Verwaltungsrecht

Ablehnung eines Zweitantragverfahrens nach endgültigem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicherem Drittstaat

Aktenzeichen  Au 7 S 17.35586

Datum:
24.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 1003
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 25, § 26a, § 36 Abs. 4 S. 1, § 71a, § 75 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwVfG § 51 Abs. 1 – 3
Dublin III-VO Art. 23 Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

2. Die Tatbestandsvoraussetzung „nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens“ nach § 71a AsylG umfasst jede Art des endgültigen formellen Abschlusses eines Erstasylverfahrens in dem Drittstaat ohne Zuerkennung eines Schutzstatus. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dabei kann offenbleiben, auf welchen Zeitpunkt insoweit abzustellen ist. Jedenfalls war das Verfahren in Greichenland aufgrund der Berufungseinlegung weder bei Antragstellunng in Deutschland, noch im Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs erfolglos abgeschlossen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: Au 7 K 17.35584) gegen die in Nummer 3 des Bescheids vom 5. Dezember 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Androhung seiner Abschiebung nach Nigeria.
1. Der Antragsteller, der keine Ausweisdokumente vorlegte, ist nach eigenen Angaben am … 1983 in, Nigeria geboren, Volkszugehörigkeit Yoruba, christlicher Religionszugehörigkeit. Er meldete sich am 10. Dezember 2013 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Frau … (geboren: … 1983 in …Nigeria) in der … als Asylsuchender (Bl. 24 der Bundesamtakte). Er gab an, am 9. Dezember 2013 von Österreich aus mit dem Zug nach Deutschland eingereist zu sein.
Am 18. Dezember 2013 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.
Für den Antragsteller wurde am 16 Januar 2014 jeweils ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 für Griechenland und Österreich (Bl. 35/36 der Bundesamtsakte) ermittelt.
Das Bundesamt stellte im Aktenvermerk vom 26. August 2016 (Bl. 58 der Bundesamtsakte) fest, dass die Frist für ein Aufnahmeersuchen abgelaufen ist.
Am 26. August 2016 fand die persönliche Anhörung des Antragstellers gemäß § 25 AsylG beim Bundesamt statt. Dabei gab er unter anderem Folgendes an:
Er sei mit der Mutter seiner beiden Kinder, Frau, nicht verheiratet. Im August 2010 habe er sein Heimatland verlassen. Er habe ein Visum für den Iran gehabt und sei mit dem Flugzeug über die Türkei in den Iran gereist. Sein Ausweis sei ihm im Iran vom Schlepper abgenommen worden. Er sei sechs Tage im Iran geblieben und dann wieder zurück in die Türkei gereist, wo er sich drei bis vier Monate aufgehalten habe. Dann sei er nach Griechenland gegangen und habe sich dort bis 2013 aufgehalten. Anschließend sei er vier Monate in einem Camp in Ungarn gewesen. Da seine Freundin schwanger gewesen sei, seien sie über Österreich (2 bis 3 Wochen in einem Camp) nach Deutschland gekommen. In Griechenland habe er eine Anhörung gehabt und dort dieselben Fluchtgründe vorgetragen wie im Rahmen dieser Anhörung. Er habe weder in Griechenland noch in Österreich einen Bescheid erhalten, dass er diese Länder verlassen solle, noch dass er endgültig bleiben könne. An seinen Fluchtgründen habe sich nichts geändert.
Zu den vom Antragsteller vorgetragenen Gründen für seinen Asylantrag wird auf das Anhörungsprotokoll vom 26. August 2016 verwiesen (Bl. 44 bis 51 der Bundesamtsakte).
Mit Schreiben der … vom 2. September 2016 wurde eine Geburtsurkunde des Klägers vorgelegt (Ausstellungsdatum September 2014, Bl. 63 der Bundesamtsakte).
Auf das Informationsersuchen der Antragsgegnerin vom 22. April 2017 teilten die griechischen Behörden mit Schreiben vom 14. Juni 2017 (Bl. 72 der Bundesamtsakte) u.a. mit, dass der Antragsteller bei ihnen als, geboren … 1973, nigerianischer Staatsangehöriger, registriert sei. Der Antragsteller habe am 12. Januar 2012 bei den griechischen Behörden internationalen Schutz beantragt. Sein Gesuch sei am 3. April 2012 abgelehnt worden. Am 13. Juni 2012 habe der Antragsteller gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt. Die Prüfung seiner Berufung sei am 10. Dezember 2014 unterbrochen worden, weil er untergetaucht sei. Eine Aufenthaltserlaubnis bezogen auf die Dublin Regelungen sei nicht erteilt worden.
Diesem Schreiben waren eine Vielzahl von Unterlagen in griechischer Sprache aus dem Asylverfahren des Antragstellers beigefügt (Bl. 73 bis 92 der Bundesamtsakte).
Den Fragebogen (Anhörung zum Zweitantrag), der dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 11. Juli 2017 zugestellt wurde, sandte er nicht zurück.
Mit Schreiben vom 21. Juli 2017 zeigte der Bevollmächtigte die Vertretung des Antragstellers an und teilte mit, dass der Antragsteller keine Kenntnis über den Ausgang des Asylverfahrens in Griechenland habe. Mit Schreiben vom 1. August 2017 wurde dem Bevollmächtigten ein Ausdruck der elektronischen Akte übermittelt.
2. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte er diese Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Nigeria oder in einen anderen Staat abgeschoben, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 1 Monat ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Bundesamt u.a. aus, Griechenland habe mit Schreiben vom 14. Juni 2017 mitgeteilt, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in Griechenland am 3. April 2102 erfolglos abgeschlossen worden sei.
Da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe, handle es sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG.
