifft (OLG Dresden, Urteil vom 29. Mai 2020 – 22 U 699/19 -, Rn. 28, juris).
Für den ersatzfähigen Haushaltsführungsschaden ist Maßstab die konkrete haushaltsspezifische Behinderung des Geschädigten, d. h. die Frage, in welchem Umfang er bei der Ausübung der von ihm übernommenen Haushaltstätigkeiten durch die Verletzung gehindert ist (Senat, Urteil vom 07. Oktober 2020 – 10 U 1813/20 -, Rn. 5, juris).
Grundlage der Schadensermittlung ist die von dem Geschädigten vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandte Zeit, wobei auf die individuellen Lebensumstände des Geschädigten abzustellen ist (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 29. Mai 2020 – 22 U 699/19, VersR 2020, 1384, 1386; Pardey, SVR 2018, 165, 168). Die Darlegungs- und Beweislast hierfür obliegt dem Geschädigten. Der Antrag auf Erholung eines Sachverständigengutachtens ersetzt nicht die Anforderungen an einen substantiierten Parteivortrag (vgl. OLG Frankfurt a. M. OLGR 2006, 489 (unter II 3 a. E.); OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 87 = VersR 2004, 120).
Das Erstgericht hat unter Zugrundelegung der Ausführungen der Klägerin und der Angaben der Zeugin T. M. sein auf § 287 ZPO basierendes Schätzungsermessen zu dem Zeitaufwand in dem konkreten Haushalt vor und nach dem Schadensereignis dahingehend ausgeübt, dass es von einem Umfang von 40 Stunden pro Woche ausgegangen ist, wobei es nicht unberücksichtigt gelassen hat, dass die Klägerin berufstätig war und ist (vgl. Seite 12 des EU = Bl. 186 Band I d. A.). Soweit die Beklagten einwenden, dass das Erstgericht von Amts wegen verpflichtet gewesen sei, ein entsprechendes Sachverständigengutachten zur Bestimmung der Haushaltsführungstätigkeit in Auftrag zu geben (vgl. Seite 9 der Berufungsbegründung = Bl. 250 Band II d. A.), geht dies fehl. Die Vorschrift des § 287 ZPO erweitert bei Schadenersatzprozessen gerade den Umfang des richterlichen Ermessens über die Grenzen des § 286 ZPO hinaus und gibt dem Tatrichter die Möglichkeit, unter Würdigung aller Umstände ohne Bindung an Beweisregeln nach freier Überzeugung zu entscheiden (BGH, VersR 1967, 1095). Dies schließt zwar nicht aus, dass das Tatsachengericht die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung und ihre Auswertung darzulegen hat (BGH, a.a.O.). Hieran fehlt es aber gerade im vorliegenden Fall nicht, da das Erstgericht geradezu lehrbuchmäßig seine Schätzungsgrundlagen dargelegt hat (vgl. Seite 11/13 des EU = Bl. 185/187 Band I d. A.).
