Verwaltungsrecht

Ablehnung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  B 6 S 18.1175

Datum:
20.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 51617
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80
AufenthG § 27, § 28
ARB 1/80 Art. 6

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Am 05.10.2016 heiratete er in der Türkei eine deutsche Staatsangehörige und reiste am 29.08.2017 mit einem nationalen Visum zum Zweck der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf seinen Antrag vom 05.09.2017 erteilte ihm das Landratsamt … am 15.09.2017 eine bis zum 31.08.2018 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
Am 17.04.2018 zogen der Antragsteller und seine Ehefrau in den Landkreis … Am … wurde die gemeinsame Tochter des Antragstellers und seiner Ehefrau in … geboren.
Mit Schreiben vom 25.06.2018 teilte eine Rechtsanwältin unter Vorlage einer Vollmacht der Ehefrau des Antragstellers der Ausländerbehörde mit, die Ehefrau habe sich vom Antragsteller getrennt und wohne jetzt bei ihren Eltern in … Sie wolle sich aufgrund häuslicher Gewalt scheiden lassen. Diese Woche werde in der Türkei die Scheidungsklage eingereicht.
Am 29.06.2018 teile die Ehefrau des Antragstellers der Ausländerbehörde telefonisch mit, dass sie sich wieder mit ihrem Ehemann vertragen habe und sich nicht mehr scheiden lassen wolle. Die Rechtsanwältin bestätigte mit Schreiben vom 04.07.2018, dass die Ehefrau in die gemeinsame Wohnung zurückgekehrt sei und sich augenscheinlich mit ihrem Ehemann versöhnt habe. Deshalb sei auf ihre Bitte hin die Scheidungsklage zurückgezogen worden.
Am 05.07.2018 beantragte der Antragsteller bei der Ausländerbehörde die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Am 17.07.2018 unterzeichneten der Antragsteller und seine Ehefrau die Erklärung, dass sie in ehelicher Lebensgemeinschaft und zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter in ihrer Wohnung zusammenlebten und ein Scheidungsverfahren nicht anhängig sei. Am 17.07.2018 wurde dem Antragsteller eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt.
Am 28.09.2018 teilte die Ehefrau des Antragstellers der Ausländerbehörde mit, dass der Antragsteller wieder gewalttätig geworden sei und sie heute noch zu ihren Eltern ziehen wolle. Mit Schreiben vom 01.10.2018 bestätigte die Rechtsanwältin der Ehefrau, dass diese nach unüberbrückbaren Differenzen und häuslicher Gewalt die gemeinsame Wohnung mit ihrem Kind verlassen habe und zu ihren Eltern zurückgekehrt sei. Da eine Scheidung nach den Vorstellungen des Antragstellers seine Ehre verletze, drohe er jetzt ständig mit SMS, WhatsApp oder unbekannter Telefonnummer seiner Ehefrau und deren Familie mit dem Tod und mit der Entführung des Kindes in die Türkei. Es werde beantragt, die Aufenthaltserlaubnis nicht zu verlängern.
Mit Schreiben vom 04.10.2018 hörte die Ausländerbehörde den Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Verlängerungsantrages an.
Am 25.10.2018 sprachen der Antragsteller und seine Ehefrau in Begleitung eines Dolmetschers bei der Ausländerbehörde vor und teilten mit, dass die Ehefrau mit ihrer Tochter seit dem 19.10.2018 wieder mit dem Antragsteller zusammenlebe. Sie hätten sich wieder vertragen.
Die Rechtsanwältin der Ehefrau teilte der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 26.10.2018 mit, die Ehefrau habe sich angeblich wieder mit ihrem Ehemann versöhnt. Ihrer Meinung nach werde Druck auf die Ehefrau ausgeübt, sie und das Kind würden bedroht. Aus Angst von ihrem Ehemann treffe sie falsche Entscheidungen.
