Versicherungsrecht

Versicherungsfall, Krankheit, Betriebsschließungsversicherung, Krankheitserreger, Corona, Meldepflichtig, überraschende Klausel, Transparenz, Allgemeine Versicherungsbedingungen

Aktenzeichen  34 O 1277/20

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34790
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 305c, § 307 Abs. 1 S. 2
IfSG § 6 Abs. 1 S. 1, § 7, § 28a

 

Leitsatz

Zählen Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung meldepflichtige Krankheiten, die zu einem Versicherungsfall führen können, “im Folgenden namentlich” (ohne das Sars-Cov-2 Virus) auf, so löst eine coronabedingte Maßnahme keinen Versicherungsfall aus. (Rn. 46 – 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 124.614,30 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Versicherungsleistung in Höhe der Klageforderung aus der zwischen den Parteien im Jahre 2013 vereinbarten Betriebsschließungsversicherung.
Denn es liegt kein Versicherungsfall nach § 1 Nr. 1 a, Nr. 2 der unstreitig vereinbarten AVBBS (2008) vor. Denn die Betriebsschließung erfolgte zur Vermeidung der Ausbreitung des Corona-Virus, weiches nicht in der Liste der namentlich genannten, versicherten Krankheiten und Krankheitserregern der AVBBS genannt ist.
Dies ergibt die Auslegung der streitgegenständlichen AVBBS. Dabei ist grundsätzlich auf den Klauselwortlaut (BGH VersR 2012, 48 Rn. 14) und auf die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse abzustellen, der die AVB aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges – würdigt (BGHZ 123, 83 = VersR 1993, 957; BGH VersR 2012, 48 Rn. 13 ff.; BGHZ 211, 51 = VersR 2016, 1177 Rn. 17; OGH VersR 2006, 1286). Es handelt sich um eine objektive Auslegung (BGH VersR 2012, 89 Rn. 5) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH VersR 2009, 1617).
Nach ihrem Wortlaut versteht der verständige Versicherungsnehmer den Gegenstand der Versicherung so, dass es sich bei § 1 Nr. 2 AVBBS um eine Konkretisierung bzw. nähere inhaltliche Definition von § 1 Nr. 1 AVBBS und nicht um eine Einschränkung des Versicherungsumfangs handelt. § 1 Nr. 2 der AVBBS zählt insoweit abschließend die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger auf, bei deren Auftreten eine behördlich angeordnete Betriebsschließung versichert wäre. Das Corona-Virus ist in dieser Aufzählung nicht enthalten.
Denn aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers wäre eine nicht abschließende Aufzählung durch die Verwendung von Wörtern wie „insbesondere“, „beispielsweise“ oder „etwa“ (ähnlich LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 36) gekennzeichnet. Derartige Einschränkungen enthält § 1 Nr. 2 AVBBS vorliegend jedoch nicht, sondern definiert schlicht wie folgt: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die im Folgenden aufgeführten – nach dem lfSG meldepflichtigen – a) namentlich genannten Krankheiten: (…)“
Ersichtlich handelt es sich damit um eine eigene Definition und nicht um einen Verweis auf das IfSG. Die kumulative Verwendung von „sind“, „im Folgenden“ und „namentlich genannten“ macht hierbei deutlich, dass das Wort „namentlich“ im Sinne von „mit Namen genannten“ gebraucht wird. Hier muss der Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung des Begriffs „folgenden“ daher davon ausgehen, dass die nachfolgende Liste abschließend ist. Dafür spricht auch, dass eben die Generalklauseln des IfSG nicht „namentlich genannt“ werden und auf diese auch nicht konkret verwiesen wird. Durch die Tatsache der Aufzählung von bestimmten „namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserregern drängt es sich dem verständigen Versicherungsnehmer auf, dass diese Aufzählung nicht deckungsgleich mit allen nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern sein wird, da sie ansonsten überflüssig wäre. Hierfür streitet auch der erkennbare Sinn und Zweck der Aufzählung, der darin liegt, dass der Versicherer keinen Schutz für insbesondere künftige, bisher unbekannte meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht im Hinblick auf die Prämienkalkulation einschätzen kann, sondern eben nur für die bekannten, aufgezählten.
Eine dynamische Verweisung auf das IfSG ist für den verständigen Versicherungsnehmer entgegen der Ansicht der Klagepartei dem Wortlaut der AVBBS nicht zu entnehmen. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten. Vielmehr sollen offenbar die Versicherungsbedingungen ohne solche Verweise auskommen und definieren daher selbst die Begriffe „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“. Denn das IfSG wird nur im ersten Absatz des § 1 Nr. 1 AVBBS genannt, um klarzustellen, dass die Betriebsschließung aufgrund des IfSG ergehen muss, um versichert zu sein. Ferner wird in § 1 Nr. 2 IfSG mitgeteilt, dass es sich bei den genannten Krankheiten um „meldepflichtige nach dem IfSG -“ handelt. Aus diesen zwei Hinweisen auf das IfSG kann aber keine dynamische Verweisung auf das IfSG dergestalt abgeleitet werden, dass jegliche Krankheiten, die das IfSG in seiner jeweils aktuellen Form als meldepflichtig bezeichnet, als Auslöser der Betriebsschließung versichert sein sollen. Denn diese Hinweise auf das IfSG haben lediglich informatorischen Charakter. Aus dem Fehlen der konkreten Bezugnahme auf das IfSG und aus der weitreichenden und erschöpfenden Aufzählung in § 1 Nr. 2 AVBBS kann wiederum geschlossen werden, dass das IfSG eben nicht maßgeblich sein soli, sondern dass die AVBBS aus sich heraus verständlich sein sollen und den Versicherungsumfang selbst definieren wollen, sodass der Liste keine bloß klarstellende Funktion zukommen soll. Eine solche Funktion könnte diese Liste im Hinblick auf neu hinzutretende oder abgeschaffte Meldepflichten auch überhaupt nicht erfüllen.
