Verwaltungsrecht

Abschiebungsschutz bei extremer Gefahrenlage

Aktenzeichen  M 21 S 17.40493

Datum:
13.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 36 AsylG auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, kann dieser Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nur beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. November 2014 auf dem Landweg von Ungarn kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Dezember 2014 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 22. März 2017 führte der Antragsteller zur Begründung seines Asylantrages aus, er habe Mali mit fünf Jahren verlassen. Damals seien seine Eltern gestorben. Er sei dann im Senegal aufgewachsen. Seine Eltern wohnten in Kidal (Mali). Sein Vater sei Landwirt und seine Mutter sei Händlerin. Sie seien arm, hätten aber genug zu essen. Er habe eine Schwester, die im Senegal lebe. Sie sei schwer krank und liege seit zwei Jahren im Koma. Er selbst sei im Senegal auf einer Fußballschule gewesen. Dies sei sein Beruf. Wenn er nach Mali zurückkehren müsse, würde er sterben. In dem Gebiet, aus dem er komme, herrsche Krieg. Es gebe keine Sicherheit. In anderen Gebieten Malis kenne er niemanden, er habe dort keine Perspektive. Er wolle als Fußballer arbeiten und seine Schwester finanziell unterstützen. Er wolle in Sicherheit leben und die Möglichkeit auf eine Frau und Kinder haben.
Mit Bescheid vom 10. April 2017, zur Post gegeben am 12. April 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Ferner wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und ihm wurde die Abschiebung nach Mali oder in den Senegal angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, der Antragsteller habe weder hinsichtlich des Senegals noch hinsichtlich Mali eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung oder ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal vorgetragen. Seine Flucht sei ausschließlich wirtschaftlich motiviert gewesen. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes scheitere daran, dass dem Antragsteller eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Es sei auch zumutbar für ihn, sich dort aufzuhalten. Der Antragsteller sei eigenen Angaben zufolge zumindest zeitweise in Mali aufgewachsen und spreche die zur Verständigung notwendigen Sprachen. Er sei jung, gesund und arbeitsfähig. Es bestehe daher keinerlei Anlass zur Annahme, dass es ihm zumindest durch die Ausübung von Hilfstätigkeiten nicht gelingen werde, bei einer Rückkehr nach Mali das wirtschaftliche Existenzminimum zu erreichen. Gleiches gelte für den Senegal.
Der Bescheid wurde am 18. April 2017 vergeblich versucht, unter der letzten bekannten Adresse des Antragstellers diesem zuzustellen.
Der Kläger hat am 17. Mai 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben, mit der er sinngemäß beantragt, den Bescheid des Bundesamtes vom 10. April 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung trägt er vor, er habe keine Kenntnis des Bescheides gehabt, da ihm dieser nie zugestellt worden sei. Da er zum Zeitpunkt der Zusendung auch keinen Anschriftswechsel gehabt habe, habe er auch seine Verpflichtung nach § 10 AsylG nicht verletzt. Schließlich gelte aber auch wegen der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 22. Mai 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zum Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Dabei kann im vorliegenden Eilverfahren dahinstehen, ob die Klage fristgerecht und damit zulässig erhoben worden ist, denn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen nicht.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers vor dem Bundesamt liegen die Vo-raussetzungen für internationalen Schutz offensichtlich nicht vor. Asylerhebliche Gesichtspunkte sind weder vorgetragen noch auch nur im Mindesten ersichtlich, wobei die Glaubhaftigkeit des Vortrages durchaus angezweifelt werden kann. Der Antragsteller gibt an, er sei im Alter von fünf Jahren in den Senegal geflohen, nachdem seine Eltern gestorben seien. Im Laufe der Anhörung erklärte er dann weiter, seine Eltern lebten in Mali und seien Landwirt bzw. Händlerin. Sie seien arm, hätten aber ausreichend Nahrung. Erst mit diesem Widerspruch konfrontiert, verbesserte sich der Antragsteller dann dahingehend, dass er die Lebenssituation seiner Eltern vor ihrem Tod habe darstellen wollen. Wie er sich daran erinnern kann, wenn er bereits im Alter von fünf Jahren seine Eltern verloren hat, erschließt sich dem Gericht nicht und ist geeignet, Zweifel an der Wahrheit der Ausführungen zu wecken. Selbst als wahr unterstellt vermag das Vorbringen des Antragstellers aber – sowohl hinsichtlich einer Herkunft aus Mali als auch dem Senegal – keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes zu begründen.
Es besteht darüber hinaus auch kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines Abschiebungsverbots. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen insbesondere in Mali allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.).
Das ist bei einem voll erwerbsfähigen jungen Mann wie dem Antragsteller nicht anzunehmen, auch wenn er möglicherweise seinen Traumberuf als Profifußballer dort nicht gewinnbringend wird ausüben können. Gleiches gilt für eine Rückkehr des Antragstellers in den Senegal.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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