Mit Bescheid vom 06.11.2018 lehnte die Ausländerbehörde den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1), drohte ihm unter Bestimmung einer Frist von einem Monat für die freiwillige Ausreise die Abschiebung in die Türkei an (Ziffern 2 und 3) und befristete das durch eine Abschiebung verursachte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf eine Dauer von zwei Jahren (Ziffer 4). In den Gründen wird ausgeführt, seit dem 28.09.2018 liege keine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau mehr vor. Die Erklärung anlässlich der gemeinsamen Vorsprache am 25.10.2018 ändere daran nichts, weil sie von der Ehefrau nicht aus freien Stücken abgegeben worden sei. Die unter Zwang und Angst abgegebene Erklärung sei kein geeigneter Nachweis für eine erneute Versöhnung und eine erneute Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft. Auch zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter bestehe keine familiäre Lebensgemeinschaft. Die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 ARB 1/80 – eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit von einem Jahr Dauer bei ein- und demselben Arbeitgeber – erfülle der Antragsteller nicht, weil sich aus der Lohnbescheinigung ergebe, dass er die Erwerbtätigkeit erst zum 01.12.2017 aufgenommen habe.
Mit einem als „Widerspruch“ bezeichneten Schreiben vom 11.11.2018 wandte sich die Ehefrau des Antragstellers an die Ausländerbehörde und bekräftigte vehement, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen ihr und dem Antragsteller fortbestehe. Ihre Rechtsanwältin, der sie das Mandat entzogen habe, habe sie, die Ehefrau, negativ beeinflusst und maßlos übertrieben. Sie (die Ehefrau) und der Antragsteller hätten sich ausgesprochen, und aufgrund der Tatsache, dass ihr Baby erst knapp fünf Monate alt sei, sie beide einige Fehler gemacht hätten und sie erneut vom Antragsteller schwanger sei, hätten sie sich für ein weiteres gemeinsames Eheleben entschieden. Die Behauptung, bei der Vorsprache am 25.10.2018 sei Druck auf sie ausgeübt worden, sei eine haltlose Spekulation.
Mit Schreiben an die Ausländerbehörde vom 12.11.2018 wandte sich auch der Antragsteller selbst gegen die Ablehnung seines Verlängerungsantrages. Für die Anschuldigung, er habe Druck auf seine Ehefrau ausgeübt, gebe es keine Beweise. Seine Ehefrau sei ja wohl mutig genug, bei der Polizei anzurufen, wenn es so wäre. Er habe ein Kind und seine Ehefrau sei erneut schwanger. Da könne die Ausländerbehörde doch nicht schreiben, es gebe keinen Nachweis für eine Versöhnung und die Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft.
Mit Schreiben vom 14.11.2018 verwies die Ausländerbehörde den Antragsteller auf die Möglichkeit der Klageerhebung.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15.11.2018, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 16.11.2018, hat der Antragsteller Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 06.11.2018 aufzuheben und den Beklagten (hier: Antragsgegner) zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 AufenthG zu erteilen bzw. die bisherige zu verlängern. Gleichzeitig hat er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird vorgetragen, wegen unbestrittener Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eheleuten sei eine Zeit lang offen gewesen, ob die eheliche Lebensgemeinschaft fortbestehe bzw. fortgesetzt werde. Fest stehe jedoch, dass die Eheleute sich seit dem 19.10.2018 definitiv versöhnt hätten und weiterhin mit ihrer gemeinsamen Tochter in einer eigenen Wohnung zusammenlebten. Dass die Ehefrau des Antragstellers die Erklärungen am 25.10.2018 unter Druck abgegeben haben solle, werde ausdrücklich bestritten. Der Antragsteller sei als Friseur ganztags berufstätig. Seine Ehefrau sei als Industriekauffrau bei einer Firma in … beschäftigt. Derzeit befinde sie sich in Elternzeit bis zum 18.06.2019. Der Antragsteller sei Vater eines Kindes, das sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit habe. Die Trennung von der deutschen Ehefrau und erst recht auch von seinem nur wenige Monate alten Kind wäre ein Verstoß sowohl gegen das Aufenthaltsgesetz als auch gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz der Ausländerbehörde vom 21.11.2018 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsbegründung wird entgegengehalten, die Entwicklung der Ereignisse rechtfertige es nicht mehr, von vorübergehenden ehelichen Streitigkeiten auszugehen. Bereits am 27.07.2017 habe die Ehefrau des Antragstellers mit der Mitteilung, sie würden sich aufgrund seiner Bedrohungen