bb) Soweit die Beklagten darüber hinaus der Auffassung sind, dass das Erstgericht im Rahmen der Ermittlung des Haushaltsführungsschadens rechtsfehlerhaft von einem Fünf-Personenhaushalt ausgegangen sei, obgleich zum Unfallzeitpunkt bereits zwei Kinder volljährig waren und somit keine Naturalunterhaltsverpflichtung der Klägerin ihnen gegenüber mehr bestand (vgl. Seite 7 der Berufungsbegründung = Bl. 248 Band II d. A.), ist das Folgende auszuführen:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es für die konkrete Bestimmung des Schadensersatzes wegen Beeinträchtigung in der Führung des Haushalts, die auf § 249 BGB beruht, im Gegensatz zu § 844 Abs. 2 BGB ohne Belang, zu welchem Ausmaß von Haushaltstätigkeit die Klägerin familienrechtlich verpflichtet gewesen wäre; entscheidend ist allein, welche Tätigkeit sie ohne den Unfall auch künftig geleistet haben würde (BGH, Urteil vom 08. Oktober 1996 – VI ZR 247/95 – Rn. 8, juris; BGH, VersR 1974, 1016; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl. 2020, Rn. 186). Eine Mitarbeitspflicht von Familienangehörigen ist nur dann zu berücksichtigen, wenn diese Hilfe tatsächlich erbracht wurde (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1974 – VI ZR 10/73 – VersR 1974, 1016 = NJW 1974, 1651, 1652; vgl. ferner Küppersbusch/Höher, a.a.O., Rn. 186). Zwar besteht für den Haushaltsführungsschaden entsprechend der Konzeption der §§ 842, 843 BGB eine „Art Vermutung, dass die tatsächliche Arbeitsleistung der rechtlich geschuldeten entspricht“ (vgl. Küppersbusch/Höher, a.a.O., Rn. 186 m. w. N.; für den Fall der Pensionierung eines Ehemannes und der dort geltenden Vermutung, dass der Ehemann ohne den Unfall nach der Pensionierung tatsächlich im Haushalt mitgeholfen hätte: Küppersbusch/Höher, a.a.O., Rn. 209). Im Rechtssinne endet mit dem Eintritt der Volljährigkeit die elterliche Sorge und – als Teil hiervon – insbesondere die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes als umfassende Personensorge (§§ 1626, 1631 BGB). Damit entfällt nach dem Gesetz die Grundlage für eine Gleichbewertung von Betreuungs- und Barunterhalt ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall etwa ein volljähriger Schüler weiter im Haushalt eines Elternteils lebt und von diesem noch gewisse Betreuungsleistungen erhält (BGH, NJW 2002, 2026, 2027 beck-online). Bereits vor dem Eintritt der Volljährigkeit sieht § 1619 BGB vor, dass Kinder ab einem gewissen Alter zunehmend zur Mithilfe im Haushalt verpflichtet sind (vgl. BGH, NJW-RR 1990, 962, 963; Palandt/Götz, BGB, 80. Aufl. 2021, § 1619 Rn. 3). Das Erstgericht ist aber nach Anhörung der Klägerin und der Tochter, der Zeugin T. M., zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kinder im Haushalt – trotz ihres Alters – nur wenig Arbeiten übernommen haben und nur auf Zuruf Aufgaben erledigten (vgl. Seite 12 des EU). Der Senat ist an das Ergebnis der Beweisaufnahme nach § 529 I Nr. 1 ZPO gebunden, wenn – wie vorliegend – keine „konkrete Anhaltspunkte” vorgetragen wurden, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen oder wecken (BGH NJW 2004, 2751).
cc) Nachdem die Beklagten ihrerseits keine Einwände gegen die erstinstanzliche Festsetzung der Minderung der Haushaltsführungstätigkeit (MdH) und die Höhe des vom Erstgericht herangezogenen Nettostundensatzes für eine fiktive Haushaltshilfe (hier: 8,50 €) erhoben haben, ergibt sich basierend auf der Berechnung des Haushaltsführungsschadens durch das Erstgericht (vgl. Seite 16 des EU = Bl. 190 Band I d. A.) und unter Zugrundelegung einer Haftungsverteilung von 50:50 ein Haushaltsführungsschaden von 1.155,29 € (50% von 2.310,58 €).
b) Ebenso begegnet die Bemessung des Erwerbsschadens durch das Erstgericht grundsätzlich keinen Bedenken.
Entgegen der Auffassung der Beklagtenpartei hat sich das Erstgericht in den Entscheidungsgründen eingehend mit der Problematik der Aktivlegitimation der Klägerin auseinandergesetzt (vgl. Seite 16/17 des EU = Bl. 190/191 Band I d. A.).
