Verwaltungsrecht

Abschiebung, Prozesskostenhilfe, Asylverfahren, Bescheid, Antragstellung, Erfolgsaussicht, Ausreise, Beiordnung, Bundesamt, Vertretungszwang, Abschiebehaft, Reisepass, Aufenthaltsbeendigung, Ablehnung, Antrag auf Prozesskostenhilfe, Zeitpunkt der Antragstellung, Bundesrepublik Deutschland

Aktenzeichen  Au 6 K 21.2333

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3121
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Der am … geborene Kläger ist nach Vorlage eines nigerianischen Reisepasses ausreisepflichtiger nigerianischer Staatsangehöriger und begehrt eine Ausbildungsduldung sowie Prozesskostenhilfe für seine hierauf gerichtete Klage.
I.
Der Kläger reiste angeblich am 1. Juni 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2019 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids), den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2 des Bescheids) und den Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (Nr. 3 des Bescheids) jeweils als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4 des Bescheids). Der Kläger wurde aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; sollte er die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Nigeria oder in einen anderen Staat abgeschoben, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6 des Bescheids). Die Klage des Klägers hiergegen war erfolglos (VG Augsburg, Gb.v. 26.3.2019 – Au 7 K 19.31392; Bundesamt, Abschlussmitteilung vom 22.4.2020).
Der Beklagte forderte den Kläger erstmals am 15. Oktober 2020 zur Passbeschaffung auf; der Kläger kam der Aufforderung aber nicht nach. Am 4. November 2020 verweigerte der Kläger bei einer Vorsprache seine Unterschrift unter einen Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers. Der Beklagte beantragte daraufhin beim Landesamt für Asyl und Rückführungen die Ausstellung eines Passersatzpapiers von Amts wegen für den Kläger. Er erhielt eine Duldung und ab dem 20. Juli 2021 eine Duldung wegen ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG (Behördenakte Bl. 280).
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 30. Juli 2021, eingegangen beim Beklagten am 31. Juli 2021, ließ der Kläger für sich eine Ausbildungsduldung beantragen für eine Ausbildung zum Altenpflegehelfer an der Berufsfachschule für Altenpflege in … beginnend am 1. September 2021 und endend zum 31. August 2022.
Am 2. August 2021 legte der Kläger dem Beklagten einen für den Kläger unter den Daten „…“, geboren am, bereits am 19. September 2019 von der nigerianischen Botschaft in Berlin ausgestellten Reisepass vor.
Der Beklagte hörte den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Ausbildungsduldung unter Verweis auf die falsche Namensangabe im Asylverfahren und die konkret bevorstehende Aufenthaltsbeendigung im Zeitpunkt der Antragstellung (Antrag auf Beschaffung eines Passersatzpapiers) an. Der Klägerbevollmächtigte bestritt die falsche Angabe, es handele sich lediglich um eine phonetisch unterschiedliche Schreibweise. Der Kläger habe bereits 2017 seinen richtigen Namen beim Bundesamt korrigieren lassen wollen und der Antrag auf Beschaffung eines Passersatzpapiers sei offen, da eine Reaktion Nigerias hierauf noch nicht vorliege.
Der Beklagte beantragte am 9. August 2021 die Luftabschiebung des Klägers und stornierte gleichzeitig das Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers wegen des zwischenzeitlich eingegangenen Reisepasses (Behördenakte Bl 289, 294).
Mit Bescheid vom 24. August 2021 lehnte der Beklagte den Antrag auf Ausbildungsduldung mit der Begründung ab, im Zeitpunkt der Antragstellung für die Ausbildungsduldung sei die Identität des Klägers ungeklärt gewesen, denn er habe den Antrag am 31. Juli 2021 gestellt, anschließend aber erst am 2. August 2021 seinen Reisepass vorgelegt. Zudem sei im Zeitpunkt der Antragstellung eine konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahme in Form der Beschaffung des Passersatzpapiers im Gang gewesen.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren lehnte das Verwaltungsgericht einen Eilantrag auf Duldung des Klägers sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Klage ab (VG Augsburg, B.v. 21.10.2021 – Au 6 K 21.1813, Au 6 E 21.2114); das Klageverfahren wurde später nach Klagerücknahme eingestellt (VG Augsburg, B.v. 15.11.2021 – Au 6 K 21.1813).
Der Beklagte ließ den Kläger zwischenzeitlich zwecks Vorbereitung einer Abschiebung in Abschiebehaft nehmen und wieder aus dieser entlassen, als die Sammelabschiebung wegen der Reisebeschränkungen wegen Covid 19 abgesagt wurde.
Am 19. Oktober 2021 beantragte der Beklagte erneut die Einplanung des Klägers für eine Sammelabschiebung nach Nigeria (ebenda Bl. 384).
Ebenfalls am 19. Oktober 2021 legte der Kläger eine Schulbesuchsbestätigung über die Ausbildung zum staatlich geprüften Pflegefachhelfer von September 2021 bis Juli 2023, ausgestellt am 13. September 2021, beim Beklagten vor (ebenda Bl. 391). Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 22. Oktober 2021, beim Beklagten eingegangen am 23. Oktober 2021, ließ der Kläger nun die Ausbildungsduldung für die Ausbildung zum Pflegefachhelfer beantragen (ebenda Bl. 414 f.).