demnächst scheiden lassen, die Visumerteilung in letzter Minute verhindern wollen. Den Ermittlungen der Polizeiinspektion … zu den Ereignissen am 22.12.2017 in der ehelichen Wohnung könne entnommen werden, dass es zu massiven Gewalttaten des Antragstellers gekommen sei, insbesondere zu Tritten in den Bauch der schwangeren Ehefrau. Die weiteren Ereignisse zeigten deutlich, dass es sich bei dem gewalttätigen Verhalten des Antragstellers nicht um ein einmaliges Verhalten handele. Die Ehefrau habe erneut Anzeige gegen den Antragsteller erstattet wegen körperlicher Gewalttaten, die am 24.09.2018 stattgefunden hätten. Diese Gewalttätigkeiten des Antragstellers könnten nicht als „Meinungsverschiedenheiten“ abgetan und übergangen werden. Zudem habe die Rechtsanwältin der Ehefrau in ihrem Schreiben vom 01.10.2018 und anlässlich einer persönlichen Vorsprache bei der Ausländerbehörde die Bedrohung der Ehefrau mit dem Tod und die Drohung mit der Entführung des Kindes glaubwürdig geschildert. Die am 19.10.2018 angeblich stattgefundene dritte Versöhnung der Eheleute und die am 25.10.2018 erfolgte gemeinsame Vorsprache seien auf das Anhörungsschreiben vom 04.10.2018 zurückzuführen. Für die Sachbearbeiterin sei deutlich zu erkennen gewesen, dass die Ehefrau diese Erklärung, die zur Niederschrift entgegengenommen worden sei, unter Druck und nicht freiwillig abgegeben habe. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass nach Erlass des Bescheides die Ehefrau nochmals zusammen mit dem Antragsteller, dem Kind und dem stets anwesenden Begleiter des Antragstellers vorgesprochen hätte. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Sachbearbeiterin den Eindruck, den sie am 25.10.2018 von der Ehefrau gewonnen habe, frei erfunden habe oder dass sie aus einem sachfremden Motiv den Eheleuten durch eine übertriebene Schilderung hätte schaden wollen. Da die Ausländerbehörde nach wie vor der Überzeugung sei, dass die Ehefrau vom Antragsteller unter massiven Druck gesetzt worden sei, die Erklärung am 25.10.2018 abzugeben, sei sie rechtlich wertlos wie jede Erklärung, die unter Zwang und Bedrohung abgegeben worden sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Ausländerakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist zulässig, aber nicht begründet.
1.1 Der Antrag ist zulässig, insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft, weil gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG die Klage gegen die Ablehnung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis keine aufschiebende Wirkung hat. Infolgedessen ist der Antragsteller mit Erlass des Ablehnungsbescheides vom 06.11.2018 vollziehbar ausreisepflichtig gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geworden, weil seine am 31.08.2018 abgelaufene Aufenthaltserlaubnis nur bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Verlängerungsantrag nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend galt. In dieser Konstellation ergibt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung, obwohl es sich um eine Verpflichtungsklage handelt, ausnahmsweise einen Sinn, weil sie die verfahrensrechtliche Fiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aufrechterhält mit der Folge, dass die Ausreisepflicht nicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ist.
1.2 Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung über seine Klage vorläufig nicht abgeschoben zu werden, das öffentliche Interesse an der Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht nicht überwiegt. Denn gewichtige Anhaltspunkte sprechen für die Annahme, dass die Klage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird, weil ernsthafte Zweifel daran bestehen, dass eine schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne des § 27 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 AufenthG zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau bzw. seinem deutschen Kind besteht.
Gemäß § 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthG wird ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde. Dementsprechend darf eine ehebedingte Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werden, wenn der Ehegatte, von dem das Nachzugsrecht abgeleitet wird, nicht freiwillig, sondern erzwungenermaßen an der ehelichen Lebensgemeinschaft festhält.
Die Chronologie der Geschehensabläufe, zu der das von der Ehefrau unterzeichnete vehemente Schreiben vom 11.11.2018 in einem krassen Widerspruch steht, begründet den ernsthaften Verdacht, dass dieses Schreiben nicht ihre eigene Sicht der Dinge wiedergibt.
