Verkehrsrecht

Verwertbarkeit eines Gutachtens aus einem früheren Fahrerlaubnis-Erteilungsverfahren

Aktenzeichen  11 ZB 20.84

Datum:
11.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9101
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 9S S. 2, S. 4

 

Leitsatz

Ein in einem früheren Verfahren auf Erteilung einer Fahrerlaubnis vorgelegtes Fahreignungsgutachten kann nach § 2 Abs. 9 Satz 4 StVG zehn Jahre, gerechnet ab Rücknahme des früheren Antrags, verwertet werden, selbst wenn die für das damalige Gutachten anlassgebende Straftat im Fahreignungsregister mittlerweile getilgt ist. (Rn. 9)

Verfahrensgang

W 6 K 19.130 2019-11-13 VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A und B (mit Unterklassen).
Am 5. April 2012 hatte er die Erteilung einer Fahrerlaubnis beantragt. Wegen einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad im Jahr 2007, rechtskräftig geahndet am 26. März 2009, forderte die Beklagte ihn daraufhin mit Schreiben vom 26. Juni 2012 auf, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten vorzulegen. Aus dem vorgelegten Gutachten vom 19. Juni 2012 ergibt sich, dass zwar keine körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen vorliegen, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können. Es sei aber zu erwarten, dass das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könnten. Daraufhin nahm der Kläger seinen Antrag am 17. Januar 2013 zurück.
Am 30. November 2017 beantragte er erneut die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Die Beklagte forderte ihn unter Schilderung der Trunkenheitsfahrt und des Gutachtens vom 19. Juni 2012 mit Schreiben vom 26. September 2018 auf, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten vorzulegen. Es sei zu klären ob körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vorliegen würden, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden könnten und ob insbesondere nicht zu erwarten sei, dass er das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen könne. Der Kläger verweigerte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 6. Dezember 2018 die Vorlage eines Gutachtens. Daraufhin lehnte die Beklagte seinen Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 3. Januar 2019 ab.
Die gegen den Bescheid vom 3. Januar 2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 13. November 2019 abgewiesen. Die Trunkenheitsfahrt aus dem Jahr 2007 sei zwar mittlerweile aus dem Fahreignungsregister getilgt und könne nicht mehr berücksichtigt werden. Das Gutachten aus dem Jahr 2012 sei aber noch verwertbar. Daraus ergäben sich Fahreignungszweifel, die nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV aufzuklären seien. Es sei Sache des Klägers, seine Eignung nachzuweisen. Zweifel gingen zu seinen Lasten.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt. Der Kläger macht geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Gutachten aus dem Jahr 2012 sei nicht mehr verwertbar, da es sich ausschließlich auf die Straftat aus dem Jahr 2007 beziehe. Da diese nicht mehr verwertet werden dürfe, ergäben sich aus dem Gutachten keine Eignungszweifel. Es sei ihm ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens eine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 54), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453.12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587.17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.).
Der Kläger macht ausschließlich geltend, ihm sei nach § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), ohne vorherige Beibringung eines Fahreignungsgutachtens eine Fahrerlaubnis zu erteilen, weil das Gutachten aus dem Jahr 2012 nicht mehr verwertbar sei, da es sich auf die Straftat aus dem Jahr 2007 beziehe. Dabei übersieht er, dass nach § 2 Abs. 9 Satz 2 StVG Registerauskünfte, Führungszeugnisse, Gutachten und Gesundheitszeugnisse regelmäßig zehn Jahre aufbewahrt werden dürfen und diese Frist nach § 2 Abs. 9 Satz 4 StVG entweder mit der rechts- oder bestandskräftigen Entscheidung oder mit der Rücknahme des Antrags durch den Antragsteller beginnt. Dies bedeutet, dass die Zehn-Jahres-Frist grundsätzlich mit Abschluss des Verfahrens beginnt, in dem die Unterlagen angefallen sind (vgl. Geiger in Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsgesetz, 1. Aufl. 2016, § 2 StVG Rn. 65; Gesetzesbegründung, BT-Drs. 13/6914 S. 65). Im Rahmen eines Verfahrens auf Erteilung einer Fahrerlaubnis eingeholte Gutachten dürfen daher bei einer Antragsrücknahme zehn Jahre ab Rücknahme aufbewahrt und verwertet werden. So liegt der Fall hier. Das im Rahmen des mit Antrag vom 5. April 2012 eingeleiteten Erteilungsverfahrens eingeholte Gutachten aus dem Jahr 2012 darf nach der Rücknahme des Antrags am 17. Januar 2013 daher noch aufbewahrt und verwertet werden und muss nicht zeitgleich mit der Tilgung einer früheren Straftat vernichtet werden. Denn das Gutachten enthält über die Feststellung hinaus, dass früher eine Straftat begangen worden ist, aktuelle Informationen zur Prognose hinsichtlich der Frage, ob Fahreignung besteht, die auch weiterhin von Interesse sind. Aus dem Gutachten aus dem Jahr 2012 ergeben sich Zweifel an der Fahreignung des Klägers, die nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 23. Dezember 2019 (BGBl I S. 2937), der Aufklärung bedürfen. Es ist dann Sache des Gutachters, zu beurteilen, ob ohne Verwertung der Straftat weiterhin keine Fahreignung besteht.
Sollte der Kläger bereit sein, erneut eine Begutachtung durchführen zu lassen, ist bei der Formulierung der Frage und der Schilderung des Sachverhalts in einer neuen Gutachtensanordnung aber darauf zu achten, dass dabei nicht mehr verwertbare Umstände nicht erwähnt werden. Bei der Übersendung der Unterlagen an den Gutachter ist sicherzustellen, dass nicht verwertbare Aktenbestandteile nach § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV i.V.m. § 2 Abs. 9 und Abs. 12 Satz 2 StVG entfernt oder geschwärzt werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2016 – 11 CS 16.1523 – juris Rn. 23; OVG MV, B.v. 22.5.2013 – 1 M 23/12 – VRS 127, 269 = juris Rn. 25).
Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG und den Empfehlungen in Nr. 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel


Nach oben