Versicherungsrecht

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  25 O 22/20

Datum:
30.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41453
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Hof
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1
AVB Betriebsschließungsversicherung

 

Leitsatz

Verspricht der Versicherer einer im Jahre 1999 genommenen Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz für den Fall, dass der versicherte Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird, und definieren die Versicherungsbedingungen den Begriff “Seuchen” als “die im folgenden aufgeführten – nach dem BSG meldepflichtigen – Krankheiten”, ist von einer abschließenden Aufzählung auszugehen. Soweit eine Krankheit oder ein Krankheitserreger nicht in dem in den AVB enthaltenen Katalog enthalten ist (hier: COVID-19 und SARS-CoV-2), liegt daher im Falle der Schließung wegen des Auftretens dieser Krankheit oder des Krankheitserregers kein Versicherungsfall vor. (Rn. 27 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.690,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung.
1. Die Voraussetzungen eines Versicherungsfalles liegen nicht vor. Eine Betriebsschließung wegen Auftretens der neuartigen Krankheit Covid-19 bzw. des neuartigen Erregers SARS-CoV-2 ist nicht von der in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung umfasst.
a) Der Versicherungsfall ist im Versicherungsschein vom 27.07.1999 selbst nur allgemein als „Betriebsschließungsversicherung gegen Schäden infolge Seuchengefahr“ grob umrissen (Anlage K 2). Die nähere Konkretisierung des Vertragsinhalts einschließlich der unter den Versicherungsschutz fallenden Betriebsschließungen erfolgt durch die AVB. Dies ist für den Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsschein auch zweifelsfrei erkennbar, da unter dem Punkt „Vertragsbestandteil ist“ explizit auf die ABV in der Fassung BS 307/04 verwiesen wird.
b) Der Versicherungsumfang wird in § 1 AVB definiert. Danach fällt eine Betriebsschließung wegen des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nicht in unter den vertraglichen Versicherungsschutz.
aa) Bei der Auslegung von Versicherungsverträgen und -bedingungen ist vom Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszugehen, der ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und dabei die Interessen der Beteiligten und den erkennbaren Sinnzusammenhang berücksichtigt (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, Einleitung Rn. 116; Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 4).
bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist § 1 AVB dahingehend auszulegen, dass die neuartige Erkrankung Covid-19 ebenso wenig von den Versicherungsbedingungen erfasst ist wie das neuartige Coronavirus, weil die Aufzählung der Krankheiten in § 1 (2) AVB abschließend ist.
(1) Nach der mit „Gegenstand der Versicherung“ überschriebenen Klausel § 1 (1) lit. a) AVB gewährt der Versicherer Versicherungsschutz für den Fall, „dass von der zuständigen Behörde der versicherte Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird. […]“. Der Begriff „Seuchen“ wird in § 1 (1) lit. a) AVB nicht näher definiert, jedoch in § 1 (2) AVB, wo eine Aufzählung von Krankheiten enthalten ist.
Aus diesen Regelungen wird für den verständigen Versicherungsnehmer deutlich, dass § 1 (1) und (2) AVB zusammengelesen werden müssen und folglich nur solche Krankheiten eine Einstandspflicht des Versicherers auslösen sollen, die der Regelung des § 1 (2) AVB unterfallen. Mit anderen Worten versteht der verständige Versicherungsnehmer diese Systematik so, dass es sich bei § 1 (2) AVB um eine Konkretisierung bzw. nähere inhaltliche Definition von § 1 (1) AVB und nicht, wie die Klägerin meint, um eine Einschränkung des Versicherungsumfangs, handelt.
(2) Die Regelung des § 1 (2) AVB enthält nach ihrem Wortlaut („Seuchen sind die im folgenden aufgeführten – nach dem BSG meldepflichtigen – Krankheiten“) erkennbar eine Definition jener Krankheiten, für welche im Falle einer behördlichen Betriebsschließung Versicherungsschutz besteht. Diese Definition erfolgt unter Voranstellung der Formulierung „die im folgenden aufgeführten – nach dem BSG meldepflichtigen – Krankheiten“ mittels Aufzählung von Krankheiten. Diese Aufzählung erfasst weder die Krankheit Covid-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses 1999 freilich auch noch nicht bekannt gewesen sein konnten.