Mit einer E-Mail vom 27.06.2017 an die damals zuständige Ausländerbehörde versuchte die Ehefrau des Antragstellers, offensichtlich in Unkenntnis des Umstandes, dass das Visum schon am 06.06.2017 erteilt worden war, den Nachzug des Antragstellers zu verhindern. Auch wenn sie einen Tag später mit einer E-Mail vom 28.06.2017 die Sache für erledigt erklärte, der Antragsteller habe sein Visum erhalten und dabei bleibe es, sie hätten sich wieder vertragen, kann nicht unbeachtet bleiben, dass in der E-Mail vom 27.06.2017 bereits von Bedrohungen seitens des Antragstellers die Rede ist.
Am 22.12.2017 rief die Ehefrau die Polizei und gab an, der Antragsteller habe gedroht, sie umzubringen. Ihre Zeugeneinvernahme am 23.12.2017 ergab, dass der Antragsteller sie seit Anfang September 2017, also seit der Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet, immer wieder geschlagen und getreten hatte. Unter anderem versetzte er ihr in Kenntnis ihrer Schwangerschaft Tritte in den Bauch. Laut polizeilichem Aktenvermerk vom 23.12.2017 ergab die Auswertung der WhatsApp-Nachrichten des Antragstellers an seine Ehefrau, dass er immer wieder Drohungen ihr gegenüber äußerte.
Am 05.02.2018 rief die Ehefrau erneut die Polizei und gab an, am 02.02.2018 (Freitag) habe der Antragsteller sie wieder geschlagen und getreten und ihr das ganze Wochenende verwehrt, die Wohnung zu verlassen. Der Antragsteller wurde auf Türkisch vernommen. Laut polizeilichem Aktenvermerk vom 05.02.2018 räumte er ein, seine Ehefrau in der Vergangenheit geschlagen zu haben, in der jüngeren Vergangenheit sei es jedoch zu keinen Körperverletzungsdelikten mehr gekommen. Vielmehr sei es so, dass seine Ehefrau unter psychischen Problemen leide, weshalb sie sich auch in ärztlicher Behandlung befinde. Unter anderem habe sie wiederholt versucht, sich durch einen Sturz vom Balkon der gemeinsamen Wohnung Schaden zuzufügen. Er habe sie jeweils daran gehindert, indem er sie an den Armen ergriffen habe, daher stammten die Hämatome. Von der Polizei wurde diese Aussage als nicht glaubwürdige Schutzbehauptung gewertet. Die Ehefrau habe im Kontakt mit der Polizei keinerlei Anschein einer psychischen Beeinträchtigung oder Suizidgefährdung erweckt.
Laut einer E-Mail der Rechtsanwältin der Ehefrau an die Ausländerbehörde vom 14.10.2018 verschwand der Antragsteller bei der letzten frauenärztlichen Untersuchung seiner Ehefrau vor der Geburt des Kindes am 17.06.2018 spurlos ohne jede Nachricht, während die Ehefrau in der Besprechung war. Er sei weder bei der Geburt anwesend gewesen, noch habe er sich zwei Wochen lang nach Frau und Kind erkundigt.
Die Mitteilung ihrer Rechtsanwältin vom 25.06.2018, sie habe sich vom Antragsteller getrennt und wolle sich wegen häuslicher Gewalt von ihm scheiden lassen, widerrief die Ehefrau telefonisch am 29.06.2018. Ihre Rechtsanwältin teilte daraufhin mit, dass die Scheidungsklage zurückgezogen worden sei.
Am 28.09.2018 wandte die Ehefrau sich erneut telefonisch an die Ausländerbehörde und gab an, der Antragsteller sei wieder gewalttätig geworden, es habe sich nichts geändert, sie werde heute noch zu ihren Eltern ziehen. Ihre Rechtsanwältin bestätigte dies mit Schreiben vom 01.10.2018 und berichtete, dass der Antragsteller seiner Ehefrau mit dem Tod und mit der Entführung des Kindes in die Türkei drohe.
Am 30.09.2018 erstattete die Ehefrau Anzeige gegen den Antragsteller und gab an, dass er sie am 24.09.2018 und am 27.09.2018 wieder geschlagen habe. Weil er krankhaft eifersüchtig sei, habe er sie auch über ihr iPhone überwacht.