Der Asylantrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Aus dem Vortrag des Antragstellers sowie aus dem sonstigen Akteninhalt sei nicht ersichtlich, dass sich die Sachlage seit der Ablehnung des Asylantrages in Griechenland am 3. April 2012 überhaupt geändert habe. Alle Gründe, die der Antragsteller im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vorgetragen habe, hätten auch schon im Rahmen des griechischen Asylverfahrens geltend gemacht werden können, falls dies nicht sowieso geschehen sei.
Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk am 6. Dezember 2017 als Einschreiben zur Post gegeben (Bl. 134 der Bundesamtsakte).
3. Am 12. Dezember 2017 ließ der Antragsteller gegen den Bescheid vom 5. Dezember 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben. Die Klage wird unter dem Aktenzeichen Au 7 K 17.35584 geführt.
Gleichzeitig ließ der Antragsteller einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen und beantragten,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des o.g. Bescheides anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt zu Unrecht den am 18. Dezember 2013 gestellten Asylantrag als Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG behandelt habe. Das Bundesamt habe übersehen, dass in dem auf Blatt 72 der Bundesamtsakte in englischer Sprache gehaltenen Vermerk der griechischen Behörde ausgeführt sei, dass der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Schutzantrags Klage erhoben habe, das Verfahren jedoch am 10 Dezember 2014 lediglich unterbrochen (engl.: „interrupted“) worden sei. Ausführungen über eine Beendigung des Asylverfahrens, geschweige denn über dessen Ausgang, seien damit nicht getroffen worden.
Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 19. Dezember 2017 die Behördenakte vor, äußerte sich aber nicht zur Sache und stellte keine Anträge.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die übermittelte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG ist zulässig, insbesondere innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides fristgemäß erhoben worden.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Nach den § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1615/93 – juris, Rn. 99).
Dies ist hier der Fall.
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, das Vorliegen eines Zweitantrags anzunehmen und für den Antragsteller kein weiteres Asylverfahren durchzuführen.
Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen.
a) Die Bundesrepublik Deutschland ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragtellers am 16. März 2014 zuständig geworden (Art. 23 Abs. 3 VO (EU) Nr. 604/2013 – Dublin III-VO), da die Eurodac-Treffermeldung vom 16. Januar 2014 datiert (Bl. 35 der Bundesamtsakte) und innerhalb von zwei Monaten (Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO) kein Wiederaufnahmegesuch an Griechenland gestellt wurde; das wurde von den Behörden der Antragsgegnerin auch erkannt (vgl. Bl. 58 der Bundesamtsakte).
b) Eine Prüfung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags unter dem einschränkenden Prüfungsmaßstab als Zweitantrag kommt aber nur dann in Betracht, wenn das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangt, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung endgültig abgeschlossen wurde; nur dann kann sich das Bundesamt auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris).
Dem Wortlaut nach umfasst die Tatbestandsvoraussetzung „nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens“ jede Art des formellen Abschlusses eines Asylverfahrens ohne Zuerkennung eines Schutzstatus. Für die nähere Konkretisierung der möglichen Varianten und der Anforderungen an den Verfahrensabschluss kann auf die Parallelregelung zum Folgeantrag in § 71 Abs. 1 AsylG zurückgegriffen werden, wonach es sich um eine Rücknahme oder eine unanfechtbare Ablehnung des Antrags handeln kann (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris, Rn. 30).
Die Frage, zu welchem Zeitpunkt ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen sein muss, hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 14.Dezember 2016 (Az.: 1 C 4/16, juris Rn. 40) offen gelassen. Es hat hierzu ausgeführt:
„Keiner Entscheidung bedarf, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist. Insoweit kommen in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht.“
Im vorliegenden Fall haben die griechischen Behörden auf das von der Antragsgegnerin gestellte Informationsersuchen nach Art. 34 Dublin III-VO mit Schreiben vom 14. Juni 2017 (Bl. 72 der Bundesamtsakte) mitgeteilt, dass das Asylgesuch des Antragstellers zwar am 3. April 2012 abgelehnt worden war, der Antragsteller am 13. Juni 2012 aber gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt hat. Die Prüfung seiner Berufung sei (erst) am 10. Dezember 2014 unterbrochen worden, weil er untergetaucht sei.
Damit war das Asylerstverfahren des Antragstellers in Griechenland weder in dem Zeitpunkt, als der Antragsteller seinen weiteren Asylantrag in Deutschland stellte (Dezember 2013) noch in dem Zeitpunkt, in dem die Antragsgegnerin für die Prüfung des Asylgesuchs des Antragstellers zuständig geworden ist (16.3.2014), endgültig erfolglos abgeschlossen. Vielmehr war auch noch zu dem (späteren) Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs am 16. März 2014 das Asylverfahren des Antragstellers in Griechenland noch anhängig und damit noch nicht endgültig erfolglos abgeschlossen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
3. Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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