Bei Abschluss der Versicherung im Jahr 2013 konnte die Klägerin nach Lektüre der AVBBS nicht erwarten, die Beklagte wolle auch Versicherungsschutz für alle künftig auftretenden neuartigen Krankheitserreger während des gesamten Laufs des Vertragsverhältnisses bieten.
§ 5 Nr. 1 b) dd) AVBBS hat folglich klarstellende Funktion und ist nicht überraschend imSinne des § 305 c BGB. Denn dieser weist unter der ausdrücklichen Überschrift „Ausschlüsse für Schäden“ lediglich darauf hin, dass Schäden aus Krankheiten und Krankheitserregern, die – wie das Corona-Virus – nicht unter § 1 Nr. 2 AVBBS genannt sind, nicht versichert sind.
Im Ergebnis sind die streitgegenständlichen AVBBS für den Versicherungsnehmer ersichtlich objektiv darauf ausgelegt, aus sich heraus verständlich zu sein. Eine abschließende Aufzählung ist nicht ungewöhnlich und soll beiden Vertragspartnern Sicherheit geben sowie Auslegungsprobleme gerade vermeiden. Ferner kann der Versicherer auf dieser Grundlage sein Risiko und damit die Prämie kalkulieren, was für den verständigen Versicherungsnehmer erkennbar ist.
Entgegen der Auffassung der Klagepartei ist § 1 AVBBS in sich auch nicht widersprüchlich. Zwar ist richtig, dass in Nr. 1 a) die Betriebsschließung aufgrund „von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern“ versichert ist, ohne eine diesbezügliche Eingrenzung zu enthalten. Jedoch steht dort auch nichts „von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern nach dem IfSG“. Da also die „meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger“ nach § 1 Nr. 1 a) AVBBS definierungsbedürftig sind, wurde § 1 Nr. 2 AVBBS eingefügt, und zwar in Form einer abschließenden Liste, siehe oben. Nach alledern wird der Versicherungsnehmer gerade nicht auf das IfSG und die dortigen Definitionen und Generalklauseln in widersprüchlicher Weise verwiesen. Um den Versicherungsumfang zu erkennen, muss der Versicherungsnehmer vorliegend gerade keinen Vergleich mit dem IfSG anstellen, sondern die Lektüre der AVBBS zeigt ihm klar und eindeutig, welche Krankheiten und Krankheitserreger unter den Gegenstand der Versicherung fallen, nämlich nur die bekannten, aufgezählten.
Auch im Wege der Analogie ist eine Auslegung der Klausel nicht dahingehend möglich, dass das Corona-Virus und die Krankheit Covid-19 ebenfalls vom Versicherungsschutz umfasst sind, Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH, NJW 2006, 1876 Rn. 8; Rixecker, in: Schmidt (hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17; vgl. auch BGH, NJW 1992, 753). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die Coronavirus-Pandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts (ebenso Rixecker, a.a.O. Rn. 18 u. 62; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022). Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (Rixecker, a.a.O. Rn, 62), Hierfür streitet auch der für den Versicherungsnehmer erkennbare Sinn und Zweck der umfassenden Aufzählung, der darin liegt, dass der Versicherer keinen Schutz für künftige meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht einschätzen kann. Die Pandemie als unerwartete Gefahrenlage wäre im Übrigen als ähnlich den „Großschadensereignissen“ zu bewerten, welche in § 5 Nr. 2 AVBBS unter dem Punkt „Allgemeine Ausschlüsse“ gerade nicht versichert sind.
Die Klauseln, über die das Landgericht München I in seinen Endurteilen vom 01.10.2020 (Az. 12 O 5895/20) und vom 22.10.2020 (Az. 12 O 5868/20) zu entscheiden hatte, sind nicht identisch mit den streitgegenständlichen, von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen, sodass auf diese Urteile nicht weiter einzugehen ist. Es bleibt festzustellen, dass die hier streitgegenständliche Klauseln aufgrund der obigen Ausführungen nicht gegen § 305c BGB und § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoßen. Da § 1 Nr. 2 AVBBS als Teil der Definition und gerade nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen ist (siehe oben), stellt sich die Frage einer überraschenden oder den Versicherten unangemessen benachteiligenden Klausel hier nicht. Insgesamt ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer aus dem Gesamtbild der Regelung des § 1 AVBBS im relevanten Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf ausreichend transparente Weise, dass der Versicherer nicht für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Infektionskrankheiten einstandspflichtig sein wollte, sondern eben nur hinsichtlich jener Krankheiten und Erreger, die bereits bekannt waren und explizit im Rahmen der Aufzählung aufgeführt wurden. Gerade im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt auch der grundlegende, wesentliche Unterschied zur Entscheidung LG München 1 vom 01.10.2020 (NJW-RR 2020, 3461). Im dortigen Fall wurde ausweislich des Versicherungsbeginns am 01.03.2020 der Versicherungsvertrag bereits in Kenntnis der neuartigen Krankheit bzw. des neuartigen Coronavirus geschlossen.
Nachdem schon kein Versicherungsfall vorliegt, können die von der Beklagtenpartei zusätzlich geäußerten bedenkenswerten Argumente gegen ihre Haftung dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO. Der Streitwert bestimmt sich nach dem Klageantrag, § 3 ZPO.


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