Nachdem der Antragsteller daraufhin die Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung seines Verlängerungsantrages vom 04.10.2018 erhalten hatte, sprach er am 25.10.2018 in Begleitung seiner Ehefrau und eines Dolmetschers, mit dem er bereits am 09.10.2018 sehr aufgebracht bei der Ausländerbehörde erschienen war, erneut dort vor. Der Antragsteller und seine Ehefrau unterzeichneten die Erklärung, dass die Ehefrau seit dem 19.10.2018 mit ihrer Tochter wieder beim Antragsteller wohne, dass sie sich wieder vertragen hätten und gemeinsam zusammenleben wollten.
Angesichts der dargestellten Vorgeschichte und der in der Ausländerakte befindlichen Fotographien aus den polizeilichen Ermittlungsakten, die massive Verletzungen der Ehefrau zeigen, besteht kein Grund, den von der Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde in einem Aktenvermerk vom 25.10.2018 dokumentierten Eindruck in Zweifel zu ziehen, dass die Ehefrau zu der an diesem Tag abgegebenen Erklärung gezwungen wurde und dass sie total verängstigt wirkte.
Das erkennende Gericht teilt die Einschätzung der Polizei, dass es sich bei dem Versuch des Antragstellers vom 05.02.2018, die Hämatome an den Armen seiner Ehefrau zu erklären, um eine unglaubhafte Schutzbehauptung handelt. Eine psychiatrische Behandlung, wenn sie denn stattgefunden hätte oder noch stattfinden würde, wäre durch Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne weiteres nachzuweisen gewesen. Außerdem ist davon auszugehen, dass wiederholte Suizidversuche unweigerlich zu einem stationären Behandlungsaufenthalt geführt hätten.
Muss somit allen Anhaltspunkten nach angenommen werden, dass der Antragsteller nicht davor zurückschreckt, seine Ehefrau massiv körperlich zu misshandeln, ist es vorstellbar, dass sie aus Angst vor weiteren Misshandlungen die vom Antragsteller geforderte Erklärung gegen ihren Willen abgegeben hat.
Erhärtet wird dieser von der Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde gewonnene Eindruck, wenn man sich fragt, warum der Antragsteller am 25.10.2018 in Begleitung eines weiteren Mannes als Dolmetscher bei der Ausländerbehörde vorsprach, obwohl doch seine Ehefrau, wie schon anlässlich der Abgabe der „Gemeinsamen Erklärung über eheliche Lebensgemeinschaft“ am 05.09.2017, die Übersetzung hätte übernehmen können. Ausweislich der Ausländerakte spricht und versteht der Antragsteller, obwohl er laut Zertifikat vom 19.04.2017 die Prüfung „ÖSD Zertifikat A1“ (Österreichisches Sprachdiplom Deutsch) „gut bestanden“ hat und sich schon ein Jahr und drei Monate in Deutschland aufhält, kein Deutsch. Das legt die Vermutung nahe, dass die Hinzuziehung eines Dritten als Dolmetscher dazu diente, die Aussagen der Ehefrau zu kontrollieren. Ein derartiges Misstrauen spricht aber für die Annahme, dass die abgegebene Erklärung nicht dem freien Willen der Ehefrau entspricht.
Angesichts dieser Chronologie vermögen die nach Erlass des ablehnenden Bescheides verfassten Briefe vom 11.11.2018 und 12.11.2018 die ernstlichen Zweifel am Bestand einer von beiden Seiten freiwillig geführten und damit schutzwürdigen ehelichen Lebensgemeinschaft nicht nachhaltig zu erschüttern.
Die am 05.09.2017 vom Antragsteller und seiner Ehefrau als Ehegatte und Dolmetscher unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung über eheliche Lebensgemeinschaft“ wurde dem Schriftbild nach von derselben Person ausgefüllt, die auch die beiden Briefe vom 11.11.2018 und 12.11.2018 geschrieben hat. Die fehlenden Deutschkenntnisse des Antragstellers sprechen für die Annahme, dass es sich bei dieser Person um seine Ehefrau handelt. Hat der Antragsteller aber „seinen“ Brief der Ehefrau diktiert, kann es sich bei „ihrem“ Brief ebenso verhalten.
