Verwaltungsrecht

Abgewiesene Asylklage eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  Au 6 K 16.30062

Datum:
22.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3e, § 4 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Grundsätzlich ist Kabul für einen afghanischen Staatsangehörigen in Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage und die Möglichkeit, dort den Lebensunterhalt sicherzustellen, als inländische Fluchtalternative geeignet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid des Bundesamtes vom 12. Januar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG und auf Anerkennung als Asylberechtigter. Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Es ist Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Davon ausgehend ist, selbst wenn man zugunsten des Klägers entgegen der Auffassung der Beklagten unterstellt, dass der Kläger tatsächlich bereits im Juli 2012 nach Afghanistan zurückgekehrt ist, zumindest sein weiteres Vorbringen zu den angeblich erlittenen Beeinträchtigungen nicht glaubhaft. Sein Vorbingen ist in wesentlichen Teilen widersprüchlich zum Vorbringen bei seiner Anhörung beim Bundesamt. So gab er dort noch an, dass einer von der Mafiagruppe ihn angesprochen habe, warum er nicht zum Freitagsgebet gehe. Diesem habe er gesagt, dass es wichtiger sei, Geld für die Familie zu verdienen als zum Freitagsgebet zu gehen. Der Geldeintreiber habe dann zu ihm gesagt, dass er bestimmt Christ sei. Daraufhin habe er dem Geldeintreiber gesagt, die Christen seien in jedem Fall noch besser als er. Dagegen hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, dass er mit den Geldwechslern oft über Religion diskutiert habe. Diese hätten ihn gefragt, wieso er nicht bete. Zu diesen habe er dann auch gesagt, dass es für ihn wichtiger sei, für die Familie zu sorgen statt in die Moschee zu gehen. Sie hätten ihn daraufhin verdächtigt, dass er aus Europa komme und eventuell zum Christentum konvertiert sei. Sie, das seien die Geldwechsler. Manchmal habe er auch die Christen in Schutz genommen. Er habe kein gutes Verhältnis zu den Geldwechslern gehabt. Begründet hat der Kläger dies in der mündlichen Verhandlung damit, dass er bereits nach kurzer Zeit viele Kunden gehabt hätte und die Konkurrenten sich darüber gewundert hätten. Die Kollegen hätten dann dem Schutzgelderpresser gesagt, dass er jetzt Christ sei. Daraufhin seien die Geldsammler zu ihm gekommen und hätten ihn massiv geschlagen.
Auffällig ist insoweit bereits, dass die Aussagen großteils inhaltlich fast wörtlich identisch sind und wie auswendig gelernt wirken. Nur eben mit einem großen Widerspruch in einem wesentlichen Detail: Während er beim Bundesamt noch vortrug, dass einer von der Mafiagruppe mit ihm die religiösen Gespräche geführt und ihn unter Druck gesetzt habe, zur Moschee zu gehen, und ihn verdächtigt habe, konvertiert zu sein, trug er beim Verwaltungsgericht vor, dass seine Kollegen, die Geldwechsler, mit ihm über Religion diskutiert und ihn daraufhin verdächtigt hätten, konvertiert zu sein. Diese hätten ihn dann bei der Person von der Mafia „angeschwärzt“. Von einem Konflikt mit den Geldwechslern hat er dagegen beim Bundesamt nichts erwähnt.
Vor dem Verwaltungsgericht steigerte er sein Vorbringen auch insofern, als er beim Bundesamt ausführte, er habe nach dem Schlag mit dem Kolben der Kalaschnikow „gelegen und geblutet“, in der mündlichen Verhandlung hat er demgegenüber berichtet, dass er „in Ohnmacht gefallen“ sei. Dies ist eine wesentliche Steigerung seines Vorbringens, um offensichtlich die asylerhebliche Bedrohungssituation gravierender darzustellen als beim Bundesamt.