(3) Entscheidend kommt es daher darauf an, ob die Aufzählung in § 1 (2) AVB als abschließend zu verstehen ist oder aber der Einbeziehung neu aufgetretener Krankheiten und Erreger gegenüber offen ist. Diese Frage ist im erstgenannten Sinne zu entscheiden.
Bereits der Umstand einer namentlichen Aufzählung von Krankheiten in § 1 (2) AVB legt nahe, dass der Versicherer nur für diese besonderen aufgezählten und vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will. Zugleich wird der Versicherungsnehmer durch die Aufzählung der Krankheiten in die Lage versetzt, im Falle einer behördlichen Anordnung schnell feststellen zu können, ob ein potentieller Versicherungsfall vorliegt.
Die eigentliche Auslegung der Regelung hat vom Wortlaut auszugehen. Bereits dieser macht durch die Voranstellung der Formulierung „die im folgenden aufgeführten“ vor der Aufzählung an Krankheiten deutlich, dass letztere definitorisch-abschließend aufgelistet werden (ebenso Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 62; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253); a.A. Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075)).
Aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers wäre zu erwarten, dass für den Fall, dass bestimmte Krankheiten enumerativ aufgezählt werden, für die der Versicherungsfall gelten soll, es ausdrücklich klargestellt würde, wenn diese Aufzählung nicht abschließend sein soll, etwa durch Verwendung der Wörter „insbesondere“, „beispielsweise“ oder „etwa“ (ähnlich LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 36). Derartige verbalisierte Einschränkungen enthält § 1 (2) AVB jedoch gerade nicht.
Ein verständiger Versicherungsnehmer bezieht schließlich auch mit in die Betrachtung ein, dass Versicherer ihren Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legen und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämie setzen. Einem solchen verständigen Versicherungsnehmer muss es sich geradezu aufdrängen, dass bei einer Versicherungsprämie von 31,44 € im Jahr (wobei ausweislich der Anlage K1 lediglich ein Betrag von 13,90 € auf die Versicherung des Schließungsrisikos entfällt) einerseits und einer Leistungspflicht im Versicherungsfall von 223,- € pro Tag, begrenzt auf 6.690,- €, andererseits schon wegen der extremen Diskrepanz der Beträge bei gleichzeitig fehlender Kalkulierbarkeit des Risikos im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Krankheiten nicht vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen.
(4) Aus der Erwähnung des Bundesseuchengesetzes (BSG) in § 1 (2) AVB ergibt sich nichts anderes.
Das BSG galt bis 31.12.2000 und wurde zum 01.01.2001 durch das Infektionschutzgesetz (IfSG) ersetzt. Insofern stellt sich die Frage, ob zur Auslegung des vorliegenden Versicherungsvertrags auf die Nachfolgeregelungen im IfSG zurückgegriffen werden kann.
Der in Teilen der Literatur für neuere Vertragsbedingungen, die im Rahmen der Aufzählung auf §§ 6 und 7 IfSG Bezug nehmen, gezogene Schluss, dass es der Nennung der §§ 6 und 7 IfSG nicht bedurft hätte, wenn die Aufzählung einen abschließenden Katalog darstelle, weshalb die Inbezugnahme der §§ 6, 7 IfSG als dynamische Verweisung verstanden werden müsse (Armbrüster, VersR 2020, 577 (583); Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075); Reiff, COVuR 2020, 536 (538); im Ergebnis ebenso Rolfes, VersR 2020, 1021 (1023) und Korff, COVuR 2020, 4246 (2048)), ist nicht zwingend, lässt er doch die bereits vom Wortlaut der Klausel her naheliegende Möglichkeit, dass lediglich für beide Vertragsparteien aus Gründen der Klarstellung und Transparenz wiederholend die bereits in §§ 6, 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten aufgezählt werden, völlig außer Betracht. Gleiches muss im vorliegenden Fall gelten, in dem der Zusatz „nach dem BSG meldepflichtigen“ aufgenommen wurde. Die Interpretation einer wiederholende Erwähnung fügt sich auch in den Gesamtkontext der Norm (kumulative Verwendung mit der definitorischen Einschränkung „die im folgenden aufgeführten“, Syntax der Regelung; vgl. bereits unter (3)), während eine dynamische Verweisung im Gegensatz zur vorangehenden Formulierung „die folgenden“ stünde.
Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten und allgemein auf die Regelungen des BSG (bzw. der Nachfolgeregelungen der §§ 6 und 7 IfSG) zu verweisen (so etwa in dem der Entscheidung LG Mannheim, BeckRS 2020, 7522 zugrunde liegenden Fall („sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“)).