Auch wenn die dargestellte Vorgeschichte eine gewisse Ambivalenz der Ehefrau im Hinblick auf das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft wiederspiegelt – nach der Geburt ihres Kindes am 17.06.2018 war sie noch am 25.06.2018 zur Trennung entschlossen, widerrief diesen Entschluss aber am 29.06.2018 -, erscheint die Vehemenz, mit der sie in „ihrem“ Brief vom 11.11.2018 ihre Rechtsanwältin angreift und sich für den Antragsteller einsetzt, übertrieben und unglaubwürdig. Vielmehr vermittelt das Schreiben den Eindruck, dass es die Sichtweise des Antragstellers wiedergibt.
Die Rechtsanwältin der Ehefrau hat sich auftragsgemäß verhalten, indem sie die eingereichte Scheidungsklage auf den Wunsch ihrer Mandantin zurückgezogen hat. Ihre Darstellung der ehelichen Lebensverhältnisse erscheint keineswegs übertrieben. Insbesondere heißt es auch in dem polizeilichen Aktenvermerk vom 23.12.2017, dass es zu Drohungen per WhatsApp gekommen sei und die Ehefrau „diese Morddrohungen“ auf Türkisch sehr ernst genommen und deshalb die Polizei verständigt habe. Es ist somit kein objektiv belastbarer Grund erkennbar, warum die Ehefrau sich plötzlich so vehement von ihrer Rechtsanwältin distanzieren und sie mit so massiven Vorwürfen überziehen sollte. Soweit in dem Schreiben vom 11.11.2018 vorgebracht wird, die Ehefrau habe am 25.10.2018 auch mitgeteilt, dass ihre Rechtsanwältin nicht mehr bevollmächtigt sei und ein Schreiben hierzu von ihr komme, findet diese Aussage in der Ausländerakte keine Bestätigung. In dem über die Vorsprache am 25.10.2018 gefertigten Vermerk findet sich hierzu nur der Satz: „Sie (die Ehefrau) meinte auch, dass in den nächsten Tagen noch ein Schreiben ihrer Rechtsanwältin an uns (die Ausländerbehörde) gesandt wird.“
Dass allein die erneute Schwangerschaft der Ehefrau des Antragstellers, die in beiden Briefen als Beleg für den Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft angeführt wird, kein zwingender Beweis für ein freiwilliges eheliches Zusammenleben ist, bedarf keiner weiteren Darlegung.
Somit bleibt es auch unter Berücksichtigung der Schreiben vom 11.11.2018 und 12.11.2018 dabei, dass am Vorliegen einer von beiden Seiten freiwillig geführten und damit schutzwürdigen ehelichen Lebensgemeinschaft ernsthafte Zweifel bestehen.
Dies gilt auch für das Vorliegen einer familiären Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seinem Kind. Angesichts der geschilderten ehelichen Verhältnisse kann nicht mit Selbstverständlichkeit angenommen werden, dass der Antragsteller die Personensorge für das Kind tatsächlich auch ausübt. Insbesondere der Umstand, dass der Antragsteller sich nach der Geburt zwei Wochen lang nicht nach dem Kind erkundigt hat, rechtfertigt diesbezüglich ernsthafte Zweifel. Um diese Zweifel zu erschüttern, reicht es nicht, sich lediglich formal unter Verweis auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK auf die Vaterschaft und das Sorgerecht zu berufen, ohne darzulegen, worin die Ausübung der elterlichen Sorge besteht und was das Kind für den Antragsteller und dieser für das Kind bedeutet.
Aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 kann der Antragsteller kein familienunabhängiges Aufenthaltsrecht herleiten, weil er seine Beschäftigung erst am 01.12.2017 aufgenommen hat und somit bei Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis am 31.08.2018 noch nicht ein Jahr lang ordnungsgemäß beschäftigt war. Die Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des türkischen Staatsangehörigen auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaates voraus. Zeiten, in denen aufgrund der Fiktionswirkung eines Antrages nur vorläufig der Aufenthaltstitel als fortbestehend oder der Aufenthalt als erlaubt gilt, vermitteln keine derartige Position. In diesem Zeitraum zurückgelegte Beschäftigungszeiten zählen daher nicht als „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, Art. 6 ARB 1/80, Ziffern 3.7.1. und 3.7.2).
2. Nach alledem wird der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgelehnt.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG (halber Auffangstreitwert).

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