Zwar ist den Beklagten zuzugeben, dass es sich bei dem Teil der Haushaltsführung, der in Erbringung der gesetzlich geschuldeten Unterhaltsverpflichtung gegenüber berechtigten Familienangehörigen erbracht wird, um Erwerbsschaden handelt, § 843 Abs. 1, 1. Alt. BGB (vgl. BGH, Urteil vom 08. Oktober 1996 – a.a.O. -, Rn. 7, juris) (vgl. auch Seite 15 des EU = Bl. 189 Band I d. A.), der in vollem Umfang kongruent zur Verletztenrente ist (vgl. BGH, Urt. v. 03. Dezember 2002 – VI ZR 304/01, Rn. 23 juris, BGH, NJW 1985, 735).
Das Erstgericht hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass es im vorliegenden Fall an der zeitlichen Kongruenz der Zahlungen fehlt, die die Klägerin entsprechend dem Bescheid vom 19.02.2020 von der Berufsgenossenschaft erhalten hat, so dass die erhaltene BG-Rente nicht den Erwerbsschaden in der Zeit vom 22.11.2016 bis 17.12.2017 ersetzt (vgl. Seite 17 des EU). Nach dem Bescheid der BG ETEM beginnt die Rentenzahlung erst am 18.12.2017.
Der Erwerbsschaden beläuft sich damit auf der Grundlage der Berechnung des Erstgerichts (vgl. Seite 17 des EU = Bl. 191 Band I d. A.) und bei Beachtung der angemessenen Haftungsverteilung von 50:50 auf 2.564,17 € (50% von 5.128, 34 €).
c) Auch die Bemessung der unfallbedingten Fahrtkosten nach § 287 ZPO begegnet keinen Bedenken. Das Erstgericht hat nachvollziehbar dargelegt, aufgrund welcher Erwägungen es sein Schätzungsermessen dahingehend ausgeübt hat, dass der Klägerin letztlich 20 Fahrten mit dem MVV und 10 Fahrten mit dem Taxi zugebilligt werden konnten (vgl. Seite 18/19 des EU = Bl. 192/193 Band I d. A.). Bei der Bemessung der Fahrtkosten konnte das Erstgericht entgegen der Auffassung der Beklagten auf § 287 ZPO zurückgreifen, da es angesichts der Verletzungen der Klägerin „nicht völlig unplausibel“ war, dass „in der Zeit, in der sie zu 100% eine Minderung der Erwerbsfähigkeit erfahren hat, Fahrtkosten, die nicht im Zusammenhang mit Krankenhausbehandlungen standen, angefallen sind“ (vgl. Seite 18 des EU = Bl. 192 Band I d. A.). Die Bemessung der unfallbedingten Fahrtkosten nach § 287 ZPO ist letztlich in erster Linie Sache des Tatrichters (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 201/19 -, Rn. 32, juris). Unter Berücksichtigung der Haftungsverteilung von 50:50 ergibt sich mithin ein Anspruch auf Fahrtkosten in Höhe von 118,00 € (50% von (56,00 € MVV + 180,00 € Taxikosten).
d) Das Erstgericht hat auch die maßgeblichen Kriterien bei der Bewertung des angemessenen Schmerzensgelds berücksichtigt. Der Senat ist aufgrund der ihm gebotenen eigenständigen Überprüfung (vgl. dazu BGH NJW 2006, 1589 ff.; Senat, Urt. v. 30.7.2010 – 10 U 2930/10 [juris]) der Ansicht, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 17.000,00 €, insgesamt also 20.000,00 €, insbesondere unter Berücksichtigung der verletzungsbedingten Dauerfolgen(dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20%) und der Mithaftungsquote von 50% angemessen ist.
Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (grdl. BGH – GSZ – BGHZ 18, 149 ff.; ferner BGH NJW 2006, 1068 [1069]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]); OLG Brandenburg, Urt. v. 8.3.2007 – 12 U 154/06 [juris]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]). Schmerzensgeldmindernd ist indes zu berücksichtigen, dass die Klägerin ein Mitverschulden von 50% trifft.
