Versicherungsrecht

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  21 O 39/20 Ver

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13301
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Weiden
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c Abs. 2, § 307
AVB Betriebsschließungsversicherung

 

Leitsatz

Verspricht der Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung in seinen AVB Leistungen für den Fall, dass “die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt” und enthalten die AVB nach der Beschreibung des Versicherungsfalles als “behördliche Anordnung der Schließung” unter einer gesonderten Überschrift eine Definition dahin, dass meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger “die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger” sind, handelt es sich hierbei um eine abschließende Aufzählung, so dass kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besteht, wenn weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 in der Aufzählung benannt sind. Eine derartige Regelung ist nicht unklar und hält einer Inhaltskontrolle stand. (Rn. 17 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag, der alleine als Anspruchsgrundlage für das Leistungsbegehren der Klägerin in Betracht kommt, kann die Klägerin einen Zahlungsanspruch für die von ihr behauptete Betriebsschließung ihre Eisdiele ab dem 19.3.2020 nicht ableiten.
1. Mit Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.3.2020, Az. 51-G8000-2020/122-67, geändert durch Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 17.3.2020, Az. Z6a-G8000-2020/122-83, wurden durch Allgemeinverfügung Gastronomiebetriebe aller Art untersagt. Ausgenommen von dieser Untersagung waren Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen war weiterhin die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. deren Auslieferung. Diese Regelung trat am 18.3.2020 in Kraft und gilt bis einschließlich 30.3.2020. Zur Begründung wurde allgemein ausgeführt, dass das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet habe, sodass die WHO am 11.3.2020 das Ausbruchsgeschehen als Pandemie bewertet hat. Die Erkrankung sei sehr infektiös. Es bestehe weltweit, deutschlandweit und bayernweit eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation mit starker Zunahme der Fallzahlen innerhalb weniger Tage auch in Bayern.
Mit der BayIfSMV des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 27.3.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158) wurde der Gastronomiebetrieb mit Ausnahme der Abgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen bis 19.4.2020 weiter untersagt. Die Regelung wurde mit der 2. BayIfSMV des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.4.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 205) bis 3.5.2020, mit der 3. BayIfSMV des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 1.5.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 239) bis 3.5.2020 und mit der 4. BayIfSMV des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 5.5.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 220) sowie deren mehrfacher Änderung bis 17.5.2020 verlängert.
2. Eine Betriebsschließung auf vorgenannten Grundlagen wegen des Auftretens der Corona-Virus-Krankheit-2019 (COVID-19) bzw. wegen des SARS-CoV-2- Erregers stellt nach den zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen keinen Versicherungsfall dar.
Versicherungsschutz besteht nach § 1 I AVB beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger. Diese sind in § 1 III AVB abschließend benannt. Die Corona-Virus-Krankheit-2019 (COVID-19) bzw. der SARS-CoV-2- Erreger sind dort nicht aufgeführt.
2.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Abzustellen ist insoweit auf den typischen Adressaten- und Versichertenkreis der konkreten Bedingungen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei „aus sich heraus“, also ohne Heranziehung anderer Texte, auszulegen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (st. Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 22.1.2020, – IV ZR 125/18 -, r+s 2020, 222).
Betriebsschließungsversicherungen werden von gewerblich tätigen Versicherungsnehmern abgeschlossen, insbesondere von Betrieben, die mit der Lebensmittelherstellung oder -verarbeitung zu tun haben (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 IfSG). Bei solchen Unternehmen besteht die Gefahr, dass eine Behörde den Betrieb aufgrund von Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) schließt. Dabei handelt es sich regelmäßig um Betriebe, die einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb erfordern, weshalb man von den Inhabern oder Geschäftsführern jeweils entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Sorgfalt bei dem Durchlesen eines Vertragsformulars erwarten kann. Im Regelfall besitzen die Inhaber oder Geschäftsführer dieser Betriebe jedoch keine vertieften Kenntnisse medizinischer oder rechtlicher Art im Zusammenhang mit dem Inhalt des IfSG (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29.12.2020 – 2 O 5654/20 -, r+s 2021, 144).
2.2. Gemessen an diesem Maßstab wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung erkennen, dass die versicherten Krankheiten und Erreger in § 1 III AVB abschließend aufgezählt sind. Hierfür spricht bereits das Adjektiv „die folgenden“.
Er wird außerdem aus dem Zusammenhang des Adjektivs „folgenden“ mit „im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten“ erkennen, dass eine statische Verweisung auf das IfSG vorliegt und auch nicht alle dort aufgeführten Erkrankungen und Erreger zwangsläufig versichert sind, sondern nur die nachfolgend aufgezählten Krankheiten und Erreger.
Ein verständiger Versicherungsnehmer kann trotz des Zwecks des Versicherungsvertrages, ihn vor den Folgen von Betriebsschließungen aufgrund des IfSG zu schützen, nicht annehmen, sein Vertragspartner wolle ein unkalkulierbares Risiko eingehen. Denn „namentlich“ in den Versicherungsbedingungen benannte Bedrohungen durch bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger sind bekannt, in ihren Folgen grundsätzlich überschaubar und damit versicherungsmathematisch kalkulierbar. Eine Analogie zu allen vergleichbar hochriskanten Viren würde diese Einschätzung finanzieller Belastungen aus den Angeln heben (OLG Stuttgart, Urteil vom 18.2.2021 – 7 U 351/20 -, VersR 2021, 445).
Ungeachtet dessen würde auch im Falle einer dynamischen Verweisung auf das IfSG in seiner jeweils geltenden Fassung nicht dazu führen, dass die Klägerin Versicherungsleistungen beanspruchen könnte. Die „Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“ wurde als § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. t erst durch Gesetz vom 19.5.2020 mit Wirkung vom 23.5.2020 (BGBl. I S. 1018) in das IfSG aufgenommen. Zum Zeitpunkt des Eintritts des streitgegenständlichen Versicherungsfalls, also mit behördlicher Anordnung der Schließung zum 16. bzw. 17.3.2020 lag also auch nach § 6 IfSG noch keine meldepflichtige Krankheit vor. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch liegt also noch vor der entsprechenden Gesetzesänderung (LG Nürnberg-Fürth, aaO).
2.3. Mit einem solchen Verständnis der hier anzuwendenden Vertragsbestimmungen können auch eine objektive Mehrdeutigkeit und das Bestehen für den Versicherungsnehmer nicht behebbarer Zweifel nicht angenommen werden, so dass die Klägerin auch § 305c Abs. 2 BGB für sich nicht in Anspruch nehmen kann. Auch eine Gefährdung des Vertragszwecks der Betriebsschließungsversicherung ist offenkundig nicht anzunehmen, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Vertragsbestimmung, die eine statische Verweisung auf einen früheren Rechtszustand beinhaltet, verdeutlicht ausreichend, dass der Versicherungsschutz vor dem Hintergrund etwaiger Erweiterungen der Kataloge des IfSG ein teils lückenhafter ist. Die Regelung § 1 III AVB ist daher nicht intransparent und folglich auch nicht nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB als unwirksam anzusehen (OLG Stuttgart, aaO).
2.4. Nach der erfolgten Auslegung von § 1 III AVB liegt keine Regelungslücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen wäre (vgl. zu den Voraussetzungen der ergänzenden Vertragsauslegung MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2018, BGB, § 157 Rn. 38 ff).
II.
Da die Klägerin bereits in der Hauptsache unterliegt, weil sie keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat, steht ihr auch kein Anspruch auf Ersatz ihrer vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten zu.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.


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