Versicherungsrecht

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie – Teilschließung

Aktenzeichen  095 O 2144/20

Datum:
26.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2987
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 6, § 7
AVB Betriebsschließungsversicherung

 

Leitsatz

1. Verspricht der Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung in seinen AVB Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt, besteht Versicherungsschutz nur bei einer behördlich angeordneten vollständigen Schließung (Anschluss an LG München I BeckRS 2020, 23061). (Rn. 33 und 36 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Demgemäß ist der Versicherungsfall in der Betriebsschließung nicht eingetreten, wenn der versicherte Hotelbetrieb aufgrund behördlicher Anordnungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zwar keine Gäste zu privaten touristischen Zwecken, jedoch weiterhin Geschäftsreisende beherbergen durfte. Die unternehmerische Entscheidung des Versicherungsnehmers, das von ihm betriebene Hotel aufgrund der geringen Auslastung zu schließen und so Kosten zu sparen, führt nicht dazu, dass dadurch der Versicherungsfall ausgelöst wird. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Die Klägerin kann nicht mit Erfolg gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von € nebst Zinsen aus dem zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherungsvertrag geltend machen.
Der Anspruch scheitert bereits daran, dass das von der Beklagten in Augsburg betriebene Hotel nicht durch die zuständige Behörde geschlossen worden war. Durch die Maßnahmen im Jahr 2020 im Zuge der Corona-Pandemie war durchgängig ein Hotelbetrieb möglich – lediglich die Beherbergung von Gästen, die zu privaten touristischen Zwecken unterwegs waren, war untersagt.
I.
Wie sich im Zuge der informatorischen Anhörung und auch aus den klägerischen Schriftsätzen ergibt, wurden über den 21.03.2020 bzw. den 30.03.2020 hinaus im von der Klägerin betriebenen Hotel die nach diesem Zeitraum vorliegenden Buchungen von zulässigen Gästen nicht storniert und die entsprechenden Gäste auch beherbergt. Erst ab Anfang Mai 2020 sei dann das Hotel gesamt geschlossen gewesen.
Ähnlich verlief es auch im Herbst 2020. Auch hier wurden die gebuchten Gäste über den 30.10.2020 hinaus beherbergt. Circa um den 18.12.2020 habe dann der letzte Gast das Hotel verlassen.
1. Anhand dieser Angaben ergibt sich, dass die Bestimmungen in der Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 bzw. in der Bay. Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona Pandemie vom 27.03.2020 ab Frühjahr 2020 entsprechend umgesetzt wurden. Die Zuverfügungstellung von Hotels und Beherbergungsbetrieben zu privaten touristischen Zwecken war untersagt; ausgenommen davon waren Hotels und Beherbergungsbetriebe, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnahmen.
2. Ab Herbst 2020 wurde mit Allgemeinverfügung für das Stadtgebiet Augsburg vom 29.10.2020 unter Ziff. 8. Bestimmt, dass der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken untersagt ist. Ausgenommen davon war die Beherbergung von Geschäftsreisenden und Gästen für nicht private touristische Zwecke. Vergleichbares war dann auch in der 8. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30.10.2020, in Kraft getreten am 02.11.2020, dort unter § 14, geregelt: „Übernachtungsangebote dürfen von Hotels, Beherbergungsbetrieben, Schullandheimen, Jugendherbergen, Campingplätzen und allen sonstigen gewerblichen Unterkünften nur für glaubhaft notwendige, insbesondere für berufliche und geschäftliche Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken sind untersagt.“ Diese Regelung wurde dann in der 9., 10. und 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung weitergeführt.
II.
Nach den Versicherungsbedingungen wird aber Entschädigung geleistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb schließt.
Darunter ist die behördlich angeordnete Schließung zu verstehen und zwar im Sinne einer vollständigen Schließung (dazu vgl. im Ergebnis auch LG München I, Urteil vom 17.09.2020, 12 O 7208/20; offen gelassen in LG Wiesbaden, Urteil vom 03.11.2020, 9 O 1111/20; anders: LG Darmstadt, Urteil vom 09.12.2020, 4 O 220/20).
Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass es bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen auf einen durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ohne besondere Kenntnisse im Versicherungsrecht ankommt. Dabei kann vorliegend zusätzlich berücksichtigt werden, dass sich Betriebsschließungsversicherungen an Gewerbetreibende richten und diese die Versicherungsbedingungen mit der gebotenen Sorgfalt von unternehmerisch Tätigen prüfen. Ausschlaggebend ist, wie diese das Bedingungswerk bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht, unter Abwägung der Interessen der am Versicherungsvertrag Beteiligten und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 08.01.2020, IV ZR 240/18).
Auszulegen sind die Versicherungsbedingungen aus sich heraus; auf die Entstehungsgeschichte bzw. den Vergleich mit anderen Versicherungsbedingungen, die in Versicherungsnehmer im Zweifel nicht kennt, kommt es nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 22.1.2014 – IV ZR 343/12).
1. Dass es sich nur um eine vollständige Schließung handeln kann, ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bereits aus der Wortbedeutung des Begriffs „schließen“. Unter Bezugnahme auf Duden – Wörterbuch (www.duden.de) können mit „schließen“ zahlreiche Bedeutungen einhergehen (etwa „bei einer Sache bewirken, dass sie nach außen zu ist“, „in eine solche Stellung bringen, dass dadurch etwas geschlossen wird“, „undurchlässig oder unpassierbar machen“, „sich zusammen legen/zusammenfalten“, „etwas für beendet erklären“ oder auch „etwas einstellen bzw. ruhen lassen“.
Im hier maßgeblichen Kontext kommt der Bedeutung, dass etwas undurchlässig wird oder auch bewirkt wird, dass eine Sache nach außen abgeschlossen ist bzw. nach außen zu ist, der zentrale Sinn zu. „Zu“ ist in Bezug auf den versicherten Betrieb des Hotels erst dann, wenn keinerlei Gäste aufgrund des behördlichen Tätigwerdens beherbergt werden können. Auch die Wortbedeutungen „undurchlässig oder unpassierbar“ beinhalten einen gänzlichen Ausschluss jeglicher Gäste.
2. Diese Bedeutung, nämlich eine vollständige Schließung, ergibt sich auch unter Berücksichtigung der weiteren Regelung am Ende des § 1 Nr. 1 a AVB BS 2002. Dort ist die Rede davon, dass Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte einer Betriebsschließung gleichgestellt sind. Für diese Alternative ist also Voraussetzung, dass keinerlei Mitarbeiter mehr für die Aufrechterhaltung des Betriebs zur Verfügung steht. Ein auch nur in geringem Umfang einsetzbares Personal würde die Voraussetzungen von § 1 Nr. 1 a AVB BS 2002 nicht erfüllen.
3. Versicherungsbedingungen sind, wie auch sonstige Allgemeine Geschäftsbedingungen, nach einem objektivgeneralisierenden Maßstab auszulegen.
a. Nach ständiger Rechtsprechung gilt für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Grundsatz der objektiven Auslegung abgesehen vom Vorrang eines anderweitigen übereinstimmenden subjektiven Parteiwillens (vgl. MüKoBGB/Basedow, 8. Aufl. 2019, BGB § 305c Rn.33-40). Entsprechend sind auch Versicherungsbedingungen auszulegen.  Es kommt auf das Verständnis der Versicherten in ihrer Gesamtheit an. Der tragende Grund für eine solche Auslegung liegt im Massencharakter der unter Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geschlossenen Verträge und dem Gleichfluss des Eintritts eines Versicherungsfalls (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14.6.2006 IV ZR 54/05 und Notthoff, Umfang des Versicherungsschutzes der Betriebsschließungsversicherung im Falle der hoheitlichen Schließungsanordnung in r+s 2020 551).
Nur wenn eine Vertragsklausel von den Parteien übereinstimmend in einem bestimmten Sinn verstanden worden wäre, geht diese übereinstimmende Vorstellung, vergleichbar einer Individualvereinbarung bei AGBs, dem objektiven Maßstab vor.
b. Dass die Vertragsklausel des § 1 Nr.1 a AVB BS 2002 die Bedeutung „weitgehend behördliche Teilschließung“ oder „behördlich angeordnete Einschränkung des Betriebs“ beinhalten sollte und dies von beiden Vertragsparteien auch in diesem bestimmten Sinn verstanden und dem Vertrag zugrunde gelegt worden ist, wird von Klägerseite so schon nicht vorgetragen und ergibt sich auch nicht aus den bekannten Umständen des Falles.
Die Klägerin hat keine konkreten Umstände zu den Erklärungen der Parteien anlässlich des Vertragsabschlusses vorgetragen, aus denen sich ein übereinstimmendes, über den Bedingungswortlaut hinausgehendes oder von diesem abweichendes Verständnis des Begriffs „schließt“ ableiten lässt.
c. Auch die Berücksichtigung der Regelungen zum Umfang der Entschädigungsleistung führt zu keinem anderen Ergebnis. In § 2 der AVB BS 2002 ist die Entschädigungsberechnung näher bestimmt. Demnach ersetzt der Versicherer im Falle einer Schließung den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung für eine bestimmte Dauer, wobei die Tage, an denen der Betrieb sowieso geschlossen gewesen wäre, nicht als Schließungstage zählen sollen. Aus Seite 3 des Versicherungsscheins ergibt sich eine vereinbarte Tagesentschädigung von .