Soweit die Beklagten ihr Herabsetzungsverlangen mit Hinweisen auf vergleichbare Fälle in der Schmerzensgeldtabelle von Hacks Wellner Häcker begründen (vgl. Seite 14/15 der Berufungsbegründung = Bl. 255/256 Band II d. A.), ist dies nicht zielführend. Denn die §§ 253 II BGB, 11 S. 2 StVG sprechen von „billiger Entschädigung in Geld“. Da es eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, weil diese nicht in Geld messbar sind (BGH – GSZ – BGHZ 18, 149 [156, 164]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]), unterliegt der Tatrichter bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen (BGH VersR 1976, 967 [968 unter II 1]; Senat, a.a.O.). Deshalb können aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden (Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 13.8.2010 – 10 U 3928/09 [juris]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [124]). Verweise auf solche Vergleichsfälle ohne umfassende Herausarbeitung der Fallähnlichkeit, die neben den Verletzungen weitere Variable, nämlich Geschlecht, Alter, Beruf, Vorschädigung, Empfindlichkeit, Einkommen und Vermögensverhältnisse des Geschädigten, sowie Verschulden, Einkommen, Vermögensverhältnisse und Versicherung des Schädigers zu berücksichtigen hat (Berger VersR 1977, 877 [878 unter II 3]), sind also nicht weiterführend.
Überdies begegnet es auch keinen Bedenken, dass das Erstgericht ausführt, dass es schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen ist, dass die Beklagten an die Klägerin bislang nur einen kleinen Teilbetrag von 3.000,00 € geleistet haben, obwohl sich der Unfall bereits im Jahr 2016 ereignet hat (vgl. Seite 23 des EU = Bl. 197 Band I d. A.). Denn auch der Senat bewertet zögerliches/kleinliches Regulierungsverhalten schmerzensgelderhöhend, verlangt aber wie auch die übrige Rechtsprechung, dass es sich um ein vorwerfbares oder jedenfalls nicht nachvollziehbares Verhalten handelt (u. a. SP 2011, 107), welches sich niederschlägt in
(1) unangemessen niedrigen vorprozessuale Leistungen (vgl. etwa OLG Nürnberg zfs 1995, 452; VersR 1998, 731 [732]; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 7.1.1999 – 12 U 7/98; OLG Köln NJW-RR 2002, 962 [963]: Zahlung eines „lächerlich geringen Betrages“; OLG Naumburg VersR 2002, 1569: offensichtlich unzureichende vorprozessuale Leistung [50.000,- DM von insgesamt 225.000,- DM] und dann Erhebung unzutreffender verfahrensverzögernder Einwendungen gegen die Schmerzensgeldhöhe – Revision vom BGH nicht angenommen [Beschluss vom 18.6.2002 – VI ZR 380/01]; OLG Hamm VersR 2003, 780; Senat, Beschluss vom 19.1.2009 – 10 U 4917/08 [177.387,56 € mit vorgeschlagener Gesamtabfindung bei inkompletter Querschnittslähmung und schwersten Folgeerkrankungen statt angemessener 350.000,- €]; SP 2011, 107; Urt. v. 24.9.2010 – 10 U 2671/10 [juris Rz. 25 -27]);
(2) unverständlich verzögerter Regulierung, insbesondere, wenn die Haftung dem Grunde nach unstreitig ist und trotzdem keine Abschlagszahlung erfolgt (BGH VersR 1964, 1103; 1967, 256 [257]; BGHZ 163, 351; Senat u. a. SP 2011, 107 m.w.N.);
(3) unvertretbarem (vor-)prozessualen Verhalten, wenn es über die verständliche Rechtsverteidigung hinausgeht (Senat, Urt. v. 30.6.1976 – 10 U 1571/76 [juris]) und von einem Geschädigten als herabwürdigend empfunden werden muss (Senat, Urt. v. 2.6.2006 – 10 U 1685/06 [juris]; Urt. v. 24.9.2010 – 10 U 2671/10 [juris]).