(5) Selbst wenn man eine dynamische Verweisung des § 1 (2) AVB auf die Bestimmungen des BSG bzw. die Nachfolgeregelungen in §§ 6, 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung unterstellt, könnte die Klägerin hierauf ihre Ansprüche nicht stützen. Die Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) und der Erreger SARS-CoV-2 waren im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht explizit im IfSG erwähnt und wurden erst zum 23.05.2020 unter lit. t) in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG bzw. unter Nr. 44a in § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG aufgenommen. Dass Covid-19 unter § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG i.d.F. vom 01.03.-22.05.2020 („einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist“) subsumiert werden konnte (siehe dazu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 18-20; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)), führt zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund der nachvollziehbaren Aussparung einer dynamischen Entwicklungen Rechnung tragenden Auffangklausel (siehe dazu bereits (4)) und dem Kriterium der definitorischen Einschränkung auf die „im folgenden aufgeführten Krankheiten“ in § 1 (2) AVB könnte sich eine dynamische Verweisung hinsichtlich ihrer Reichweite allenfalls auf die jeweils in der jeweils aktuellen Fassung der §§ 6, 7 IfSG namentlich bezeichneten Krankheiten und Erreger beziehen.
(6) Insgesamt ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer aus dem Gesamtbild der Regelung des § 1 AVB im relevanten Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne hinreichenden Zweifel, dass der Versicherer nicht für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Infektionskrankheiten einstandspflichtig sein wollte, sondern eben nur hinsichtlich jener Krankheiten und Erreger, die bereits bekannt waren und explizit im Rahmen der Aufzählung aufgeführt wurden. Gerade im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt auch der grundlegende, wesentliche Unterschied zur Entscheidung LG München I vom 01.10.2020, COVuR 2020, 640, auf welche die Klägerseite in ihrem Schriftsatz vom 02.12.2020 offenbar Bezug nimmt. Im dortigen Fall wurde ausweislich des Versicherungsbeginns am 01.03.2020 (siehe a.a.O. Rn. 4) der Versicherungsvertrag bereits in Kenntnis der neuartigen Krankheit bzw. des neuartigen Coronavirus geschlossen.
c) Da § 1 (2) AVB als Teil der Definition und gerade nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen ist (siehe oben), stellt sich die Frage einer überraschenden oder den Versicherten unangemessen benachteiligenden Klausel überhaupt nicht. Der klägerische Verweis auf §§ 305c Abs. 2, 307 Abs. 1 BGB geht mithin fehl (für eine Vereinbarkeit der Klausel mit beiden Normen indessen Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253)).
d) Eine analoge Anwendung des § 1 AVB wegen der Neuartigkeit des Coronavirus bzw. der von ihm ausgelösten Krankheit Covid-19 auf den Versicherungsvertrag scheidet von vornherein aus. Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH, NJW 2006, 1876 Rn. 8; Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17; vgl. auch BGH, NJW 1992, 753). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die Coronavirus-Pandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts (ebenso Rixecker, a.a.O. Rn. 18 u. 62; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)). Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs (siehe oben) für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (Rixecker, a.a.O. Rn. 62).
2. Da jedenfalls kein versicherter Fall einer Betriebsschließung vorliegt, kann dahinstehen, ob die Allgemeinverfügungen vom 16./17.03.2020 wirksam waren, ob der Betrieb der Klägerin vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob vorliegend eine Summen- oder eine Schadensversicherung abgeschlossen wurde.
3. In Ermangelung eines Hauptsacheanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Zinsen oder Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
4. Die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 02.12.2020 sowie der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 21.12.2020 gaben keine Veranlassung, wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten (§ 156 ZPO).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III.
Der Streitwert war in der Höhe des geltend gemachten Leistungsanspruchs festzusetzen, §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.


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