Mit Bescheid vom 4. November 2021 lehnte der Beklagte den Antrag vom 22. Oktober 2021 auf Erteilung einer Ausbildungsduldung bzw. Beschäftigungserlaubnis für die Ausbildung zum staatlich geprüften Pflegefachhelfer ab. Zwar handele es sich bei der genannten Ausbildung um eine qualifizierte Berufsausbildung, doch sei drei Tage vor der Antragstellung bereits am 19. Oktober 2021 die Einplanung des Klägers in eine Sammelabschiebung beim Landesamt für Asyl und Rückführungen beantragt worden.
Am 15. November 2021 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
der Bescheid des Landratsamts … vom 4. November 2021 wird aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, dem Kläger eine Ausbildungsduldung zu erteilen.
Im Zeitpunkt der Antragstellung seien keine konkreten Maßnahmen für eine Abschiebung eingeleitet gewesen, vielmehr sei der Kläger ausweislich einer Niederschrift vom 19. Oktober 2021 nochmals vom Beklagten gefragt worden, ob er denn freiwillig ausreisen wolle. Die Beantragung des Passersatzpapiers reiche nicht, denn dieses sei angeblich im Jahr 2020 beantragt worden und liege bis heute nicht vor. Am 14. Januar 2022 beantragte er Prozesskostenhilfe.
Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
Er nahm Bezug auf die Begründung seines angefochtenen Bescheids.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.
II.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren ist abzulehnen, weil der Klage die hinreichenden Erfolgsaussichten fehlen.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung zur Aufnahme einer Berufsausbildung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I. Die Klage auf Erteilung einer Ausbildungsduldung zur Aufnahme einer Berufsaus bildung ist aber voraussichtlich unbegründet, da dem Kläger wegen eines Ausschlussgrunds nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG kein Anspruch hierauf zusteht.
Nach § 60c Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 5 AufenthG ist eine Duldung zur Aufnahme einer Ausbildung u.a. nur zu erteilen, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine konkreten Maßnahmen zu Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zu Aufenthaltsbeendigung stehen, bevorstehen; dies ist auch der Fall, wenn vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung eingeleitet wurden, es sei denn, es ist von vornherein absehbar, dass diese nicht zum Erfolg führen.
Im vorliegenden Fall ist daher für die Frage, ob konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorliegen, auf den 22. Oktober 2021 abzustellen, da der Kläger an diesem Tag einen Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung für den Ausbildungsberuf hat stellen lassen (Zugang beim Antragsgegner, § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB analog) und beabsichtigt, diese Ausbildung zeitnah aufzunehmen.
Mit der Voraussetzung, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen, sollen die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausgenommen werden, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird, wobei die Gesetzesbegründung die Beantragung eines Pass(ersatz) papiers, die Terminierung der Abschiebung oder den Lauf eines Verfahrens zur DublinÜberstellung als Beispiele aufführt (BT-Drs. 18/9090, S. 25; dazu BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 10 CE 18.2159 – Rn. 9). In den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung absehbar ist, soll daher der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden (BT-Drs. 18/9090, S. 25). Für den Ausschluss einer Duldung zu Ausbildungszwecken kommt es nicht darauf an, dass der Betroffene Kenntnis von den konkret bevorstehenden Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung hat (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – NVwZ-RR 2018, 588/589 Rn. 17 m.w.N.). Jedenfalls sofern keine Anzeichen für eine offensichtliche Aussichtslosigkeit der Rückführungsbemühungen ersichtlich sind, kann ein Antragsteller in diesem Fall keine Duldung für die Aufnahme der Ausbildung verlangen, auch wenn ein Ausschlussgrund im Sinn des § 60a Abs. 6 AufenthG nicht vorliegt (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – NVwZ-RR 2018, 588/589 Rn. 23 m.w.N.).
Vorliegend kommt es nicht mehr auf das – vom Beklagten stornierte – Verfahren zur Pass(ersatz) beschaffung an, wie aber der Klägerbevollmächtigte meint, sondern auf die Einplanung des Klägers zur Sammelabschiebung, die der Beklagte am 19. Oktober 2021 und damit drei Tage vor der Antragstellung für die Ausbildungsduldung vorgenommen hat, nachdem offenbar die Aufforderung zur freiwilligen Ausreise fruchtlos geblieben war, weil der Kläger eine freiwillige Ausreise weiterhin von sich wies (vgl. Kopie der Niederschrift vom 19.10.2021, VG-Akte Bl. 12).
Da nach Wegfall der pandemiebedingten Beschränkungen des Flugreiseverkehrs auch mit einer Wiederaufnahme der Sammelabschiebungen nach Nigeria gerechnet werden kann, handelt es sich bei der Antragstellung für die Einplanung des Klägers um eine konkrete Vorbereitungsmaßnahme mit Aussicht auf eine erfolgreiche Durchführung. Der Kläger hat einen gültigen nigerianischen Reisepass; Abschiebungsverbote liegen nicht vor und Abschiebungshindernisse sind nicht dargetan.
2. Auf die Mittellosigkeit des Klägers kommt es daher nicht mehr an.


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