Im vorliegenden Fall liegt entgegen der Ansicht der Beklagten ein derart zögerliches/kleinliches Regulierungsverhalten, bei dem es sich zumindest um ein nicht nachvollziehbares Verhalten der Beklagtenseite handelt, in der Tatsache, dass die Beklagten an die Klägerin seit dem Unfall lediglich einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 3.000,00 € geleistet haben. Anders als in der von der Beklagtenseite zitierten Entscheidung des Senats vom 29. Juli 2020 – 10 U 2287/20 waren auch nicht mehrere schriftliche Sachverständigengutachten unterschiedlicher medizinischer Fachrichtungen notwendig, um die Frage der unfallbedingten Verletzungsfolgen und deren Ausmaßes zu klären. Vielmehr wurde seitens des Erstgerichts nur ein medizinisch-orthopädisches Gutachten in Auftrag gegeben, das bereits am 26.06.2019 vorlag und am 10.07.2019 bei Gericht einging. (vgl. Bl. 97/117 Band I d. A.). Das von den Beklagten angesprochene unfallanalytische Sachverständigengutachten wurde lediglich mündlich im Termin am 15.01.2019 erstattet (vgl. Seite 14/15 des Protokolls = Bl. 86/87 Band I d. A.). Überdies ist zu beachten, dass die Beklagtenseite selbst in dem Schriftsatz vom 17.11.2017 zum PKH-Antrag der Klageseite noch einen Schmerzensgeldbetrag (unter Berücksichtigung der Mithaftung der Klägerin) von max. 7.500,00 € als angemessen erachtet hat (vgl. Bl. 17 Band I d. A.). Erst in der Klageerwiderung vom 11.05.2018 wird dann „im Hinblick auf die erhebliche Mithaftung der Klägerin“ nur nach ein „Schmerzensgeld im Bereich von € 3.000 für angemessen und ausreichend“ gesehen (vgl. Bl. 55 Band I d. A.).
Letztlich erachtet der Senat ausgehend von dem durch das Erstgericht gesetzten Orientierungsrahmen, der mittels vergleichbarer Entscheidungen, bei denen aber auch die Unterschiede herausgearbeitet wurden, gefunden wurde (vgl. Seite 22 /23 des EU = Bl. 196/197 Band I d. A.) unter Berücksichtigung aller bereits durch das Erstgericht herausgearbeiteter maßgeblicher Kriterien, insbesondere der dauerhaften MdE von 20%, die der Klägerin nunmehr als alleinerziehende Mutter von vier Kindern verbleibt, und bei Beachtung des Mitverschuldensanteils von 50% ein Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 17.000,00 €, insgesamt also in Höhe von 20.000,00 €, für angemessen.
e) Als weitere Schadenspositionen sind basierend auf der Haftungsverteilung von 50:50 die mit der Berufung der Beklagten im Einzelnen nicht angegriffenen Posten des Schadens am Fahrrad in Höhe von 75,00 € (50% von 150,00 €), des Kleiderschadens in Höhe von 60,00 € (50% von 120,00 €) und der Unkostenpauschale in Höhe von 12,50 € (50% von 25,00 €) zu berücksichtigen.
Insgesamt ergibt sich damit ein Anspruch der Klägerin auf 20.984,96 €.
f) Das Feststellungsbegehren hinsichtlich der weiteren materiellen Schäden und der zukünftigen immateriellen Schäden, die anlässlich des Verkehrsunfalls am 22.11.2016 an der Kreuzung L.straße/G.straße/O.-A.-Straße in M. entstehen, ist zulässig und in Höhe des Haftungsanteils der Beklagtenseite von 50% bzw. unter Berücksichtigung in Höhe des 50%-igen Mitverschuldens der Klägerin auch begründet.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I 1 Fall 2 ZPO und hinsichtlich der bereits zurückgewiesenen Berufung der Klägerin auf § 97 I ZPO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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