Verwaltungsrecht

Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet – Abschiebung nach Mali

Aktenzeichen  M 21 S 17.38772

Datum:
18.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine asylrechtlich relevante Verfolgungsgeschichte ist nicht glaubhaft, wenn im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht wurden und das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 2. Oktober 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 9. Dezember 2014 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 13. Februar 2017 brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, er sei seit seinem neunten Lebensjahr Waise. Er habe sein Heimatland verlassen, weil jedes Jahr in seinem Dorf eine Opferzeremonie durchgeführt werde. Die Bewohner des Dorfes hätten ihn opfern wollen. Er habe einem Mann von seinen Problemen erzählt. Dieser habe ihm dann zur Flucht verholfen. In Mali habe er nicht bleiben können, weil man dann einen Voodoo-Zauber auf ihn gelegt hätte. Die Opferzeremonie habe so aussehen sollen, dass ihm jemand die Augen und die Hände verbunden hätte und ihn ins Wasser geworfen hätte. Er kenne persönlich aber niemand, der geopfert worden sei.
Mit Bescheid vom 24. April 2017, zugestellt am 28. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, der Antragsteller habe sein Heimatland nicht aus einem asylrelevanten Grund verlassen. Ihm drohe kein Schaden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor.
Der Antragsteller hat am 2. Mai 2017 durch seine Bevollmächtigte Klage erhoben (M 21 K 17.38770), mit der er beantragt, den Bescheid vom 24. April 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung trägt er vor, das Bundesamt habe seiner Pflicht nicht genügt, den Sachverhalt umfänglich aufzuklären. Er sei schwer traumatisiert. Der Kläger sei nicht vor Voodoo oder Zauberei geflohen, sondern vor der tatsächlichen Bedrohung und Gefahr, den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Grund für dieses Vorhaben der Dorfältesten, die Mitglieder des Geheimbunds der Bambara seien, sei allerdings eine Art Voodoo-Glauben. Ihm stehe auch keine inländischen Fluchtalternative zur Verfügung. Er stamme aus dem Süden des Landes. Dort habe der mächtige Geheimbund die Nachricht seiner Flucht und seines Entzugs vor dem Ritual weit verbreitet. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass er im Süden des Landes wieder erkannt und zum Vollzug der Todesstrafe vorgeführt werde.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 15. Mai 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt insoweit den Gründen des angefochtenen Bescheids und nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend weist das Gericht auf Folgendes hin:
Das Gericht hat zunächst keine Bedenken daran, dass das Bundesamt bei der Anhörung des Klägers den Sachverhalt vollumfänglich aufgeklärt hat. Der Kläger wurde ausweislich der Niederschrift ausführlich zu seinem Verfolgungsschicksal befragt. Der Anhörer ist dabei mehrfach auf Widersprüche eingegangen und hat dem Kläger Gelegenheit gegeben, diese aufzuklären. Ein Verfahrensfehler liegt insoweit nicht vor.
Im Übrigen muss das Gericht hinsichtlich eines vom Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, gegenüber dem Tatgericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Dies vorausgeschickt hat das Gericht erhebliche Zweifel am Vorbringen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal. Soweit er sich auf eine Bedrohung durch Zauberei beruft, ergibt sich dies bereits daraus, dass im Bereich des Aberglaubens wurzelnde Bedrohungen grundsätzlich keine asylrelevanten Verfolgungsbzw. Gefährdungstatbestände i.S.v. Art. 16 a Abs. 1 GG oder §§ 3, 4 AsylVfG darstellen. Soweit er im Klageverfahren vorbringt, er sei nicht vor Voodoo oder Zauberei geflohen, setzt er sich damit in klaren Widerspruch zu seinem Vorbringen in der Anhörung. Überdies ist auch die Schilderung des Menschenopfers, gleich ob die Tötung durch Krokodile oder durch Zauberei erfolgen solle, nicht glaubhaft. Der Antragsteller schildert bei seiner Anhörung selbst, er kenne niemanden, der jemals Opfer dieser Zeremonie geworden sei, wenngleich diese jährlich stattfindende. Insgesamt habe er alles nur von seinem Onkel gehört. Auch dass ein Geheimbund insoweit mit im Spiel sei, erwähnt der Kläger bei seiner Anhörung (noch) nicht. Gleiches gilt für die im Klageverfahren vorgebrachte Behauptung, der Geheimbund habe die Nachricht der Flucht und des Entzugs vor dem Ritual durch den Kläger im Süden Malis weit verbreitet, sodass er zum Vollzug der Todesstrafe dort gesucht werde. Bei seiner Anhörung erklärte der Kläger nämlich, ein Zauber hätte ihn gezwungen, in das Dorf zurückzukehren, wenn er in Mali geblieben wäre.
Schließlich kann sich der Antragsteller auch nicht mit Erfolg auf ein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot berufen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c) Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass seiner Abschiebung nach Mali gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, nicht erfolgreich widerlegt. Das vorgelegte fachärztlicher Attest vom 8. Juli 2017 entspricht schon nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG, die aus formeller Sicht an es zu stellen sind. Denn es lässt jegliche Aussage zur Tatsachenerhebung, dem Schweregrad der Erkrankung sowie den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, jedenfalls insoweit vermissen, als es das materiell von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangte Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung betrifft, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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