Eine Bestimmung zur Berechnung oder näheren Festlegung der Tagesentschädigung bei nur teilweiser Schließung findet sich gerade nicht.
d. Die nachvollziehbare unternehmerische Entscheidung, das von der Klägerin betriebene Hotel aufgrund der geringen Auslastung zu schließen und so Kosten zu sparen, führt nicht dazu, dass dadurch der Versicherungsfall ausgelöst wird. Denn auch nach den zu berücksichtigenden Interessen eines Versicherungsnehmers auf der einen Seite nach einem möglichst umfassenden Schutz und den auf der anderen Seite zu berücksichtigenden Interessen des Versicherers nach einem weitgehend eingegrenztem, kalkulierbaren Risiko, kann der Eintritt eines Versicherungsfalls nicht allein von der individuellen Entscheidung des Versicherungsnehmers abhängen, der weitere Betrieb des versicherten Unternehmens lohne sich aufgrund bestimmter Umstände (Reisebeschränkungen, Reisewarnungen, Absagen von Messen und Tagungen, Einschränkungen hinsichtlich der Gäste, denen Beherbergungleistungen angeboten werden können) für einen bestimmten Zeitraum nicht und er mache dafür den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag geltend.
e. Im Übrigen würde eine Auslegung des Begriffs „schließt“ im Sinne einer „weitgehend behördlichen  Teilschließung“ dazu führen, dass schon fraglich wäre, ob mangels Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag überhaupt noch angenommen werden kann.
In § 1 Nr. 1 AVB BB 2002 findet sich das Hauptleistungsversprechen für einen bestimmten Fall der Betriebsschließungsversicherung. Wenn unter „schließt“ eine weitgehend behördliche Teilschließung  anzunehmen wäre, bliebe ungeklärt, ob für eine „weitgehend behördliche Teilschließung“  bereits eine Schließung von mehr als 50 % – gemessen an welchen Kriterien? – oder etwa erst eine Schließung von über 95 % – gemessen an welchen Kriterien? – ausreicht. Dann wäre bereits die Leistungsbeschreibung selbst nicht definiert und der gewährte Versicherungsschutz nicht klar umrissen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 13.07.1994, IV ZR 33/92: „…Kontrollfrei bleiben bloße Leistungsbeschreibungen. Solche Beschreibungen legen Art, Umfang und Güte der geschuldeten  Leistungen fest, lassen aber die für die Leistungen geltenden gesetzlichen Vorschriften  unberührt. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten  oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt für die der Überprüfung  entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann …..“ und BGH, Urteil  vom 21-04-1993 – IV ZR 33/92, sowie LG Köln, Urteil vom 09.12.2020, 20 O 194/20: „…Es ist bereits fraglich, ob eine Inhaltskontrolle nach der vorbezeichneten Vorschrift überhaupt zulässig ist, denn primäre Leistungsbeschreibungen sind grundsätzlich nicht auf ihre Angemessenheit … überprüfbar …..“)
4. Der Klage hilft auch nicht der Verweis auf zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung zu Betriebsschließungsversicherungen zu Gastronomiebetrieben zum Erfolg (vgl. klägerischen Vortrag in der Replik, dort Seite 13; Bl. 80 d. Akte).
Denn der Klägerin war es gestattet, den Kernbereich ihres Betriebes durchgehend offen zu halten – es wurden Einschränkungen auf Seite der Gäste getroffen, da Hintergrund der Beherbergung jedenfalls kein touristischer Zweck sein durfte.
Im Gegensatz dazu war bei Gastronomiebetrieben – mit Ausnahme von bestimmten Betriebskantinen (vgl. jedenfalls die 8. Bay. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung) – das Bewirten und Verköstigen jeglicher Gäste im versicherten Betrieb untersagt. Allein der sog. Außerhausverkauf war gestattet. Soweit es sich um klassische Gaststätten handelt, die ausschließlich Essen für den Verzehr vor Ort anboten, käme eine Schließung im Sinne der Versicherungsbedingungen in Betracht, da der Betrieb in Form der „Bewirtung von Gästen vor Ort“ untersagt wurde. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass derartige gastronomische Betriebe in ihrem Kernbetrieb – Aufenthalt von Gästen im Inneren der Gaststätte, Bewirtung und Verköstigung im Inneren der Gaststätte – umfänglich getroffen wurden – im Gegensatz zur Klägerin als Hotelbetreiberin.
III.
Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Zins.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


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