Verwaltungsrecht

Abschiebung eines Asylantragstellers nach Ungarn im Vollzug der Dublin-Regelungen

Aktenzeichen  M 22 S 16.50209

Datum:
8.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134017
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 154 Abs. 1
AsylG § 27a, § 80
GRch Art. 4
AufenthG § 11 Abs. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 8. März 2016 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, eigenen Angaben zufolge nigerianischer Staatsangehöriger, reiste, wiederum nach eigenen Angaben, am 13. Juli 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. Oktober 2015 einen Asylantrag.
Ausweislich eines Eurodac-Treffers (Kennziffer 2) war der Antragsteller zuvor in Ungarn am 24. Juni 2015 als illegal Eingereister registriert worden. Zu einem darauf Bezug nehmenden Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) vom 25. November 2015 äußerte sich die ungarische Dublin Unit nicht.
Mit Bescheid vom 8. März 2016 (zugestellt am 14.03.2016) lehnte das Bundesamt den Antrag gemäß § 27a AsylG als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn im Vollzug der Dublin-Regelungen an und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung.
In den Bescheidsgründen wurde u.a. mit Hinweis auf diverse bis Februar 2015 er-gangene Gerichtsentscheidungen (die also die neueren Entwicklungen im unga-rischen Asylsystem nicht berücksichtigen) ausgeführt, dass systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn nicht anzunehmen wären.
Am 17. März 2016 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid erheben. Weiter beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung des Antrags wurde u.a. vorgetragen, es bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn an systemischen Mängeln leiden würden und dem Antragsteller eine Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK drohe.
Die Antragsgegnerin hat sich zu dem Antrag nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorge-legte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das Gericht dahin versteht, dass dieser sich allein auf die Abschiebungsanordnung bezieht, ist begründet. Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden sum-marischen Prüfung stellen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zumindest als offen dar. Die im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Antrag vorzunehmende Interessenabwägung fällt bei dieser Sachlage zugunsten des Antragstellers aus.
Mit Blick auf die vorliegenden Informationen zur Praxis bei der Verhängung von Asylhaft, darüber hinaus aber auch wegen der vor kurzem erfolgten Änderung des ungarischen Asylrechts, die in ihren Auswirkungen soweit ersichtlich (nach Gemeinschaftsrecht) unzulässige Abschiebungen in Drittstaaten ermöglichen würde, spricht hier einiges für die Einschätzung, dass das ungarische Asylsystem derzeit systemische Mängel aufweist, als deren Folge nach Ungarn zurückgeführte Asylbewerber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK zu werden (zu den Rechtsänderungen vgl. u.a. das Gutachten des Instituts für Ostrecht, München, vom 02.10.2015 an das VG Düsseldorf; allgemein zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn aus neuerer Zeit mit Ausführungen zu den geänderten Regelungen, zur Inhaftierungspraxis und zu der staatlicherseits geschürten xenophoben Stimmung siehe insbesondere die Stellungnahme des Menschenrechtskommissars des Europarates vom 17.12.2015 zu den beim EGMR anhängigen Streitsachen Nr. 44825/15 und Nr. 44944/15, die zu der Schlussfolgerung gelangt, dass gegenwärtig praktisch niemand in Ungarn internationalen Schutz erlangen könne). Im Ergebnis ist jedenfalls davon auszugehen, dass es einer weiteren Prüfung der Problematik bedarf, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss (aus der neueren Rechtsprechung systemische Mängel bejahend bzw. für wahrscheinlich erachtend vgl. etwa VG München, U.v. 20.11.2015 – M 16 K 15.50315 -; VG Düsseldorf, GB v. 2.12.2015 – 22 K 3263/15.A -; VG Berlin, B.v. 14.1.2016 – 3 L 508.15 A – VG Aachen, U.v. 10.3.2016 – 5 K 1049/15.A -; solche Mängel verneinend etwa VG Dresden, B.v. 30.12.2015 – 2 L 1378/15.A – und VG Ansbach, B.v. 10.12.2015 – AN 3 S 15.50559 – alle in juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).

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