Widersprüchlich ist sein Vortrag auch insoweit, als er beim Bundesamt vorgetragen hat, zuerst von einem Mann geohrfeigt und dann von allen vieren angegriffen und geschlagen worden zu sein und schließlich auch die herumstehenden Personen mitgemacht hätten. Schließlich sei noch die Polizei dazugekommen. Dem gegenüber hat er beim Verwaltungsgericht nur von den vier Geldeinsammlern und der Wache vom Bezirksgericht gesprochen. Dass die herumstehenden Personen ihn auch noch geschlagen hätten, hat er nicht berichtet. Widersprüchlich ist des Weiteren, dass er beim Bundesamt erklärt hat, er sei danach einen Monat lang zu Hause gewesen, beim Verwaltungsgericht sind bis zur Ausreise zweieinhalb Monate vergangen.
Selbst wenn man das Vorbringen jedoch als wahr unterstellen würde, würden die vorgetragenen Fluchtgründe die asylerheblich relevante Schwelle nicht überschreiten. Eine Gefahr für Leben und Freiheit bestand dadurch nicht.
Zudem ist der Kläger selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens darauf zu verweisen, sich innerhalb von Kabul in einem anderen Stadtteil oder einer anderen größeren Stadt in Afghanistan aufzuhalten. Es spricht vorliegend nichts dafür, dass sich der Kläger durch seine selbstständige Tätigkeit als Geldwechsler derart exponiert hat, dass er in der Anonymität einer Millionenstadt wie Kabul nicht in einem anderen Stadtteil sicher leben könnte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der angebliche Vorfall nun schon fast drei Jahre zurückliegt. Allein die pauschale Behauptung, die Mafia würde ihn überall finden, überzeugt nicht. Auch wenn er vielleicht für afghanische Verhältnisse bereits etwas älter ist, wird es ihm doch aufgrund seiner Lebenserfahrung und seines Bildungsstandes gelingen, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, vor allem da sein Vater ebenfalls noch in Kabul lebt.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden i. S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm durch die vorgetragene Bedrohung durch die Geldeintreiber bei einer Rückkehr ein ernsthafter Schaden i. S. des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht. Sein Vorbringen ist insoweit, wie bereits ausgeführt, nicht glaubhaft.
b) Selbst wenn man die Angaben des Klägers jedoch als wahr unterstellen wollte, wäre der Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verweisen. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gilt § 3e AsylG entsprechend.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls in einem anderen Stadtteil in Kabul oder in einer anderen größeren Stadt in Afghanistan keiner Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. Nr. 1 b am Ende). Grundsätzlich ist Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v.19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris). Aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2015 zur Lage in Afghanistan (im Folgenden: Lagebericht) ergibt sich nicht, dass sich die Sicherheitslage in Kabul im Vergleich zur Einschätzung in den vorangegangenen Lageberichten verändert habe. Darin war die Sicherheitslage in Kabul unverändert als stabil beschrieben worden. Nach dem Lagebericht vom 4. Juni 2013 habe die Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Berichtszeitraum im Vergleich zum Vorjahr leicht abgenommen, der Trend setze sich fort (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 28.1.2014 – 13a ZB 13.30390 – juris Rn. 6). Nach dem Lagebericht vom 31. März 2014 habe der Indikator, der u. a. die sicherheitsrelevanten Zwischenfälle erfasse, im Jahr 2013 leicht abgenommen (Lagebericht vom 31.3.2014, S. 4). Zwar sei ein Anstieg von zivilen Opfern um 23% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Dass dieser Anstieg jedoch die Sicherheitslage in Kabul derart gravierend verschlechtert hat, dass der Kläger Gefahr liefe, dort alsbald einer extremen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt zu sein, ergibt sich auch aus den aktuellen Auskünften nicht (s. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5).
Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Ka- bul in einem anderen Stadtteil oder in anderen größeren Stadt wie Herat sicher- stellen kann (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5). Auch wenn hierfür mehr zu fordern ist als ein kümmerliches Einkommen zur Finanzierung eines Lebens am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20), ist doch vernünftigerweise zu erwar- ten, dass der Kläger sich dort aufhält und seinen Lebensunterhalt dort sicherstellt.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird insoweit ebenfalls Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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